Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 115



83 IV 115

32. Entscheid der Anklagekammer vom 25. Juli 1957 i.S. Steiner gegen
Bezirksanwaltschaft Zürich und Bezirksamt See. Regeste

    Art. 347 Abs. 1StGB.Gerichtsstand der Presse.

    Wo wird die Druckschrift (hier: Prospekt eines Filialgeschäftes)
herausgegeben?

Sachverhalt

    A.- Am 1. Juni 1957 reichte Thomas Steiner bei der Bezirksanwaltschaft
Zürich gegen Karl Vögele Anzeige wegen unlauteren Wettbewerbes ein. Der
Beschuldigte wohnt im Kanton St. Gallen und ist Geschäftsführer der Firma
Vögele G.m.b.H. in Uznach, die in Zürich, Bern und Chur Zweiggeschäfte
betreibt. Der Anzeiger wirft dem Beschuldigten vor, im März 1957 für die
Firma Vögele G.m.b.H. von Zürich aus einen Prospekt versandt zu haben,
der nach Art. 13 lit. a und b UWG unzulässige Angaben enthalten habe.

    Vögele bestritt die Zuständigkeit der zürcherischen Behörden. Er
machte geltend, er wohne nicht in Zürich; der von ihm verfasste Prospekt
sei auch nicht in Zürich herausgegeben, sondern am Hauptsitz der Firma
in Uznach verfasst und bestellt und sodann in Bern gedruckt worden; in
Zürich sei lediglich jener Teil der Prospekte der Post übergeben worden,
der an Adressaten im Einzugsgebiet der Zürcher Filialen gegangen sei.

    B.- Mit Verfügung vom 27. Juni 1957 stellte die Bezirksanwaltschaft
Zürich die Untersuchung wegen örtlicher Unzuständigkeit ein, mit
der Begründung, Zürich sei nicht der Herausgabeort des beanstandeten
Presseerzeugnisses (Art. 347 StGB); als solcher sei der Sitz des für
die Herausgabe verantwortlichen Unternehmens zu betrachten. Eventuell
komme der Druckort Bern als Gerichtsstand in Frage; Zürich sei lediglich
Verbreitungsort im Sinne von Art. 347 Abs. 3 StGB und wäre daher nur
zuständig, wenn auch der Druckort unbekannt wäre.

    C.- Das Bezirksamt See (St. Gallen), an das sich Steiner während der
Hängigkeit des in Zürich eingeleiteten Verfahrens vorsorglich ebenfalls
wandte, erachtete seinerseits Zürich als zuständig und lehnte am 24. Juni
1957 die Übernahme des Falles ab.

    D.- Durch Eingabe vom 4. Juli 1957 ersucht Steiner die Anklagekammer
des Bundesgerichtes, die Behörden des Kantons Zürich, eventuell jene
des Kantons St. Gallen als zuständig zu erklären und dementsprechend die
Verfügung der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 27. Juni 1957, bezw. diejenige
des Bezirksamtes See vom 24. Juni 1957 aufzuheben.

    E.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestreitet in ihrer
Vernehmlassung die Zuständigkeit der zürcherischen Behörden und die
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt, es sei Zürich
zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Da ein negativer Kompetenzkonflikt besteht, ist der Strafkläger
berechtigt, die Anklagekammer des Bundesgerichtes anzurufen, ohne vorher
in einem oder beiden der beteiligten Kantone den Instanzenzug zu erschöpfen
(BGE 71 IV 58; 73 IV 62; 78 IV 248). Gemäss Art. 264 BStP hätte der Streit
übrigens von Amtes wegen der Anklagekammer unterbreitet werden sollen
(BGE 71 IV 58 E. 1; 78 IV 248 E. 1).

Erwägung 2

    2.- Der unlautere Wettbewerb, der Vögele vorgeworfen wird, ist durch
das Mittel der Druckerpresse begangen worden. Gemäss Art. 347 Abs. 1
StGB sind daher die Behörden des Ortes zuständig, wo die Druckschrift
herausgegeben wurde. Herausgegeben wird das Presseerzeugnis dort,
wo es an die Öffentlichkeit gelangt (BGE 66 I 226 und dort angeführte
Entscheidungen, ferner nicht veröffentlicher Entscheid der Anklagekammer
vom 8. November 1945 i.S. Genf gegen Basel-Stadt).

    Die Werbeschrift, die Gegenstand der Strafanzeige bildet, ist nach der
von der Bezirksanwaltschaft Zürich glaubwürdig erachteten Darstellung des
Beschuldigten am Hauptsitz der Firma Vögele G.m.b.H. in Uznach verfasst
und von dort aus in Bern in Druck gegeben worden. Daraus lässt sich mit
Bezug auf den Herausgabeort indessen nichts ableiten, da der Textentwurf
gleich wie der Druckauftrag und der Druck selbst interne Vorgänge sind. An
die Öffentlichkeit gelangt die Druckschrift erst durch den Versand, das
Verteilen an Dritte. Dafür, dass der Prospekt unmittelbar vom Geschäftssitz
Uznach aus an die Öffentlichkeit gelangt (versandt worden) sei, enthalten
die Akten keine Anhaltspunkte. Infolgedessen ist auch die Annahme der
Bezirksanwaltschaft Zürich, der Herausgabeort falle mit dem Hauptsitz der
Firma Vögele G.m.b.H. (Uznach) zusammen, nicht haltbar, und zwar selbst
dann nicht, wenn zutreffen sollte, dass der Auftrag zur Verbreitung des
Prospektes von Uznach aus gegeben worden ist; denn durch den Auftrag,
die Werbeschrift zu verbreiten (zu versenden und auszutragen), wird deren
Herausgabe erst angeordnet, aber nicht bereits vollzogen. Massgebend für
den Gerichtsstand des Art. 347 Abs. 1 StGB ist aber der Ort, von dem aus
die Druckschrift tatsächlich an die Öffentlichkeit gelangte.

