Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 83 III 1



83 III 1

1. Entscheid vom 14. Februar 1957 i.S. Mühlethaler. Regeste

    Rekurs an das Bundesgericht (Art. 19 SchKG) gegen kantonale
Rechtsvorschriften oder interne Dienstanweisungen der kantonalen
Aufsichtsbehörden?

    Lohnpfändung. Das Betreibungsamt kann den Schuldner beim
Pfändungsvollzug unter Hinweis auf die Strafdrohung von Art. 292 StGB
auffordern, ihm jeden Wechsel der Arbeitsstelle und jede Änderung der
Verdienstverhältnisse unverzüglich zu melden.

Sachverhalt

    In der Betreibung Nr. 19'962 gegen Hermann Mühlethaler vollzog
das Betreibungsamt Zürich 11, 1. Abteilung, am 2. Oktober 1956 eine
Lohnpfändung. In der Pfändungsurkunde brachte es folgende Bemerkung an:

    "Anmerkung für den Schuldner: Der Schuldner hat jeden Wechsel
der Arbeitsstelle dem Betreibungsamt unverzüglich zu melden, ebenso
jede Änderung in den Verdienstverhältnissen. Es wird ausdrücklich auf
Art. 96 SchKG, sowie die Strafbestimmungen der Art. 169 und 323 des
Strafgesetzbuches aufmerksam gemacht."

    Diese Anmerkung stützt sich auf Art. 147 der Anweisung des
Obergerichtes des Kantons Zürich zum SchKG sowie zum GebT vom 11. Februar
1952, dessen Absatz 1 lautet:

    "Der Schuldner ist in der Pfändungsurkunde anzuweisen, dem
Betreibungsamt jeden Wechsel der Arbeitsstelle zu melden. Unterlässt er
dies, so hat das Betreibungsamt die Aufforderung zu wiederholen, sofern
ihm die neue Arbeitsstelle nicht bekannt ist."

    Der Hinweis auf Art. 96 SchKG und die Aufforderung, ausser einem
Stellenwechsel auch jede Änderung in den Verdienstverhältnissen dem
Betreibungsamt zu melden, sind dem der obergerichtlichen Anweisung
beigefügten Beispiel einer Pfändungsurkunde mit Lohnpfändung entnommen
(Anhang XIX/9, S. 223).

    Gegen die wiedergegebene Anmerkung führte der Schuldner Beschwerde
mit dem Antrag, sie sei als unzulässig aufzuheben. Von der untern
und mit Entscheid vom 29. Januar 1957 auch von der obern kantonalen
Aufsichtsbehörde abgewiesen, rekurriert er an das Bundesgericht mit dem
Antrag, jene Anmerkung sei als unzulässig und Art. 147 der Anweisung des
zürcherischen Obergerichtes als gesetzwidrig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Antrag, Art. 147 der obergerichtlichen Anweisung sei als
gesetzwidrig zu erklären, ist neu. Da bereits die untere Aufsichtsbehörde
diese Bestimmung angerufen hatte, hätte der Rekurrent Gelegenheit
gehabt, diesen Antrag schon vor der obern kantonalen Aufsichtsbehörde zu
stellen. Das hat er nicht getan. In der Begründung seines Rekurses an
die Vorinstanz bemerkte er zwar, er "widersetze" sich der fraglichen
Bestimmung, "da ein solches Vorgehen ... Freiheit raubend und
gesetzwidrig ist." Die Aufhebung dieser Bestimmung hat er aber damals
noch nicht beantragt. Auf den hierauf gerichteten Antrag im Rekurs an
das Bundesgericht ist daher schon gemäss Art. 79 des Bundesgesetzes
über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943 (OG)
nicht einzutreten.

    Hievon abgesehen erweist sich dieser Antrag auch deswegen als
unzulässig, weil das Bundesgericht im Rekursverfahren gemäss Art. 19 SchKG
nur die in konkreten Fällen getroffenen Entscheidungen, nicht dagegen
kantonale Rechtsvorschriften oder die internen Dienstanweisungen der
kantonalen Aufsichtsbehörden wegen Gesetzwidrigkeit aufheben oder abändern
kann. Mit einer solchen Dienstanweisung hat man es beim erwähnten Erlass
des zürcherischen Obergerichtes (der laut dem Alphabetischen Titelregister
der am 1. Januar 1956 geltenden Gesetzgebung des Kantons Zürich nicht in
der Gesetzessammlung veröffentlicht wurde) zu tun. Das Bundesgericht kann
zu solchen Anweisungen im Rekursverfahren nur insofern Stellung nehmen,
als es dann, wenn die kantonalen Instanzen sie in einem bestimmten Fall
angewendet haben, frei prüfen kann, ob sie mit dem Bundesrecht vereinbar
seien.

