Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 169



83 II 169

26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Juni 1957
i.S. Keller gegen Keller. Regeste

    Ehescheidung. Wenn eine Partei auf Scheidung, die andere nur auf
Trennung klagt und beide Klagen an sich begründet sind, ist in Gutheissung
der erstern Klage allein die Scheidung auszusprechen und die Trennungsklage
gegenstandslos zu erklären.

Sachverhalt

    Wegen tiefer Zerrüttung der Ehe klagte die Frau auf Trennung, der
Mann auf Scheidung der Ehe. Das Kantonsgericht sprach die Scheidung "in
Gutheissung der Klage und der Widerklage" gemäss Art. 142 ZGB aus. Vor
Bundesgericht beantragt die Klägerin Abweisung der Scheidungsklage
des Mannes und Trennung der Ehe auf ihr Begehren, der Widerkläger mit
Anschlussberufung Abweisung der Klage der Frau und Scheidung der Ehe auf
sein alleiniges Begehren.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Wenn beim Vorhandensein des Scheidungsgrundes der tiefen Zerrüttung
eine Partei auf Scheidung, die andere nur auf Trennung klagt, so muss
die Scheidung ausgesprochen werden, es sei denn, die auf Scheidung
klagende Partei treffe ein vorwiegendes Verschulden an der Zerrüttung
(Art. 142 Abs. 2 ZGB) oder es bestehe Aussicht auf Wiedervereinigung
(Art. 146 Abs. 3). Steht dem Scheidungskläger Art. 142 Abs. 2 entgegen,
so ist seine Klage nicht begründet; sie ist daher abzuweisen und in
Gutheissung der allein begründeten Klage der Gegenpartei die blosse
Trennung auszusprechen. Trifft keine Partei ein vorwiegendes Verschulden
an der Zerrüttung, sind also grundsätzlich beide Klagen begründet, so
ist die Scheidung auszusprechen und zwar auf Begehren der auf Scheidung
klagenden Partei allein, nicht etwa beider Parteien; denn die bloss auf
Trennung klagende Partei hat ein Scheidungsbegehren gar nicht gestellt,
der Richter kann daher auch kein solches gutheissen, ohne ultra petita
partis zu gehen. Die Trennungsklage ist aber bei dieser Sachlage nicht
abzuweisen; denn sie ist nicht unbegründet, sondern kann einfach deshalb
nicht geschützt werden, weil man eine Ehe nicht zugleich scheiden
und trennen kann und die Scheidung die weitergehende Massnahme ist.
Vielmehr wird durch die Gutheissung der Klage auf Scheidung diejenige
auf Trennung ipso jure gegenstandslos. Disp. 1 der Vorinstanz ist demnach
insofern gesetzwidrig, als es die Scheidung auf Begehren beider Parteien
ausspricht - offenbar um zu betonen, dass die Trennungsklage materiell
auch begründet ist. Welche Klage, die auf Scheidung oder die auf Trennung
gehende, gutzuheissen ist, hängt davon ab, ob den Scheidungskläger ein
vorwiegendes Verschulden an der Zerrüttung trifft oder nicht.

    2.-4. - (Prüfung der Verschuldensfrage). ....

    Es ist mithin der Vorinstanz dahin beizupflichten, dass keine Partei
ein überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung trifft.

    Für eine Wiedervereinigungsaussicht bieten die Akten keinerlei
Anhaltspunkte, weshalb auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 146
Abs. 3 ZGB auf blosse Trennung statt auf Scheidung erkannt werden kann.

    Entsprechend dem in Erwägung 1 Ausgeführten ist daher die
Scheidungsklage des Mannes gutzuheissen. Dass die Trennungsklage der
Frau sachlich ebenfalls begründet ist und nur zufolge der Scheidung
nicht geschützt werden kann, kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie nicht
abgewiesen, sondern gegenstandslos erklärt wird, wozu die Anschlussberufung
des Beklagten die Möglichkeit bietet.

    .....

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Hauptberufung wird abgewiesen, die Anschlussberufung teilweise
dahin gutgeheissen, dass auf Klage des Mannes die Scheidung ausgesprochen
wird, wodurch die Trennungsklage der Frau gegenstandslos wird.