Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 27



83 III 27

8. Entscheid vom 25. Januar 1957 i.S. Pehrsson. Regeste

    Widerspruchsverfahren, Parteirollenverteilung. Unter welchen
Voraussetzungen ist im Widerspruchsverfahren über Rechte an beweglichen
Sachen die Klagefrist gemäss Art. 107 SchKG dem Drittansprecher
anzusetzen? Für wen übt der für den betriebenen Nachlass bestellte
Erbschaftsverwalter den Gewahrsam aus? Parteirollenverteilung und
Beweislast.

    Bestellung eines Armenanwalts für den Rekurs an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts? (Art. 152 OG).

Sachverhalt

    In der Betreibung, welche die Geschwister Voss gegen den Nachlass des
Friedrich Hille führen, beansprucht Elfriede Pehrsson das Eigentum an den
gepfändeten Wertschriften, weil es sich dabei um Bestandteile des Vermögens
handle, das die vorverstorbene Ehefrau des Friedrich Hille diesem als
Vorerben und ihr als Nacherbin zugewendet hatte. Nachdem die Gläubigerinnen
und der für den Nachlass Friedrich Hilles als Erbschaftsverwalter bestellte
Notar Müller diese Ansprache bestritten hatten, setzte das Betreibungsamt
Schanfigg am 8. August 1956 der Frau Pehrsson gemäss Art. 107 SchKG Frist
zur Klage gegen die Bestreitenden auf Anerkennung ihres Eigentums. Die
kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde der Frau Pehrsson gegen diese
Fristansetzungen am 10. Dezember 1956 abgewiesen. Mit ihrem Rekurs an das
Bundesgericht erneuert Frau Pehrsson den Antrag, die Fristansetzungen
gemäss Art. 107 seien durch solche gemäss Art. 109 SchKG zu ersetzen,
weil der Erbschaftsverwalter den Gewahrsam am Nachlass für die daran
beteiligten Personen und damit insbesondere auch für sie als Nacherbin
der Frau Hille ausübe. Für das Verfahren vor Bundesgericht ersucht sie
um Bewilligung des "Armenrechts mit Rechtsvertretung".

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wenn wie hier Rechte an beweglichen Sachen streitig sind, richtet
sich die Verteilung der Parteirollen im Widerspruchsprozess ausschliesslich
nach dem Gewahrsam, und bei Beurteilung der Frage, in wessen Gewahrsam
sich eine solche Sache befindet, ist allein massgebend, wer darüber
die tatsächliche Verfügungsgewalt hat (BGE 54 III 148; 71 III 6). Dem
Drittansprecher ist die Klagefrist gemäss Art. 106/107 SchKG dann und nur
dann anzusetzen, wenn diese Verfügungsgewalt ausschliesslich beim Schuldner
liegt oder wenn sich der in Frage stehende Gegenstand in den Händen eines
Dritten befindet, der das streitige Recht nicht selber beansprucht, sondern
den Gewahrsam (soweit es sich nicht um die Wahrung seiner allfälligen
Rechte als Pfandgläubiger, Depositar usw. handelt) ausschliesslich für
den Schuldner ausübt (73 III 65 ff. und dort zit. Entscheide, 76 III 8/9,
80 III 140). In den übrigen Fällen ist Art. 109 SchKG anwendbar.

    Notar Müller, der die streitigen Wertpapiere in Händen hat, ist nach
der eigenen Darstellung der Rekurrentin für den Nachlass des Friedrich
Hille, nicht etwa für denjenigen der vorverstorbenen Frau Hille als
Erbschaftsverwalter eingesetzt worden. In dieser Eigenschaft handelt er
dem Grundsatze nach nur für die Erben des Friedrich Hille, zu denen die
Rekurrentin als Schwester und Nacherbin der Frau Hille nicht gehört. Dass
er den Gewahrsam an gewissen im Nachlass befindlichen Gegenständen für
die Rekurrentin ausübe, sei es für sie allein oder für sie und weitere
Personen, namentlich die Erben, könnte nur angenommen werden, wenn
er selber den Standpunkt einnähme, dass er die fraglichen Gegenstände
bloss für die Rekurrentin oder doch auch für sie verwahre. Nur in diesem
Falle liesse sich sagen, dass die Rekurrentin durch seine Vermittlung
über die betreffenden Gegenstände Verfügungsgewalt besitze. So verhält
es sich aber eben nicht. Der Erbschaftsverwalter lässt nicht gelten,
dass die gepfändeten Wertschriften aus dem der Rekurrentin als Nacherbin
zukommenden Nachlass der Frau Hille stammen, sondern betrachtet sie als
Bestandteile des eigenen Vermögens von Friedrich Hille und nimmt demgemäss
den Standpunkt ein, dass er den Gewahrsam daran ausschliesslich für dessen
gesetzliche Erben ausübe. Diese Stellungnahme hat das Betreibungsamt
hinzunehmen, ohne zu prüfen, ob sie berechtigt sei oder nicht, da
sich die Gewahrsamsfrage, wie gesagt, einzig nach den tatsächlichen
Gewaltverhältnissen beurteilt. Wenn die Rekurrentin geltend macht,
sie sei als Inhaberin des mittelbaren Gewahrsams anzuerkennen, weil
die gepfändeten Wertpapiere als Teile des von Frau Hille hinterlassenen
Vermögens ihr Eigentum seien, so verkennt sie vollständig, was das Wesen
des Gewahrsams ausmacht. Selbst wenn angenommen würde, dass die Rekurrentin
die wirkliche Eigentümerin sei, hätte sie deswegen angesichts der Haltung
des Erbschaftsverwalters keinerlei Verfügungsgewalt über die streitigen
Wertpapiere. Im übrigen mutet die Rekurrentin mit ihrer Argumentation
den Betreibungsbehörden zu, gerade über die Frage zu entscheiden,
die Gegenstand des Widerspruchsverfahrens zu bilden hat. Hiezu sind
diese Behörden nicht berufen. Ist demnach davon auszugehen, dass
der Erbschaftsverwalter den Gewahrsam an den gepfändeten Wertpapieren
ausschliesslich für die Erben des Friedrich Hille ausübe, die materiell
Schuldner der gegen den unverteilten Nachlass in Betreibung gesetzten
Forderung sind, so ist die Klagefrist zu Recht gemäss Art. 107 SchKG der
Rekurrentin angesetzt worden.

