Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 517



83 II 517

70. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Dezember 1957
i.S. H. und M. Preisig gegen Heim und Koller. Regeste

    Ausübung des Vorkaufrechts. Die Frist des Art. 681 Abs. 3 ZGB
beginnt erst zu laufen, wenn der Vorkaufsberechtigte von allen für seine
Entschliessung beachtlichen Bestimmungen des Kaufvertrages sichere Kenntnis
erhalten hat.

Sachverhalt

    A.- Das landwirtschaftliche Grundstück Sommersberg in Gais stand im
Miteigentum der Beklagten Helene und Martha Preisig in Gais zu je 1/6,
von Klara Kaiser-Preisig in Basel zu 1/3 und von Lily Blättler-Preisig
in Basel zu 1/3. Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 15. September
1955 verkaufte Klara Kaiser-Preisig ihren Anteil den beiden Klägern
Heim und Koller zum Preise von Fr. 30'000.--. Es handelte sich um einen
vorzeitigen Verkauf, der nach Art. 218 ff. OR der Bewilligung durch den
Regierungsrat bedurfte. Diese wurde am 25. Oktober 1955 erteilt und den
andern Miteigentümern unter Hinweis auf ihr Vorkaufsrecht am 5. November
1955 mitgeteilt. Am 15. gl.M. erklärten die Beklagten, das Vorkaufsrecht
ausüben zu wollen, worauf das Grundbuchamt sie als Erwerberinnen des
verkauften Anteils eintrug.

    B.- Da die Beklagten indessen vom Verkauf bereits am 17.  September
1955 durch den Verwalter der Liegenschaft, Menet, der den Verkauf
vermittelt hatte, benachrichtigt worden waren, hielten die Käufer die
Ausübung des Vorkaufrechtes für verspätet. Sie erhoben im April 1956 Klage
mit den Begehren 1. auf Feststellung der verspäteten Geltendmachung des
Vorkaufsrechtes, weshalb das Grundbuchamt den verkauften Miteigentumsanteil
zu Unrecht auf die Beklagten übertragen habe und dieser Eintrag zu löschen
sei; 2. auf Feststellung des gültigen Bestandes des Kaufvertrages und
des Anspruches der Kläger auf entsprechende Eintragung als Miteigentümer.

    C.- Sowohl das Bezirksgericht Mittelland wie auch das Obergericht des
Kantons Appenzell A.Rh., dieses mit Urteil vom 26. März 1957, haben die
Klage gutgeheissen. Zur Begründung wird ausgeführt, die Monatsfrist zur
Ausübung des Vorkaufsrechts nach Art. 681 Abs. 3 ZGB habe mit dem Zeitpunkt
hinreichender Kenntnisnahme vom Kaufvertrage durch die Vorkaufsberechtigten
zu laufen begonnen. Solche Kenntnis hätten die Beklagten am 17. September
1955 infolge mündlicher Orientierung durch den Kaufsvermittler Menet
erlangt. Somit hätten sie das Vorkaufsrecht spätestens am 17. Oktober 1955
ausüben müssen; ihre Erklärung vom 15. November 1955 sei verspätet. Der
Umstand, dass der Kaufvertrag mit Rücksicht auf die Sperrfrist des Art. 218
OR (in der Fassung gemäss Art. 50 EGG) noch der behördlichen Bewilligung
bedurfte, deren Erteilung erst am 5. November 1955 den Beklagten
mitgeteilt wurde, habe den Fristenlauf nicht hinausgeschoben. Vielmehr
hätten die Beklagten in den an sich gültigen abgeschlossenen Kaufvertrag
schon vor der behördlichen Bewilligung eintreten können und auch müssen,
um die der Ausübung ihres Rechtes gesetzte Frist nicht zu versäumen. Bei
rechtzeitigem Eintritt wäre der Anspruch auf Erwerb auf sie übergegangen,
so wie er den Käufern zustand, nämlich unter der Bedingung, dass der
Verkauf von der Behörde bewilligt werde.

