Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 67



83 III 67

20. Entscheid vom 21. März 1957 i.S. Alpinapharm. Regeste

    Verrechnung im Konkurs.

    1.  Masseforderungen sind mit Masseschulden, insbesondere mit der
Konkursdividende zu verrechnen, Forderungen des Gemeinschuldners dagegen
mit der vollen Konkursforderung (Erw. 1).

    2.  Zum Begriff der Masseforderung (Erw. 2).

    3.  Der Konkursverwaltung steht zu, eine im Kollokationsplan anerkannte
Konkursforderung auch noch im Verteilungsstadium mit einer Forderung des
Gemeinschuldners zu verrechnen, die bei Aufstellung des Kollokationsplanes
infolge einer Sicherungszession noch einem Dritten zustand und erst
seither durch Rückzession in das Konkursvermögen gelangt war (Erw. 3-6).

    4.  Fristansetzung an den die Gegenforderung bestreitenden
Konkursgläubiger zur Geltendmachung des ihm durch die Verrechnung
vorenthaltenen Konkursbetreffnisses; angemessene, nicht an Art. 250 SchKG
gebundene Fristbest immung (Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- In dem am 7. September 1955 über die Para A.-G. in
Rapperswil eröffneten Konkurs wurde die Alpinapharm A.-G. mit einer
faustpfandgesicherten Forderung von Fr. 70'000.-- nebst Zinsen
kolloziert. Ebenfalls unter den faustpfandgesicherten Gläubigern
wurde in dem vom 14. bis 23. Januar 1956 aufgelegten Kollokationsplan
die Leih- und Sparkasse vom Linthgebiet zugelassen. Als Faustpfänder
sind zugunsten jedes dieser Gläubiger Schuldbriefe auf der Liegenschaft
der Para A.-G. aufgeführt, zugunsten der Leih- und Sparkasse ausserdem
"Zessionen auf die Alpinapharm A.-G." Dabei handelt es sich um die von der
Para A.-G. im Frühjahr 1955, also vor dem Konkurs, zur Sicherstellung
vorgenommene Zession angeblicher Forderungen im Gesamtbetrage von
Fr. 27'313.90.

    B.- Das Konkursamt verkaufte die Liegenschaft der Gemeinschuldnerin
im November 1956 freihändig der Politischen Gemeinde Rapperswil. Durch den
Kaufpreis wurden die Forderungen der Leih- und Sparkasse voll gedeckt. Sie
zedierte daher am 30. November 1956 die ihr seinerzeit sicherheitshalber
von der Gemeinschuldnerin abgetretenen Forderungen zurück an die Zedentin
bzw. deren Konkursmasse.

    C.- Auch die Alpinapharm A.-G. war mit ihren faustpfandgesicherten
Forderungen durch den Erlös aus dem Verkauf der Pfandliegenschaft
voll gedeckt. In der Abrechnung vom 15. Januar 1957 über die
Liegenschaftsverwertung wies ihr das Konkursamt ein Betreffnis von Fr.
75'478.-- mit Einschluss von Zinsen bis zum 10. Januar 1957 zu. Es
stellte aber im Einverständnis mit dem Gläubigerausschuss die von der
Leih- und Sparkasse zurückzedierten Gegenforderungen zur Verrechnung,
und zwar auf deren durchschnittlichen Fälligkeitstag, den 3. Juni 1955,
zurück. Demgemäss zahlte es der Alpinapharm A.-G. einen Betrag von
Fr. 46'495.45 aus und behielt den Differenzbetrag von Fr. 28'982.55
infolge der Verrechnung zurück.

    D.- Die Alpinapharm A.-G. bestreitet den Bestand der
Gegenforderungen. Sie verlangte auf dem Beschwerdeweg die Auszahlung
ihres vollen Anteils am Pfanderlös und bezeichnete die nachträgliche
Verrechnung von Gegenforderungen als unzulässig. Es handle sich nicht
um eine Masseforderung, die auf diesem Wege geltend gemacht werden
könnte. Vielmehr hätte das Konkursamt diese Forderung, wenn es sie geltend
machen wollte, in den Kollokationsplan aufnehmen sollen, ungeachtet
des Umstandes, dass die Gemeinschuldnerin sie sicherheitshalber zediert
hatte. Sie, die Alpinapharm A.-G., hätte in diesem Falle den Gegenanspruch
mit Kollokationsklage bekämpft. Diesen Weg habe ihr das Konkursamt mit
seinem vom Gläubigerausschuss genehmigten Vorgehen abgeschnitten.

