Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 207



82 IV 207

45. Urteil des Kassationshofes vom 2. November 1956 i.S. Wächter gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen. Regeste

    Art. 1 und 20 Abs. 1 lit. a AO.

    Ankündigung einer bewilligungspflichtigen Verkaufsveranstaltung,
wenn ein Geschäft unmittelbar vor und während der ordentlichen
Ausverkaufszeit die in seinen Schaufenstern ausgestellten Waren zugleich
in Zeitungsinseraten anpreist?

    a)  Auslegung von Inseraten (Erw. 2 lit. a);

    b)  Eindruck der in einem für Ausverkäufe üblichen Stil hergerichteten
Schaufenster auf das Publikum (Erw. 2 lit. b);

    c)  Gesamthafte Betrachtung von Zeitungsreklame und
Schaufensterauslagen (Erw. 2 lit. c).

Sachverhalt

    A.- Am 14. Januar 1955, am Tage bevor in St. Gallen die ordentlichen
Wintersaison-Ausverkäufe begannen, erschienen in der Zeitung "Wir
Brückenbauer" sowie im "St. Galler Tagblatt" und in der "Ostschweiz"
Inserate der Migros-Genossenschaft, in denen unter der Überschrift
"Motto: Günstig" mit kurzer Beschreibung und unter Angabe der Preise
Porzellanwaren, Wäsche, Strümpfe, Taschen, Schirme udgl. angeboten
wurden. In den Anzeigen der beiden letztgenannten Zeitungen war jeder
Preisangabe ein "nur" vorangesetzt.

    Am gleichen Tag liess Karl Wächter als verantwortlicher Betriebsleiter
des Migros-Geschäftshauses St. Gallen zwei Schaufenster mit Waren der in
den Inseraten angepriesenen Gattungen herrichten. Die teils in einzelnen
Artikeln, teils in ganzen Warenstapeln bestehenden Auslagen wurden mit
farbigen Preisanschriften von 15-20 cm und in einem Fall mit einer solchen
von 45 cm Durchmesser versehen. In jedem Schaufenster war überdies ein
grosses Transparent "Motto: Günstig" angebracht.

    Als die städtische Gewerbepolizei am 18. Januar 1955 verlangte, dass
entweder eine nachträgliche Ausverkaufsbewilligung einzuholen oder die
Auslagen zu ändern seien, liess Karl Wächter am 19. Januar 1955 in den
fraglichen Schaufenstern zwei weitere Plakate anbringen, das eine mit der
Aufschrift "Migros-Markt ... das ganze Jahr unter dem Motto: Günstig",
das andere mit dem Hinweis "Diese Angebote sind keine Ausnahmen, denn
Migros-Markt-Preise sind immer aussergewöhnlich". Eine Bewilligung wurde
nicht eingeholt.

    B.- Am 31. August 1955 verurteilte die 3.  Gerichtskommission des
Bezirksgerichtes St. Gallen Wächter wegen fahrlässiger Veranstaltung
eines nicht bewilligten Saisonausverkaufes zu einer bedingt löschbaren
Busse von Fr. 300.--.

    Auf Berufung Wächters bestätigte das Kantonsgericht des Kantons
St. Gallen am 6. März 1956 die von der ersten Instanz ausgefällte Busse. Es
nahm vorsätzliche Übertretung der eidg. Ausverkaufsordnung an (Art. 20
Abs. 1 AO), hielt aber dem Angeklagten zugute, dass er sich in einem -
allerdings nicht völlig - entschuldbaren Rechtsirrtum befunden habe.

    C.- Wächter führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Kantonsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er bestreitet, dass die beanstandete
Verkaufsveranstaltung Ausverkaufscharakter gehabt habe.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt Abweisung
der Beschwerde.

    E.- Eine von Wächter eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
schrieb das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am 9. Juni 1956 als
durch Rückzug erledigt ab.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 20 Abs. 1 lit. a AO wird mit Busse oder mit Haft
bestraft, wer vorsätzlich eine unter diese Verordnung fallende, nicht
bewilligte Verkaufsveranstaltung öffentlich ankündigt oder durchführt
oder entgegen der Weisung der zuständigen Behörde nicht einstellt.

    Ausverkäufe, für die es gemäss Art. 4 ff. AO der Bewilligung bedarf,
sind nach Art. 1 der Verordnung Veranstaltungen des Detailverkaufes,
bei denen dem Käufer durch öffentliche Ankündigung in Aussicht gestellt
wird, dass ihm vorübergehend besondere, vom Verkäufer sonst nicht gewährte
Vergünstigungen zukommen werden. Als öffentliche Ankündigungen gelten unter
anderem Bekanntmachungen durch die Presse und durch Schaufensterauslagen
(Art. 1 Abs. 2 AO).

