Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 II 102



83 II 102

18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. März 1957 i.S. D. gegen L.
Regeste

    Vaterschaftsklage. Kann das Ergebnis der Bestimmung des Blutfaktors
Duffya erhebliche Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten begründen?

Sachverhalt

    Frl. L. und das von ihr am 14. Mai 1955 geborene Kind leiteten
gegen D. im Oktober 1955 Vaterschaftsklage auf Vermögensleistungen
ein. Das Amtsgericht Luzern-Stadt wies diese Klage am 29. Mai 1956 ab
mit der Begründung, dem Beklagten, welcher der Erstklägerin während der
kritischen Zeit beigewohnt habe, sei es zwar nicht gelungen, Mehrverkehr
oder unzüchtigen Lebenswandel der Mutter nachzuweisen. Auch könne seine
Vaterschaft auf Grund der Bestimmung der Blutmerkmale ABO, MN, Rhesus
und Kell nicht ausgeschlossen werden. Dagegen seien erhebliche Zweifel
im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB dadurch begründet, dass das Kind das
Blutmerkmal Duffya aufweise, das weder bei der Mutter noch beim Beklagten
vorhanden sei.

    Das Obergericht des Kantons Luzern, an das die Klägerinnen
appellierten, hielt den Mehrverkehr und den unzüchtigen Lebenswandel
mit dem Amtsgericht für unbewiesen und erachtete das Ergebnis der
Blutuntersuchung hinsichtlich des Merkmals Duffya im Gegensatz zur ersten
Instanz als untauglich zur Begründung erheblicher Zweifel im Sinne des
Gesetzes. Demgemäss hat es mit Urteil vom 18. Dezember 1956 die Klage
gutgeheissen.

    Mit der vorliegenden, rechtzeitig erklärten Berufung beantragt der
Beklagte die Abweisung der Vaterschaftsklage. Die Klägerinnen schliessen
auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beklagte versucht mit Recht nicht, aus dem von der Vorinstanz
zutreffend als leichtfertig bezeichneten Verhalten der Erstklägerin
bei ihrer Begegnung mit dem Beklagten die Einrede des unzüchtigen
Lebenswandels im Sinne von Art. 315 ZGB herzuleiten. Da auch kein
Mehrverkehr festgestellt ist, bleibt somit einzig zu entscheiden, ob
die Vorinstanz dadurch Bundesrecht verletzt habe, dass sie annahm, das
Ergebnis der Blutuntersuchung hinsichtlich des Merkmals Duffya (Fya),
das im Jahre 1950 entdeckt wurde (SJZ 1954 S. 276), genüge nicht, um im
Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB erhebliche Zweifel über die Vaterschaft
des Beklagten zu begründen.

Erwägung 2

    2.- Der Berufungskläger weist darauf hin, dass B. WUILLERET,
S. ROSIN und A. HÄSSIG, anerkannte Fachleute auf dem Gebiete der
Blutgruppeneigenschaften, in einem Ende 1956 in der Schweiz. Medizinischen
Wochenschrift erschienenen Aufsatze, welcher der Vorinstanz im
Manuskript vorlag, zum Schlusse gelangt sind, ein sog. Fya-Ausschluss
erreiche heute ihres Erachtens einen Grad von Wahrscheinlichkeit, der
im Vaterschaftsprozess erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2
ZGB rechtfertige (S. 1457), und macht geltend, die Vorinstanz habe diese
Schlussfolgerung verkannt und sich mit ihrem die Beweiskraft eines solchen
Ausschlusses verneinenden Entscheide zu den neuesten Erkenntnissen der
wissenschaftlichen Forschung, die sie hätte berücksichtigen sollen,
in Gegensatz gestellt. Die erwähnte Schlussfolgerung war jedoch
für die Vorinstanz schon deshalb nicht massgebend, weil es eine der
Beurteilung durch den Richter vorbehaltene Rechtsfrage ist, ob das
gegen die Vaterschaft des Beklagten sprechende Ergebnis einer bestimmten
naturwissenschaftlichen Untersuchung die Anwendung von Art. 314 Abs. 2
ZGB rechtfertige. Der Richter allein hat darüber zu befinden, welchen
Grad der Zuverlässigkeit ein solches Untersuchungsergebnis aufweisen
muss, um erhebliche Zweifel im Sinne dieser Bestimmung zu begründen. Die
Naturwissenschafter haben hier nur die Aufgabe, den Richter ohne Erörterung
der rechtlichen Tragweite ihrer Feststellungen darüber aufzuklären,
welche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ihre Schlüsse richtig sind.

