Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 11



83 III 11

3. Entscheid vom 11. Februar 1957 i.S. Koller. Regeste

    Zwangsvollstreckung unter Ehegatten (Art. 173 ff. Z GB).  Zum Begriff
der einem Ehegatten gegenüber dem andern auferlegten "Beiträge" (Art. 176
Abs. 2 ZGB).

Sachverhalt

    A.- Die Eheleute Koller-Suter stehen im Scheidungsprozess vor dem
Bezirksgericht Rheinfelden. Am 17. Mai 1956 schlossen sie folgenden
Vergleich:

    "1. Der Ehemann verlässt die eheliche Wohnung und das Geschäft an der
Marktgasse in Rheinfelden für die Dauer des Prozesses. Er zieht spätestens
Ende Mai 1956 um.

    2. .....

    3. Der Ertrag des Geschäftes an der Marktgasse, sowie der Verdienst
des Ehemannes gehört den beiden Parteien gemeinsam je zur Hälfte.

    Es wird darüber halbjährlich, erstmals per 1. November 1956,
abgerechnet, und beiden Parteien jeweils auf diesen Termin das ihnen
zukommende Betreffnis ausbezahlt.

    4. A conto seines Guthabens gemäss Ziff. 3 hievor bezahlt die Ehefrau
dem Ehemann monatlich Fr. 800.--, erstmals Ende Mai 1956. Bezüge, die
der Ehemann vor Ende Mai 1956 aus der Kasse machen sollte, sind ihm
zu belasten.

    5.-8. ....."  Der Gerichtspräsident genehmigte diesen Vergleich am
5. Juni 1956.

    B.- Gemäss Ziff. 4 des Vergleiches überwies die Ehefrau dem Ehemann
in den Monaten Mai bis Oktober 1956 je Fr. 800.--. Am 2. November
1956 liess sie ihm mitteilen, sie habe ihrerseits Ansprüche aus seinem
Arbeitsverdienst und werde ihm daher für den Monat November nur Fr. 400.--
zugehen lassen. Noch bevor er diese Zahlung erhielt, setzte er Fr. 800.--
gegen die Ehefrau in Betreibung.

    C.- Über den ihr am 8. November 1956 zugestellten Zahlungsbefehl
Nr. 870 des Betreibungsamtes Rheinfelden beschwerte sich die Ehefrau
mit Berufung auf das Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten nach
Art. 173 ff. ZGB. Die Beschwerde wurde von der untern Aufsichtsbehörde
(Gerichtspräsident von Rheinfelden) gutgeheissen, von der obern kantonalen
Aufsichtsbehörde dagegen auf Rekurs des Ehemannes mit Entscheid vom
4. Januar 1957 abgewiesen.

    D.- Mit vorliegendem Rekurs hält die Ehefrau an ihrer Beschwerde fest.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Während der Ehe - also auch bei Hängigkeit eines
Scheidungsprozesses, ja selbst nach gerichtlicher Trennung der
Ehe - ist eine Zwangsvollstreckung unter den Ehegatten grundsätzlich
unzulässig. Vorbehalten sind nur die vom Gesetze vorgesehenen Ausnahmefälle
(Art. 173 Abs. 1, 174-176 ZGB). Der Ehemann Koller stützt die vorliegende
Betreibung auf Art. 176 Abs. 2 ZGB, wonach die Zwangsvollstreckung
unbeschränkt zulässig ist "für Beiträge, die dem einen Ehegatten
gegenüber dem andern durch den Richter auferlegt worden sind". Da der
von den Parteien am 17. Mai 1956 abgeschlossene Vergleich gerichtlich
genehmigt wurde, sind die darin vorgesehenen Leistungen gerichtlich
auferlegten gleichzuachten (BGE 77 III 50, Entscheid vom 28. April 1955
i.S. Keist). Somit bleibt zu prüfen, ob man es mit Beiträgen (subsides,
sovvenzioni) zu tun habe.

