Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 21



83 III 21

7. Entscheid vom 7. Februar 1957 i.S. Marta Walthert. Regeste

    Widerspruchsverfahren. Art. 106-109 SchKG.

    1.  Liegt in der Angabe der Herkunft eines Verlnögensstückes die
Geltendmachung von Dritteigentum? (Erw. 1).

    2.  Die Anzeige vom Vollzug einer Pfändung mit dem fakultativen
Formular Nr. 2 enthält nicht die Ansetzung einer Verwirkungsfrist zur
Anmeldung von Drittansprüchen (Erw. 2).

    3.  Unter welchen Umständen ist die Verzögerung der Anmeldung als
arglistig zu betrachten? (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Auf Grund provisorischer Rechtsöffnung vollzog das Betreibungsamt
Luzern am 21. Juli 1956 in der Betreibung Nr. 34 601 gegen Albert
Walthert eine provisorische Pfändung. Die Pfändungsurkunde verzeichnet
unter Ziff. 26 und 27 zwei Sparguthaben von je Fr. 3000.--, ausgestellt
auf die Namen der minderjährigen Söhne des Schuldners, die dieser als die
wahren Berechtigten bezeichnete. Das Betreibungsamt setzte dem Gläubiger
Frist zur Klage nach Art. 109 SchKG an und forderte auf dessen Begehren
die durch den Schuldner vertretenen Drittansprecher am 30. Juli 1956 zur
Vorlage der Eigentumsausweise auf. Darauf antwortete am 1. August 1956
"namens und im Auftrage des Herrn Albert Walthert" der Rechtsanwalt X., die
Depotscheine für die beiden Sparhefte habe der Pfändungsbeamte behändigt;
der Gläubiger möge weitere Beweismittel genau bezeichnen und angeben,
was zu beweisen sei. "PS. Die Sparkassenguthaben entstammen dem Frauengut
der Frau Marta Walthert-Haag".

    B.- Der Pfändungsvollzug war der Ehefrau des Schuldners am 24. Juli
1956 mit dem fakultativen Formular Nr. 2 angezeigt worden, das folgende
vorgedruckte Bestimmung enthält: "Sollten Sie Eigentum oder beschränkte
dingliche Rechte an gepfändeten Sachen geltend machen wollen, so ist dies
dem Betreibungsamt binnen 10 Tagen zu melden, ansonst Sie Gefahr laufen,
dass die Ansprache nicht mehr berücksichtigt werden könnte". Frau Marta
Walthert schloss sich hierauf der Pfändung mit einer Forderung von Fr.
... gemäss Art. 111 SchKG an. Da der Gläubiger Einspruch erhob, klagte
sie gegen ihn auf Zulassung des Pfändungsanschlusses, zog die Klage dann
aber zurück.

    C.- Am 23. Oktober 1956 sprach Frau Walthert auf dem Betreibungsamt
vor und erklärte, sie habe die unter Ziff. 26 und 27 der Pfändungsurkunde
verzeichneten Guthaben seinerzeit vindiziert; Rechtsanwalt X. habe dies
beim Betreibungsamte geltend gemacht. Bei Durchsicht der Akten stiess das
Amt nun auf den Brief vom 1. August 1956. Es hielt dafür, dessen "spärlich
abgefasste Fussnote" enthalte eine gültige Drittansprache, und leitete
am 30. Oktober 1956 das Widerspruchsverfahren nach Art. 106/7 SchKG ein.

    D.- Darüber beschwerte sich der Gläubiger, indem er die Drittansprache
als verspätet bezeichnete, sodass sie nicht zu berücksichtigen sei.

