Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 158



82 IV 158

34. Auszug aus dem Urteil des Bundesstrafgerichts vom 21. Juni 1956
i.S. Bundesanwaltschaft und Setu gegen Beldeanu und Konsorten. Regeste

    Art. 211 BStP.

    Ein Antrag auf Zusprechung einer gerichtlich zu bestimmenden
Genugtuungssumme genügt (Erw. 2).

    Art. 164 Abs. 2 BStP.

    Wenn ein zur Hauptverhandlung vorgeladener Zeuge ausgeblieben ist
und infolge Abwesenheit im Ausland oder wegen Genusses der diplomatischen
Immunität nicht zum Erscheinen gezwungen werden kann, so darf seine frühere
Aussage verlesen werden, auch wenn sie nicht in der Voruntersuchung,
sondern im polizeilichen Ermittlungsverfahren gemacht worden ist
(Erw. 3 a).

    Art. 272 StGB.

    Politischer Nachrichtendienst "im Interesse" einer "Organisation
des Auslandes", "zum Nachteil" des Personals einer im Lande errichteten
fremden Gesandtschaft (Erw. 4 a, b).

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    Die angeklagten rumänischen Flüchtlinge Beldeanu, Codrescu, Chirila
und Ochiu überfielen in der Nacht vom 14. auf den 15. Februar 1955, mit
Schusswaffen versehen, die rumänische Gesandtschaft in Bern. Beldeanu war
Urheber des Plans und Anführer bei dessen Verwirklichung. Er hatte das
Unternehmen in Deutschland und von dort aus vorbereitet, insbesondere das
Gesandtschaftsareal ausgekundschaftet und die Mitbeteiligten nach Konstanz
aufgeboten. Hier orientierte er diese eingehend über seinen Plan. Er
erklärte, dass er beabsichtige, das Gesandtschaftspersonal festzunehmen
und zu zwingen, die Schlüssel zu den Panzerschränken herauszugeben. Es
gehe darum, Spionagedokumente in die Hand zu bekommen. Auch soll davon die
Rede gewesen sein, dass man einen oder mehrere ausgewanderte Rumänen, die
allenfalls in der Gesandschaft gefangengehalten würden, befreien wolle,
ferner von der Absicht, einen Gesandtschaftsbeamten zwecks Einvernahme
zu entführen. Indessen hätte Beldeanu nach seiner heutigen Darstellung
als Hauptziel des Unternehmens die Durchführung einer öffentlichen
Protestaktion bezeichnet. Es soll auch davon gesprochen worden sein,
dass man eventuell die Gesandtschaft solange besetzt halten wolle, bis
die rumänische Regierung bestimmte Widerstandsleute freigebe.

    Von Konstanz aus reisten die vier Angeklagten mit dem deutschen
Staatsangehörigen Ciochina in dessen Automobil in die Schweiz ein. Ciochina
blieb in der Nähe der Gesandtschaft im Wagen sitzen und kehrte in der
Folge unbehelligt nach Deutschland zurück. Die Angeklagten besetzten
zunächst das Kanzleigebäude der Gesandtschaft, wo sie Rozalia Setu,
die Ehefrau des Chauffeurs der Gesandtschaft, fesselten, Behältnisse
gewaltsam öffneten und sie nach Dokumenten durchsuchten. Der Chauffeur
Setu, der inzwischen von einer Dienstfahrt zurückgekehrt war, wurde von
Codrescu angeschossen. Die Angeklagten liessen ihn liegen, schritten zum
Angriff auf das Hauptgebäude der Gesandtschaft und besetzten es ebenfalls,
wobei sie weitere Schüsse abgaben. Die Bewohner dieses Hauses wurden
durch Drohungen in Schach gehalten oder vertrieben. Auch hier wurden
Möbel aufgebrochen und nach Dokumenten durchsucht. Der angeschossene
Chauffeur wurde schliesslich von der Polizei, die inzwischen erschienen
war, im Park der Gesandtschaft noch lebend aufgefunden, doch starb er bald
darauf. Nachdem sich zunächst Ochiu der Polizei ergeben hatte, liessen
sich im Laufe des 16. Februar auch Beldeanu, Codrescu und Chirila, nach
langwierigen Unterhandlungen, von ihr abführen.

