Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 15



82 IV 15

6. Urteil des Kassationshofes vom 13. April 1956 i.S. Steiger gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 20, 323 Ziff. 1 StGB.

    1.  Rechtsirrtum; zureichende Gründe für das Fernbleiben des Schuldners
von der angekündigten Pfändung verneint (Erw. 2).

    2.  Rechtfertigungsgründe für die vorsätzliche vertretungslose
Abwesenheit des Schuldners? Prüfung entscheidungsbedürftiger Fragen des
Betreibungsverfahrens durch den Strafrichter (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Willi Steiger, der in Reinach als Handelsmann ein
Versandgeschäft betreibt, erhielt am Donnerstag, den 31. März 1955
eine Pfändungsankündigung auf Samstag, den 2. April 1955, 14.00 Uhr. Im
Verlaufe des Samstagvormittags erschien er auf dem Betreibungsamt mit
dem Ersuchen, die angekündigte Pfändung zu verschieben, weil er mit der
Morgenpost auf den Nachmittag zu einer geschäftlichen Besprechung nach
Zürich aufgeboten worden und seine Frau für einige Wochen ortsabwesend
sei. Als der Betreibungsbeamte eine Verschiebung als unmöglich bezeichnete,
regte Steiger an, die Pfändung noch am selben Vormittag vorzunehmen,
was aber abgelehnt wurde. Am Nachmittag erwies sich der Pfändungsvollzug
wegen vertretungsloser Abwesenheit Steigers als unmöglich.

    Als dieser nach Ablauf der Betreibungsferien am Montag, den
18. April 1955 mit der Abendpost eine neue Pfändungsankündigung auf den
20. April 1955, 14.00 Uhr erhielt, entschuldigte er sich brieflich wegen
seines bevorstehenden Ausbleibens; er fuhr am Dienstag zu abgemachten
geschäftlichen Besprechungen nach Basel und von dort zum selben Zwecke
nach Luino. Die Pfändung konnte daher auch diesmal nicht vollzogen worden.

    B.- Am 24. August 1955 sprach das Bezirksgericht Rheinfelden Steiger
des Ungehorsams im Betreibungsverfahren schuldig und verurteilte ihn zu
drei Tagen Haft.

    Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte am 20. Dezember 1955
das erstinstanzliche Urteil im Schuldpunkt, hob es dagegen im Strafpunkt
auf und verurteilte Steiger zu Fr. 80.- Busse.

    C.- Steiger führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil
vom 20. Dezember 1955 sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, Art. 333 StGB schliesse
"in seinem Rahmen" Formaldelikte aus. Voraussetzung der Strafbarkeit
sei ein Verschulden. Dazu gehöre, dass der Täter mit Wissen und Willen
handle. Dies beziehe sich "auf alle Tatbestandsmerkmale und auch auf den
Erfolg: das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit". Ein Verschulden in diesem
Sinne könne ihm nicht zur Last gelegt werden.

    Dem ist nicht beizupflichten. Für vorsätzlichen Ungehorsam im
Betreibungsverfahren (Art. 323 Ziff. 1 StGB) als solchen, der seinem
Wesen nach übrigens kein Erfolgsdelikt sein kann, bedarf es nach
Art. 18 und 102 StGB nichts weiteres, als dass der Täter mit Wissen und
Willen der angekündigten Pfändung vertretungslos fernbleibt. Dass der
Beschwerdeführer dies getan hat, ist durch die Vorinstanz verbindlich
festgestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des Kassationshofes
(vgl. z.B. BGE 70 IV 98; Urteil vom 2. März 1956 i.S. Weibel) gehört
zum Vorsatz nach Art. 18 Abs. 2 StGB nicht auch das Bewusstsein der
Rechtswidrigkeit. Seinem Fehlen trägt das StGB durch Art. 20 Rechnung.