    E.- Die untere Aufsichtsbehörde hiess die Beschwerde gut und hob
die angefochtene Fristansetzung auf. Die Drittansprecherin zog den
erstinstanzlichen Entscheid an die obere kantonale Aufsichtsbehörde weiter.
Von dieser mit Entscheid vom 19. Januar 1957 abgewiesen, hat sie Rekurs
an das Bundesgericht eingelegt.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Zweck des Briefes vom 1. August 1956, den Rechtsanwalt X. dem
Betreibungsamt namens und im Auftrage des Albert Walthert als des
gesetzlichen Vertreters der minderjährigen Drittansprecher schrieb,
war die Beantwortung der betreibungsamtlichen Aufforderung zur Vorlage
von Beweismitteln. Wenn dabei in einer Nachschrift auf die Herkunft
der Sparguthaben aus dem Frauengut der Rekurrentin hingewiesen wurde,
so sollte damit offenbar eine Erklärung für den Anspruch der als Titulare
bezeichneten Söhne gegeben werden. Dass die Sparguthaben gar nicht diesen
zustünden, sondern die Ehefrau als die wahre Titularin der Sparguthaben
zu betrachten sei, oder dass sie an diesen Guthaben, wiewohl auf dem
Titelblatte nicht genannt, in einem bestimmten Verhältnis mitbeteiligt sei,
war mit der erwähnten Herkunftsangabe nicht ausgedrückt. Die Rekurrentin
will freilich den Brief des vom Manne beauftragten Rechtsanwaltes nicht für
sich allein gewürdigt wissen; denn er stehe in Zusammenhang mit mündlichen
Besprechungen auf dem Betreibungsamt, die Ende Juli 1956 stattgefunden
hätten, und wobei sie ihren Anspruch angemeldet habe. Die Erhebungen
der Vorinstanz hierüber haben jedoch diese Darstellung nicht als richtig
erwiesen. Die negativen Feststellungen des angefochtenen Entscheides zu
diesem Punkt sind für das Bundesgericht verbindlich (Art. 63/81 OG).

Erwägung 2

    2.- Die Entscheidung über die Beschwerde des Gläubigers hängt somit
davon ab, ob die Geltendmachung des Anspruchs der Rekurrentin, wie sie
dann Ende Oktober 1956 erfolgte, noch habe berücksichtigt werden dürfen
und müssen, oder ob diese Anspruchserhebung als verspätet zu betrachten
sei. Nach der frühern, durch BGE 37 I 463 (= Sep.-Ausg. 14 S. 242)
begründeten Rechtsprechung konnte ein Drittanspruch grundsätzlich nur
binnen zehn Tagen seit Kenntnis von der Pfändung oder Arrestierung
rechtswirksam angemeldet werden; vorbehalten blieb eine hinreichende
Entschuldigung längeren Zuwartens, insbesondere der Nachweis eines
eigentlichen Hindernisses. Die neuere Rechtsprechung lehnt dagegen eine
solche vom Gesetze nicht vorgesehene Befristung des Widerspruchsrechtes
ab. Sie lässt grundsätzlich die Anmeldung von Drittansprüchen jederzeit
bis zur Verwertung und hinsichtlich des Erlöses noch bis zur Verteilung zu
und schliesst die Berücksichtigung solcher Ansprachen nur dann aus, wenn
die Anmeldung arglistig verzögert wurde (BGE 81 III 55, 78 III 73/4, 72
III 3). Nach dieser wohlbegründeten Rechtsprechung darf die in der Anzeige
vom Vollzug einer Pfändung mit dem fakultativen Formular Nr. 2 enthaltene
Einladung, Eigentum oder beschränkte dingliche Rechte an gepfändeten Sachen
dem Betreibungsamt binnen 10 Tagen zu melden, "ansonst Sie Gefahr laufen,
dass die Ansprache nicht mehr berücksichtigt werden könnte", nicht als
Ansetzung einer Verwirkungsfrist gelten, wozu es an einer gesetzlichen
Grundlage fehlt. Es handelt sich lediglich um einen warnenden Hinweis
darauf, dass es im eigenen Interesse des Adressaten liege, allfällige
Ansprüche der genannten Art möglichst bald anzumelden. Hiebei wird von
zehn Tagen als der normalerweise genügenden Überlegungszeit ausgegangen
und auf die mit längerem Zuwarten verbundene Gefahr hingewiesen, ohne
dass aber das Anmeldungsrecht als solches befristet wäre. Dieser Hinweis
fällt hier nur insofern in Betracht, als sich aus seiner Nichtbeachtung
allenfalls Schlüsse auf die Beweggründe des längern Zuwartens der
Rekurrentin ziehen lassen.

