Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 IV 111



83 IV 111

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. April 1957
i.S. Wächter gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 268 Abs.2 BStP.

    Wird ein in der Schweiz zu einer Gesamtstrafe Verurteilter vom Ausland
nur unter Vorbehalt bestimmter Delikte zum Strafvollzug ausgeliefert
und deshalb die auf die Auslieferungsdelikte entfallende Quote der
Gesamtstrafe nachträglich ausgeschieden, so kann die Frage, ob eine
solche Aufteilung der Gesamtstrafe Bundesrecht verletze, zum Gegenstand
einer Nichtigkeitsbeschwerde gemacht werden. Das gilt gleicherweise
für Entscheide über die Anrechnung bzw. Nichtanrechnung erstandener
Untersuchungshaft.

Sachverhalt

    A.- 1. Am 10. Oktober 1955 sprach das Obergericht des Kantons Zürich
Fritz Wächter der Veruntreuung, des wiederholten Betruges und des Führens
eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand im Rückfall schuldig und
verurteilte ihn unter Anrechnung von 121 Tagen Untersuchungshaft zu einem
Jahr und neun Monaten Gefängnis. Gegenstand des Urteils bildete unter
anderem ein von Wächter in Wien begangener Betrug, dessen Verfolgung
von den Zürcher Strafbehörden auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft Wien
übernommen worden war.

    Bald nach seiner Verurteilung floh Wächter nach Österreich, wo er
verhaftet und wegen des in Wien begangenen Betruges am 18. Mai 1956 vom
Landsgericht für Strafsachen Wien zu acht Monaten schweren Kerkers,
verschärft mit einem harten Lager monatlich, verurteilt wurde. Das
Gericht rechnete ihm auf die Strafe ausser der in Österreich erstandenen
Verwahrungs- und Untersuchungshaft auch die 121 Tage Haft an, "die er in
der Schweiz für die gegenständliche strafbare Handlung erlitten hat".

    2. Nach Verbüssung der Kerkerstrafe wurde Wächter auf Begehren der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 16. Juli 1956 von Österreich
an die Schweiz ausgeliefert. Für den in Wien begangenen Betrug und den
Tatbestand des Führens in angetrunkenem Zustand wurde die Auslieferung
verweigert.

    Mit Eingabe vom 27. Oktober 1956 teilte Wächter dem Obergericht des
Kantons Zürich unter Berufung auf Art. XIII des zwischen Österreich und
der Schweiz abgeschlossenen Staatsvertrages betreffend die Auslieferung
von Verbrechern vom 10. März 1896 mit, er wünsche die Strafe wegen Führens
eines Motorfahrzeuges in angetrunkenem Zustand zu verbüssen.

    B.- Am 8. November 1956 änderte das Obergericht des Kantons Zürich sein
Urteil vom 10. Oktober 1955 dahin ab, dass es unter Ausscheidung des von
Wächter in Wien begangenen und vom dortigen Landsgericht für Strafsachen
beurteilten Betruges die Strafe für die in der Schweiz verübten Delikte
auf dreizehn Monate Gefängnis bemass. Es beschloss zudem, von einer
Anrechnung der 121 Tage Untersuchungshaft abzusehen.

    C.- Wächter führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei ihm
die in der Schweiz erstandene Untersuchungshaft an die Strafe anzurechnen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt, es sei auf
die Beschwerde nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Staatsanwaltschaft macht geltend, der Beschluss des Obergerichtes
vom 8. November 1956 sei kein Urteil im Sinne des Art. 268 Abs. 2 BStP,
weil es sich um einen Entscheid handle, der den Vollzug der Strafe
betreffe. Dem ist nicht beizupflichten.

    Zwar unterliegen nach Art. 268 Abs. 2 BStP der Nichtigkeitsbeschwerde
nur Entscheidungen des erkennenden Richters über Strafen und Massnahmen,
nicht auch Verfügungen, welche die Vollstreckung der erkannten Strafen oder
Massnahmen zum Gegenstand haben (BGE 74 IV 128). Die Staatsanwaltschaft
übersieht jedoch, dass das Obergericht im vorliegenden Fall die
Strafzumessung neu vorzunehmen hatte. Nach Art. 68 Ziff. 1 StGB ist
der Richter verpflichtet, bei Zusammentreffen mehrerer Handlungen,
durch die der Täter mehrere Freiheitsstrafen verwirkt hat, zu der
Strafe der schwersten Art zu verurteilen und deren Dauer angemessen zu
erhöhen. Tritt der Fall ein, dass der Täter vor Vollzug der so bemessenen
Gesamtstrafe ins Ausland flieht und die ausländischen Behörden dessen
Auslieferung an die Schweiz nur für einen Teil der hier abgeurteilten
Straftaten bewilligen, so hat der schweizerische Richter infolge dieses
Vorbehalts den auf die Auslieferungsdelikte entfallenden Strafanteil
nachträglich auszuscheiden. Er hat dabei wiederum entsprechend den
Vorschriften der Art. 63 ff. StGB vorzugehen und bei einer Mehrheit von
Auslieferungsdelikten insbesondere nach Art. 68 Ziff. 1 StGB zu verfahren.
Erkenntnisse solcher Art betreffen, wie das Bundesgericht in BGE 82 I 167
entschieden hat, die Strafe selbst und stellen nicht bloss Verfügungen
über deren Vollzug dar. Sie sind Urteile im Sinne des Art. 268 Abs. 2 BStP.

    Das gilt ohne Einschränkung auch für den vorliegenden Fall. Hier wie
in BGE 82 I 167 stand dem Vollzug der vom schweizerischen Richter vor der
Auslieferung ausgesprochenen Gesamtstrafe der sowohl im Auslieferungsgesetz
von 1892 (Art. 7) als auch in den einschlägigen Auslieferungsverträgen
(österreichisch-schweizerischer Auslieferungsvertrag von 1896, Art. XIII;
französisch-schweizerischer Auslieferungsvertrag von 1869, Art. 8)
anerkannte Grundsatz der Spezialität entgegen, wonach die Auslieferung an
die Bedingung geknüpft ist, dass der Ausgelieferte für kein anderes (vor
der Auslieferung begangenes) Delikt verfolgt oder bestraft werden dürfe als
für dasjenige, wegen welchem die Auslieferung bewilligt wurde (vgl. BGE 81
IV 290). In beiden Fällen war somit die in der Schweiz zu vollziehende
Strafe gleicherweise unter Ausschluss der Nichtauslieferungsdelikte
neu zu bemessen. Das hätte vorliegend abgesehen von den Bestimmungen
des österreichischschweizerischen Auslieferungsvertrages auch deswegen
geschehen müssen, weil die in Österreich ausgesprochene Strafe für den in
Wien begangenen Betrug vollzogen wurde und der Täter hiefür in der Schweiz
gemäss Art. 6 Ziff. 2 Abs. 3 StGB nicht mehr bestraft werden durfte.

    Handelt es sich nach dem Gesagten bei der vom Obergericht nachträglich
vorgenommenen Aufteilung der am 10. Oktober 1955 ausgefällten Gesamtstrafe
um eine Entscheidung, durch die das Mass der Strafe festgesetzt wird, und
ist sie damit als Urteil im Sinne des Art. 268 Abs. 2 BStP anzusprechen,
so kann die Frage, ob eine solche Neubemessung der Strafe Bundesrecht
verletze, zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof
gemacht werden. Was aber für die Strafzumessung gilt, trifft ebenso
für Entscheide über die Anrechnung oder Nichtanrechnung erstandener
Untersuchungshaft gemäss Art. 69 StGB zu. Auf die Beschwerde ist daher
einzutreten.