Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 356



83 II 356

49. Urteil der II. Zivilabteilung vom 30. August 1957 i.S. G. gegen G.
Regeste

    Unterhaltsbeiträge für Kinder aus geschiedener Ehe.

    Grundsätze für ihre Bemessung (Art. 156 Abs. 2 ZGB). Erhöhung im Falle
erheblicher Verbesserung der finanziellen Lage des beitragspflichtigen
Ehegatten (Art. 157 ZGB).

Sachverhalt

    Mit Urteil vom 11. November 1948 schied das Bezirksgericht Meilen
die Ehe der Parteien, stellte ihre beiden Töchter, geb. 1943 bezw. 1946,
unter die elterliche Gewalt der Mutter und genehmigte eine Vereinbarung,
die u.a. vorsah, dass der Vater an diese Kinder monatlich zum voraus je
Fr. 150.-- zu bezahlen habe und dass die Unterhaltsbeiträge den Änderungen
des Indexes der Lebenshaltungskosten von Zürich in Stufen von 5% anzupassen
seien. Das Scheidungsurteil erwuchs in Rechtskraft.

    Am 13. Juni 1955 klagte die Mutter auf Abänderung dieses Urteils mit
dem Begehren, die Unterhaltsbeiträge für die beiden Kinder seien auf je
Fr. 400.-- zu erhöhen. In der Folge ermässigte sie den verlangten Betrag
auf je Fr. 300.--. In diesem Umfange hat das Obergericht des Kantons
Zürich ihre Klage am 26. April 1957 in Aufhebung des Entscheides des
Bezirksgerichtes Zürich vom 16. November 1956 gutgeheissen, weil sich
die finanzielle Lage des Beklagten seit der Scheidung ganz wesentlich
verbessert habe. Die erhöhten Beiträge wurden dem Beklagten mit Wirkung
ab 1. Juli 1955 auferlegt.

    Mit seiner Berufung an das Bundesgericht beantragt der Beklagte, die
Sache sei "zur Abklärung des Bestehens der gesetzlichen Voraussetzungen
(Veränderung der Verhältnisse) auf Seiten der Beitragsberechtigten und
zu anschliessender Fällung eines neuen Entscheides" an die Vorinstanz
zurückzuweisen; eventuell sei der Entscheid des Bezirksgerichtes Zürich
(das die Klage nur in einem quantitativ und zeitlich stark beschränkten
Umfange geschützt hatte) wiederherzustellen; subeventuell sei die
Erhöhung der Unterhaltsbeiträge erst auf den Zeitpunkt der Rechtskraft
des obergerichtlichen bezw. des bundesgerichtlichen Entscheides anzuordnen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 156 Abs. 2 ist der Ehegatte, dem die Kinder bei der
Scheidung entzogen werden, zur Entrichtung eines seinen Verhältnissen
entsprechenden Beitrages an die Kosten des Unterhalts und der Erziehung
verpflichtet. Dem Beklagten ist darin Recht zu geben, dass hienach bei
der Bemessung der Unterhaltsbeiträge für Kinder aus geschiedener Ehe vor
allem die Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen sind und dass neben den
Verhältnissen des von der elterlichen Gewalt ausgeschlossenen Ehegatten,
denen die Beiträge nach dem Wortlaut des Gesetzes entsprechen sollen,
auch die Verhältnisse des mit der elterlichen Gewalt betrauten Ehegatten
in Betracht fallen, dem das Gesetz, indem es den andern nur zur Leistung
eines "Beitrages" verpflichtet, grundsätzlich ebenfalls zumutet, nach
Massgabe seiner Kräfte an die Kosten des Unterhalts und der Erziehung
der Kinder beizusteuern.