Erwägung 2

    2.- Die Vorinstanz hält den objektiven Tatbestand des Art. 20
Abs. 1 lit. a AO für gegeben, weil die auffällige Gestaltung der zwei
Schaufenster, die "unterstützende" Inseratenreklame und der Zeitpunkt,
an welchem die Aktion ausgelöst worden sei, gesamthaft betrachtet in ihrer
objektiven Wirkung auf ein Inaussichtstellen besonderer, ihrer Natur nach
vorübergehender Vergünstigungen hinausliefen.

    a) Dass die am 14. Januar 1955 erschienenen Inserate der
Migros-Genossenschaft allein schon zum Einschreiten der städtischen
Gewerbepolizei Anlass gegeben hätten, nimmt das Kantonsgericht selbst nicht
an. In der Tat enthalten die drei Anzeigen nichts, was bei der Leserschaft
den Eindruck hätte erwecken können, die Inserentin gewähre auf den
ausgeschriebenen Artikeln vorübergehend besondere Vergünstigungen. Dass sie
ihr Angebot als "günstig" bezeichnete und ihre Waren zu "nur" soundsoviel
anpries, bedeutet nicht mehr als der in der Geschäftsreklame allgemein
übliche Hinweis auf die billigen Preise. Eine Sonderveranstaltung wurde
damit nicht angekündigt. Dem steht nicht entgegen, dass die fraglichen
Inserate kurz vor Beginn der amtlichen Ausverkaufszeit erschienen. Zwar ist
die Gefahr einer Täuschung des Publikums bei solcher Gelegenheit grösser
als zu den übrigen Zeiten des Jahres. Indessen kann einem Geschäfte,
das keinen Ausverkauf durchführen will, aus diesem Grund nicht verwehrt
sein, die Kundschaft vor und während der ordentlichen Ausverkäufe auf
die Vorteile seines Angebotes aufmerksam zu machen und seine Reklame
wegen des zu dieser Zeit besonders scharfen Konkurrenzkampfes noch zu
verstärken. Solange das nicht in der Weise geschieht, dass die Käuferschaft
annehmen muss, es würden ihr vorübergehend besondere Vergünstigungen
gewährt, ist dagegen nichts einzuwenden. Das gilt insbesondere auch für den
vorliegenden Fall. Waren doch die drei Anzeigen nach Text und Aufmachung
so neutral gehalten, dass der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in der
Presse nicht genügen konnte, um sie beim Publikum als Ankündigung einer
einmaligen Kaufgelegenheit erscheinen zu lassen; dies umso weniger, als
in den Inseraten weder durch bestimmte zeitliche Angaben noch mittelbar
durch eine mengenmässige Begrenzung des Angebotes (vgl. BGE 78 IV 125)
oder durch Anpreisung vorwiegend saisonbedingter Artikel (vgl. BGE 82 IV
115) auf eine Sonderveranstaltung hingewiesen wurde.

    b) Nicht wesentlich anders verhält es sich mit den beanstandeten
Schaufensterauslagen. Zwar stellt die Vorinstanz fest, der
Beschwerdeführer habe zwei Schaufenster für die am 14. Januar 1955
angelaufene Verkaufsaktion in einer Weise herrichten lassen, dass sie vom
üblichen Bild, wie es in St. Gallen das Jahr hindurch in der betreffenden
Branche und bei der Migros-Genossenschaft selbst anzutreffen sei, merklich
abwichen. Tatsächlich ist auf Grund der bei den Akten liegenden Farbphotos
nicht zu verkennen, dass die Auslagen mit den Warenstapeln, den grossen,
farbigen Preisanschriften und dem Transparent "Motto: Günstig" das
für Ausverkäufe übliche Bild boten. Das genügt indessen nicht, um eine
Übertretung der AO anzunehmen. Schliesslich muss einem Verkaufsgeschäft
das ganze Jahr hindurch unbenommen sein, seine Schaufenster so anziehend
als möglich zu gestalten, und sei es auch in dem für Ausverkäufe üblichen
Stil. Daraus allein wird das Publikum noch nicht auf besondere, sonst
nicht gewährte Preisvergünstigungen schliessen. Anders ist es, wenn
die ausgestellten Waren mit Preistafeln versehen sind, auf denen der
jetzige Preis dem früheren gegenübergestellt wird. Das ist hier nicht
geschehen. Der Eindruck eines besonders günstigen Angebotes konnte sich
daher für die Käuferschaft nur aus einem Vergleich mit den Angeboten
anderer Firmen ergeben, nicht aber aus einem Vergleich mit Bedingungen,
zu denen die Migros-Genossenschaft sonst verkaufe. Dass die von ihr
eingeleitete Werbeaktion mit dem Beginn der für Wintersaison-Ausverkäufe
vorgesehenen Zeitspanne zusammenfiel, führt zu keinem andern Schluss. Zwar
mögen die bevorstehenden Ausverkaufsveranstaltungen der Konkurrenz
den Beschwerdeführer veranlasst haben, die beiden Schaufenster in der
beschriebenen Weise herzurichten. Damit war jedoch nicht gesagt, dass das
Angebot der Migros-Genossenschaft nur während der Zeit dieses Ausverkaufes
so günstig sei. Die beanstandete Schaufensterreklame kann daher für sich
gesehen sowenig als Ankündigung eines Ausverkaufes oder einer ähnlichen
Veranstaltung gelten wie die in der Presse erschienenen Anzeigen.