Erwägung 2

    2.- Die Aufforderung an den Schuldner, dem Betreibungsamt jeden
Stellenwechsel und jede Änderung in den Verdienstverhältnissen zu melden,
kann sich nicht auf den Art. 91 SchKG stützen, den die Vorinstanz in
ihrem Entscheid in erster Linie anruft. Diese Bestimmung verpflichtet den
Schuldner nur, der Pfändung beizuwohnen oder sich bei derselben vertreten
zu lassen und seine Vermögensgegenstände mit Einschluss der nicht in
seinem Gewahrsam befindlichen Sachen sowie seiner Forderungen und Rechte
gegenüber Dritten anzugeben, soweit dies zu einer genügenden Pfändung
nötig ist, und dem Beamten auf Verlangen Räumlichkeiten und Behältnisse
zu öffnen. Sie bezieht sich also ausschliesslich auf das Verhalten des
Schuldners im Zeitpunkt des Pfändungsvollzuges, nicht dagegen auf sein
späteres Verhalten im Falle, dass seine Verhältnisse sich ändern.

    Ebensowenig lässt sich die dem Schuldner auferlegte Meldepflicht
aus Art. 96 SchKG ableiten, auf den das Betreibungsamt in Übereinstimmung
mit dem der obergerichtlichen Anweisung beigefügten Beispiel hingewiesen
hat. Das hier aufgestellte Verbot der Verfügung über gepfändete
Gegenstände, auf das der Beamte den Schuldner bei der Pfändung aufmerksam
zu machen hat, schliesst nicht das Gebot in sich, dem Betreibungsamt
Stellenwechsel und Änderungen des Verdienstes mitzuteilen.

    Die Zulässigkeit der an den Rekurrenten gerichteten Aufforderung
ergibt sich dagegen aus dem Wesen der Lohnpfändung und den hieraus sich
ergebenden Grundsätzen für die Durchführung dieser Massnahme.

    a) Die Lohnpfändung erfasst künftige Lohnguthaben des Schuldners. Sie
muss deshalb allfälligen Änderungen der Verdienstverhältnisse, die während
ihrer Dauer eintreten, angepasst werden. Gläubiger und Schuldner können
dies erreichen, indem sie beim Betreibungsamt ein Revisionsgesuch stellen
(BGE 50 III 124, 77 III 69, 78 III 129 Erw. 2). Das Betreibungsamt hat
die Lohnpfändung aber auch ohne Begehren eines Beteiligten von Amtes
wegen zu revidieren, sobald es auf irgendeine Weise erfährt, dass die
derzeitige Bemessung den Verhältnissen nicht mehr entspricht (vgl. den
zuletzt angeführten Entscheid). Die für die Festsetzung der pfändbaren
Lohnquote erheblichen Tatsachen sind nach ständiger Rechtsprechung
grundsätzlich von Amtes wegen abzuklären (BGE 54 III 236, 74 III 71, 81
III 152). Demnach muss das Betreibungsamt berechtigt sein, über allfällige
Änderungen der Verdienstverhältnisse des Schuldners, welche die Festsetzung
des Lohnabzuges beeinflussen können, vor allem also über Änderungen der
Höhe oder Art der Entlöhnung, die nötigen Erhebungen zu machen und den
Schuldner anzuhalten, ihm hierüber Meldung zu erstatten und alle Auskünfte
zu geben, die für die neue Bestimmung der pfändbaren Lohnquote erforderlich
sind. Die dem Rekurrenten erteilte Weisung, dem Betreibungsamt solche
Änderungen anzuzeigen, ist also zweifellos gerechtfertigt.

    b) Zulässig ist aber auch die Aufforderung, dem Betreibungsamt jeden
Stellenwechsel zu melden, und zwar gilt dies auch dann, wenn mit dem
Stellenwechsel keine Änderung der für die Bestimmung der pfändbaren
Lohnquote massgebenden Verhältnisse verbunden ist. Die Lohnpfändung
erfasst nicht nur den Lohn aus dem Dienstverhältnis, in welchem der
Schuldner zur Zeit des Pfändungsvollzuges gerade steht, und geht daher
im Falle des Stellenwechsels nicht unter, sondern beschlägt fortan ohne
weiteres den Lohn aus dem neuen Dienstverhältnis (BGE 78 III 128). Da
die in Art. 99 SchKG vorgeschriebene Anzeige an den Drittschuldner
keine wesentliche Bedingung des Pfändungsvollzuges ist, sondern eine
zu diesem hinzutretende Sicherungsmassnahme darstellt (vgl. den eben
angeführten Entscheid und die dortigen Hinweise), hängt die Fortgeltung
der Lohnpfändung nicht von der Anzeige an den neuen Arbeitgeber ab. Der
Gläubiger hat aber Anspruch darauf, dass diese Anzeige unverzüglich
erfolgt, da sonst der Schuldner die Wirksamkeit der Lohnpfändung praktisch
vereiteln könnte. Der rechtzeitige Erlass dieser Anzeige setzt voraus,
dass das Betreibungsamt vom Stellenwechsel sofort Kenntnis erhält. Hiefür
ist eine Meldung des Schuldners notwendig. Es gehört also zur richtigen
Durchführung der Lohnpfändung, dass das Betreibungsamt den Schuldner beim
Pfändungsvollzug zu einer solchen Meldung auffordert.