Erwägung 3

    3.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts erlaubt das Ergebnis
einer naturwissenschaftlichen Untersuchung die Anwendung von Art. 314
Abs. 2 ZGB nur dann, wenn es die Vaterschaft des Beklagten mit Sicherheit
oder doch mit grösster, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
auszuschliessen vermag (BGE 82 II 264 und dortige Hinweise). Diese Praxis
beruht auf der Erwägung, dass Art. 314 Abs. 1 ZGB die blosse Möglichkeit
der Zeugung durch den Beklagten genügen lässt, um die Vermutung seiner
Vaterschaft zu begründen (vgl. BGE 77 II 31 oben), und dass biologischen
Erscheinungen ganz allgemein nur dann eine vom Recht zu beachtende
Gesetzmässigkeit zugeschrieben werden darf, wenn die Annahme, dass sie
einem bestimmten Gesetze folgen, sich unabweislich aufdrängt (vgl. BGE 82
II 265 Erw. 2, wo zur Begründung der genannten Regel darauf hingewiesen
wurde, dass die biologischen Gesetze, auf die es hier ankommt, immer noch
unvollkommen bekannt sind).

    Vergleicht man nun die von Sachverständigen getroffenen Feststellungen,
die das Bundesgericht veranlasst haben, einem auf die Ermittlung der
Merkmale ABO, MN und Rhesus gestützten Ausschluss der Vaterschaft
Beweiswert zuzuerkennen, mit der Stellungnahme der Wissenschaft zum
Merkmal Duffya, so ergibt sich ohne weiteres, dass die Vorinstanz es zu
Recht abgelehnt hat, einem sog. Duffya-Ausschluss heute schon die gleiche
Bedeutung wie jenen andern Ausschlüssen beizulegen.

    Im Gutachten, welches das Bundesgericht im Falle Walter gegen Bigler
(BGE 61 II 72 ff.) über die grundsätzliche Frage der Verwertung von
Feststellungen über die Blutgruppen in Vaterschaftsprozessen einholte,
erklärte Prof. Zangger, die Vererbung der vier klassischen Blutgruppen O,
A, B und AB erfolge ohne Zweifel gesetzmässig. Diese Gesetzmässigkeit sei
durch unzählige Einzelbeobachtungen je und je festgelegt worden. Deren
Zahl sei so gross, dass es keinen Sinn hätte, ihnen neue beifügen zu
wollen. Die Zahl der Ausnahmen sei geringfügig (es gebe sicher weit weniger
als einen Fall auf 1000). Auch die Faktoren M und N seien gesetzmässig
vererbbar. Vorbehalte nach der Richtung, dass bei der Bestimmung der
erwähnten Bluteigenschaften trotz einwandfreier Untersuchungstechnik
Fehler unterlaufen können, brachte Prof. Zangger nicht an. In der
"Zusammenfassung der wesentlichen Punkte", die in die im erwähnten Urteil
(S. 74) wiedergegebenen Schlussfolgerungen ausmündet, stellte er fest,
wenn man auf Grund der Blutgruppenbestimmung dazukomme, eine Vaterschaft
auszuschliessen, dann sei (die Durchführung der Untersuchung durch ein
wirklich zuverlässiges Spezialinstitut vorausgesetzt) "der Ausschluss
mit einem Wahrscheinlichkeitsgrad, der an Sicherheit grenzt, möglich".