Erwägung 3

    3.- Damit erweist sich die Grundlage der angefochtenen Entscheidung
(wie übrigens auch der erstinstanzlichen) als unhaltbar. Denn die
Vorinstanz bezeichnet die Anmeldung des Drittanspruchs der Rekurrentin
nur gerade deshalb als verspätet, weil sie die mit der Anzeige des
Pfändungsvollzuges verbundene Einladung, allfällige Eigentums- oder andere
dingliche Ansprüche binnen zehn Tagen zu melden, nicht befolgt habe. Was
nach dem in Erw. 2 Ausgeführten als blosse Richtlinie des Verhaltens
zu verstehen ist, wurde somit von der Vorinstanz als Verwirkungsfrist
aufgefasst. Nach dem wahren Sinne des Gesetzes, wovon der Formulartext
nicht abgehen will, ist eine Verwirkung des Anmeldungsrechtes jedoch
nicht schon an den Ablauf einer bestimmten Zeit seit der Kenntnis von
der Pfändung des betreffenden Gegenstandes geknüpft (übrigens werden
in der Anzeige laut dem fakultativen Formular Nr. 2 die gepfändeten
Gegenstände nicht angegeben), sondern nur an ein arglistiges Verzögern
der Anmeldung. Wie es sich damit im vorliegenden Falle verhalte, hat die
Vorinstanz nicht geprüft, weshalb die Sache zu neuer Beurteilung nach
diesem rechtlich entscheidenden Gesichtspunkte an sie zurückgewiesen
werden muss.

    Von der Rückweisung wäre nur dann abzusehen, wenn sich solche Arglist
einwandfrei aus dem Inhalt der Akten ergäbe. Das ist indessen nicht der
Fall. Wie in BGE 78 III 73/4 dargetan, ist zwar von arglistiger Störung,
d.h. Hintanhaltung des Betreibungsverfahrens nicht nur dann zu sprechen,
"wenn sich der Dritte wesentlich und hauptsächlich gerade von der Absicht,
das Betreibungsverfahren in die Länge zu ziehen", leiten liess, sondern
bereits dann, wenn er "sich der mit seinem Zuwarten verbundenen Hemmung
des Betreibungsverfahrens bewusst war und er für sein Verhalten keinen
oder doch keinen ernsthaften Grund hatte". Von einer bewussten Hemmung
des Betreibungsverfahrens ohne achtbaren Grund kann aber nicht die Rede
sein, wenn, wie die Rekurrentin vorbringt, am 23. Oktober 1956 noch ein
Aberkennungsprozess und zwischen dem Gläubiger und den als Drittansprecher
aufgetretenen Kindern Walthert ein Widerspruchsprozess hängig waren. Denn
vor der Erledigung dieser Prozesse konnte die Betreibung ohnehin nicht
in das Verwertungsstadium treten (Art. 107 Abs. 2 und 118 SchKG). Im
übrigen mochte die Rekurrentin je nach den Umständen in guten Treuen im
Zweifel sein, ob die auf den Namen der Kinder angelegten Sparguthaben
nun rechtlich diesen zustanden oder, sofern die Valuta ihrer Behauptung
entsprechend dem Frauengut entstammen sollte, ihr selbst, und sie konnte
sich dabei allenfalls sagen, sie habe mit Rücksicht auf die Ansprache der
Kinder und das darüber eingeleitete gerichtliche Verfahren einstweilen
keine Veranlassung, auch ihrerseits etwas vorzukehren, um die Verwertung
zu verhüten (vgl. BGE 64 III 13). Bei dieser durch die vorliegenden Akten
noch keineswegs abgeklärten Sachlage ist die Rückweisung zu ergänzender
Tatbestandsaufnahme und zu neuer Entscheidung unumgänglich.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen
an die kantonale Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs
zurückgewiesen wird.