Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 I 150



82 I 150

21. Urteil vom 23. Mai 1956 i.S. Hammel und Konsorten gegen Antaris
Immobilien A.-G. sowie Regierungsrat und Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt. Regeste

    "Gleichartige Betriebe" und "verschiedene Arten von Wirtschaften"
im Sinne von Art. 31ter Abs. 1 BV:

    Das Bedürfnis nach Art. 31ter Abs. 1 BV (und § 35 Abs. 1 des
Wirtschaftsgesetzes des Kantons Basel-Stadt) ist nicht nur für
alkoholführende und alkoholfreie Wirtschaften gesondert zu prüfen,
sondern auch für Untergruppen innerhalb dieser beiden Hauptkategorien.

Sachverhalt

    A.- Das Wirtschaftsgesetz des Kantons Basel-Stadt (WG) bestimmt in §
35 Abs. 1:

    "Die in § 7 Ziffern 1-5 aufgeführten Patente werden nur erteilt,
wenn der Betrieb unter Berücksichtigung der Zahl und der Verteilung
gleichartiger Betriebe einem Bedürfnis im Sinne der Artikel 31ter und
32quater der Bundesverfassung entspricht."

    B.- Mit Verfügung vom 7. November 1954 bewilligte das
Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt der Beschwerdegegnerin die
teilweise Übertragung des Patentes des Hotels "Storchen", Stadthausgasse
25, auf den Neubau Claraplatz 1, zur Errichtung und zum Betrieb einer
alkoholführenden Wirtschaft, nachdem sich die Beschwerdegegnerin bereit
erklärt hatte, von der gesamten Wirtschaftsfläche von 1127 m2 nur noch
500 m2 zu beanspruchen, nämlich 270 m2 für das neue Restaurant "Storchen"
und 230 m2 für die Wirtschaft am Claraplatz. Ein vom kantonalen Wirteverein
im Namen verschiedener Wirte erhobener Rekurs wurde vom Regierungsrat am
4. Januar 1955 abgewiesen, ebenso ein gegen dessen Beschluss erklärter
Rekurs vom Appellationsgericht als Verwaltungsgericht am 12. August
1955. Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragen die
Beschwerdeführer die Aufhebung der Entscheide des Polizeidepartementes
und des Verwaltungsgerichtes wegen Verletzung von Art. 31ter BV und § 35
WG sowie von Art. 4 BV (Willkür). Das Verwaltungsgericht verzichtet auf
Vernehmlassung. Der Regierungsrat und die Beschwerdegegnerin beantragen
die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit Bezug auf die Rüge der Verletzung des Art. 31ter BV kann auf
die Beschwerde nicht eingetreten werden. Diese Verfassungsbestimmung dient
nicht dem Schutze individueller Rechte. Sie räumt überhaupt keine Rechte
gegen die Staatsgewalt ein, sondern ermächtigt die kantonale Staatsgewalt,
die in Art. 31 BV gewährleistete Handels- und Gewerbefreiheit unter
bestimmten Voraussetzungen einzuschränken. Wenn ein Kanton von dieser
Ermächtigung Gebrauch macht und dabei Interessen Privater schützt, so
ist es ein Schutz kantonalen Rechtes. Unter dem Gesichtswinkel einer mit
staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren Verletzung verfassungsmässiger
Rechte der Bürger (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) kommt dabei - wenn sich die
Anfechtung, wie hier, nicht gegen die kantonale Ordnung selbst richtet -
lediglich ein Verstoss gegen Art. 4 BV in Frage (BGE 79 I 159).

Erwägung 2

    2.- Auf Grund von § 35 Abs. 1 WG, der die Erteilung von
Wirtschaftspatenten nur gestattet, wenn der geplante Betrieb einem
Bedürfnis im Sinne der Art. 31ter und 32quater BV entspricht, ist das
Interesse der Beschwerdeführer als Inhaber von Wirtschaftsgewerben an der
Beschränkung der Zahl von Konkurrenzbetrieben rechtlich geschützt. Sie
sind daher zur vorliegenden Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG; BGE 79 I
160 f.), soweit sie bereits am kantonalen Verfahren beteiligt waren und
den kantonalen Instanzenzug erschöpft haben (Art. 87 OG).