Erwägung 3

    3.- Es ist unbestritten, dass die für den Zürcher Kundenkreis
bestimmte Auflage des Prospektes in Zürich zum Postversand und Austrag
kam, worauf übrigens auch der Postaufgabe-Vordruck "PP Zürich" am Kopfe
des Prospektes hinweist. Die Bezirksanwaltschaft Zürich nimmt allerdings
an, dass es sich bei den von Zürich aus verbreiteten Werbeschriften nur
um einen Teil einer auch an anderen Orten herausgegebenen Gesamtauflage
gehandelt habe. Wie es sich damit verhält, kann indessen dahingestellt
bleiben, da die Zürcher Auflage jedenfalls einen nicht unerheblichen Teil
einer Gesamtauflage darstellte. Gegen die Annahme der Bezirksanwaltschaft
spricht übrigens schon die Aufmachung der Titelseite des Prospektes mit
dem in Grösse, Farbe und Druck besonders hervorgehobenen Hinweis auf die "2
Moto-Centers in Zürich", demgegenüber der Hinweis auf die Geschäfte in Bern
und Chur, ja selbst auf das Geschäft in Uznach deutlich zurücktritt. Diese
Ausgestaltung gibt dem Prospekt - wenn überhaupt von einem Teil einer
Gesamtauflage gesprochen werden kann - eindeutig das Gepräge einer auf
den Zürcher Kundenkreis abgestimmten, besonderen Ausgabe (Sonderausgabe),
der umsomehr selbständige Bedeutung zukommt, als nach aussen in keiner
Weise, namentlich nicht durch besondere Hinweise auf den Hauptsitz der
Firma oder auf den Druckort, kundgegeben wird, dass sie nur Teil einer
anderorts herausgegebenen Gesamtauflage bilde. Jedermann wird sich
unter solchen Umständen darauf verlassen dürfen, dass die Druckschrift
an dem als Postversand-Stelle bezeichneten Ort herausgegeben, nicht nur
weiterverbreitet worden sei.

    Ein "fliegender Gerichtsstand", den Art. 347 StGB nach Möglichkeit
zu vermeiden trachtet, wird dadurch nicht geschaffen. Die Möglichkeit
besteht allerdings, dass unter Umständen, wie sie hier vorliegen, mehrere
Orte als Herausgabeort des Prospektes in Erscheinung treten, während in
der Regel nur ein einziger anerkannt werden kann. Grundsätzlich ist aber
ein mehrfacher Erscheinungsort nicht ausgeschlossen (BGE 66 I 227). Ein
in seiner Aufmachung örtlich abgestimmter Prospekt ist zudem unter dem
Gesichtspunkte seiner Herausgabe einer allgemeinen, von solcher Aufmachung
freien Werbeschrift durchaus nicht ohne weiteres gleichzustellen. Der
Herausgeber hat es übrigens in der Hand, sich auch für eine in Teilauflagen
erfolgende Ausgabe eines Prospektes im vorneherein einen einheitlichen
Gerichtsstand zu sichern, indem er in der Druckschrift selbst den Ort
der Herausgabe eindeutig, klar und wahrheitsgemäss angibt.

Erwägung 4

    4.- Ist demnach davon auszugehen, dass Zürich Herausgabeort des an den
dortigen Kundenkreis der Firma versandten Prospektes sei, so ändert der
Umstand, dass nachträglich Strafanzeige auch im Kanton St. Gallen erhoben
wurde, wo sich der Wohnort des Verfassers der Druckschrift befindet, an
der Zuständigkeit der zürcherischen Strafverfolgungsbehörden nichts. Wenn,
wie hier, der Verfasser der Druckschrift bekannt ist und in der Schweiz
wohnt, kann das Verfahren allerdings auch an seinem Wohnort durchgeführt
werden, jedoch nur dann, wenn dort die Untersuchung zuerst angehoben
wurde (Art. 347 Abs. 1 a.E. StGB). Im vorliegenden Falle ist die erste
Strafanzeige jedoch in Zürich eingereicht worden.

Erwägung 5

    5.- Es besteht auch kein Anlass, aus Zweckmässigkeitsgründen vom
gesetzlichen Gerichtsstand des Art. 347 StGB abzuweichen, wie dies an
sich möglich wäre (vgl. BGE 79 IV 57 Erw. 3). Da auf Grund der Akten als
Herausgabeort einzig Zürich in Frage kommt, ist es vielmehr zweckmässig,
das Verfahren dort durchzuführen. Dazu kommt, dass sich in Zürich,
worauf der Prospekt mit dem besonders hervorgehobenen Hinweis auf die
zwei Stadtgeschäfte schliessen lässt, offenbar ein wesentlicher Teil
der geschäftlichen Tätigkeit der Firma, namentlich des wirtschaftlichen
Wettbewerbes abwickelt, dessen Missbrauch dem Angeschuldigten vorgeworfen
wird. Damit erhält dieser Ort auch ein Übergewicht gegenüber dem Wohnort
des Verfassers der Druckschrift, selbst dann, wenn dieser mit dem
Geschäftssitz der Firma zusammenfallen sollte.

Entscheid:

               Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Zur Behandlung der Strafklage des Thomas Steiner gegen Karl Vögele
werden die Behörden des Kantons Zürich zuständig erklärt.