Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 I 32



82 I 32

5. Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. Mai 1956 i.S. Scheller gegen
Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Wahl der Vornamen. Bei Prüfung der Frage, ob ein Vorname im Sinne von
Art. 69 Abs. 2 ZStV die Interessen des Kindes oder Dritter offensichtlich
verletze, ist massgebend, wie er im Volk aufgefasst wird. Darf ein
Vorname zurückgewiesen werden, weil er in einem andern Landesteil auf
das entgegengesetzte Geschlecht bezogen wird? ("Andrea" als Mädchenname
in der deutschen Schweiz).

Sachverhalt

    Dr. Heinz Friedrich Scheller-Amsler, von Adliswil (Zürich), in Basel,
will seine am 17. Dezember 1955 in Basel geborene Tochter "Ursula Andrea"
nennen. Das Zivilstandsamt des Kantons Basel-Stadt lehnte die Eintragung
des Vornamens "Andrea" ab mit der Begründung, dies sei ein Knabenname,
nämlich die im italienischen und rätoromanischen Sprachgebiet geltende
Form von "Andreas". Das Justizdepartement und der Regierungsrat des
Kantons Basel-Stadt haben im gleichen Sinne entschieden. Gegen den
regierungsrätlichen Entscheid vom 7. Februar 1956 führt Dr. Scheller
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht mit dem Antrag, das
Zivilstandsamt sei anzuweisen, seine Tochter mit den von ihm gewünschten
Vornamen ins Geburtsregister einzutragen. Der Regierungsrat beantragt
Abweisung, das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement dagegen Gutheissung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Gemäss Art. 275 Abs. 3 ZGB, der altem Herkommen entspricht, geben die
Eltern dem Kinde den Personennamen. Art. 69 Abs. 2 der Verordnung über das
Zivilstandswesen vom 1. Juni 1953 (ZStV) erlaubt den Registerbehörden,
Vornamen zurückzuweisen, "die die Interessen des Kindes oder Dritter
offensichtlich verletzen, insbesondere anstössige oder widersinnige sowie
Vornamen, die allein oder zusammen mit andern das Geschlecht des Kindes
nicht eindeutig erkennen lassen". Von dieser Beschränkung abgesehen,
sind die Eltern in der Namensgebung frei und dürfen sich die Behörden
ihren Wünschen nicht widersetzen, auch wenn ihnen die von den Eltern
gewählten Namen missfallen (BGE 69 I 62 f.). Es handelt sich hier,
wie das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement zutreffend hervorhebt,
um sehr persönliche Dinge, in die sich der Staat nicht ohne zwingende
Gründe einmischen soll. Dem freien Ermessen, das der Regierungsrat den
Registerbehörden zugestehen möchte, sind also sehr enge Grenzen gesetzt.

    Bei Prüfung eines Vornamens unter dem Gesichtspunkte von Art. 69
Abs. 2 ZStV ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht dessen
"sprachwissenschaftliche Bedeutung" entscheidend, sondern es kommt darauf
an, wie er im Volke aufgefasst wird. Ob ein Vorname die nach dieser
Bestimmung beachtlichen Interessen verletze, zeigt sich im Verkehr mit den
Mitmenschen, den das Alltagsleben mit sich bringt, und nicht bei einer
Untersuchung seiner Bedeutung nach den Methoden der Sprachwissenschaft,
die ja die Sprache und ihre Regeln nicht schafft, sondern als zulässig
und richtig anerkennen muss, was sich im Sprachgebrauch durchgesetzt hat.