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführer erheben die Rüge der Willkür vor allem
gegenüber der von den kantonalen Behörden vertretenen Auffassung, dass
bei der Auslegung der Bedürfnisklausel, wie sie gestützt auf Art. 31
ter Abs. 1 BV in die Bestimmung des § 35 Abs. 1 WG aufgenommen worden
ist, nicht nur zwischen den alkoholführenden und den alkoholfreien
Wirtschaften zu unterscheiden, sondern dass auch den innerhalb dieser
Kategorien bestehenden Verschiedenheiten durch weitere Unterteilungen
Rechnung zu tragen sei. Sie machen geltend, dass beim bundesrechtlichen
Begriff der Gleichartigkeit der Betriebe das Vorhandensein oder Fehlen des
Alkoholausschankes das einzige Unterscheidungsmerkmal darstelle. Allein
diese Auslegung stimme mit dem Willen des Verfassungsgesetzgebers
überein. Ihr entspreche auch § 7 Abs. 1 Ziff. 2 WG, der alle Wirtschaften,
die in der tatsächlichen Ausgestaltung voneinander abweichen können,
unter den beiden für die Erteilung von Patenten allein massgebenden Arten
der alkoholführenden und alkoholfreien Wirtschaften zusammenfasse.

    Richtig ist, dass in der parlamentarischen Beratung des Art.
31ter Abs. 1 BV die Ausdrücke "gleichartige Betriebe" und "Bedeutung der
verschiedenen Arten von Wirtschaften" im Hinblick auf die Gliederung der
Wirtschaften in solche mit und solche ohne Alkoholausschank verwendet
wurden. Durch diese Differenzierung sollte im Interesse der Förderung
alkoholfreier Betriebe vermieden werden, dass das Bedürfnis für die
Eröffnung einer alkoholfreien Wirtschaft mit der Begründung verneint
werde, dass schon genügend alkoholführende Wirtschaften vorhanden seien,
in denen auch alkoholfreie Getränke abgegeben werden. Immerhin wurde
in der parlamentarischen Beratung eine weitere Unterteilung innerhalb
der alkoholfreien Wirtschaften zugunsten gemeinnütziger Zwecke
erwähnt (Sten. Bull. 1939 Ständerat S. 397; 1945 Ständerat S. 257;
1946 Nationalrat S. 70 ff.). Jedenfalls hindert der Verfassungstext
nicht, den Verschiedenheiten innerhalb der beiden Hauptgruppen der
alkoholführenden und der alkoholfreien Wirtschaften durch Unterteilung
dieser Kategorien Rechnung zu tragen. Dass der Gesetzgeber vor allem an
die beiden Hauptgruppen dachte, schliesst die durch den Verfassungstext
gedeckte Unterteilung in Untergruppen nicht aus; denn für die Auslegung
ist in erster Linie massgebend, was der Wortlaut der Verfassung besagt
und was sich aus ihrem System ergibt, und nicht oder nur hilfsweise, was
zu jener Zeit der Gesetzgeber gemeint hat (BGE 78 I 30 und dort genannte
frühere Urteile). Ein starres Festhalten an den Vorstellungen zur Zeit des
Erlasses eines Gesetzes würde dessen Anpassung an veränderte Tatsachen,
Gegebenheiten und Anschauungen verhindern und zu einer raschen Überalterung
der Gesetzgebung führen (vgl. MEIER-HAYOZ, Die Bedeutung der Materialien
für die Gesetzesanwendung, SJZ 48, S. 229 ff.). Das Bundesgericht hat denn
auch bei der Prüfung der Bedürfnisfrage auf Grund des früheren Art. 31
lit. c BV (heute Art. 32 quater Abs. 1 BV) zwischen den verschiedenen Arten
und Zweckbestimmungen von Wirtschaften unterschieden (BGE 38 I 465; 51 I
26 f. und 31). Bei der Feststellung des Bedürfnisses gemäss Art. 31ter
Abs. 1 BV drängt sich eine Unterteilung innerhalb der beiden Hauptgruppen
der alkoholführenden und alkoholfreien Wirtschaften geradezu auf; denn
oft ist eine existenzgefährdende Konkurrenzierung zwischen verschiedenen
Arten von Betrieben innerhalb der Kategorie der alkoholführenden oder
alkoholfreien Wirtschaften gar nicht denkbar (beispielsweise zwischen
einem teuren Dancing und einer einfachen Arbeiterwirtschaft), in welchen
Fällen die Anwendung der Bedürfnisklausel als gewerbepolitische Massnahme
zum Schutze der Gewerbegenossen sinnlos wäre. In der Literatur wird denn
auch die Auffassung vertreten, dass das Bedürfnis nach Art. 31ter Abs. 1
BV nicht nur für alkoholführende und alkoholfreie Wirtschaften gesondert
zu prüfen sei, sondern auch für Untergruppen innerhalb dieser beiden
Hauptkategorien (MARTI, Handels- und Gewerbefreiheit, S. 189; STEINER,
in Festgabe für Nawiasky, S. 72 f.; LEUCH, Der Bedürfnisnachweis im
Wirtschaftsgewerbe nach den neuen Wirtschaftsartikeln, Berner Diss. 1950,
S. 46 f.).