    Die untere Aufsichtsbehörde verneint es, während die obere den
Begriff des Beitrages auf die monatlichen Abschlagszahlungen aus dem
Geschäftsertrag ausdehnt. Indessen hat Art. 176 Abs. 2 ZGB an und für
sich nur Unterhaltsbeiträge im Auge. Diesen sind nach der Rechtsprechung
nur Leistungen gleichzuachten, die sich als Unterhaltsbeiträge in
einem weitern Sinne darstellen - so die Vorschüsse des Ehemannes an
die Kosten der Ehefrau für einen Scheidungsprozess (BGE 53 III 152,
vgl. auch BGE 66 II 71 und 72 I 149) - oder zu gerichtlich zugesprochenen
Unterhaltsansprüchen hinzutreten und billigerweise einen zusätzlichen
Aufwand aus Unterhaltsbezügen verhindern wollen (so die einem Ehegatten
neben Unterhaltsbeiträgen zugesprochene Prozessentschädigung, BGE 82
III 1). Hier liegt nichts Derartiges vor. Wenn die Ehefrau sich im
Vergleich vom 17. Mai 1956 verpflichtet hat, dem Ehemann monatliche
Abschlagszahlungen an den ihm gemäss halbjährlicher Abrechnung zustehenden
hälftigen Anteil am Geschäftsertrag zu leisten, lässt sich dies nicht
ohne weiteres dahin verstehen, die Ehefrau sei grundsätzlich gegenüber
dem Ehemann unterhaltspflichtig befunden worden. Die Abschlagszahlung
wie überhaupt die Ertragsbeteiligung des Ehemannes lassen sich vielmehr
zwanglos auf güterrechtlicher Grundlage, infolge der von den Eheleuten
vor einigen Jahren vereinbarten internen Gütergemeinschaft, erklären. Das
ist auch die von der untern Aufsichtsbehörde - dem Gerichtspräsidenten,
der den Vergleich vom 17. Mai 1956 genehmigt hatte - als einwandfrei
bezeichnete Vertragsmeinung. Handelt es sich aber, ohne Vereinbarung einer
Unterhaltspflicht der Ehefrau, um eine güterrechtliche, überdies an den
Vorbehalt von Rück- und Gegenforderungen der Ehefrau gemäss halbjährlicher
Abrechnung geknüpfte Ertragsbeteiligung des Ehemannes, so steht diesem
das Betreibungsprivileg des Art. 176 Abs. 2 ZGB nicht zu.

    Was die Vorinstanz für die Zuerkennung dieses Privilegs anführt,
ist nicht durchschlagend. Sie beruft sich auf den Zweck der erwähnten
Vorschrift, die zwangsweise Erfüllung von Leistungen zu ermöglichen,
"bei welchen die Hinausschiebung der Liquidation bis zur Auflösung der
ehelichen Gemeinschaft oder auch nur bis zur Auflösung des ehelichen
Vermögens. .. mit dem Zweck der Beitragspflicht im Widerspruch stünde"
(so formuliert in BGE 48 III 125 und 53 III 153). Damit ist aber nur
der gesetzgeberische Grund der Ausnahme der Unterhaltsbeiträge vom
Betreibungsverbot umschrieben, keineswegs eine umfassende Rechtsnorm
aufgestellt, die über die gesetzlichen Bestimmungen hinausginge. Sodann
heisst es in der vorinstanzlichen Begründung, die von der Ehefrau
im Vergleich übernommenen Zahlungspflichten wären bei Ausschluss des
Betreibungsweges sinnlos. Allein es ist bereits entschieden worden,
dass auch in aller Form unter Ehegatten rechtsgeschäftlich begründete
Forderungen, sofern keine gesetzliche Ausnahme Platz greift, vom
Betreibungsverbot betroffen sind (BGE 48 III 126 oben). Endlich wird
ausgeführt, der Ehemann wäre bei Verweigerung der Zwangsvollstreckung auf
die güterrechtliche Auseinandersetzung im Scheidungsprozess angewiessen,
was man mit dem Vergleich gerade habe verhindern wollen. Wesentlich
ist aber für die Anwendung von Art. 176 Abs. 2 ZGB einzig, ob die
Ehefrau als unterhaltspflichtig erklärt worden sei und die vereinbarten
Abschlagszahlungen nur als eine besondere Art der Unterhaltsleistungen
zu betrachten seien. Da dies nach dem Gesagten nicht anzunehmen ist,
entfällt die Anwendung von Art. 176 Abs. 2 ZGB, bleibt es also beim
Verbot der Zwangsvollstreckung. Der Vergleich geht übrigens von der
Arbeitsfähigkeit des Ehemannes aus und rechnet mit einem Arbeitsverdienst,
den er seinerseits gemäss halbjährlicher Abrechnung mit der Ehefrau zu
teilen habe. Vermag der Ehemann sich aus eigenem Arbeitserwerb zu erhalten,
so ist er für seinen Lebensunterhalt nicht auf eine güterrechtliche
Auseinandersetzung angewiesen, sobald regelmässige Leistungen der Ehefrau
ausbleiben. Im übrigen steht ihm das Recht zu, richterliche Massnahmen
nach Art. 145 ZGB anzubegehren, wenn er geltend machen will, die Ehefrau
halte sich nicht an den Vergleich, oder wenn er eigentliche (nach Art. 176
Abs. 2 ZGB vollstreckbare) Unterhaltsansprüche erheben zu können glaubt

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen und die Betreibung Nr. 870 des
Betreibungsamtes Rheinfelden aufgehoben.