    Die vier Rumänen sind u.a. des verbotenen politischen
Nachrichtendienstes (Art. 272 StGB) angeklagt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Frau Setu hat vor der Hauptverhandlung schriftlich die Zusprechung
gerichtlich zu bestimmender Genugtuungssummen beantragt; lediglich für den
Fall, dass dieses Hauptbegehren als formell unzulässig erachtet werde, hat
sie die Forderung genau beziffert. Indessen entspricht das Hauptbegehren
den Anforderungen des Art. 211 BStP, wonach der privatrechtliche Anspruch
spätestens bei Beginn der Hauptverhandlung geltend gemacht werden
muss. Die Erwägungen, aus denen für das Verfahren vor dem Bundesgericht
als Berufungsinstanz der Antrag auf Zusprechung eines gerichtlich zu
bestimmenden Betrages als unzulässig erklärt worden ist (BGE 80 II
322), treffen hier nicht zu. Weder der Wortlaut des Art. 211 BStP noch
sachliche Gründe rechtfertigen eine analoge Anwendung der Rechtsprechung
zu Art. 55 OG. Vor allem spielt der Streitwert im Bundesstrafverfahren
keine Rolle, im Unterschied auch zum direkten Prozess gemäss Art. 41 und
42 OG. Wo es wie hier um Genugtuung geht, muss ein auf das richterliche
Ermessen abstellender Antrag um so eher genügen, als in der Regel für
die Festsetzung einer Genugtuungssumme der Natur der Sache nach weniger
Anhaltspunkte zur Verfügung stehen als etwa für die Bemessung des Ersatzes
eines Schadens.

Erwägung 3

    3.- a) Magdalena Stoffel, Ehefrau des rumänischen Geschäftsträgers in
Bern, sowie dessen ehemalige Mitarbeiter Virgil Baicu und Victor Miron,
die nach dem Überfall auf die rumänische Gesandtschaft nach Rumänien
zurückberufen worden waren und seither mit ihren Familien sich dort
aufhalten, und die Ehefrauen dieser beiden sind aufgefordert worden,
als Zeugen vor dem Gericht zu erscheinen, doch haben sie der Vorladung
nicht Folge geleistet; die Gründe ihres Ausbleibens sind dem Gericht
nicht bekannt. Die nicht erschienenen Personen sind im polizeilichen
Ermittlungsverfahren von Beamten der Bundespolizei einvernommen worden. Der
Bundesanwalt hat beantragt, die damaligen Aussagen der Eheleute Baicu
und Miron seien im Zusammenhang mit der Einvernahme des Inspektors
der Bundespolizei Eugen Caviezel, der das Protokoll aufgenommen hat,
zu verlesen; die Verteidigung hat den Antrag gestellt, nichts, eventuell
die Aussagen aller fünf Personen mit Einschluss Frau Stoffels, verlesen
zu lassen.

    Nach Art. 164 Abs. 2 BStP darf die Aussage eines Zeugen, eines
Sachverständigen oder eines Angeklagten, der gestorben ist oder
aus einem andern zwingenden Grunde in der Hauptverhandlung nicht
vernommen werden kann, verlesen werden. Die fünf in Frage stehenden
Personen sind Zeugen im Sinne dieser Bestimmung; sie sind als solche
vorgeladen. Das Gericht ist nicht in der Lage, sie zum Erscheinen zu
zwingen; es kann weder die in Rumänien sich aufhaltenden Personen noch
Frau Stoffel, welche die mit ihrer Stellung als Ehefrau des rumänischen
Geschäftsträgers verbundenen Vorrechte und Befreiungen geniesst, durch
die Polizei vorführen lassen. Die fünf Personen können daher aus einem
zwingenden Grunde in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden. Ihre
im polizeilichen Ermittlungsverfahren zu Protokoll gegebenen und von
ihnen unterzeichneten Erklärungen sind Aussagen im Sinne von Art. 164
Abs. 2 BStP. Dass man es nicht mit Zeugenaussagen im Sinne der Art. 74
ff. BStP zu tun hat, ist unerheblich. Art. 164 Abs. 2 unterscheidet nicht
zwischen dem polizeilichen Ermittlungsverfahren und der Voruntersuchung,
sondern spricht von Aussagen schlechthin. Es ist auch sachlich richtig,
die Bestimmung auf Aussagen im polizeilichen Ermittlungsverfahren ebenfalls
anzuwenden. Eine abweichende Auslegung hätte unter Umständen zur Folge,
dass die Rechtspflege lahmgelegt würde; kommt es doch nicht selten vor,
dass Personen, die von der Polizei bei den ersten Ermittlungen befragt
worden sind, in der Voruntersuchung infolge Todes oder Abreise ins Ausland
nicht mehr zur Verfügung stehen, wie denn gerade im vorliegenden Fall die
Eheleute Baicu und Miron bald nach ihrer Einvernahme durch die Polizei
nach Rumänien zurückgekehrt sind. Auch der Umstand, dass diese Personen
und Frau Stoffel im polizeilichen Ermittlungsverfahren nicht auf die
Strafe des falschen Zeugnisses hinzuweisen waren (Art. 82 BStP), schliesst
die Berücksichtigung ihrer Aussagen nicht aus. Das Gericht würdigt die
Glaubwürdigkeit und Beweiskraft der Beweismittel nach freiem Ermessen
(Art. 169 Abs. 3 BStP). Die Aussagen sämtlicher fünf Personen gegenüber der
Polizei sind, jedenfalls zum Teil, erheblich. Die wesentlichen Abschnitte
daraus waren daher zu verlesen, in Gegenwart des Zeugen Caviezel, der
zu befragen war, ob die protokollierten Erklärungen dem entsprechen,
was seinerzeit in seiner Gegenwart ausgesagt worden war, und ob er die
Aussagen für glaubwürdig erachte.

