Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 121



83 III 121

33. Entscheid vom 25. September 1957 i.S. Fratelli Tenconi. Regeste

    Zwangsliquidation von Eisenbahnunternehmungen.  Fortsetzung
des Bahnbetriebs während des Liquidationsverfahrens (Art. 22 Abs.
1 VZEG). Zahlung der daraus entstehenden Kosten (Art. 40 Ziff. 1
VZEG). Eine vor Eröffnung der Zwangsliquidation erfolgte Lieferung aus den
während des Liquidationsverfahrens erzielten Betriebseinnahmen oder andern
Geldmitteln der Masse vorweg zu bezahlen, ist selbst dann nicht zulässig,
wenn die gelieferten Gegenstände für die Fortsetzung des Betriebs während
des Liquidationsverfahrens notwendig sind und die Bahnorgane dem Gläubiger
solche Vorwegzahlung zugesichert haben.

Sachverhalt

    A.- Die Firma Fratelli Tenconi erhielt im Jahre 1956 von
der Elektrischen Bahn Stansstad-Engelberg AG (StEB) den Auftrag,
3909 gebrauchte Eisenschwellen, welche die StEB von der Brünigbahn
gekauft hatte, instandzustellen und umzuarbeiten. In der Zeit vom
10. bis zum 21. Dezember 1956 lieferte sie die bearbeiteten Schwellen
ab. Am 21. Dezember 1956 stellte sie der StEB Rechnung im Betrage von
Fr. 15'716.30.

    Als die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichtes am 3.
Januar 1957 die Zwangsliquidation des Vermögens der StEB anordnete, war
diese Rechnung noch unbezahlt. Auf den Schuldenruf des Masseverwalters
hin meldete die Firma Tenconi ihre Forderung an. Gleichzeitig stellte sie
das Begehren, der verlangte Betrag sei zu den Betriebskosten zu rechnen
und aus den Betriebseinnahmen der Bahn oder aus dem Erneuerungsfonds zu
bezahlen; eventuell sei die Forderung als im Sinne von Art. 40 Ziff. 1
VZEG privilegiert zu behandeln. Der Masseverwalter entschied in Anwendung
von Art. 26 VZEG, die Forderung sei begründet. Das Begehren, sie aus
den Betriebseinnahmen bzw. aus dem Erneuerungsfonds zu bezahlen, hat er
dagegen mit Verfügung vom 23. Mai 1957 abgewiesen. Zum Eventualantrag
auf Gewährung eines Privilegs gemäss Art. 40 Ziff. 1 VZEG wird in Erw. 4
dieser Verfügung und in dem gemäss Art. 26 VZEG erstellten Verzeichnis der
Forderungen und Entscheidungen bemerkt, es werde darüber bei Aufstellung
der Rangordnung gemäss Art. 42 VZEG zu befinden sein.

