Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 12



83 II 12

3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 31. Januar 1957 i.S. Comminot gegen
Kanton Graubünden. Regeste

    Haftung des Kantons für fehlerhafte Grundbuchführung. Art. 955
Abs. 1 ZGB.

    1.  Vereinbarung eines Vorkaufsrechtes. Schriftform. Art. 216 Abs. 3 OR
(Erw. 1).

    2.  Das Vorkaufsrecht ist nur dann im Grundbuch vorzumerken (Art. 959
ZGB), wenn dies ebenfalls schriftlich vereinbart wurde (Erw. 2).

    3.  Wirkung und Ausübung des nicht vorgemerkten Vorkaufsrechtes. Der
Grundbuchführer hat es auf Begehren des Verkäufers auch nach Anmeldung
des Kaufvertrages noch zu berücksichtigen, solange der Verkäufer als
Eigentümer im Hauptbuch eingetragen ist. Die grundbuchlichen Anmeldungen
(Art. 963 Abs. 1 ZGB) können, solange sie nicht im Hauptbuch vollzogen
sind, zurückgezogen werden (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 23. November 1938 verkaufte Eduard Stiffier dem Hans Weber
das Grundstück Nr. 3855 in Chur. Im Kaufvertrag räumte er dem Käufer
ein Vorkaufsrecht inbezug auf das angrenzende Grundstück Nr. 1563 ein,
das vorderhand in seinem Eigentum blieb. Diese Restparzelle kaufte
am 4. Juli 1947 der Kläger Max Comminot, ohne vom Vorkaufsrecht des
Hans Weber Kenntnis zu haben, das auch nicht im Grundbuch vorgemerkt
war. Indessen wies der Verkäufer Stiffier noch am gleichen Tage das
Grundbuchamt auf das Vorkaufsrecht hin und gab seine Absicht kund,
dessen Ausübung zu ermöglichen. Nun merkte der Grundbuchführer das
Vorkaufsrecht nachträglich vor, und ebenfalls am 4. Juli 1947 zeigten
Stiffier wie auch das Grundbuchamt dem Vorkaufsberechtigten Weber den
Eintritt des Vorkaufsfalles mit Ansetzung einer Frist von 30 Tagen zur
Stellungnahme an. Weber übte das Vorkaufsrecht binnen dieser Frist aus
und wurde hierauf als Eigentümer eingetragen, während der Kläger als
Erwerber ausgeschaltet war.

    B.- Am 23. Dezember 1948 kaufte der Kläger dieses Grundstück
Nr. 1563 von Weber; doch musste er es mit einschneidenden Bau- und
Gewerbebeschränkungen belasten, was seinen Plänen zuwiderlief.

    C.- Im Jahre 1955 nahm der -Kläger nähere Einsicht in die
Grundbuchbelege. Er kam dabei zur Überzeugung, der Grundbuchführer habe
den Kaufvertrag vom 4. Juli 1947 seinerzeit zu Unrecht nicht eingetragen,
und machte den Kanton Graubünden für die mit dem spätern Erwerb verbundenen
Nachteile haftbar. Die auf Art. 955 Abs. 1 ZGB gestützte Klage geht auf
Schadenersatz im Betrage von Fr. 325'000.--.

    D.- Die kantonalen Gerichte haben die Klage, ohne den Schaden
festzustellen, aus grundsätzlichen Erwägungen abgewiesen, das
Kantonsgericht von Graubünden mit Urteil vom 22. Oktober 1956 anhangsweise
auch wegen Verjährung.

    E.- Mit vorliegender Berufung hält der Kläger an seinem Klagebegehren
fest und beantragt im übrigen die Rückweisung der Sache an das
Kantonsgericht zur Beweisergänzung und Schadensbemessung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Vorkaufsrecht des Hans Weber wurde in dem über ein
anderes Grundstück abgeschlossenen Kaufvertrag vom 23. November 1938
in der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform (Art. 216 Abs. 3 OR)
vereinbart. Denn die zwei in den Händen der Vertragschliessenden
verbliebenen Vertragsdoppel wurden beidseitig unterzeichnet. Das genügt
zur Erfüllung der Schriftform; es ist in dieser Hinsicht belanglos, dass
die Unterschrift Stiffiers in dem vom Grundbuchamt aufbewahrten Exemplar
infolge eines Versehens fehlte.