    c) Die Vorinstanz hält dafür, dass die Schaufenster- und
Inseratenreklame gesamthaft betrachtet in ihrer objektiven Wirkung
auf das Publikum auf ein Inaussichtstellen besonderer, ihrer Natur nach
vorübergehender Vergünstigungen hinauslaufe. Dem hält der Beschwerdeführer
entgegen, es sei kein Käufer, der die Schaufenster betrachtet habe,
unter der gleichzeitigen Einwirkung der Inserate gestanden, weswegen für
die Beurteilung des Eindrucks, den die Auslagen auf das Publikum gemacht
hätten, nicht auch die Anzeigen herangezogen werden könnten.

    Nicht zu verkennen ist, dass es sich im vorliegenden Fall um zwei
"öffentliche Ankündigungen" verschiedener Art handelt, die in ihrer
zeitlichen Einwirkung auf die Käuferschaft auseinanderfallen konnten. Auch
mussten selbst ihre Adressaten nicht notwendigerweise identisch sein;
damit, dass ein Geschäft für die gleichen Artikel in der Presse und
in seinen Schaufenstern wirbt, ist nicht gesagt, dass der Leser der
Anzeigen zugleich die Auslagen gesehen und der Betrachter der Schaufenster
die Inserate gelesen habe. Ob das indessen genügt, um eine gesamthafte
Beurteilung der beiden Ankündigungen, wie sie dem vorinstanzlichen Urteil
zugrunde liegt, auszuschliessen, kann dahingestellt bleiben. Denn selbst
für den Fall, dass die Schaufensterauslagen und die Zeitungsinserate als
Ganzes zu werten wären, könnte entgegen der Auffassung des Kantonsgerichtes
von einem Inaussichtstellen besonderer, nur vorübergehend gewährter
Vorteile nicht die Rede sein.

    Wie gesagt, hielten sich die Inserate nach Form und Inhalt im Rahmen
der üblichen Geschäftsreklame und musste auch ihr Erscheinen unmittelbar
vor der amtlichen Ausverkaufszeit in keiner Weise den Eindruck einer
einmaligen Kaufgelegenheit erwecken. Nicht anders verhielt es sich mit
den Schaufenstern. Inwiefern ihre Wirkung auf das Publikum deswegen eine
andere hätte sein sollen, weil für die ausgestellten Waren gleichzeitig in
der Presse Reklame gemacht wurde, ist nicht ersichtlich. Abgesehen davon,
dass in den drei Anzeigen mit keinem Wort darauf hingewiesen wurde, dass
die angeführten Artikel in den Schaufenstern des Migros-Geschäftshauses
besichtigt werden könnten, ist es nichts Aussergewöhnliches, dass
Verkaufsgeschäfte die in ihren Schaufenstern ausgestellten Waren zugleich
in Inseraten anpreisen. Das ist auch der Käuferschaft bekannt, weswegen sie
daraus - selbst unmittelbar vor und während der amtlichen Ausverkaufszeit -
noch nicht auf eine Sonderveranstaltung schliessen wird.

Erwägung 3

    3.- Hat der Beschwerdeführer nach dem Gesagten in keiner Weise
besondere, nur vorübergehend gewährte Vergünstigungen öffentlich
angekündigt, so fehlt es am objektiven Tatbestand des Art. 20 Abs. 1
lit. a AO. Die Beschwerde ist daher begründet.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Kantonsgerichtes St. Gallen vom 6. März 1956 aufgehoben und die Sache
zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.