    D.- Gegen dieses Urteil richtet sich die vorliegende Berufung der
beiden Beklagten mit dem Antrag auf gänzliche Abweisung der Klage. Der
Antrag der Kläger geht auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Bedeutung der Sperrfrist des Art. 218 OR? Frage offen gelassen).

Erwägung 2

    2.- Nach der für vorgemerkte Vorkaufsrechte aufgestellten, aber
auch auf gesetzliche Rechte solcher Art gemäss Art. 682 ZGB anwendbaren
Vorschrift von Art. 681 Abs. 3 ZGB erlischt das Vorkaufsrecht "mit dem
Ablauf eines Monats, nachdem der Berechtigte von dem Verkaufe Kenntnis
erhalten hat". Aus welcher Quelle die dem Berechtigten zugekommene Kunde
stammt, spielt keine Rolle. Neben einer Anzeige durch den Verkäufer
gemäss Art. 681 Abs. 2 ZGB ist auch eine Benachrichtigung von anderer
Seite, ja selbst eine zufällige Kenntnisnahme geeignet, die Monatsfrist
in Lauf zu setzen. Dieser Wirkung einer hinreichenden Kenntnisnahme kann
keineswegs Art. 969 Abs. 2 ZGB entgegengehalten werden (BGE 44 II 385,
56 II 172/73). Die Geltendmachung des Vorkaufsrechts spielt sich unter
den Beteiligten ab, wobei dem Grundbuchamt keine wesentliche Mitwirkung
zukommt. Wo die öffentliche Beurkundung nicht durch den Grundbuchverwalter
vorzunehmen ist (vgl. Art. 948 Abs. 3 ZGB und Art. 55 SchlT), werden
übrigens die Absätze 2 und 3 von Art. 681 ZGB oft zur Auswirkung kommen,
schon bevor der Kauf zur Eintragung angemeldet wird, also bevor das
Grundbuchamt davon erfährt. Das für die Ausübung der im EGG vorgesehenen
Vorkaufsrechte geltende besondere Verfahren (Art. 13/14 EGG) gilt nicht
ausserhalb des Bereiches dieses Spezialgesetzes.

    Indessen beginnt die Frist des Art. 681 Abs. 3 ZGB nicht ohne
weiteres zu laufen, sobald dem Vorkaufsberechtigten der Kaufsabschluss
als solcher zur Kenntnis gelangt. Einmal sind blosse Gerüchte nicht
geeignet, ihn zu rechtsgeschäftlichem Handeln zu bestimmen; es bedarf
sicherer Kenntnisnahme (vgl. LEEMANN, N. 66 zu Art. 681 ZGB). Sodann
muss dem Vorkaufsberechtigten ausser der Tatsache eines Kaufsabschlusses
auch der wesentliche Inhalt des Vertrages bekannt geworden sein (BGE
44 II 385, 73 II 167 Erw. 5). Gemeint sind damit nicht nur die für das
Zustandekommen eines bestimmten Kaufvertrages unerlässlichen Elemente,
die sog. essentialia (v. TUHR OR § 20 VIII am Ende), worauf BGE 56 II 174
anspielt, sondern alle wesentlichen Bedingungen des konkreten Vertrages
(HAAB, N. 39 zu den Art. 681 und 682 ZGB), also auch die Abreden über
Nebenleistungen und andere Vertragsfolgen, die nicht als selbstverständlich
oder für die Willensbildung der Vorkaufsberechtigten völlig belanglos
zu betrachten sind. Schon in BGE 44 II 386/87 wurde ausgesprochen,
die Ausübung des Vorkaufsrechts setze voraus, dass der Berechtigte
"über den Kaufvertrag mit dem Dritten und dessen wesentlichen Inhalt"
unterrichtet sei. Art. 681 Abs. 2 ZGB verpflichte den Verkäufer zur
Anzeige, damit der Berechtigte "das, was er für die Entschliessung über
die Ausübung oder Nichtausübung seines Rechtes wissen muss", sobald als
möglich erfahre. Ebenso gehöre zum Beweis einer in anderer Weise erlangten
wirksamen Kenntnis "nicht nur der Nachweis des Wissens um die Veräusserung
an sich, sondern auch um ihre wesentlichen, für die Entschliessung über
die Ausübung des Vorkaufs bedeutsamen Bedingungen".

