Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 56



82 IV 56

12. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 24. April 1956
i.S. Untersuchungsrichter des Bezirkes F gegen Angestellte der Mühle X.
Regeste

    Art. 51 und 52 Abs. 2 BStP.

    Zuständigkeit der Anklagekammer zur Behandlung von Haftverlängerungs-
und Haftentlassungsgesuchen im Verfahren der Eidg. Getreideverwaltung betr.
Widerhandlungen gegen Bestimmungen des BB über die Getreideversorgung
des Landes vom 19. Juni 1953.

Sachverhalt

    In einem Strafermittlungsverfahren der Eidgenössischen
Getreideverwaltung wurden verantwortliche Angestellte der Mühle X, die der
Widerhandlung gegen den Bundesbeschluss über die Getreideversorgung des
Landes vom 19. Juni 1953 beschuldigt wird, vom Untersuchungsrichter des
Bezirkes F wegen Kollusionsgefahr verhaftet. Zehn Tage später ersuchte
dieser die Anklagekammer des Bundesgerichts, die Aufrechterhaltung der
Haft zu bewilligen. Ferner erhob einer der beschuldigten Angestellten
Beschwerde gegen die Abweisung seines Haftentlassungsgesuches durch den
Untersuchungsrichter.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Bundesstrafprozess, der in Art. 279 ff. Übertretungen fiskalischer
Bundesgesetze und in Art. 321 ff. das Strafverfügungsverfahren
der Verwaltung bei Übertretungen anderer Bundesgesetze ordnet,
sieht für das Ermittlungsverfahren der Verwaltung keine Verhaftung
des Beschuldigten vor. Davon abweichend wird in Art. 34 Abs. 2 des
BB über die Brotgetreideversorgung des Landes vom 19. Juni 1953 die
Verhaftung des Beschuldigten als zulässig erklärt und die Befugnis zum
Erlass eines Haftbefehls den nach kantonalem Recht hiefür zuständigen
Untersuchungsrichtern und Beamten der gerichtlichen Polizei erteilt. Damit
sind offenbar diejenigen Untersuchungs- und Polizeiorgane gemeint, die
sachlich und örtlich zuständig wären, wenn es sich um ein kantonales
Untersuchungsverfahren handelte. Ob es sachlich gerechtfertigt ist,
im Ermittlungsverfahren einer eidgenössischen Verwaltung kantonale
Justizorgane zum Erlass von Haftbefehlen heranzuziehen, oder ob es nicht
zweckmässiger wäre, die Bundesanwaltschaft damit zu betrauen, die nach
Art. 45 Ziff. 1 BStP auch im gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren vor
Anhebung der eidg. Voruntersuchung zum Erlass von Haftbefehlen zuständig
ist, muss dahingestellt bleiben.

    Nach Art. 34 Abs. 3 des erwähnten Bundesbeschlusses finden im Verfahren
der Getreideverwaltung die Art. 39 - 64 und 74 - 85 BStP, die u.a. die
Voraussetzungen, den Vollzug und die Dauer der Haft regeln, sinngemäss
Anwendung. Es fragt sich, ob auch Art. 51 und 52 Abs. 2 BStP anwendbar
sind, wonach eine Kollusionshaft nur mit Bewilligung der Anklagekammer des
Bundesgerichts länger als 14 Tage aufrechterhalten werden darf und gegen
die Abweisung eines Haftentlassungsgesuches durch den Untersuchungsrichter
bei der Anklagekammer Beschwerde geführt werden kann. Diese beiden
Bestimmungen, die sich aus der in Art. 11 BStP begründeten Zuständigkeit
der Anklagekammer als Aufsichtsbehörde über die Voruntersuchung und als
Beschwerdeinstanz gegen Amtshandlungen des Untersuchungsrichters erklären,
sind nach ihrem Wortlaut und nach ständiger Rechtssprechung nur auf
Verhaftungen anwendbar, die während der eidgenössischen Voruntersuchung
angeordnet werden. Sowohl die Bundesanwaltschaft, welche ausserhalb der
Voruntersuchung bis zur Anklageerhebung zum Erlass von Haftbefehlen und zum
Entscheid über die Aufrechterhaltung der Haft befugt ist (BGE 74 IV 182),
als auch die eidgenössischen Verwaltungsstellen, die eine Untersuchung
führen, unterstehen den ihnen übergeordneten Departementen und letztlich
dem Bundesrat als Aufsichts- und Beschwerdeinstanzen. Die Anklagekammer
über Haftverlängerungen und Haftbeschwerden in einem Verwaltungsverfahren
entscheiden zu lassen, ist mit der in Bundesstrafsachen geltenden
Kompetenzordnung nur schwer vereinbar und umsoweniger verständlich,
als letztinstanzlich der Bundesrat über alle Untersuchungsmassnahmen der
Getreideverwaltung die Aufsicht ausübt und über Beschwerden, z.B. gegen
Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen, zu entscheiden hat.

    Allein der Wortlaut des Art. 34 Abs. 3 des BB vom 19. Juni 1953,
der eindeutig auf die Art. 51 und 52 BStP verweist, lässt trotz des
einschränkenden Ausdruckes "sinngemäss" kaum eine andere Auslegung zu,
als dass in diesem Ausnahmefall die Anklagekammer zuständig erklärt werden
wollte. Der Grund für diese Ordnung liegt offenbar darin, dass die Befugnis
zum Erlass eines Haftbefehls nicht der mit der Untersuchung betrauten
Getreideverwaltung oder einer andern der Aufsicht des Bundesrates
unterstellten Bundesbehörde zusteht, sondern ausschliesslich den
kantonalen Justizorganen, und dass dieser Ausscheidung der Kompetenzen
das Bestreben zugrunde lag, dem Beschuldigten einen erhöhten Schutz
gegenüber der Bundesverwaltung zu bieten (Botschaft des BR vom 10. Februar
1953). Ist daraus zu schliessen, dass der Beschwerdeweg an den Bundesrat
ausgeschlossen werden wollte, so bleibt nur die Möglichkeit der Anrufung
der Anklagekammer des Bundesgerichts oder der nach kantonalem Recht für
Haftfragen zuständigen oberen Instanz. Der letztere Weg fällt indessen
ausser Betracht; da der kantonale Untersuchungsrichter die Vorschriften
des Bundesstrafverfahrens anzuwenden hat (Art. 45 Ziff. 1 BStP) und
in einem eidgenössischen Verfahren mitwirkt, das sich möglicherweise
auf Beschuldigte in verschiedenen Kantonen erstreckt, kann im Interesse
der einheitlichen Rechtsanwendung die letzte Entscheidung nur bei einer
eidgenössischen Instanz liegen.

    Die Zuständigkeit der Anklagekammer ist demnach zu bejahen, und es
ist auf das Haftverlängerungsgesuch des Untersuchungsrichters sowie auf
die Beschwerde des Beschuldigten A. einzutreten.