Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 489



83 II 489

65. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. November 1957
i.S. M. gegen B. Regeste

    Ein Verlöbnis liegt nur bei beidseitigem Eheversprechen vor, und es
können Ansprüche aus Verlöbnisbruch grundsätzlich nicht mit Vorgängen
begrundet werden, die sich vor der Verlobung ereignet haben. Art.
90 ff. ZGB.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Dass die Parteien einander die Ehe versprochen haben, bestreitet der
Beklagte nicht. Er behauptet jedoch, dies sei später geschehen, als das
Obergericht annimmt.

    Der Zeitpunkt der Verlobung ist insofern von Bedeutung, als die
Klägerin ihre Ansprüche - wenigstens grundsätzlich - nicht mit Vorgängen
begründen kann, die sich vorher abgespielt haben. Nun geht der angefochtene
Entscheid davon aus, die Klägerin habe sich schon auf Grund der in Nizza
(im Februar 1949) erfolgten Besprechungen "darauf verlassen dürfen", dass
der Beklagte sie im Herbst heiraten werde. Indessen ist nicht festgestellt,
dass die Klägerin ein ihr allenfalls schon damals gegebenes Eheversprechen
angenommen und mit einem eigenen Eheversprechen erwidert habe. Vielmehr
verweist das Obergericht auf einen Brief der Klägerin vom 18. Januar 1950,
worin sie erklärte, die Aussprache in Nizza sei "ganz ungezwungen und
ohne irgendwelches formelles Eheversprechen" vor sich gegangen. Im selben
Brief heisst es, der Beklagte habe ihr an seinem Geburtstag (d.h. am
27. März) "offiziell" die Heirat versprochen; am 19. April 1949 habe er
das Eheversprechen wiederholt und sie ihm nun auch das ihrige gegeben;
von da an habe sie sich als seine Braut betrachtet. Erst an diesem
letztgenannten Tage kam es somit zu einem gegenseitigen Eheversprechen
und damit zum Verlöbnis. Dass nicht schon ein einseitiges, sondern erst
ein gegenseitiges Eheversprechen, also der von beiden Parteien einander
bekundete Wille zu künftiger Eheschliessung als Verlobung zu gelten hat,
entspricht dem allgemein anerkannten Begriff dieses familienrechtlichen
Verhältnisses. Auch das ZGB geht von diesem Begriffe aus, indem der
französische Randtitel zu Art. 90 geradezu "contrat de fiançailles" lautet
und die Art. 92 ff. den einen wie den andern Partner gleichermassen als
Verlobten ins Auge fassen. Das Gesetz nimmt hiebei eine das Verlöbnis,
den Brautstand, begründende Willenseinigung als gegeben an, die freilich
auch durch ausdrückliches Eheversprechen (Heiratsantrag) des einen und
wenn nicht ausdrückliche, so doch konkludente Annahme durch den andern
Partner zustande kommt (vgl. GMÜR, N. 2 und 3 zu Art. 90 ZGB und N. 3
der Vorbemerkungen zum Abschnitt über das Verlöbnis; EGGER, N. 8 ff.,
zu Art. 90 ZGB; HAURI, Le contrat de fiançailles, S. 61; UNGRICHT, Das
Recht der Verlobten, S. 44). Dem kann nicht entgegengehalten werden,
dass Art. 323 ZGB zur Zusprechung eines ausserehelichen Kindes an den
Beklagten mit Standesfolge auch ein einseitiges Eheversprechen desselben
an die Mutter genügen lässt (und zwar auch ein bedindingtes, für den Fall
der Schwängerung abgegebenes Versprechen solcher Art, vgl. BGE 52 II 309,
53 II 278, 56 II 155, 73 II 140/41). Denn Art. 323 ZGB will dem Umstande
Rechnung tragen, "dass derartige Versprechen geeignet sind, eine Frau
zur Hingabe zu bestimmen oder doch ihren Widerstand zu schwächen" (BGE
73 II 141 oben). Das trifft in der Tat zu, auch wenn kein beidseitiges
Eheversprechen, also kein Verlöbnis vorliegt. Mit Recht bemerkt daher
PH. VON DER WEID, La réparation du tort moral causé par la rupture des
fiançailles, S. 22, Art. 323 ZGB gestatte die Zusprechung eines Kindes
mit Standesfolge "alors même qu'il n'y a pas eu de fiançailles au sens de
l'art. 90 CCS, mais simple promesse de mariage unilatérale". Ansprüche
wegen Verlöbnisbruches nach Art. 92 ff. ZGB können dagegen nur erhoben
werden, wenn ein Verlöbnis im Sinne von Art. 90 ZGB, d.h. ein beidseitiges
Eheversprechen, vorlag, ansonst nicht von einem Verlöbnisbruch die Rede
sein kann.