    Es trifft nun ohne Zweifel zu, dass der Name "Andrea" im italienischen
und rätoromanischen Sprachgebiet als männlicher Vorname gilt (wie deutsch
"Andreas"). Das ist jedoch im vorliegenden Falle nicht entscheidend,
weil man es hier nicht mit einem Kinde aus einer im italienischen oder
romanischen Sprachgebiet beheimateten oder wohnhaften Familie zu tun hat,
sondern mit einem Kinde deutschschweizerischer Herkunft, das mit seinen
Eltern in der deutschen Schweiz wohnt. In einem solchen Falle ist auf den
Sprachgebrauch in diesem Landesteil abzustellen. Die Rücksicht auf das
Bestehen mehrerer Nationalsprachen kann nicht so weit getrieben werden,
dass im einen Landesteil ein Name schon deshalb verboten wird, weil er
in einem andern auf das entgegengesetzte Geschlecht bezogen wird.

    Im deutschen Sprachgebiet wird der Vorname "Andrea" gemeinhin als
weiblich empfunden. Er bildet hier das weibliche Gegenstück zum männlichen
Vornamen "Andreas", ähnlich wie im Französischen "Andrée" das Gegenstück
zu "André" bildet. Dies gilt vorab für Deutschland und Österreich,
wie aus den zahlreichen vom Beschwerdeführer vorgelegten Bestätigungen
deutscher und österreichischer Amtsstellen hervorgeht und durch das
französisch- deutsche Wörterbuch von Sachs-Villatte bestätigt wird, das
"Andrée" mit "Andrea" übersetzt, aber auch für die deutsche Schweiz. Der
Beschwerdeführer vermochte nachzuweisen, dass die Zivilstandsbehörden
den Namen "Andrea", insbesondere zusammen mit einem andern weiblichen
Vornamen, in einer ganzen Reihe deutschschweizerischer Kantone als
Mädchennamen entgegennehmen. Sogar in Davos, also in unmittelbarer
Nachbarschaft des romanischen Landesteils, wurde ein Mädchen mit den Namen
"Andrea Leonore" eingetragen. Der Name "Andrea" hat sich also auch in der
deutschen Schweiz als weiblicher Name durchgesetzt. Dass dieser Name in
andern Landesgegenden als Männername gilt, ist den Deutschschweizern im
allgemeinen nicht gegenwärtig. Jedenfalls wird er in der deutschen Schweiz
in aller Regel dann nicht so aufgefasst, wenn er als Vorname einer Person
mit einem deutschsprachigen Familiennamen erscheint. Missverständnisse
sind vollends ausgeschlossen, wenn der Name "Andrea" nicht allein,
sondern zusammen mit einem andern weiblichen Vornamen verwendet wird.
Wenn die Eheleute Scheller in Basel ihr Kind "Ursula Andrea" benennen
wollen, kann also keine Rede davon sein, dass im Sinne von Art. 69 Abs. 2
ZStV seine Vornamen sein Geschlecht nicht eindeutig erkennen lassen.

    Es lässt sich aber auch nicht im Ernste behaupten, dass der Vorname
"Andrea" die Interessen der Tochter des Beschwerdeführers oder die
Interessen Dritter in anderer Weise verletze, insbesondere dass er
anstössig oder widersinnig sei. Die Ansicht des Regierungsrates, dass
"Andrea" im Grunde genommen der männliche Vorname schlechthin sei und,
auf ein Mädchen bezogen, nur mit "Mannweib" übersetzt werden könnte,
ist gänzlich verfehlt. Der volkstümliche Sprachgebrauch, auf den es hier
ankommt, kümmert sich nicht um die sprachliche Abstammung eines Namens,
und im übrigen bezeichnet das griechische Eigenschaftswort, auf das die
Namen "Andreas" und "Andrea" zurückgeführt werden können, im übertragenen
Sinne moralische Qualitäten, die auch einem Mädchen und einer Frau wohl
anstehen (so namentlich: mutig, tapfer, tüchtig).

    Der angefochtene Entscheid verstösst also offensichtlich gegen Art. 275
Abs. 3 ZGB und Art. 69 Abs. 2 ZStV.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und das Zivilstandsamt Basel-Stadt angewiesen, die am 17. Dezember 1955
geborene Tochter des Beschwerdeführers mit den Vornamen "Ursula Andrea"
ins Geburtsregister einzutragen.