    B.- Gegen die Verfügung vom 23. Mai 1957 führt die Firma Tenconi
gestützt auf Art. 22 Abs. 3 VZEG beim Bundesgericht Beschwerde mit
dem Antrag, sie sei aufzuheben und der Masseverwalter sei anzuweisen,
ihre Forderung von Fr. 15'716.30 aus den Betriebseinnahmen, eventuell
zulasten des Erneuerungsfonds der StEB zu bezahlen. Sie macht
geltend, die Zwangsliquidation einer Bahnunternehmung unterscheide
sich von einem gewöhnlichen Konkurs dadurch, dass der Betrieb während
des Liquidationsverfahrens weitergeführt werden müsse. Im Hinblick
auf diese gesetzliche Pflicht habe es die Bahnverwaltung, obwohl
die Anordnung der Zwangsliquidation bevorgestanden sei, aus Gründen
der Betriebssicherheit für unerlässlich erachtet, die Reparatur der
fraglichen Schwellen anzuordnen, die dazu bestimmt seien, den Weiterbetrieb
während des Liquidationsverfahrens zu ermöglichen. Bei den Kosten dieser
Reparatur habe man es also mit vorweggenommenen Kosten des Betriebes
während der Liquidation zu tun. Wenn man nicht annehmen wollte, dass
die Bahnverwaltung in Erfüllung einer gesetzlichen Pflicht gehandelt
habe, wäre ihr Vorgehen als Geschäftsführung ohne Auftrag im Sinne von
Art. 419 ff. OR zu betrachten. Da der Bahnmeister und später auch der
Betriebsdirektor der StEB der Beschwerdeführerin auf eine Anfrage hin
versichert hätten, dass ihre Forderung bei Eintritt der Zwangsliquidation
aus den Betriebseinnahmen bezahlt würde, sei es auch ein Gebot von Treu
und Glauben (Art. 2 ZGB), ihrem Begehren zu entsprechen. Den andern
Gläubigern entstehe daraus kein Nachteil, weil die Reparatur, wenn sie
nicht von der Bahnverwaltung angeordnet worden wäre, vom Masseverwalter
hätte veranlasst werden müssen. Dass die Kosten des Betriebes während
der Liquidation einschliesslich derjenigen Kosten, die ihnen hienach
gleichzustellen seien, aus den Betriebseinnahmen zu bezahlen seien, ergebe
sich aus Art. 40 Ziff. 1 VZEG und Art. 10 Abs. 2 des Bundesgesetzes
über das Rechnungswesen der Eisenbahnen vom 27. März 1896. Wenn die
Betriebseinnahmen nicht ausreichen sollten, um die streitige Forderung
zu decken, so sei sie aus dem Erneuerungsfonds im Sinne von Art. 11 des
eben genannten Gesetzes zu bezahlen.

    C.- Der Masseverwalter beantragt Abweisung der Beschwerde mit
der Begründung, die streitige Forderung könne, da vor Anordnung
der Zwangsliquidation entstanden, nicht als "Masseverbindlichkeit"
vorweg bezahlt werden. Aus den von der Beschwerdeführerin angerufenen
Gesetzesbestimmungen lasse sich kein solcher Schluss ziehen. In
tatsächlicher Beziehung führt er aus, die StEB habe die Schwellen auf
Grund eines günstigen Angebotes der Brünigbahn erworben in der Absicht,
sie später gelegentlich einzubauen; dass sie in nächster Zeit auch
nur zum Teil verwendet würden, sei höchst unwahrscheinlich. Dass die
Beschwerdeführerin vor dem 3. Januar 1957 oder gar vor Ablieferung der
Schwellen von Bahnorganen irgendwelche Zusicherungen über die Bezahlung
der streitigen Forderung erhalten habe, treffe nach seinen Erkundigungen
nicht zu.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 22 Abs. 1 VZEG ist bei Eröffnung der Zwangsliquidation
eines Bahnunternehmens dafür zu sorgen, dass dessen Betrieb nicht
unterbrochen wird. Den Bahnbetrieb während des Liquidationsverfahrens
weiterzuführen, ist nur möglich, wenn der mit dieser Aufgabe betraute
Masseverwalter und im Rahmen der an sie delegierten Kompetenzen auch
die vom Masseverwalter eingesetzte Betriebsleitung befugt sind,
zur Beschaffung der für die Fortsetzung des Betriebes notwendigen
Dienst- und Sachleistungen Verbindlichkeiten einzugehen, für welche die
Liquidationsmasse in der Weise haftet, dass die betreffenden Gläubiger
(Arbeitnehmer, Lieferanten) verlangen können, daraus vorweg befriedigt
zu werden. Art. 40 Ziff. 1 VZEG, wonach aus dem Steigerungserlös
und dem sonstigen Vermögen der Unternehmung in erster Linie die
Liquidationskosten "mit Einrechnung eines allfälligen Verlustes auf
dem Betriebe während der Liquidation" zu bezahlen sind, setzt diese
Befugnis voraus. Indem die genannte Bestimmung nicht schlechthin die
Betriebskosten, sondern einen allfälligen Betriebsverlust, d.h. einen
allfälligen Überschuss der Betriebskosten über die Betriebseinnahmen,
den aus dem Verwertungsergebnis vorab zu deckenden Liquidationskosten
gleichstellt, setzt sie ausserdem voraus, dass die Betriebskosten soweit
möglich fortlaufend aus den Betriebseinnahmen zu bezahlen sind, wie
dies zu einer geordneten Betriebsführung gehört. Darüber hinaus muss
es erlaubt sein, zur laufenden Bezahlung der Betriebskosten neben den
Einnahmen aus dem während des Liquidationsverfahrens weitergeführten
Betriebe nötigenfalls auch andere flüssige Mittel der Liquidationsmasse
zu verwenden, da den Gläubigern, die nach Eröffnung der Zwangsliquidation
mit ihren auf Veranlassung des Masseverwalters erbrachten Leistungen zur
Aufrechterhaltung des Betriebes beitragen, nicht zugemutet werden kann, bis
zum Schlusse des (langwierigen) Liquidationsverfahrens auf die Befriedigung
ihrer Ansprüche zu warten, wenn die Masse noch über flüssige Mittel
verfügt. Der Masseverwalter hat im einzelnen Falle zu prüfen, ob man es
mit einer Forderung zu tun habe, die nach diesen Grundsätzen sogleich voll
zu bezahlen ist. Sein Entscheid stellt eine sog. Administrativverfügung
dar, gegen die nach Art. 22 Abs. 3 VZEG beim Bundesgericht (und zwar
bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer, der nach Art. 8 Ziff. 2
lit. a des Bundesgerichtsreglementes die Leitung und Beaufsichtigung des
Masseverwalters obliegt) Beschwerde geführt werden kann.