    Auf die Beweislast im Widerspruchsprozess hat die
Parteirollenverteilung entgegen der Ansicht der Rekurrentin keinen
Einfluss (FAVRE, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, S. 186; FRITZSCHE,
Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, I S. 203).

Erwägung 2

    2.- Da das Beschwerdeverfahren in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen,
vom Falle des Art. 70 GebT abgesehen, gemäss Art. 69 GebT in allen
Instanzen gebührenfrei ist, kommt in diesem Verfahren die Gewährung des
Armenrechts für die Gerichtskosten von vornherein nicht in Frage. Das
Bundesrecht sieht aber für dieses Verfahren auch die Bestellung eines
Armenanwalts nicht vor, so wenig wie es die Befreiung eines bedürftigen
Schuldners oder Gläubigers von der Pflicht kennt, die Betreibungskosten zu
tragen bzw. vorzuschiessen (BGE 55 I 366; Entscheid der Staatsrechtlichen
Kammer vom 14. Juli 1954 i.S. Foletti). Insbesondere bietet Art. 152
OG, der bestimmt, unter welchen Voraussetzungen das Bundesgericht einer
bedürftigen Partei die unentgeltliche Rechtspflege gewährt, keine Grundlage
für die Ernennung eines Armenanwalts im Rekursverfahren gemäss Art. 78
ff. OG. Art. 152 Abs. 2 OG, wo von der Beiordnung eines Armenanwalts die
Rede ist, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit Art. 152 Abs. 1, der
die Befreiung von der Zahlung der Gerichtskosten und der Sicherstellung
der Parteientschädigung behandelt, und kommt daher nur zur Anwendung,
wo diese Befreiung besonders gewährt werden muss, nicht auch dort,
wo das Verfahren ohnehin kostenlos ist und die Sicherstellung der
Parteientschädigung schon deshalb nicht verlangt werden kann, weil im
betreffenden Verfahren die Zusprechung einer solchen Entschädigung von
vornherein ausgeschlossen ist, wie es für das betreibungsrechtliche
Beschwerde- und Rekursverfahren zutrifft (BGE 76 III 83 Erw. 1). Der
gleiche Schluss ergibt sich auch daraus, dass Art. 152 Abs. 2 OG die
Ausrichtung eines Honorars aus der Bundesgerichtskasse nur für den Fall des
Unterliegens oder der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung vorsieht.

    Ein für das Rekursverfahren gemäss Art. 78 ff. OG bestellter
Armenanwalt erhielte also zwar im Falle des Unterliegens ein Honorar aus
der Gerichtskasse, müsste aber im Falle des Obsiegens leer ausgehen, weil
eine Parteientschädigung, die seine Honoraransprüche decken oder sich
im Sinne von Art. 152 Abs. 2 OG als uneinbringlich erweisen könnte, in
diesem Verfahren überhaupt nicht zugesprochen werden kann. Dieses Ergebnis
wäre widersinnig, was bestätigt, dass die eben erwähnte Bestimmung im
Rekursverfahren gemäss Art. 78 ff. OG nicht gelten kann. Man wüsste im
übrigen auch nicht, wie ein für dieses Verfahren ernannter Armenanwalt
zu honorieren wäre, da der auf Grund von Art. 160 OG erlassene Tarif (AS
1950 I 52 ff.), in dessen Rahmen das Armenanwaltshonorar gemäss Art. 152
Abs. 2 OG festzusetzen ist, für die Rekurse an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer keinen Ansatz enthält. Das Gesuch der Rekurrentin muss
daher abgelehnt werden.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs und das Gesuch um Bestellung eines Armenanwalts werden
abgewiesen.