Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 277



83 II 277

41. Urteil der I. Zivilabteilung vom 17. September 1957 i.S. Cadisch
gegen Hänny. Regeste

    1.  Art. 18 Abs. 1 OR. Auslegung einer Vereinbarung zwischen
Unternehmer und Besteller, wonach die Versicherung zu Lasten des letztern
gehe (Erw. 1).

    2.  Art. 112 OR. Kann ein verunfallter Arbeiter vom Besteller eines
Werkes Schadenersatz fordern, wenn dieser sein demUnternehmer abgegebenes
Versprechen, die Arbeiter gegen Unfall zu versichern, nicht erfüllt? (Erw.
2).

Sachverhalt

    A.- Am 23. Februar 1954 versprach Christoffel dem Landwirt Hänny,
zu bestimmtem Preise Blockholz aufzurüsten. Die Parteien vereinbarten:
"Die Versicherung geht zu Lasten des Arbeitgebers Hänny."

    Am folgenden Tage wandte Hänny sich an die Basler
Lebensversicherungsgesellschaft, bei der er wegen seines
landwirtschaftlichen Betriebes gegen Unfall und Haftpflicht versichert
war. Er versuchte, diese Versicherung gegen Zahlung einer Zuschlagsprämie
auf die beim Holzschlag entstehende Unfallgefahr ausdehnen zu lassen,
verzichtete dann aber darauf, weil das Taggeld zu niedrig war.

    Christoffel führte die versprochene Arbeit unter anderem mit Hilfe
des von ihm angestellten Taglöhners Jakob Cadisch aus. Dieser wurde am
26. Februar 1954 von einem rollenden Baumstamm getroffen und erlitt einen
Beinbruch. Eine Unfallversicherung zu seinen Gunsten bestand nicht.

    Nach dem Unfall verhandelte Hänny mit der "Winterthur", um die Arbeiter
des Holzschlages gegen Unfall versichern zu lassen.

    B.- Cadisch erhob gegen Christoffel und Hänny Klage mit den Begehren,
sie seien jeder allein, eventuell solidarisch zu verurteilen, ihm
Fr. 9100.80 Schadenersatz nebst Zins zu bezahlen.

    Das Bezirksgericht Heinzenberg verurteilte Christoffel zur Bezahlung
von 2/5 und Hänny zur Bezahlung von 3/5 des eingeklagten Betrages. Es
nahm an, die Vereinbarung, wonach die Versicherung zu Lasten des Hänny
gehe, sei ein Vertrag zu Gunsten Dritter; die Bemühungen Hännys vor und
nach dem Unfall wiesen deutlich darauf hin, dass er die Versicherung
aller Arbeiter des Holzschlages als seine Sache betrachtete; auch habe
er gewusst, dass der Abschluss einer Versicherung vor Beginn der Arbeit
als selbstverständlich angenommen werde, weil er ortsüblich sei.

    Auf Hauptappellation der Beklagten und Anschlussappellation des
Klägers wies das Kantonsgericht von Graubünden am 16. Februar 1957 die
Klage gegenüber Hänny ab, schützte sie dagegen gegenüber Christoffel
im vollen Betrage von Fr. 9100.80 nebst Zins zu 5% von Fr. 2316.80 ab
30. September 1954, von Fr. 249.60 ab 31. Oktober 1954 und von Fr. 6534.40
ab 27. Dezember 1954. Es ist der Auffassung, durch die Vereinbarung,
wonach die Versicherung zu Lasten Hännys gehe, sei den Arbeitern nicht
die Stellung von Gläubigern eingeräumt worden.

    C.- Der Kläger hat gegen das oberinstanzliche Urteil die Berufung
erklärt mit den Begehren, die Beklagten seien solidarisch zur Bezahlung von
Fr. 9100.80 nebst Zins zu verurteilen, eventuell Christoffel zur Bezahlung
von 2/5 und Hänny zur Bezahlung von 3/5 des eingeklagten Betrages.

    Christoffel hat Anschlussberufung erklärt und beantragt, die Klage
sei ihm gegenüber abzuweisen.

    Hänny beantragt, die Berufung sei abzuweisen.