    Diese Regeln gelten nicht nur bei der erstmaligen Festsetzung der
Unterhaltsbeiträge durch den Scheidungsrichter, sondern auch dann, wenn
es sich darum handelt, die Beiträge wegen einer spätern Veränderung der
Verhältnisse gemäss Art. 157 ZGB neu zu bestimmen. Daraus folgt aber
entgegen der Auffassung des Berufungsklägers keineswegs, dass eine
Änderung des Scheidungsurteils gemäss Art. 157 ZGB eine "beidseitige
wesentliche Veränderung der Verhältnisse, d.h. eine Veränderung auf
Seiten des Beitragspflichtigen wie auf Seiten der Beitragsberechtigten",
zur Voraussetzung habe. Art. 157 ZGB gebietet dem Richter, auf Begehren
der Vormundschaftsbehörde oder von Vater oder Mutter die erforderlichen
Anordnungen zu treffen, wenn sich die Verhältnisse infolge von Heirat,
Wegzug, Tod eines der Eltern oder aus andern Gründen verändern. Darnach
kann jede erdenkliche Veränderung der für die Gestaltung der Beziehungen
zwischen Eltern und Kindern massgebenden Verhältnisse, sofern sie
erheblich und von Dauer ist, zu einer Abänderung des Scheidungsurteils
führen, und zwar kommen, wie die vom Gesetz angeführten Beispiele zeigen,
gerade auch einseitige Veränderungen als Gründe für Anordnungen nach
Art. 157 ZGB in Betracht. Insbesondere kann der Umstand, dass sich die
Einkommens- und Vermögensverhältnisse des beitragspflichtigen Ehegatten
seit der Scheidung wesentlich und voraussichtlich auf die Dauer verbessert
haben, einen Grund für die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge für die Kinder
bilden. Es ist nur recht und billig, dass die ehelichen Kinder in Form
erhöhter Unterhaltsbeiträge von einer Verbesserung der Lebensumstände
des beitragspflichtigen Ehegatten profitieren, die ihnen ohne weiteres
zugute gekommen wäre, wenn der Scheidungsrichter sie diesem zugeteilt
hätte oder wenn die Ehe nicht geschieden worden wäre.

    Auch im Fall einer Verbesserung der finanziellen Lage des
beitragspflichtigen Ehegatten bleibt es freilich dabei, dass die
Unterhaltsbeiträge sich im Rahmen der Bedürfnisse der Kinder zu halten
haben und dass der andere Ehegatte an die Kosten der Erziehung und
des Unterhalts der Kinder grundsätzlich das Seine beizutragen hat. Die
Bedürfnisse, die bei der Festsetzung der Unterhaltsbeiträge in Betracht
kommen, sind jedoch keine ein für allemal feststehende Grösse. Da die
ehelichen Kinder auf eine den Verhältnissen der Eltern entsprechende
Erziehung und Lebenshaltung Anspruch haben, sind bei Verbesserung der
Verhältnisse des beitragspflichtigen Vaters auch die Bedürfnisse der Kinder
höher zu veranschlagen. Beim Entscheid darüber, in welchem Masse der eine
und der andere Gatte zur Deckung dieser Bedürfnisse beizutragen habe,
ist sodann zu berücksichtigen, dass die Mutter, der die Kinder zugewiesen
sind, schon dadurch eine bedeutende Leistung erbringt, dass sie die Kinder
persönlich betreut und erzieht, so dass sie nicht unbedingt daneben
auch noch einen Geldbeitrag zu leisten braucht, zumal dann nicht, wenn
der Vater bedeutend besser gestellt ist als sie und für die materiellen
Bedürfnisse der Kinder ohne weiteres allein aufzukommen vermag.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz eindeutig, dass sich die Verhältnisse des
Beklagten seit der Scheidung ganz wesentlich verbessert haben. Sein
steuerbares Einkommen betrug im Jahre 1946 laut Steuererklärung
Fr. 33'100.--, im Jahre 1947 laut Veranlagung für die Staatssteuer
Fr. 19'562.--. In der Hauptverhandlung im Scheidungsprozess vom
3. Juni 1948 liess der Beklagte (damals Kläger) erklären, für das Jahr
1948 sei ein steuerbares Einkommen von Fr. 5'000.-- bis 10'000.--
zu erwarten. Dass das Einkommen im Jahre 1948 in Wirklichkeit Fr.
47'581.-- erreichte (vgl. die Wehrsteuererklärung), konnte dem
Bezirksgericht Meilen bei Erlass des Scheidungsurteils vom 11. November
1948 noch nicht bekannt sein. Die Vorinstanz konnte deshalb sehr wohl
annehmen, dass das Scheidungsgericht (das fand, der Beklagte habe mit
der Scheidungsvereinbarung in grosszügiger Weise für die Kinder gesorgt)
vermutlich von einem durchschnittlichen Einkommen des Beklagten von etwa
Fr. 20'000.-- ausgegangen sei. Im Jahre 1954 verdiente er demgegenüber
Fr. 63'733.--, im Jahre 1955 Fr. 71'871.--. Sein Vermögen betrug am
1. Januar 1948 nach der Wehrsteuererklärung Fr. 59'000.--, am 1. Januar
1949 laut Feststellung der Vorinstanz ungefähr ebensoviel. Am 1. Januar
1955 belief es sich dagegen auf Fr. 265'258.--, am 1. Januar 1956 auf
Fr. 299'188.--. Die von ihm als "aktenwidrig" angefochtene Feststellung der
Vorinstanz, dass sich seit der Scheidung sein Einkommen etwa verdreifacht
und sein Vermögen mehr als verfünffacht habe, beruht also keineswegs auf
einem offensichtlichen Versehen, das vom Bundesgericht zu berichtigen
wäre. Selbst wenn man aber mit dem heutigen Einkommen des Beklagten nicht
das Durchschnittseinkommen von Fr. 20'000.--, mit dem nach der Annahme
der Vorinstanz bei der Scheidung gerechnet worden war, sondern das vom
Beklagten nachher für das Jahr 1948 deklarierte Einkommen von Fr. 47'581.--
vergleichen würde, wäre von einer wesentlichen Verbesserung der Lage des
Beklagten zu sprechen. Die Zahlen für die Jahre 1950-1953 bestätigen,
dass man es heute mit einer voraussichtlich dauernden Einkommensvermehrung
zu tun hat (Steuereinkommen 1950 Fr. 59'807.--, 1951 Fr. 85'209.--, 1952
Fr. 84'915.--, 1953 Fr. 71'243.--). Ein vereinzelter Rückschlag, wie er
im kantonalen Verfahren für das Jahr 1956 behauptet, aber nicht bewiesen
worden war, könnte an dieser Beurteilung nichts ändern. Die Vorinstanz
hat daher zu Recht angenommen, dass sich nach Art. 157 ZGB eine Erhöhung
der Unterhaltsbeiträge für die Kinder rechtfertige. Sollte die Meinung
der Parteien bei Abschluss der Scheidungsvereinbarung entsprechend den
Behauptungen des Beklagten dahin gegangen sein, dass es bei den damals
festgesetzten Beiträgen (unter Vorbehalt der Anpassung an den Index) ein
für allemal sein Bewenden haben solle, wofür im übrigen nichts vorliegt,
so wäre dies unerheblich, weil die Ehegatten nicht zulasten der Kinder
zum voraus auf die Anrufung von Art. 157 ZGB verzichten können.