Erwägung 3

    3.- Davon geht freilich auch der angefochtene Entscheid aus,
und er stellt, für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63 Abs. 2 OG),
fest, an der mündlichen Unterredung vom 17. September 1955 habe der
Kaufsvermittler Menet die Beklagten nicht nur über den Verkauf des
streitigen Miteigentumsanteils an die beiden Kläger, sondern auch über den
vereinbarten Kaufpreis und überhaupt über alles orientiert, was er zwei
Tage später der andern Miteigentümerin Lily Blättler-Preisig bzw. deren
Ehemann brieflich mitteilte. In diesem Briefe wird ausgeführt, der
Verkauf sei erfolgt "gegen Barzahlung für den Betrag von Fr. 30'000.--,
Kaufantritt 1. Oktober 1955". Unerwähnt sind dagegen in der brieflichen
Kundgabe folgende Bestimmungen des Kaufvertrages geblieben:

    "5. Die Grundbuch- und Verschreibungskosten, sowie auch sämtliche
Vermittlungskosten von Herrn Jakob Menet-Heim, Gais, werden von der
Käuferschaft bezahlt.

    6. Die Käuferschaft tritt in das Pachtverhältnis mit dem derzeitigen
Pächter Franz Dörig-Klotz, Sommersberg, Gais, ein."

    Es fehlt auch an einem Nachweis, ja an Anhaltspunkten dafür, dass
diese Abreden an der mündlichen Besprechung vom 17. September 1955
mit den Beklagten erwähnt worden wären. Sie lassen sich indessen nicht
als belanglos oder selbstverständlich bezeichnen. Die Grundbuch- und
Verschreibungskosten werden an manchen Orten gewöhnlich nicht ganz vom
Käufer getragen, sondern hälftig auf die beiden Kontrahenten verteilt. Und
ein Mäklerlohn ist ohne abweichende Vereinbarung vom Auftraggeber allein
zu entrichten, also gegebenenfalls vom Verkäufer (vgl. Art. 412 OR und
OSER/SCHÖNENBERGER, N. 24 dazu). Hier ist nun nicht einmal erwiesen, dass
Menet, den die Beklagten als Verwalter der Liegenschaft kannten, an der in
Frage stehenden Unterredung von seiner Mäklertätigkeit sprach. Unerörtert
blieb vollends, wer ihn mit der Vermittlung beauftragt hatte (es war
wohl die Verkäuferin, in deren Namen er den Kaufvertrag unterzeichnet
hat), und es wurde den Beklagten nicht mitgeteilt, dass (dennoch) die
Käuferschaft (also gegebenenfalls die eintretenden Vorkaufsberechtigten)
den Mäklerlohn zahlen sollten. Es mag sich um hundert oder auch mehrere
hundert Franken handeln, eine nicht unwesentliche Aufwendung, zumal in den
Augen eines Miteigentümers, dem der Kaufsabschluss und damit die Tätigkeit
des Mäklers unter Umständen ungelegen kommt. Bei dieser Sachlage waren die
Aufschlüsse, welche die Beklagten nach obergerichtlicher Feststellung am
17. September 1955 erhielten, nicht ausreichend, und es kann offen bleiben,
ob sie überhaupt in einer Weise erfolgten, dass die betagten Beklagten
sie richtig zu verstehen und im Bewusstsein festzuhalten vermochten.

Erwägung 4

    4.- Hatten die Beklagten somit am 17. September 1955 keine
rechtswirksame Kenntnis vom Kaufvertrag im Sinne von Art. 681 Abs. 3 ZGB
erlangt, so waren sie nicht gehalten, eine Erklärung über die Ausübung
des Vorkaufsrechtes binnen Monatsfrist von jenem Tag an abzugeben. Und
da auch keine andere ausreichende Kenntnisnahme vor dem 5. November 1955
erwiesen ist, hat der am 15. gl.M. erfolgte Eintritt in den Kaufvertrag
als fristgemäss zu gelten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Appenzell Ausserrhoden vom 26. März 1957 aufgehoben und die
Klage abgewiesen.