Erwägung 2

    2.- Die das Vorkaufsrecht betreffende Vertragsbestimmung lautet
dahin, dieses Recht werde "auf die Dauer von 10 Jahren" und "zu
den Bedingungen der Konkurrenzofferte" eingeräumt. Dem Berechtigten
war damit freilich bloss ein persönlicher Anspruch zuerkannt. Eine
Vormerkung war nicht vereinbart, und sie verstand sich, entgegen der
Ansicht des Grundbuchführers von Chur, nicht von selbst. Sie verleiht
dem Vorkaufsrecht verstärkte Wirkung (Art. 959 ZGB; GUHL in der Festgabe
für das Bundesgericht, S. 141/2), die nur bei dahingehender - gleichfalls
schriftlicher - Vereinbarung gerechtfertigt ist (vgl. OSTERTAG, N. 17 zu
Art. 959 ZGB; HAAR, N. 12 zu Art. 681/82 ZGB). Dem Kläger ist also darin
beizustimmen, dass der Kaufvertrag von 1938, der nur das Vorkaufsrecht
als solches vorsah, keine Grundlage zu einer Vormerkung dieses Rechtes
bot, dass somit die Vormerkung im Jahre 1938 aus gutem Grund unterblieb,
und dass sie im Jahre 1947, im Anschluss an den sich als Vorkaufsfall
darbietenden Verkauf der Parzelle Nr. 1563 an den Kläger, ebenfalls nicht
hätte erfolgen sollen. Somit ist von einem gewöhnlichen Vorkaufsrecht
auszugehen, dem nur die persönlichen Wirkungen zukamen, wie sie den Inhalt
eines solchen Rechtes ohne Vormerkung im Grundbuch ausmachen.

Erwägung 3

    3.- Der Kläger ist der Ansicht, dieses persönliche Recht eines Dritten
sei nicht geeignet gewesen, die Erfüllung des Kaufvertrages vom 4. Juli
1947 zu hindern. Der Grundbuchführer habe es zu Unrecht berücksichtigt
und dann den Vorkaufsberechtigten als Eigentümer eingetragen, statt sich
an den Kaufvertrag vom 4. Juli 1947 zu halten und ihn, den Kläger, als
rechtmässigen Erwerber einzutragen. Diese Betrachtungsweise hält jedoch
nicht stich.

    Gewiss hätte der Grundbuchführer, wäre es bei der blossen Anmeldung
des Kaufvertrages des Stiffier mit dem Kläger geblieben, diesen Vertrag
eintragen sollen. In diesem Falle hätte er gar keine Veranlassung gehabt,
einem Vorkaufsrecht nachzufragen, das vor mehreren Jahren in einem
Kaufvertrag um ein anderes Grundstück vereinbart worden war. Nun wies aber
der Verkäufer der Parzelle Nr. 1563 noch am Tage des Kaufsabschlusses den
Grundbuchführer auf jenes Vorkaufsrecht hin, in der deutlichen Absicht,
es zu berücksichtigen. Da der Kaufvertrag mit dem Kläger noch nicht im
Hauptbuch eingetragen, der Verkäufer also noch verfügungsberechtigt war
(Art. 972 ZGB), hatte der Grundbuchführer dem Vorkaufsrecht, wie es
der Verkäufer wünschte, Rechnung zu tragen. Dabei ist gleichgültig,
ob der Kaufvertrag bereits angemeldet worden war. Denn grundbuchliche
Anmeldungen können, solange sie nicht durch Eintragung im Hauptbuche
vollzogen sind, jederzeit zurückgezogen werden (vgl. HOMBERGER, N. 8,
und OSTERTAG, Nr. 46 zu Art. 963 ZGB). Somit sind auch Erklärungen des
verfügungsberechtigten Eigentümers zu beachten, die darauf gerichtet sind,
die vorerst bedingungslose Anmeldung mit Hinweis auf ein Vorkaufsrecht
an eine aufschiebende Bedingung zu knüpfen. Angesichts der dahingehenden
Intervention des Verkäufers zugunsten des Vorkaufsberechtigten durch die
erwähnte nachträgliche Vorsprache vom 4. Juli 1947 auf dem Grundbuchamt
war der Grundbuchführer gehalten, den hauptbuchlichen Vollzug der
(allenfalls erfolgten) Anmeldung des Kaufvertrages zurückzustellen und
die Entschliessung des Vorkaufsberechtigten abzuwarten.