    Auf welchen Betrag die Unterhaltsbeiträge neu festzusetzen seien,
ist weitgehend eine Frage des richterlichen Ermessens. Das Bundesgericht
muss sich bei der Überprüfung der Entscheidungen, die von den - mit
den massgebenden Verhältnissen in der Regel besser vertrauten - obern
kantonalen Gerichten über derartige Ermessensfragen getroffen werden,
Zurückhaltung auferlegen und kann nur einschreiten, wenn die Vorinstanz
bei ihrer Entscheidung Umstände berücksichtigte, die nach dem Sinne des
Gesetzes dabei keine Rolle spielen dürfen, oder umgekehrt wesentliche
Gesichtspunkte ausser acht liess, oder wenn sich die von ihr festgesetzten
Beträge bei den gegebenen Verhältnissen nach der Lebenserfahrung deutlich
als übersetzt oder unzureichend erweisen. Ein solcher Fall ist hier nicht
gegeben. Die Unterhaltsbeiträge von zusammen Fr. 600.-- pro Monat, die
das Obergericht den Kindern der Parteien zugesprochen hat, sind für den
Beklagten bei seinem heutigen Einkommen (1954 mehr als Fr. 5000.--, 1955
rund Fr. 6000.-- pro Monat) keineswegs untragbar, auch wenn er daneben für
das Kind der Klägerin aus erster Ehe noch Fr. 150.-- und für die Klägerin
selber Fr. 225.-- pro Monat nebst den aus der Valutaklausel sich ergebenden
Zuschlägen zu diesen beiden Beträgen zu zahlen hat. Es kann auch keine
Rede davon sein, dass die Beiträge von je Fr. 300.-- pro Monat in einem
deutlichen Missverhältnis zu den Bedürfnissen der Kinder stehen, die eben
berechtigt sind, am sozialen Aufstieg des Vaters teilzunehmen. Ebensowenig
lässt sich sagen, dass der angefochtene Entscheid die Klägerin (die
unzweifelhaft weit weniger gut steht als der Beklagte) hinsichtlich der
Leistungen für die Kinder unverhältnismässig stark entlaste. Daher muss
es bei den von der Vorinstanz festgesetzten Beträgen bleiben. Zu einer
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz besteht kein Anlass.

Erwägung 3

    3.- Der angefochtene Entscheid ist auch insoweit zu bestätigen, als
er die Erhöhung der Unterhaltsbeiträge vom 1. Juli 1955, d.h. von dem auf
die Klageeinleitung folgenden Monat an wirken lässt; denn die Veränderung
in den Verhältnissen des Beklagten, welche die Erhöhung rechtfertigt,
war schon damals eingetreten. Mit dem vom Beklagten angeführten Falle
Lienhard gegen Guyer (Urteil vom 9. Dezember 1954), wo es sich um die
Herabsetzung einer Bedürftigkeitsrente im Sinne von Art. 152 ZGB und
zudem um ganz exzeptionelle Verhältnisse handelte, hat der vorliegende
Fall nichts zu tun.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der I. Zivilkammer des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 26. April 1957 wird bestätigt.