Erwägung 4

    4.- a) Nach Art. 272 StGB (Fassung gemäss BG vom 5.  Oktober 1950,
in Kraft seit 5. Januar 1951) wird mit Gefängnis (Ziff. 1) oder Zuchthaus
(Ziff. 2) bestraft, wer im Interesse eines fremden Staates oder einer
ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes zum
Nachteil der Schweiz oder ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen
politischen Nachrichtendienst betreibt oder einen solchen Dienst
einrichtet (Ziff. 1 Abs. 1), ferner wer für solche Dienste anwirbt oder
ihnen Vorschub leistet (Ziff. 1 Abs. 2). Aus der Bestimmung ergibt sich,
dass das Vergehen oder Verbrechen durch jede Tat vollendet wird, die sich
irgendwie in die Kette der Handlungen einreihen lässt, welche gesamthaft
das Einrichten oder Betreiben des Nachrichtendienstes ausmachen, also
auch durch ein Verhalten, das unter dem Gesichtspunkte des angestrebten
Enderfolges bloss Vorbereitung, Versuch, Anstiftung oder Beihilfe wäre
(BGE 74 IV 202, 80 IV 82).

    Die Nachrichten im Sinne des Art. 272 müssen sich auf Tatsachen
beziehen, die nicht allgemein bekannt sind und daher Aussenstehenden
nur durch besondere Vorkehren, eben durch einen Nachrichtendienst, zur
Kenntnis gelangen können (BGE 80 IV 83 Erw. 1).

    Die Wendung "im Interesse eines fremden Staates oder einer
ausländischen Partei oder einer andern Organisation des Auslandes"
bedeutet nicht, dass ein Auftrag einer solchen Organisation erforderlich
ist. Unter Art. 272 fallen auch Handlungen, die der Täter von sich aus
begeht. Ebensowenig ist notwendig, dass die gemeldeten oder zu meldenden
Tatsachen für die ausländische Organisation nützlich sind. Es genügt, dass
sie für eine solche bestimmt sind (BGE 61 I 413 lit. c, 66 I 112 Erw. 4;
nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesstrafgerichts vom 16. Oktober 1951
i.S. Davis, Erw. 3). Als "Organisation" ist jede Mehrheit von Personen
anzusehen, die gemeinsam ein bestimmtes politisches Ziel verfolgen, auch
wenn die Vereinigung nur lose ist, keine Statuten und keine eigentlichen
Organe besitzt (Urteil Davis; BGE 80 IV 86 lit. b).