    Ergibt aber die Auslegung des Art. 31ter Abs. 1 BV, dass innerhalb
der Kategorien der alkoholführenden und alkoholfreien Wirtschaften
das Bedürfnis nach der Zahl gleichartiger Betriebe von Untergruppen zu
beurteilen ist, so muss dies auch mit Bezug auf § 35 Abs. 1 WG gelten,
der die Terminologie des Art. 31ter Abs. 1 BV (gleichartige Betriebe)
übernommen hat. Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass § 7 WG
innerhalb der Wirtschaften lediglich zwischen solchen mit und solchen
ohne Alkoholausschank unterscheidet (Abs. 1 Ziff. 2); denn dort ist
ausschliesslich der Gesichtspunkt der Patenterteilung massgebend. Das
Bundesgericht hat übrigens diesen Standpunkt implizite bereits in dem
in BGE 79 I 155 ff. veröffentlichten Urteil eingenommen, indem es eine
dahingehende Argumentation des Verwaltungsgerichts als sorgfältig abgewogen
und überzeugend erklärte.

    Aus diesen Gründen war es auf keinen Fall willkürlich, wenn die
kantonalen Behörden die Bewilligung zur teilweisen Übertragung des
streitigen Wirtschaftspatentes nicht einfach unter dem Gesichtswinkel
prüften, ob am Claraplatz ein Bedürfnis nach einer weiteren
alkoholführenden Wirtschaft bestehe, sondern untersuchten, ob an diesem
Ort für einen Betrieb von der geplanten Art ein Bedürfnis bestehe.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer anerkennen zwar Selbstbedienung, Diät-
und Diabetikerküche an sich als Unterscheidungsmerkmale. Sie rügen es
indessen als willkürlich, im vorliegenden Falle darauf abzustellen;
denn es bestehe hier kein Bedürfnis nach solchen Einrichtungen, weshalb
der Beschwerdegegnerin, wenn sie sie in der Folge beseitige, das Patent
deswegen nicht entzogen werden könne.

    Bei der Frage, ob ein Bedürfnis für eine Wirtschaft bestehe, handelt
es sich im wesentlichen um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse
nach freiem Ermessen der Bewilligungsbehörde. Das Bundesgericht kann
daher deren Entscheid nicht frei überprüfen, zumal da es mit den
tatsächlichen örtlichen Verhältnissen weniger vertraut ist als die
kantonale Behörde. Nach feststehender Rechtsprechung weicht es daher
bei der Prüfung der Bedürfnisfrage nicht ohne zwingenden Grund von der
Auffassung der obersten kantonalen Behörde ab, sondern nur dann, wenn
sich deren Entscheid als geradezu willkürlich, schlechterdings unhaltbar
erweist, in welchem Falle Art. 4 BV verletzt ist (BGE 51 I 25 f.; 54 I
91; nicht veröffentlichte Urteile vom 15. Mai 1936 i.S. Dürig und vom
12. September 1951 i.S. Lüscher).

    Die Beschwerdeführer machen geltend, die kantonalen Behörden hätten in
willkürlicher Weise zu prüfen unterlassen, ob am Claraplatz ein Bedürfnis
nach einer Wirtschaft mit Selbstbedienung, Diät- und Diabetikerküche
bestehe. Der Regierungsrat hat jedoch diese Frage geprüft und ist zur
Auffassung gelangt, dass an dem im Zentrum von Kleinbasel liegenden
Claraplatz, der sich mit seiner näheren und weiteren Umgebung von einem
Wohnquartier immer mehr zu einem Einkaufs-, Geschäfts- und Verkehrszentrum
entwickle, im Hinblick auf die heutigen Lebensgewohnheiten ein Bedürfnis
für eine weitere, nach neuzeitlichen Gesichtspunkten geführte Wirtschaft
bestehe, und auch das Verwaltungsgericht hat dazu Stellung genommen und den
Standpunkt vertreten, dass der Regierungsrat die Grenzen pflichtgemässen
Ermessens nicht überschritten habe. Davon aber, dass jene Argumente,
auf Grund deren die Bedürfnisfrage bejaht wurde, den Vorwurf der Willkür
verdienten, kann keine Rede sein.

Erwägung 5

    5.- Schliesslich erheben die Beschwerdeführer die Rüge der Willkür
gegenüber der Feststellung, die Inhaber der Wirtschaften im Gebiete des
Claraplatzes würden alle ihr Auskommen finden und zum Teil sogar über
sehr erhebliche Einkünfte verfügen. Darauf braucht nicht eingetreten
zu werden, da sich die angefochtenen Entscheide ohne diese Erwägung
rechtfertigen lassen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.