    Die Weisung, die das Betreibungsamt dem Rekurrenten im ersten Satz der
angefochtenen Anmerkung erteilt hat, ist demnach zu billigen. Sie stellt
so wenig wie die Lohnpfändung selber, in deren Natur sie begründet ist,
einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit des Schuldners dar.

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, welche Straffolgen dem Schuldner für den Fall
der Nichtbefolgung dieser Weisung angedroht werden dürfen.

    Art. 169 StGB, der die Verfügung über gepfändete, arrestierte oder
amtlich aufgezeichnete Sachen unter Strafe stellt, kommt in diesem Falle
nicht zur Anwendung. Die Missachtung der Aufforderung, dem Betreibungsamt
Stellenwechsel und Änderungen der Verdienstverhältnisse zu melden, bedeutet
offensichtlich keine derartige Verfügung. (Art. 169 StGB greift hingegen
dann ein, wenn der Schuldner eigenmächtig zum Nachteil der Gläubiger
über gepfändete Lohnbeträge verfügt, die z.B. deswegen, weil dem neuen
Arbeitgeber die Lohnpfändung mangels Meldung des Stellenwechsels noch nicht
angezeigt werden konnte, an ihn statt an das Betreibungsamt ausbezahlt
wurden; vgl. BGE 82 IV 187, wo sogar die Verfügung über gepfändete
Trinkgelder unter diese Bestimmung gezogen wurde.)

    Art. 323 StGB, den das Betreibungsamt neben Art. 169 StGB angeführt
hat, stellt die Nichtbefolgung der hier in Frage stehenden Weisung
ebenfalls nicht unter Strafe. Da die Pflicht des Schuldners, die ihm vom
Betreibungsamt vorgeschriebene Meldung zu erstatten, sich nicht aus Art. 91
SchKG ableiten lässt (vgl. Erw. 2), ist es (entgegen der Auffassung,
die BGE 78 III 129, Erw. 1 am Ende, zugrunde zu liegen scheint) nicht
möglich, die Verletzung dieser Pflicht nach Art. 323 Ziff. 1 oder 2 StGB
zu bestrafen, wo der Schuldner mit Strafe bedroht wird, welcher den ihm
durch Art. 91 Abs. 1 SchKG auferlegten Pflichten nicht nachkommt.

    Das StGB enthält aber auch sonst keinen besondern
Ungehorsamstatbestand, der durch die Missachtung der in Frage stehenden
Weisung erfüllt würde. Es handelt sich dabei um einen rein passiven,
d.h. in einer blossen Unterlassung bestehenden Ungehorsam. Die Art. 323
und 324, die vom Ungehorsam des Schuldners bzw. dritter Personen in
Betreibungs- und Konkurssachen handeln, sind die einzigen Bestimmungen,
die für rein passiven Ungehorsam in solchen Angelegenheiten eine besondere
(d.h. gerade für diesen Fall geltende) Strafdrohung aufstellen (BGE 81
IV 327 f.).

    Das heisst aber nicht, dass dem Schuldner für den Fall der Missachtung
der ihm erteilten Weisung keine Strafe angedroht werden könne. Vielmehr
hat das Betreibungsamt die Möglichkeit, die Aufforderung an den Schuldner,
ihm jeden Stellenwechsel und jede Änderung der Verdienstverhältnisse
unverzüglich zu melden, unter Hinweis darauf zu erlassen, dass ihre
Nichtbefolgung als Ungehorsam gegen eine amtliche Verfügung gemäss Art. 292
StGB mit Haft oder mit Busse bestraft würde. Diese subsidiäre Bestimmung
greift gerade dort ein, wo ein besonderer Ungehorsamstatbestand fehlt (BGE
70 IV 180, 73 IV 129, 75 III 110, 78 I 178 Erw. 2, 81 IV 328 Erw. 2) und
kann insbesondere auch im Gebiete des Betreibungs- und Konkursverfahrens
Anwendung finden (BGE 70 IV 180, 75 III 110, 78 III 129, 79 III 114 lit. b,
81 IV 328 Erw. 2).

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.