    Unerheblich ist auch, ob die gemeldete oder zu meldende Tatsache
geheimzuhalten sei, ob sie wahr sei und ob die Nachricht der Schweiz
oder ihren Angehörigen, Einwohnern oder Organisationen schade. Der
politische Nachrichtendienst wird um seiner selbst willen bekämpft, als
Angriff auf die Hoheit über schweizerisches Gebiet, auf die Sicherheit
der Eidgenossenschaft. Die Worte "zum Nachteil der Schweiz oder
ihrer Angehörigen, Einwohner oder Organisationen" bedeuten einfach,
dass der Nachrichtendienst, wie er einerseits "im Interesse" eines
fremden Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern
Organisation des Auslandes zu liegen hat, anderseits gegen die Schweiz
oder ihre Angehörigen, Einwohner oder Organisationen und nicht gegen
einen fremden Staat oder gegen ausserhalb der Schweiz sich aufhaltende
Ausländer gerichtet sein muss (nicht veröffentlichtes Urteil des
Bundesstrafgerichts vom 20. Dezember 1947 i.S. Riedweg, Erw. V 1; BGE
74 IV 203 ff., 80 IV 88 lit. c). Art. 272 StGB schützt alle Ausländer,
die in der Schweiz weilen. Einwohner der Schweiz im Sinne der Bestimmung
sind auch Ausländer, die zum Personal einer im Lande errichteten fremden
Gesandtschaft gehören. Sie befinden sich selbst dann in der Schweiz, wenn
sie sich innerhalb des Gesandtschaftsareals aufhalten. Der Empfangsstaat
hat unter allen Umständen die für ihre Sicherheit erforderlichen Massregeln
zu treffen. Ein Nachrichtendienst "zum Nachteil" solcher Personen stellt
ebenfalls einen Übergriff in die Hoheit über schweizerisches Gebiet dar.

    Dem Art. 272 StGB ist nach Art. 4 daselbst auch unterworfen, wer die
Tat im Ausland begeht.

    b) Als die Angeklagten abmachten, die rumänische Gesandtschaft
in Bern zu überfallen, hatten sie anscheinend verschiedene Zwecke im
Auge. Offenbar stellten sie sich vor, dass es vom Verlauf der Aktion
abhängen werde, welchem Ziel oder welchen Zielen sie sich schliesslich
zuwenden würden. Auf jeden Fall aber war, wie sich insbesondere aus der
Aussage Beldeanus in der Hauptverhandlung ergibt, von Anfang an auch
beabsichtigt, Dokumente in die Hand zu bekommen, welche über die von den
Angeklagten vermutete gegen den Westen und die rumänischen Flüchtlinge
gerichtete Spionagetätigkeit des Gesandtschaftspersonals Aufschluss
hätten geben können. Es handelte sich also darum, nicht allgemein bekannte
Einzelheiten über eine mutmassliche politische Tätigkeit von Einwohnern der
Schweiz zu erforschen. Zu diesem Zweck haben denn auch die Angeklagten die
Akten der Gesandtschaft durchsucht. Damit und mit den vorausgegangenen
Vorbereitungen ist der Tatbestand des Art. 272 StGB erfüllt, wenn und
soweit die Angeklagten, mit Wissen und Willen, im Interesse eines fremden
Staates oder einer ausländischen Partei oder einer andern Organisation
des Auslandes gehandelt haben.

    Beldeanu behauptet, er habe die gesuchten Dokumente nicht entwenden
und irgendeiner Organisation übergeben, sondern lediglich einsehen wollen,
aus Gründen der Menschlichkeit, um die vermutlich seitens der Gesandtschaft
überwachten und bedrohten Landsleute zu gegebener Zeit zu warnen; man habe
nicht beabsichtigt, das Gesandtschaftsareal heimlich zu verlassen, sondern
der Hauptzweck der Aktion sei von Anfang an gewesen, durch Besetzung der
Gesandtschaft Aufsehen zu erregen, vor der Weltöffentlichkeit gegen das
Vorgehen der Kommunisten im allgemeinen und in Rumänien im besonderen zu
protestieren. Indessen erhellt aus dem ganzen Verhalten der Angeklagten
bis zur Verletzung des Chauffeurs Setu deutlich, dass sie ursprünglich
nicht die Absicht hatten, in den Gebäulichkeiten der Gesandtschaft zu
bleiben, sondern nach Auskundschaftung des Gesandtschaftsarchivs sich
unbemerkt wegzubegeben und erbeutete Akten mitzunehmen. Anders lässt es
sich nicht erklären, dass Beldeanu die Entfernung vermeintlicher Standorte
der Polizei vom Gesandtschaftsareal berechnete und an Ciochina, wie sich
aus dessen Zeugenaussage ergibt, die von demselben dann auch befolgte
Weisung erteilte, mit seinem Wagen ohne gegenteiligen Bericht nicht eher
wegzufahren, als bis er Schüsse hören sollte. Dazu kommt, dass Beldeanu
dem Zahntechniker Rutschmann, wie dieser bezeugt, in Konstanz auf Befragen
mitgeteilt hat, es sei eine Expedition ins Ausland geplant, um Akten aus
einem Gebäude zu holen. Den Angeklagten kann es demnach nicht etwa nur
darum zu tun gewesen sein, allfällig in der Gesandtschaft eingesperrte
Personen heimlich zu befreien oder einen Gesandtschaftsbeamten zu
entführen, dies umsoweniger, als die Angeklagten sich bei Frau Setu nicht
nach Gefangenen erkundigt haben. Mit der heutigen Darstellung Beldeanus
ist auch schwerlich vereinbar, dass Ochiu nach der Verletzung Setus zur
Flucht riet mit der Bemerkung, man habe das Ziel ja doch nicht erreichen
können, und dass Chirila dem in München weilenden Gesinnungsfreund Anton
Jahoda aus der Strafanstalt Thorberg am 13. März 1955 schrieb, nur "ein
kleines Pech" - der Zusammenstoss mit Setu - habe die Angeklagten daran
verhindert, "das Gewünschte auszuführen".

