Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 131



83 III 131

35. Entscheid vom 18. Oktober 1957 i.S. S. Regeste

    Widerspruchsverfahren. Wenn der Schuldner nicht den ausschliesslichen
Gewahrsam hat, sondern den Gewahrsam mit dem Drittansprecher teilt,
ist das Widerspruchsverfahren nach Art. 109 SchKG durchzuführen und dem
Schuldner nicht gemäss Art. 106 SchKG Frist zur Bestreitung der Ansprache
zu setzen. Geben die Gläubiger der Fristansetzung nach Art. 109 SchKG
keine Folge, so fallen die angesprochenen Gegenstände ohne Rücksicht auf
die materielle Rechtslage aus der Pfändung.

    Absehen von der Verwertung, wenn ihr Ergebnis unzweifelhaft nicht
einmal die Kosten decken würde.

    Nachpfändung von Amtes wegen; Voraussetzungen.

Sachverhalt

    In den Betreibungen der Gruppe Nr. 5870 und in der Betreibung Nr. 93077
gegen Dr. S. nahm das Betreibungsamt Bern 2 an, infolge unangefochtener
Drittansprachen seien nur ein Studentenschläger und ein Kirschkrug im
Schätzungswerte von je Fr. 1.- (Nrn. 4 und 5 der Pfändungsurkunde für
die Gruppe Nr. 5870) bzw. eine Flasche Marc im Schätzungswerte von Fr. 6.-
(Nr. 6 der Pfändungsurkunde für die Betreibung Nr. 93077) in der Pfändung
geblieben. In der zur Gruppe Nr. 5870 gehörenden Betreibung Nr. 74875,
deren Gläubiger (Staat Bern) das Verwertungsbegehren gestellt hatte,
verfügte es daher am 6. September 1957, von einer Verwertung werde im
Sinne von Art. 127 SchKG abgesehen, weil die verbleibenden Gegenstände
die Verwertungskosten nicht decken würden. In der Betreibung Nr. 93077
(Gläubigerin: Chapatte SA) gewährte es dem Schuldner gleichen Tages gegen
die Zusicherung von Abschlagszahlungen einen Aufschub der Verwertung im
Sinne von Art. 123 SchKG.

    Hierauf führte der Schuldner Beschwerde mit den Begehren, das
Betreibungsamt sei anzuweisen, ihm in den Betreibungen der Gruppe Nr. 5870
für die Gegenstände Nr. 1-9, 64 und 65 und in der Betreibung Nr. 93077
für die Gegenstände Nr. 1-53 Frist gemäss Art. 106 SchKG anzusetzen;
die Verwertungsbegehren des Staates Bern und der Chapatte SA seien bis
zum Austrag des Widerspruchsverfahrens abzuweisen; das Betreibungsamt
sei ferner anzuhalten, in den Betreibungen Nr. 74875 und 93077 "erst nach
erfolgloser bzw. ungenügender Verwertung Verlustscheine auszustellen". Mit
Entscheid vom 24. September 1957 hat die kantonale Aufsichtsbehörde die
Beschwerde abgewiesen.

    Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht erneuert der Schuldner
seine Beschwerdebegehren.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Soweit das Betreibungsamt die im Beschwerde- und Rekursantrag
genannten Gegenstände als aus der Pfändung gefallen betrachtet, beruht dies
darauf, dass sie von der Ehefrau des Schuldners zu Eigentum angesprochen
wurden und dass die Gläubiger auf Fristansetzung gemäss Art. 109 SchKG hin
gegen sie keine Klage anhoben. Dass die von der Ehefrau beanspruchten
Gegenstände sich nicht im ausschliesslichen Gewahrsam des Schuldners,
sondern im (Mit-)Gewahrsam der Ehefrau befanden, ist unbestritten. Daher
hat das Betreibungsamt mit Recht das Widerspruchsverfahren nach Art. 109
SchKG eröffnet (BGE 83 III 28 und dortige Zitate). Mit der durch Art. 109
SchKG vorgeschriebenen Fristansetzung an die Gläubiger zur Klage gegen
den Dritten eine Fristansetzung an den Schuldner zur Bestreitung der
Drittansprache gemäss Art. 106 SchKG zu verbinden, falls wie hier der
Dritte und der Schuldner sich in den Gewahrsam teilen, ist entgegen der
Auffassung des Rekurrenten ausgeschlossen. Das Widerspruchsverfahren
kann mit Bezug auf einen und denselben Gegenstand nur entweder nach
Art. 106/107 oder nach Art. 109 SchKG durchgeführt werden, und bei
nicht ausschliesslichem Gewahrsam des Schuldners ist eben Art. 109 SchKG
massgebend.