    E.- Mit Entscheid vom 12. Februar 1957 wies die kantonale
Aufsichtsbehörde die Beschwerde in dem Sinne ab, dass sie dem Konkursamt
aufgab,

    "der Beschwerdeführerin eine Frist zur Klage anzusetzen zur Abklärung
der Frage des materiellen Bestandes der Gegenforderungen bezw. der
Verrechnungsmöglichkeit".

    F.- Mit vorliegendem Rekurs hält die Alpinapharm A.-G.  am Antrag
auf volle Auszahlung des ihr als Anteil am Verwertungserlös der
Pfandliegenschaft zukommenden Betreffnisses von Fr. 75'478.-- fest,
nebst Verzugszins seit 11. Januar 1957.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wären die von der Leih- und Sparkasse zurückzedierten Forderungen
als Masseforderungen zu betrachten, wie es das Konkursamt angenommen hat,
so stünde der Verrechnung auch noch im Verteilungsstadium des Konkurses
von vornherein nichts entgegen. Und zwar könnte das Konkursamt in diesem
Falle mit einer Masseschuld, insbesondere mit der auf die Rekurrentin
entfallenden Konkursdividende, verrechnen, was grundsätzlich für die Masse
vorteilhafter wäre als die Verrechnung mit der ganzen Konkursforderung
(BGE 76 III 15 Erw. 2 und dort zitierte frühere Entscheidungen). Im
vorliegenden Falle macht es freilich zahlenmässig keinen Unterschied
aus, ob mit der Konkursforderung oder mit dem darauf entfallenden
Betreffnis verrechnet wird, da dieses wegen des günstigen Ergebnisses des
Pfandverkaufes die ganze pfandgesicherte Forderung der Rekurrentin deckt.

Erwägung 2

    2.- Indessen ist der Rekurrentin, entsprechend den Ausführungen der
Vorinstanz zu diesem Punkte, darin beizustimmen, dass die vom Konkursamt
zur Verrechnung gestellten Gegenforderungen nicht als Masseforderungen,
sondern als Forderungen der Gemeinschuldnerin zu betrachten sind. Sind sie
doch nicht erst während des Konkurses und unmittelbar zugunsten der Masse
entstanden. Sie beruhen gegenteils auf Rechnungen der Gemeinschuldnerin
aus der Zeit vor dem Konkurse und sind nun, soweit sie überhaupt zu Recht
bestehen sollten, infolge der Rückzession wiederum in deren Vermögen und
damit auch unter Konkursbeschlag gelangt (Art. 197 Abs. 2 SchKG).

Erwägung 3

    3.- Die Verrechnung von Forderungen des Gemeinschuldners mit
Konkursforderungen erfolgt normalerweise im Kollokationsverfahren. Entweder
erklärt der Konkursgläubiger selber die Verrechnung und verlangt
nur die Kollokation des Mehrbetrages der Konkursforderung, oder die
Konkursverwaltung verrechnet ihrerseits, indem sie nur den allfälligen
Mehrbetrag der Konkursforderung kolloziert oder deren Kollokation
gänzlich mit Berufung auf eine ebenso hohe Gegenforderung ablehnt
(vgl. BGE 40 III 106, 54 III 22, 56 III 246 Erw. 3). Grundsätzlich darf die
Konkursverwaltung die Verrechnung mit Gegenforderungen des Gemeinschuldners
nicht auf ein späteres Stadium des Konkurses verschieben, und insbesondere
ist ihr verwehrt, solche Forderungen im Verteilungsstadium mit der
blossen Konkursdividende zu verrechnen (BGE 56 III 147). Zur Zulassung
der Verrechnung, wie sie die Organe des Konkurses im vorliegenden Falle
vorgenommen haben, bedarf es somit einer besondern Rechtfertigung.