    D.- Durch Entscheid vom 17. Juni 1957 ist das Bundesgericht auf
die Berufung des Klägers, soweit sie sich gegen Christoffel richtete,
nicht eingetreten und hat festgestellt, dass damit die Anschlussberufung
Christoffels dahinfalle und dieser aus dem Berufungsverfahren ausscheide.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beklagte Hänny macht geltend, er habe sich nicht verpflichtet,
zu Gunsten der Arbeiter einen Versicherungsvertrag abzuschliessen, sondern
dem Kläger nur versprochen, ihm die Versicherungsprämien zu ersetzen. Er
leitet dies aus dem Wortlaut der Vereinbarung ab.

    Der Wortlaut steht jedoch der gegenteiligen Auffassung des Klägers
nicht im Wege. Wenn auch die Wendung, die Versicherung "gehe zu Lasten"
des Bestellers, weniger deutlich für dessen Versicherungspflicht spricht,
als es in einem andern vom Bundesgericht beurteilten Falle zutraf,
wo der Besteller dem Unternehmer die Versicherung der Arbeiter zu
"übernehmen" versprochen hatte (nicht veröffentlichtes Urteil der
I. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1953 i.S. Perrig gegen Volken), so
ist doch zu berücksichtigen, dass sie von Laien gebraucht worden ist,
die sich nicht so ausgedrückt haben, wie Rechtskundige es täten.

    Dazu kommt, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des
Bezirksgerichts, die sich auf die eigenen Anbringen Hännys stützen und
vom Kantonsgericht nicht in Frage gestellt werden, der Beklagte sich
sowohl vor als auch nach dem Unfalle um den Abschluss einer Versicherung
gekümmert hat. Das Bezirksgericht schliesst daraus, ohne Widerspruch des
Kantonsgerichts, er sei sich bewusst gewesen, dass der Abschluss eines
Versicherungsvertrages seine Sache sei. Damit steht verbindlich fest,
dass beide Parteien die Vereinbarung vom 23. Februar 1954 in gleichem
Sinne verstanden haben. Nach diesem übereinstimmenden Willen der Parteien,
nicht nach den ungenauen Worten, die sie gebraucht haben, bestimmt sich
die Verpflichtung des Beklagten (Art. 18 Abs. 1 OR). Dieser war gehalten,
die Arbeiter Christoffels gegen die Unfallgefahr zu versichern, der sie
beim Holzschlag ausgesetzt waren.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob der Kläger aus der Nichterfüllung dieser
Verbindlichkeit Rechte gegen den Beklagten ableiten kann. Dieser bestreitet
das mit der Begründung, das Versprechen sei nicht im Sinne des Art. 112 OR
zu Gunsten der Arbeiter des Christoffel abgegeben worden. Er stützt sich
darauf, dass nur eine sogenannte Erfüllungsübernahme vorliege, die im
Zweifel nur als ein dem Schuldner selbst, nicht als ein auch zu Gunsten
seines Gläubigers abgegebenes Versprechen auszulegen sei. Ferner macht
er geltend, ein Vertrag zu Gunsten Dritter liege auch deshalb nicht vor,
weil die vertragsmässige Leistung nicht den Arbeitern zu erbringen gewesen
sei, sondern ihnen bestenfalls nur mittelbar habe zugute kommen sollen.

    Letztere Überlegung, die auch das Kantonsgericht macht, hält
nicht stand. Die Vorinstanz erwähnt die Tatsache, dass die Prämien
der Versicherung, die abzuschliessen Hänny übernommen habe, einer
Versicherungsgesellschaft zu bezahlen gewesen und somit den Arbeitern
nur mittelbar und nur nach Eintritt eines Unfalles zugute gekommen
wären. Dies steht indessen der Annahme, dass Hänny sich zu Gunsten
der Arbeiter verpflichtet habe, nicht entgegen. Art. 112 OR schränkt
den Vertrag zu Gunsten Dritter nicht auf bestimmte Arten von Leistungen
ein. Was der Gegenpartei versprochen werden kann und nicht der Natur der
Sache nach durch Leistung an sie erfüllt werden muss, kann auch zu Gunsten
eines Dritten versprochen werden. So wie Hänny sich gegenüber Christoffel
verpflichten konnte, die Arbeiter gegen Unfall zu versichern, konnte er
ihm das daher auch zu Gunsten der Arbeiter versprechen, mit der Wirkung,
dass nicht nur Christoffel selber (gemäss Art. 112 Abs. 1), sondern auch
jeder Arbeiter (gemäss Art. 112 Abs. 2) einen Erfüllungsanspruch erhielt
und im Falle der Nichterfüllung Schadenersatz zu fordern berechtigt
war. Aus der Natur der versprochenen Leistung, bestehend im Abschluss
eines Vertrages mit einem Vierten, der Versicherungsgesellschaft, folgt
nichts anderes. An diesem Abschluss waren die Arbeiter interessiert. Aus
der Äusserung bei VON TUHR/SIEGWART, Allgemeiner Teil des schweiz. OR §
82 III Ziff. 11, auf die das Kantonsgericht sich beruft, lässt sich nichts
anderes ableiten. Es ist auch nach dieser Literaturstelle in erster Linie
eine Frage der Würdigung der konkreten Verhältnisse, ob der Schuldner
sich gegenüber dem Dritten habe verpflichten wollen.