    Ein Grund, weshalb die Ausübung des Vorkaufsrechtes hätte als ungültig
erscheinen müssen, ist nicht ersichtlich. Auch beim nicht vorgemerkten
Vorkaufsrecht (als was dasjenige des Hans Weber nach dem Gesagten zu
betrachten ist) muss dem Berechtigten eine Frist zur Rechtsausübung
gewährt werden. Freilich ist hiefür Art. 681 Abs. 3 ZGB nicht anwendbar,
wie denn die Vorschriften von Art. 681 und 683 ZGB nur für vorgemerkte
Rechte gelten und teilweise überhaupt nur die Vormerkung als solche, nicht
auch das persönliche Recht betreffen (vgl. BGE 53 II 395 hinsichtlich der
in Art. 681 Abs. 3 und in Art. 683 Abs. 2 ZGB vorgesehenen Maximaldauer von
zehn Jahren). Indessen ergibt sich einerseits eine Pflicht des Verkäufers
zur Benachrichtigung des Vorkaufsberechtigten, entsprechend Art. 681
Abs. 2 ZGB, ohne weiteres nach Treu und Glauben (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER,
N. 30 zu Art. 216 OR), und anderseits hat er ihm eine angemessene Frist
anzusetzen, wie es hier geschehen ist.

    Wenn der Kläger erst einige Tage nach Kaufsabschluss von dem
Vorkaufsrecht und von der dem Grundbuchamt gemeldeten Absicht des
Verkäufers, es zu berücksichtigen, erfuhr, mochte ihm dieses Verhalten als
Verletzung des Kaufvertrages erscheinen. Ob er aus diesem Gesichtspunkt,
oder allenfalls wegen culpa in contrahendo, den Verkäufer hätte auf
Schadenersatz belangen können, steht hier jedoch nicht zur Entscheidung. Da
Stiffier es unterlassen hatte, den Kläger vor dem Kaufsabschluss über das
Vorkaufsrecht des Weber aufzuklären und den Kauf an eine entsprechende
Bedingung zu knüpfen, bestand für ihn ein Dilemma zwischen Kaufvertrag
und Vorkaufsrecht (vgl. GöSCHKE, Das Vorkaufsrecht, in der Zeitschrift
des bern. Juristenvereins 88 S. 141/2). Bei dieser Sachlage hatte er
die Wahl, das Vorkaufsrecht zu berücksichtigen, auf die Gefahr hin, den
Kaufvertrag mit dem Kläger nicht erfüllen zu können, oder das Vorkaufsrecht
zu übergehen und sich Schadenersatzansprüchen des Vorkaufsberechtigten
auszusetzen. Entschloss er sich, das Vorkaufsrecht zur Geltung kommen zu
lassen, und teilte er dies dem Grundbuchführer mit, solange er noch im
Hauptbuche als Eigentümer eingetragen war, so wurde dadurch, wie dargetan,
die allenfalls schon erfolgte Anmeldung des Kaufvertrages in einer für
das Grundbuchamt verbindlichen Weise modifiziert. Ob sie noch vollzogen
werden dürfe, hing nun von der Stellungnahme des Vorkaufsberechtigten
ab. Wenn der Kläger dem Grundbuchamt vorhält, das für ihn nicht
verbindliche Vorkaufsrecht ungerechtfertigterweise auf Begehren des
Verkäufers beachtet zu haben, so übersieht er, dass auch sein eigenes
Recht auf Übertragung des Eigentums gemäss dem Kaufvertrage, gleichwie
dasjenige des Vorkaufsberechtigten auf Erwerb des Grundstücks zu den
nämlichen Bedingungen, bloss ein persönliches war (Art. 665 Abs. 1 ZGB).
Welchem der beiden in gewissem Sinne konkurrierenden Rechte er den Vorzug
geben wolle, war Sache des Verkäufers. An dessen Erklärungen hatte sich
das Grundbuchamt zu halten, wie es hier geschehen ist, mit der Folge,
dass das Vorkaufsrecht zur Auswirkung kam. Hiefür waren die Massnahmen,
die das Grundbuchamt ungerechtfertigterweise vornahm (Vormerkung des
Vorkaufsrechtes, Anzeige des Vorkaufsfalles an Weber, was Stiffier
auch selber besorgte), bedeutungslos. Das "schädigende Ereignis",
nämlich die Eintragung des Hans Weber auf Grund des von diesem ausgeübten
Vorkaufsrechtes anstelle des Klägers, beruhte keineswegs auf fehlerhafter
Grundbuchführung, sondern auf durchaus rechtmässiger Beachtung jenes
Rechtes infolge der dahingehenden Erklärung des noch verfügungsberechtigt
gebliebenen Verkäufers.

Erwägung 4

    4.- Fehlt es somit an der Grundlage einer Haftung des beklagten
Kantons im Sinne von Art. 955 Abs. 1 ZGB, so erweist sich die Berufung des
Klägers als unbegründet, ohne dass zu der am Schlusse der vorinstanzlichen
Erwägungen erörterten Verjährungsfrage Stellung zu nehmen wäre.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das angefochtene Urteil des
Kantonsgerichts von Graubünden vom 22. Oktober 1956 bestätigt.