Erwägung 4

    4.- Diese liegt nach der zutreffenden Entscheidung der Vorinstanz
darin begründet, dass die Verrechnung im Kollokationsverfahren noch
nicht möglich war. Denn damals bestanden die Zessionen noch zu Recht;
infolgedessen gehörten die betreffenden Forderungen damals nicht mehr,
und noch nicht wiederum, zum Vermögen der Gemeinschuldnerin. Durch die
Zession waren sie, wenn auch fiduziarisch, d.h. zu bestimmtem Zweck und
mit entsprechendem Vorbehalt, in das Vermögen der Zessionarin übergegangen
(BGE 40 II 595; VON TUHR, OR § 93 VI). Gewiss hätten die sich aus der
Sicherungszession ergebenden bedingten Ansprüche der Gemeinschuldnerin
(auf Rückzession oder Ablieferung eines Überschusses) im Konkursinventar
verzeichnet werden können und auch sollen (Art. 221 ff. SchKG, 25
ff. KV). Allein zur Verrechnung mit der Konkursforderung der Rekurrentin
waren diese ja nicht gegen sie gerichteten Ansprüche nicht geeignet. Erst
mit der Rückzession wurden die abgetretenen Forderungen selbst wieder
solche der Gemeinschuldnerin. Und erst damit erwuchs der Konkursmasse
gegenüber der Rekurrentin eine Verrechnungsmöglichkeit.

    Die Rekurrentin bemerkt noch, bei der Kollozierung ihrer Forderung
hätte die allfällige spätere Verrechnung mit Gegenforderungen wenigstens
vorbehalten werden sollen. Ein solcher Vorbehalt wäre jedoch rechtlich
ohne Wirkung gewesen, er hätte zu keiner Kollokationsklage Anlass geben
können; somit durfte er füglich unterbleiben.

    Es trifft auch nicht zu, dass der Rekurrentin durch die nachträgliche
Verrechnung nun ein Rechtsbehelf verweigert werde, wie er ihr bei
Verrechnung im Kollokationsplan in Form einer Kollokationsklage zugestanden
wäre. Der angefochtene Entscheid erkennt ihr ein durchaus entsprechendes
Klagerecht zu.

Erwägung 5

    5.- Den Haupteinwand leitet die Rekurrentin aus der Rechtskraft des
Kollokationsplanes ab. Daraus folgt jedoch keineswegs ein Anspruch auf
unverzügliche Auszahlung ihres Anteils am Pfanderlös. Rechtskräftige
Kollokationsverfügungen sind nicht sogleich vollziehbar, sowenig wie
Kollokationsurteile. Sie sind bloss der Verteilung zugrunde zu legen. Diese
aber hat grundsätzlich erst nach Verwertung aller Aktiven stattzufinden
(Art. 261 SchKG). Abschlagsverteilungen sind zwar zulässig (Art. 266
SchKG) und namentlich nach Verwertung verpfändeter Vermögensstücke
üblich. Sie sollen aber unterbleiben, wenn zu befürchten ist, dass
sie das Endergebnis des Konkurses beeinträchtigen könnten. Aus diesem
Gesichtspunkte darf die Konkursverwaltung die Auszahlung eines an und
für sich verfügbaren Konkursbetreffnisses an einen Gläubiger auf die
Schlussverteilung verschieben, wenn und soweit sie Gegenforderungen
geltend zu machen gedenkt. Eigentlich müsste ja der betreffende Gläubiger,
wenn vorerst eine Verrechnung nicht in Betracht gezogen wird, vorleisten,
um dann erst aus der den Betrag seiner Schuld mitenthaltenden Aktivmasse
sein Betreffnis zu empfangen. An die Stelle dieser durch Art. 261 SchKG
vorgezeichneten Reihenfolge der Leistungen tritt indessen in der Regel eine
Verrechnung, nach dem allgemeinen Grundsatze, dass niemand eine Leistung
verlangen darf, die er alsbald zurückerstatten müsste (wobei zu beachten
ist, welche Leistungen einander als verrechenbar gegenüberstehen; siehe
Erw. 1). Deshalb ist denn auch kein Zweifel, dass die Rekurrentin selber
einer effektiven beiderseitigen Zahlung (mit Vorleistung ihrerseits) eine
Verrechnung vorziehen würde, wenn und soweit sie die gegen sie erhobenen
Gegenforderungen anzuerkennen bereit wäre.

