Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 425



83 II 425

58. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 25. Oktober 1957
i.S. Eheleute G. Regeste

    Die Ehescheidung wegen Geisteskrankheit (Art. 141 ZGB) setzt voraus,
dass die Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinleitung drei Jahre gedauert
hat (Bestätigung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 141 ZGB setzt die
Scheidung wegen Geisteskrankheit u.a. voraus, dass die Geisteskrankheit zur
Zeit der Klageeinreichung drei Jahre in der vom Gesetz vorausgesetzten
Schwere bestanden haben muss (BGE 52 II 186, 63 II 1, 66 II 84, 80
II 185). Die Auffassung, dass die dreijährige Krankheitsdauer bei der
Klageeinleitung erfüllt sein müsse, hat übrigens anscheinend auch schon
unter der Herrschaft des Bundesgesetzes betreffend Feststellung und
Beurkundung des Zivilstandes und die Ehe vom 24. Dezember 1874 (ZEG)
gewaltet; denn im Falle BGE 35 II 9 hat das Bundesgericht (S. 15) die
Auffassung des Beklagten, "auch" die Unheilbarkeit der Geisteskrankheit
(d.h. nicht nur diese selber) müsse im Zeitpunkt der Klageeinleitung
drei Jahre gedauert haben, mit der Begründung abgewiesen, das Gesetz
verlange nicht, dass die Unheilbarkeit (incurabilité; im Text durch
Schrägschrift hervorgehoben) in diesem Zeitpunkt drei Jahre gedauert
habe, was als Gegenstück die Annahme voraussetzt, dass die Krankheit
als solche diesem Erfordernis genügen müsse. Wie dem aber auch sei, so
hat sich jedenfalls nach dem Inkrafttreten des ZGB eine feste Praxis
in diesem Sinne herausgebildet, die seit dem grundlegenden Entscheid
vom Jahre 1926 immer wieder bestätigt wurde. Die Auffassung, dass die
Geisteskrankheit zur Zeit der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben
müsse, wird nicht nur durch den Wortlaut von Art. 141 ZGB nahegelegt,
sondern hat, wie in den erwähnten Entscheiden dargelegt wurde, auch
sachliche Gründe für sich. Der Kläger versucht nicht, diese Argumente zu
widerlegen, sondern begnügt sich damit, dem Bundesgericht zu beantragen,
"in Abänderung seiner bisherigen Praxis die Scheidung auch gestützt auf
Art. 141 ZGB auszusprechen, trotzdem die gesetzliche dreijährige Frist noch
nicht im Zeitpunkt der Einreichung der Klage (12.5.1954) abgelaufen war,
wohl aber im Zeitpunkt des Urteils des Appellationshofes des Kantons Bern,
d.h. am 25.2.1957". Diese Ausführungen rufen keiner neuen Überprüfung der
Rechtsprechung. Aber auch die Bedenken, welche die Vorinstanz namentlich
mit Rücksicht auf Fälle wie den vorliegenden geäussert hat, ohne indes
praktische Folgerungen daraus zu ziehen, vermögen eine Praxisänderung
nicht zu rechtfertigen. Das Erfordernis, dass die dreijährige Dauer
der Krankheit schon bei der Klageeinleitung erfüllt sein muss, behält
als Garantie einer möglichst zuverlässigen Diagnose und Prrognose und
einer von den Zufälligkeiten des Verfahrensganges (insbesondere von der
Prozessdauer) unabhängigen Entscheidung sowie als Schutz gegen Versuche,
mit diesen Zufälligkeiten zu spekulieren, seinen guten Sinn, auch wenn es
vorkommen kann, dass ein Kläger, der in guten Treuen die Scheidung wegen
tiefer Zerrüttung verlangt hat, im angehobenen Verfahren die Scheidung
nicht erreicht, sondern nach dessen Erledigung neu klagen muss, weil sich
erst im Laufe des Prozesses eindeutig ergibt, dass eine Geisteskrankheit,
die bei Klageeinleitung noch nicht drei Jahre gedauert hatte, die wahre
Ursache des ehelichen Zerwürfnisses bildet. Art. 141 ZGB mit einer gewissen
Strenge auszulegen und Rücksichten auf die Prozessökonomie zurücktreten
zu lassen, lässt sich auch damit rechtfertigen, dass es sich bei dieser
Vorschrift um eine Ausnahme vom Grundsatze handelt, wonach Krankheit in
der Regel kein Scheidungsgrund ist, und dass eine verfrühte Klage unter
Umständen allfällige Aussichten auf eine (sei es auch nur "soziale")
Heilung beeinträchtigen könnte (vgl. BGE 80 II 185/86). Die Umstände des
vorliegenden Falles bieten daher keinen Anlass, die bisherige, während
mehrerer Jahrzehnte befolgte Praxis preiszugeben. Die Unzukömmlichkeit,
dass der klagende Ehegatte vielfach nicht zum voraus sicher wissen kann, ob
die erforderliche Krankheitsdauer gegeben sei, besteht nicht nur dann, wenn
man verlangt, dass diese Frist bei Klageeinleitung abgelaufen sein müsse,
sondern diese Ungewissheit könnte sich für den Kläger auch dann ergeben,
wenn man sich damit begnügen würde, dass die drei Jahre bei Erstattung
der Expertise im Prozess oder bei der Urteilsfällung erfüllt sein müssen.

    Ist demnach daran festzuhalten, dass die Geisteskrankheit zur Zeit
der Klageeinleitung drei Jahre gedauert haben muss, so ist das vorliegende
Scheidungsbegehren mit der Vorinstanz abzuweisen, da nicht bewiesen ist,
dass die Geisteskrankheit der Beklagten schon bei Einreichung der Klage
seit drei Jahren bestanden hatte.