Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 85



83 II 85

15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 26. Februar 1957 i.S. Duff gegen
Vormundschaftsbehörde Lugnez. Regeste

    Unzulässigkeit der Berufung gegen Entscheide, welche die Stellung
eines ausserehelichen Kindes unter Vormundschaft oder unter die elterliche
Gewalt der Mutter oder des Vaters zum Gegenstand haben (Art. 44 OG).

    Die Nichtigkeitsbeschwerde (Art. 68 OG) ist unzulässig, wenn die letzte
kantonale Instanz feststellt, dass dem Beschwerdeführer die kantonalen
Rechtsmittel, mit denen die behauptete Rechtsverletzung hätte gerügt werden
können, nach kantonalem Verfahrensrecht nicht mehr zur Verfügung standen,
als er sie ergreifen wollte.

Sachverhalt

    Am 10. Februar 1942 gebar die Berufungsklägerin ausserehelich
den Knaben Walter. Dieser lebte jahrelang bei seiner Mutter, ohne
unter ihre elterliche Gewalt oder aber unter Vormundschaft gestellt
worden zu sein. Letzteres geschah am 8. September 1952 durch die
Vormundschaftsbehörde Lugnez, in deren Amtskreis der Knabe zwar nicht
Wohnsitz hatte, aber heimatberechtigt ist.

    Im Jahre 1956 richtete die Mutter an diese Behörde das Begehren,
der Knabe sei ihr herauszugeben und unter ihre elterliche Gewalt zu
stellen. Vom Kleinen Rat des Kantons Graubünden als der letzten kantonalen
Instanz mit Entscheid vom 21. Dezember 1956 abgewiesen, beantragt sie mit
der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht "Aufhebung der seinerzeit
über den Knaben Walter errichteten Vormundschaft und Unterstellung
desselben unter die elterliche Gewalt seiner Mutter". Das Bundesgericht
tritt auf die Berufung nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Vormundschaftliche Massnahmen unterliegen nur in den Fällen,
die Art. 44 OG in lit a-c aufzählt, der Berufung an das Bundesgericht. Die
Stellung eines ausserehelichen Kindes unter Vormundschaft oder unter die
elterliche Gewalt der Mutter oder allenfalls des Vaters (Art. 311 Abs. 2,
324 Abs. 3, 325 Abs. 3, 326 Abs. 2 ZGB) sowie spätere Änderungen dieser
Massnahmen gehören nicht zu jenen Fällen. Namentlich handelt es sich bei
derartigen Entscheidungen nicht um die Entziehung oder Wiederherstellung
der elterlichen Gewalt im Sinne von Art. 44 lit b OG (vgl. BGE 72
II 335 und die dortigen Hinweise auf die Rechtsprechung zu den durch
Art. 44 lit. a-c OG ersetzten Vorschriften von Art. 86 Ziff. 1-3 aoG;
in BGE 49 II 149 ff. beruhen die Zeilen 4/5 auf S. 151, wo erklärt wurde,
dass die zivilrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 86 Ziff. 2 aoG bei
Verletzung der - kantonalen - Verfahrensvorschriften im Sinne von Art.
288 ZGB zulässig sei, auf einem Versehen, durch das indes der übrige
Inhalt jenes Entscheides nicht in Frage gestellt wird und das wohl bloss
durch die - richtigerweise nur auf den zweiten Absatz zu beziehende
- Erwähnung des Art. 288 ZGB in Art. 86 Ziff. 2 aoG hervorgerufen
wurde). Art. 44 lit. b OG gilt nach seinem klaren Wortlaut nur für die
Entziehung und Wiederherstellung der elterlichen Gewalt gemäss Art. 285
und 287 ZGB (vgl. BGE 82 II 364, wo am Ende der fünftletzten Zeile
das Wort "Bestimmungen" statt "Bestimmung" stehen sollte), und diese
Vorschriften beziehen sich, wie aus ihrer Stellung im Siebenten Titel
über "Das eheliche Kindesverhältnis" eindeutig hervorgeht, nur auf die
elterliche Gewalt über eheliche Kinder. Gegen den angefochtenen Entscheid
ist also die Berufung nicht zulässig; dies selbst dann nicht, wenn man
mit der Berufungsklägerin annehmen wollte, sie habe bis zur Errichtung
der Vormundschaft am 8. September 1952 kraft Übertragung durch schlüssiges
Verhalten die elterliche Gewalt über ihre aussereheliches Kind besessen.

Erwägung 2

    2.- So wenig wie als Berufung kann das vorliegende Rechtsmittel als
Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne von Art. 68 OG entgegengenommen werden. Da
es sich bei der Anwendung der Vorschriften über die Frage, ob ein
aussereheliches Kind unter Vormundschaft oder unter elterliche Gewalt zu
stellen sei, um eine nicht der Berufung unterliegende Zivilsache handelt,
ist zwar gegen einschlägige Entscheide der letzten kantonalen Instanz
gemäss Art. 68 lit. b OG die Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung
von Vorschriften des eidgenössischen Rechts über die sachliche oder
örtliche Zuständigkeit der Behörden zulässig. Eine solche Rechtsverletzung
macht die Berufungsklägerin in der Berufungsschrift geltend, indem sie
behauptet, der Beschluss der Vormundschaftsbehörde Lugnez vom Jahre 1952
sei wegen örtlicher Unzuständigkeit dieser Behörde nichtig. Einen Antrag
auf Aufhebung dieses Beschlusses hat sie jedoch nicht gestellt, und
hievon abgesehen ist zu sagen, dass sich die örtliche Zuständigkeit der
Vormundschaftsbehörde Lugnez heute durch Nichtigkeitsbeschwerde im Sinne
von Art. 68 OG nicht mehr in Frage stellen lässt; denn der Kleine Rat hat
angenommen, gegen den (der Berufungsklägerin angeblich nicht zugestellten)
Bevormundungsentscheid könne heute ein kantonales Rechtsmittel nicht mehr
ergriffen werden, was eine Frage des kantonalen Verfahrensrechts ist,
dessen Anwendung das Bundesgericht im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren
nicht überprüfen kann, und zudem hat er in Anwendung von Art. 71 des
bündnerischen EG zum ZGB, der sich auf Art. 376 Abs. 2 ZGB stützen kann,
der Übertragung der Vormundschaft an die heimatliche Behörde nachträglich
zugestimmt.