Erwägung 6

    6.- Damit ist nun allerdings noch nicht gesagt, dass das Konkursamt
ihr die Klägerrolle zuweisen dürfe, statt das streitige Masseaktivum
einzuklagen, um erst nachher, je nach dem Ergebnis des Rechtsstreites,
den allfällig der Gemeinschuldnerin zustehenden Forderungsbetrag
zur Verrechnung zu bringen. Aber auch in dieser Hinsicht ist
der angefochtene Entscheid zu bestätigen. Die Gegenforderungen der
Gemeinschuldnerin sind, wie dargetan, nur deshalb im Kollokationsverfahren
nicht zur Verrechnung gestellt worden, weil sie erst seither in das
Konkursvermögen gelangt sind. Dieser Sachlage entspricht es, den
Organen des Konkursverfahrens ein Verrechnungsrecht zuzugestehen, wie
es normalerweise im Kollokationsverfahren hätte ausgeübt werden können,
und wobei die Klägerrolle der die Gegenforderungen der Gemeinschuldnerin
nicht anerkennenden Rekurrentin zugefallen wäre. Davon geht denn auch
bereits BGE 54 III 22 aus, wo in Erw. 2 gesagt wird, es lasse sich nicht
rechtfertigen, an die Zulassung einer Konkursforderung im Kollokationsplan
die Verwirkung des Verrechnungsrechtes der Konkursverwaltung zu knüpfen,
wenn "im Zeitpunkt der Aufstellung des Kollokationsplanes noch gar keine
Gegenforderung besteht und es daher der Konkursverwaltung nicht möglich
ist, vermittelst Abweisung des Konkursgläubigers im Kollokationsplan dessen
Konkursforderung zu verrechnen" (was analog beim Vorliegen einer Zession
gelten muss, die allenfalls erst später rückgängig gemacht wird). Und
wenn BGE 56 III 103 ff. grundsätzlich die massgebende Bedeutung der
(rechtskräftig gewordenen) Kollokationsverfügungen hervorhebt, wird
dann doch am Schluss von Erw. 2 der Fall vorbehalten, dass es unmöglich
war, schon im Kollokationsplan (und allenfalls im Kollokationsprozesse)
zu verrechnen. Auch BGE 56 III 147 vermag den Standpunkt der Rekurrentin
nicht zu stützen. In jenem Entscheide wurde der Konkursmasse zwar verwehrt,
eine nach Aufstellung desKollokationsplanes bekannt gewordene Forderung des
Gemeinschuldners nun mit einer Masseschuld, nämlich der Konkursdividende
des betreffenden Konkursgläubigers, zu verrechnen. Doch behalten die
Erwägungen am Schluss ausdrücklich die (damals nicht in prozessual
wirksamer Weise aufgeworfene) Frage vor, ob die Konkursforderung als
solche hätte mit der neu entdeckten Gegenforderung verrechnet werden
können. Das ist nach dem Gesagten zu bejahen.

Erwägung 7

    7.- Hinsichtlich des Gegenstandes der Klage ist der angefochtene
Entscheid zu verdeutlichen. Gewiss geht der Streit um den Bestand der
von der Konkursverwaltung erhobenen Gegenforderungen. Die Rekurrentin
bemerkt aber mit Recht, es könne nicht ihre Aufgabe sein, auf deren
Nichtbestehen zu klagen. Analog dem Kollokationsverfahren wird vielmehr
ihre eigene Forderung bezw. nun der Anspruch auf das darauf entfallende
Konkursbetreffnis den Gegenstand der Klage zu bilden haben, soweit dieser
Anspruch eben infolge der vom Konkursamt erklärten Verrechnung streitig
geworden ist. Da das Konkursamt die Auszahlung nur wegen dieser Verrechnung
abgelehnt hat, wird der unbenützte Ablauf der ihr anzusetzenden Klagefrist
als Anerkennung der Verrechnung zu gelten haben.

    Die Vorinstanz bemerkt in ihren Erwägungen, die Klagefrist werde
zehn Tage betragen müssen. Es soll jedoch (gemäss dem vorinstanzlichen
Urteilsdispositiv) dem Konkursamt überlassen bleiben, die Frist zu
bemessen, da Art. 250 SchKG ausserhalb des Kollokationsverfahrens nicht
anwendbar ist und für solch nachträgliche Auseinandersetzungen keine
gesetzliche Frist besteht.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Dispositiv 2 des angefochtenen Entscheides wird dahin präzisiert,
dass das Konkursamt der Beschwerdeführerin eine Frist zur Klage auf
Auszahlung der Konkursdividende anzusetzen hat, unter der Androhung,
dass bei unbenütztem Fristablauf die vom Konkursamt geltend gemachte
Verrechnung als anerkannt gelten würde.

    Im übrigen wird der Rekurs abgewiesen.