    Im Falle Schmid gegen Martin, wo das Bundesgericht erstmals
einen sog. MN-Ausschluss als beweiskräftig anerkannte (Urteil vom
2. Juni 1939, zitiert in BGE 65 II 127 oben und 66 II 68), war das
Gerichtlich-Medizinische Institut der Universität Zürich in seinen
den kantonalen Gerichten abgegebenen Gutachten zum Schlusse gekommen,
das bisher in der Literatur niedergelegte empirische Material habe
eine weitgehende Bestätigung der Erbgesetze der Faktoren M und
N ergeben. Immerhin sei die Sachlage noch nicht derart, dass ein
Ausschluss einer Vaterschaft auf Grund dieser Faktoren mit absoluter
Sicherheit erfolgen könne. Es bestünden noch gewisse, allerdings sehr
minime Fehlermöglichkeiten, herrührend vom Vorkommen eines - äusserst
seltenen - defekten N-Typus sowie von Fehlbestimmungen infolge ungenügend
gereinigter Immunseren, welche Fehler sich aber nicht kumulierten. Diese
Fehlermöglichkeit dürfte höchstens 1: 500-1000 betragen, während sie
bei den klassischen Blutgruppen noch geringer (weniger als 1: 1000)
sei. Auf keinen Fall aber könne es sich um einen prinzipiellen Unterschied
handeln in dem Sinne, dass bei den klassischen Blutgruppen ein Ausschluss
der Vaterschaft mit absoluter Sicherheit, bei den Faktoren M und N nur
mit einem mehr oder weniger hohen Grade von Wahrscheinlichkeit möglich
sei. Wenn die beiden Proben bezüglich ihrer forensischen Verwertbarkeit
auch nicht ganz gleichgestellt werden könnten, so stehe doch heute schon
fest, dass die Möglichkeit eines Fehlausschlusses auf Grund des M/N-Systems
nur ausserordentlich gering sei. In den Urteilserwägungen konnte das
Bundesgericht ausserdem noch darauf hinweisen, dass die Blutprobe bezüglich
der Faktoren M und N zum Ausschluss der Vaterschaft auch in andern Ländern
anerkannt werde, allgemein insbesondere in Deutschland, obwohl § 1717 BGB
hiezu die offenbare Unmöglichkeit der Vaterschaft des Beklagten verlange.

    Im Falle BGE 78 II 311, wo das Ergebnis der Bestimmung zweier
verschiedener Bluteigenschaften (A1-A2 und Rhesus) die Vaterschaft des
Beklagten ausschloss, erklärte der Sachverständige Dr. Hardmeier, beim
vorliegenden doppelten Ausschluss dürfte die tatsächliche Fehlerquelle
bei ca. 1:1'000,000 liegen, so dass von praktisch absoluter Sicherheit
des Vaterschaftsausschlusses gesprochen werden könne.

    Als das Bundesgericht im Falle BGE 79 II Nr. 4 dazu gelangte,
einem Ausschluss auf Grund des Nachweises, dass das Kind die weder bei
der Mutter noch beim angeblichen Vater vorhandene Rhesuseigenschaft E
besass, sogar in einem Prozess auf Anfechtung der Ehelichkeit Beweiswert
beizumessen, lagen Gutachten vor, die besagten, dass die gesetzmässige
Vererbung der Rhesuseigenschaften sicher erwiesen sei (Prof. Schwarz)
und dass die Rhesusbestimmung heute "eine derartige Sicherheit vermittle,
wie ein biologischer Beweis sie überhaupt bieten könne" (Prof. Hallauer;
aaO S. 23).

    Im Falle BGE 80 II Nr. 3, wo ein anders gearteter Rhesusausschluss
als zur Begründung erheblicher Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB
tauglich befunden wurde, hatte der Sachverständige Dr. Hässig erklärt,
der Beklagte könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als
Vater ausgeschlossen werden, und lag ein Gutachten von Prof. Schwarz vor,
der sich im gleichen Sinne geäussert hatte (aaO S. 11 f.).