    Eine natürliche Betrachtung führt im vorliegenden Falle zum Schluss,
dass beide Vertragsparteien ein Forderungsrecht auch den Arbeitern
einräumen wollten. Es ist nicht zu ersehen, was Christoffel hätte bewegen
können, nicht auch seinen Arbeitern, die der Gefahr von Unfällen ausgesetzt
waren und denen der Abschluss des Versicherungsvertrages zugute kommen
sollte, einen selbständigen Erfüllungsanspruch gegen Hänny einzuräumen. Er
hatte keinerlei Interesse, das gegen ein Forderungsrecht der Arbeiter
gesprochen hätte. Ebensowenig ist ersichtlich, was Hänny hätte bestimmen
können, ihnen ein solches zu verweigern, wenn Christoffel davon gesprochen
hätte. Dass ein Fall von Erfüllungsübernahme vorliege, wie der Beklagte
und das Kantonsgericht annehmen, ist nicht richtig. Hänny hat nicht die
Erfüllung einer Verbindlichkeit des Christoffel versprochen, sondern sich
selbständig zum Abschluss der üblichen Versicherung verpflichtet. Deshalb
geht das Kantonsgericht fehl, auf VON TUHR/SIEGWART § 82 III Ziff. 6
zu verweisen, wo gesagt wird, Erfüllungsübernahme sei im Zweifel nur zu
Gunsten des Schuldners, nicht zu Gunsten seines Gläubigers gemeint. Wäre
es aber noch anders, dann müsste wenigstens im Sinne einer auch von den
erwähnten Autoren für möglich gehaltenen Ausnahme doch ein selbständiges
Forderungsrecht der Arbeiter angenommen werden. Der Fall steht dem vom
Beklagten angeführten Beispiel, wo ein Grossvater dem Enkel verspricht,
dessen Schulden zu bezahlen, nicht gleich. Solche oder ähnliche Versprechen
unter nahen Verwandten werden in der Regel von den Parteien als eine nur
sie persönlich betreffende Angelegenheit betrachtet, in die der Dritte
nicht durch Erhebung einer Forderung gegen den Versprechenden soll
hineinreden können, zumal dieser gewöhnlich kein Entgelt erhält. Die
Versicherung von Waldarbeitern gegen Unfall ist dagegen ein Teil der
Gegenleistung, die der Besteller dem Unternehmer für die Ausführung
der Arbeit schuldet, und beiden Parteien kann es nur recht sein, dass
die Arbeiter ein selbständiges Forderungsrecht gegen ersteren erlangen,
weil beiden an ihrer Mitarbeit gelegen ist und beide aus ihr Nutzen ziehen.

Erwägung 3

    3.- Die Grösse des Schadens, das Mass der Ersatzpflicht und die Frage
der Verzinsung sind nicht streitig. Die Klage gegen Hänny ist daher in
vollem Umfange gutzuheissen. Obschon der Kläger somit für den gleichen
Betrag unabhängig voneinander gegenüber zwei Schuldnern vollstreckbare
Titel erlangt, versteht es sich aber, dass er den Betrag nur einmal
fordern kann, genau gleich wie im Falle von Solidarität.

    Wie die Auseinandersetzung sich zwischen den beiden Schuldnern zu
gestalten habe, ist im gegenwärtigen Verfahren nicht zu entscheiden.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung des Jakob Cadisch gegenüber Simon Hänny wird gutgeheissen,
das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden vom 16. Februar 1957 insoweit
aufgehoben und der Berufungsbeklagte Hänny verurteilt, dem Berufungskläger
Cadisch neben Niklaus Christoffel Fr. 9100.80 zu bezahlen, nebst Zins zu
5% von Fr. 2316.80 ab 30. September 1954, von Fr. 249.60 ab 31. Oktober
1954 und von Fr. 6534.40 ab 27. Dezember 1954.