Erwägung 2

    2.- Es kann keine Rede davon sein, dass ausser dem Studentenschläger
und dem Kirschkrug (Nr. 4, 5), welche die Ehefrau nicht beansprucht hat,
auch die in der Beschwerde und im Rekurs erwähnten insgesamt 38 Flaschen
Rotwein aus den Positionen 10, 12 und 16 der Pfändungsurkunde für die
Gruppe Nr. 5870 in der Pfändung geblieben seien. Die Ehefrau des Schuldners
hat diese Positionen in vollem Umfang zu Eigentum angesprochen. Da
die Gläubiger nicht gegen sie geklagt haben, hat ihr Anspruch gemäss
Art. 109 SchKG als anerkannt zu gelten mit der Folge, dass alle zu den
erwähnten Positionen gehörenden Flaschen ohne Rücksicht darauf, ob die der
Ansprache zugrundeliegende Vereinbarung mit dem Schuldner vom 23. Januar
1957 materiell wirksam sei und sich auf alle diese Flaschen beziehe
oder nicht, aus der Pfändung ausschieden. Im übrigen widerspricht die
heutige Behauptung des Schuldners, dass ein Teil dieser Flaschen von der
Vereinbarung nicht erfasst worden und daher in der Pfändung geblieben sei,
seiner eigenen Erklärung gegenüber dem Betreibungsamt vom 17. Februar 1957,
wonach es auf einem Versehen beruht, wenn die Pfändungsurkunde für die
Gruppe Nr. 5870 mehr Flaschen aufführt als die Pfändungsurkunde Nr. 93077,
die die gleichen Zahlen nennt wie die Vereinbarung vom 23. Januar 1957.

    Sind nur der Studentenschläger und der Kirschkrug im Schätzungswerte
von je Fr. 1.- in der Pfändung für die Gruppe Nr. 5870 geblieben, so
hat das Betreibungsamt mit Recht von einer Verwertung abgesehen. Der von
ihm angerufene Art. 127 SchKG gilt zwar seinem Wortlaut nach nur dann,
wenn anzunehmen ist, dass gemäss Art. 126 SchKG, d.h. mangels eines die
vorgehenden pfandversicherten Forderungen übersteigenden Angebotes, ein
Zuschlag nicht möglich sein werde. Von der Verwertung soll aber erst recht
abgesehen werden, wenn ihr Ergebnis unzweifelhaft nicht einmal die Kosten
decken würde. Diese Voraussetzung konnte hier als gegeben angesehen werden,
nachdem alle gepfändeten Gegenstände bis auf zwei im Schätzungswerte von
zusammen nur Fr. 2.- von der Ehefrau des Schuldners mit Erfolg vindiziert
worden und demzufolge aus der Pfändung gefallen waren. Wären von Anfang
an nur Gegenstände von so geringem Wert vorhanden gewesen, so hätte
gemäss Art. 92 Ziff. 1 SchKG schon die Pfändung unterbleiben müssen.

Erwägung 3

    3.- Der Umstand, dass fast alle gepfändeten Gegenstände wegen
erfolgreicher Vindikation aus der Pfändung fielen, und die vom Rekurrenten
weiter hervorgehobene Tatsache, dass seine Liegenschaft, die mit Rücksicht
auf die den Schätzungswert übersteigende Belastung nicht gepfändet worden
war, nachträglich höher geschätzt wurde, waren für das Betreibungsamt kein
Grund, von Amtes wegen eine Nachpfändung vorzunehmen. Art. 110 Abs. 1 SchKG
lässt ergänzende Pfändungen von Amtes wegen nur während oder unmittelbar
nach Ablauf der - hier längst verstrichenen - Anschlussfrist zu (BGE
80 III 78 Erw. 4), und Art. 145 SchKG greift nur ein, wenn die Pfändung
nach Massgabe der amtlichen Schätzung genügende Deckung zu bieten schien
und bei der Verwertung deswegen ein Ausfall entsteht, weil der Erlös den
Schätzungswert nicht erreicht (BGE 70 III 46 f.), welche Voraussetzungen
im vorliegenden Falle nicht gegeben sind. Sonst ist eine Nachpfändung
nur auf Begehren eines Gläubigers zulässig (BGE 80 III 79). Sich darüber
zu beschweren, dass einem solchen Begehren nicht entsprochen worden sei,
ist der Schuldner nicht legitimiert.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.