    Demgegenüber erklärte Dr. Hässig in den Schlussfolgerungen
des von ihm im vorliegenden Falle am 11. April 1956 abgegebenen
Gutachtens lediglich, da weder der Beklagte noch die Mutter den beim
Kinde festgestellten Blutfaktor Duffya besitze, sei der Beklagte "mit
erheblicher Wahrscheinlichkeit" als Vater des Kindes der Erstklägerin
auszuschliessen. Im Aufsatz von Wuilleret, Rosin und Hässig wird
der im wissenschaftlichen Sprachgebrauch geläufige Ausdruck "mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" ebenfalls nicht verwendet,
sondern die Verfasser gehen über die von Dr. Hässig im Gutachten vom
11. April 1956 geäusserte Auffassung nur insofern hinaus, als sie von
einer "sehr erheblichen Wahrscheinlichkeit" sprechen (S. 1457). Der Grund
dafür, dass sie einem Duffya-Ausschluss nicht denselben hohen Beweiswert
zuerkennen wie einem ABO-, MN- oder Rhesusausschluss, liegt nach ihren
Ausführungen (S. 1456) in der verhältnismässig noch geringen Zahl von
Untersuchungsergebnissen, die Schlüsse auf die Vererbung des Faktors Duffya
zulassen. Sie wagen deswegen noch nicht bestimmt festzustellen, dass dieser
Faktor sich gesetzmässig vererbe, sondern sagen nur, an der Richtigkeit
des dominanten Erbganges dieses Merkmals (und des Faktors Kell) sei "kaum"
mehr zu zweifeln. Steht demnach die Gesetzmässigkeit der Vererbung dieser
Bluteigenschaft noch nicht mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit fest, so kann dem Umstand, dass die Häufigkeit von
Fehlbestimmungen dieser Eigenschaft bei Verwendung von einwandfreien Seren
und bei sicherer Beherrschung der Untersuchungstechnik mit "wesentlich
unter 1:1000" liegend angenommen wird (S. 1457), keine entscheidende
Bedeutung zukommen. Im übrigen bemerken Wuilleret, Rosin und Hässig
selber, dass gewisse amerikanische Autoren die forensische Verwertung
des Faktors Duffya (und der Blutgruppenmerkmale A1, A2, Kell und P) wegen
der schwierigen Bestimmungstechnik ablehnen, und vertreten im Anschluss
daran die Auffassung, man sollte diese Blutmerkmale bei forensischen
Untersuchungen mitbestimmen und ihnen im Falle des Ausschlusses vorläufig
einen "bedingten" Beweiswert zuerkennen (S. 1457). Darüber hinaus
verweist die Vorinstanz auf einen Bericht des Rhesuslaboratoriums des
Basler Kinderspitals vom 12. September 1956, wo auf Grund einer Umfrage
bei verschiedenen ausländischen Instituten erklärt wird, der Wert der
Duffya-Untersuchungen sei noch umstritten und das Abstellen auf einen
nur darauf gestützten Ausschluss werde z.B. in Dänemark abgelehnt. Bei
diesem Stande der wissenschaftlichen Forschung in dem für die Beurteilung
der Berufung massgebenden Zeitpunkte der vorinstanzlichen Urteilsfällung
(18. Dezember 1956) kann keine Rede davon sein, dass die Vorinstanz mit
der Annahme, ein sog. Duffya-Ausschluss genüge heute noch nicht, um die
Vaterschaft eines bestimmten Mannes mit Sicherheit oder mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschliessen und damit erhebliche
Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB zu begründen, einen Satz des
Bundesrechts oder einen allgemein anerkannten Erfahrungssatz missachtet
habe, der berufungsrechtlich einem Bundesrechtssatze gleichzustellen wäre.

    Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich die Erstklägerin
dem Beklagten in leichtfertiger Weise hingegeben hat. Dieser Umstand ist,
zumal da das Zeugenverhör keinerlei Anhaltspunkte für Geschlechtsverkehr
oder auch nur für verdächtige Beziehungen der Erstklägerin mit andern
Männern ergeben hat, nicht geeignet, zusammen mit einem biologischen
Befunde, der für sich allein die Anwendung von Art. 314 Abs. 2 ZGB nicht zu
rechtfertigen vermag, die Vaterschaft des Beklagten als mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen erscheinen zu lassen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Luzern, II. Kammer, vom 18. Dezember 1956 bestätigt.