Erwägung 2

    2.- Die Forderung der Beschwerdeführerin beruht nicht auf einem
Auftrag, den ihr der Masseverwalter im Interesse der Aufrechterhaltung des
Betriebes während des Liquidationsverfahrens erteilt hätte. Sie stützt sich
vielmehr auf einen Vertrag, den die Beschwerdeführerin vor Eröffnung der
Zwangsliquidation mit der Verwaltung der StEB abgeschlossen und erfüllt
hat. Die Voraussetzungen, unter denen nach dem Gesagten die sofortige
Bezahlung aus den Betriebseinnahmen und den übrigen Geldmitteln der Masse
zulässig ist, sind also bei der Forderung der Beschwerdeführerin nicht
erfüllt. Ob die von ihr reparierten Eisenschwellen für die Fortsetzung
des Betriebes während des Liquidationsverfahrens notwendig seien oder
nicht, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn es sich so verhielte, was der
Masseverwalter bestreitet, könnte die streitige Forderung nicht den bei
diesem Weiterbetrieb begründeten Forderungen gleichgestellt werden. Der
entscheidende Grund dafür, dass diese sogleich voll zu bezahlen sind,
liegt eben nicht darin, dass ihnen eine für die Fortsetzung des Betriebes
notwendige Leistung zugrunde liegt, sondern darin, dass sie auf eine
Anordnung des Masseverwalters zurückgehen, der die Masse vertritt und
seine Aufgabe, für die Weiterführung des Betriebes zu sorgen, nur zu
erfüllen vermag, wenn er denjenigen, deren Leistungen er zu diesem Zwecke
benötigt, Vollzahlung aus der Masse in Aussicht stellen kann. Eine nicht
vom Masseverwalter, sondern vor Eröffnung der Zwangsliquidation von der
Bahnverwaltung bestellte und bezogene Lieferung aus den Betriebseinnahmen
oder andern Geldmitteln der Masse vorweg zu bezahlen, rechtfertigt sich
nicht, selbst wenn der Betrieb nicht weitergeführt werden könnte, falls
sie unterblieben wäre. Die Forderungen aus vor Eröffnung der Liquidation
bestellten und erbrachten Leistungen, die sich als für die Fortsetzung
des Betriebes notwendig erweisen, in der von der Beschwerdeführerin
gewünschten Weise zu bevorrechten, geht im übrigen auch deswegen nicht an,
weil die Entscheidung der Frage, ob eine Leistung für den Weiterbetrieb
nötig sei, praktisch mit den grössten Schwierigkeiten verbunden wäre. Die
Gläubiger, die ihre Leistungen vor Eröffnung der Liquidation erbracht
haben, müssen also ohne Rücksicht auf die Bedeutung dieser Leistungen
für den Weiterbetrieb der Bahn während des Liquidationsverfahrens mit
dem Betreffnis vorlieb nehmen, das ihnen nach Massgabe der Rang- und
Verteilungsliste im Sinne von Art. 42 VZEG zukommen wird. Diese Lösung
entspricht auch den Grundsätzen des gewöhnlichen Konkursrechtes, das
nicht zulässt, eine Konkursforderung deshalb, weil die ihr zugrunde
liegende Leistung der von der ersten Gläubigerversammlung oder vom
Gläubigerausschuss beschlossenen Fortsetzung des vom Gemeinschuldners
betriebenen Gewerbes (Art. 237 Abs. 3 Ziff. 2 und Art. 238 Abs. 1 SchKG)
dient, vorweg zu bezahlen.