    Nach der Aussage Ciochinas gegenüber dem deutschen Untersuchungsrichter
hätte Beldeanu in Konstanz erklärt, es sei geplant, Spionagedokumente
den betroffenen Regierungen vorzulegen; auch Codrescu hat sich im
polizeilichen Ermittlungsverfahren in diesem Sinne geäussert. Indessen
sind diese Aussagen nicht bestätigt worden. Es bestehen keine genügenden
Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Angeklagten mit Wissen und
Willen im Interesse eines fremden Staates oder einer ausländischen Partei
gehandelt haben. Dagegen ist klar, dass ihr Vorgehen dem Interesse nicht
nur der angeblich vom Gesandtschaftspersonal Bespitzelten, sondern auch der
Organisationen dieser Leute gedient hat und hat dienen sollen. In seinen am
frühen Morgen des 15. Februar 1955 an die Polizei gerichteten Ansprachen
hat Beldeanu im offenbaren Einverständnis der übrigen Angeklagten erklärt:
"Wir sind von der rumänischen Widerstandsbewegung." Damit hat er zum
Ausdruck gebracht, dass die ganze Aktion nicht sowohl persönlichen Zwecken,
als vielmehr dem Interesse zum mindesten der Widerstandsbewegung dienen
sollte, soweit ein solches als vorhanden vorausgesetzt werden konnte. Dies
traf jedenfalls für die Auskundschaftung der von Beldeanu vermuteten
Bespitzelung ausgewanderter Rumänen zu, da anzunehmen war, dass sich
eine Bespitzelung namentlich gegen die Tätigkeit regierungsfeindlicher
Personenvereinigungen richte. Wie es sich mit dieser Widerstandsbewegung
im einzelnen verhält, hat naturgemäss nicht abgeklärt werden können. In
Betracht kommen die "Miscarea Nationala de Rezistenta", von der seitens
der Angeklagten wiederholt gesprochen wurde, und auch die "Liga der
Freien Rumänen", in deren Vorstand Beldeanu im Juni 1954 aufgenommen
worden war und von der er in der Hauptverhandlung gesagt hat, dass er
auch ihr, wie den gefährdeten Einzelpersonen, Kenntnis von den erkundeten
Tatsachen gegeben hätte. Offenbar ist die in Frage stehende Bewegung
straff organisiert; hat doch Beldeanu eigentliche Marschbefehle erteilt,
wobei z.B. gegenüber Ochiu der Hinweis auf eine "Verlobung" genügt
hat. Sicher ist, dass die Bewegung aus einer Mehrheit im Ausland lebender
gleichgesinnter Personen besteht und politische Ziele verfolgt, also eine
"andere Organisation des Auslandes" im Sinne des Art. 272 StGB darstellt.

    Dass der tatsächliche Verlauf der Aktion die Weiterleitung durch
Auskundschaftung erworbener Kenntnisse oder erbeuteter Akten an
die interessierten Kreise verunmöglicht hat, steht der Annahme eines
verbotenen politischen Nachrichtendienstes nicht entgegen. Gewiss fällt die
Durchsuchung der Papiere im Residenzgebäude nicht unter Art. 272 StGB, weil
die Angeklagten nach dem Zusammenstoss mit dem Chauffeur Setu nicht mehr
den Willen haben konnten, erforschte Tatsachen dem Ausland zugänglich zu
machen. Dagegen hatten sie diesen Willen noch, als Beldeanu und Ochiu vor
jenem Zwischenfall die im Kanzleigebäude vorhandenen Akten durchforschten.