Erwägung 3

    3.- Die Berufung auf Art. 419 ff. OR kann der Beschwerdeführerin
nicht helfen. Das Verhältnis zwischen den Organen einer Bahnunternehmung,
der die Anordnung der Zwangsliquidation droht, und dem bei Eröffnung
dieser Liquidation eingesetzten Masseverwalter hat mit dem Verhältnis
zwischen zwei Privatpersonen, von denen die eine ohne Auftrag ein
Geschäft für die andere besorgt, nichts gemein. Selbst wenn man aber
die erwähnten Bestimmungen analog anwenden wollte, ergäbe sich daraus
keineswegs, dass der Dritte, der mit den Organen der Bahnunternehmung
ein Geschäft abgeschlossen hat, vom Masseverwalter verlangen könne,
dass seine Forderung aus der Masse vorweg bezahlt werde. Die Vorschriften
über die Geschäftsführung ohne Auftrag befassen sich überhaupt nicht mit
dem Verhältnis zu Dritten, sondern regeln nur einerseits die Haftung und
anderseits die Ansprüche des Geschäftsführers gegenüber dem Geschäftsherrn.

Erwägung 4

    4.- Unbehelflich ist auch der Hinweis auf Art. 10 Abs. 2
und Art. 11 des Bundesgesetzes über das Rechnungswesen der
Eisenbahnen vom 27. März 1896 (BS 7 S. 224). Diese Bestimmungen
beziehen sich nur auf die Betriebsrechnung und den Erneuerungsfonds
aufrechtstehender Bahnunternehmungen und sagen nichts darüber, wie im
Zwangsliquidationsverfahren Forderungen von der Art der streitigen
zu behandeln sind. Selbst wenn es sich aber noch anders verhielte,
müssten diese im Jahre 1896 erlassenen Bestimmungen gegenüber den die
Vorauszahlung der streitigen Forderung ausschliessenden Sonderregeln des
VZEG von 1917 zurücktreten.

Erwägung 5

    5.- Schliesslich vermöchte auch Art. 2 ZGB den Anspruch der
Beschwerdeführerin auf Vorauszahlung nicht zu stützen, selbst wenn es
zuträfe, dass der Bahnmeister und der Betriebsdirektor der StEB ihr vor
der Ablieferung der Eisenschwellen Zahlung aus den Betriebseinnahmen
auch für den Fall zugesichert haben, dass es zur Zwangsliquidation kommen
sollte, was der Masseverwalter bestreitet. Eine solche Zusicherung wäre
für den Masseverwalter nicht verbindlich und könnte nichts daran ändern,
dass die Beschwerdeführerin sich die gleiche Behandlung gefallen lassen
muss wie andere Gläubiger, welche die StEB vor Eröffnung der Liquidation
beliefert haben. Inwiefern die Verfügung des Masseverwalters gegen Art. 2
ZGB verstossen könnte, ist unter diesen Umständen nicht erfindlich.

Erwägung 6

    6.- Von einer Kostenauflage und der Zusprechung einer
Parteientschädigung ist abzusehen, da es sich um ein der Beschwerde nach
Art. 17 ff. SchKG analoges Verfahren handelt. Dem Masseverwalter bleibt
vorbehalten, seine Bemühungen in dieser Beschwerdesache in die aus der
Masse vorweg zu bezahlende Rechnung für seine Bemühungen und Auslagen im
vorliegenden Zwangsliquidationsverfahren einzustellen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.