Erwägung 2

    2.- Was der Beschwerdeführer unter Berufung auf Rechtsirrtum
(Art. 20 StGB) vorbringt, bezieht sich lediglich auf sein erstes
vertretungsloses Fernbleiben von der angekündigten Pfändung und taugt
überdies nichts zur Begründung seiner Anträge. Gemäss Art. 56 Ziff. 2
SchKG dürfen Betreibungshandlungen nur an Sonntagen und staatlich
anerkannten Feiertagen nicht vorgenommen werden. Dass der Samstag in der
Regel kein staatlich anerkannter Feiertag ist, ist allgemein bekannt,
ungeachtet dessen, dass verschiedene Betriebe an diesem Tage ihre
Arbeit einstellen. Schliesst auch der Betreibungsbeamte sein Bureau,
so folgt daraus nicht, dass während dieser Zeit auch die Vornahme von
Betreibungshandlungen unzulässig sei. Vielmehr dürfen solche nach der
Vorschrift des Art. 56 Ziff. 1 SchKG mit Ausnahme der Sonntage und der
staatlich anerkannten Feiertage an allen Wochentagen von 08.00 bis 19.00
Uhr vorgenommen werden. Gegenüber dem Festhalten des Betreibungsbeamten an
dem auf den Samstagnachmittag angesetzten Pfändungsvollzug anderer Meinung
zu sein, hatte der Beschwerdeführer keinen zureichenden Grund. Anders wäre
es nur, wenn er sich bei seiner Vorsprache auf dem Betreibungsamt danach
erkundigt hätte, ohne eine befriedigende Antwort erhalten zu haben. Das
behauptet er aber selbst nicht.

    Mutwillig ist die Anrufung des Bundesratsbeschlusses vom 28. Dezember
1940 über den Fristenlauf am Samstag (AS 1940 S. 2033). Wenn einerseits dem
Beschwerdeführer auch zuzubilligen ist, dass er nach anderthalb Jahrzehnten
keine klare Vorstellung mehr über den Inhalt dieses Erlasses gehabt haben
kann, so bestand doch anderseits auch kein begründeter Anlass anzunehmen,
etwas derartiges gelte weiterhin, aber nurmehr für den Samstagnachmittag,
wie er geglaubt zu haben vorgibt.

Erwägung 3

    3.- Was der Beschwerdeführer im weiteren vorbringt, ist dahin zu
würdigen, dass er nicht bloss (irrtümlich) aus zureichenden Gründen
angenommen haben will, er müsse der Pfändung nicht beiwohnen, sondern
hiezu auch tatsächlich berechtigt gewesen sei. Demgegenüber ist soviel
einzuräumen, dass dem Gebot, bei der Pfändung anwesend zu sein, keine
absolute Geltung zukommen kann. Es lassen sich unschwer Umstände denken,
unter denen selbst die vorsätzliche Nichtbeiwohnung an der Pfändung nicht
als Ungehorsam im Sinne des Art. 323 Ziff. 1 StGB strafbar sein kann, sei
es, dass der Täter in einer Notstandslage (Art. 34 StGB) gehandelt hat,
sei es, dass sein Verhalten aus andern Gründen rechtmässig war. Dabei ist
die Abwesenheit zum Zwecke der Wahrung (bedeutender) Vermögensinteressen
nicht zum vorneherein auszuschliessen. In solchen Fällen wird der
Betreibungsbeamte das Ausbleiben des Schuldners nachträglich genehmigen und
damit dessen Verhalten rechtfertigen. Indessen darf der Schuldner nicht
einfach dem Belieben des Betreibungsbeamten ausgeliefert sein. Dieser
muss - wie überhaupt - auch in solchen Fällen irgendwie der Rechts- und
sogar der Ermessenskontrolle unterworfen werden können. Die nächstliegende
Kontrolle der Aufsichtsbehörden über die Betreibungsämter versagt jedoch,
weil nach Art. 21 SchKG nur mit dem Ziel auf Aufhebung oder Berichtigung
einer Amtshandlung Beschwerde geführt werden kann, solches aber nach
Verstreichen der angekündigten Pfändungszeit nicht mehr möglich ist. Dies
gilt übrigens auch für den hier zutreffenden Fall der Verweigerung einer
zum voraus verlangten Verschiebung der angekündigten Pfändung, indem diese
angesichts der kurzen Fristen kaum je vor dem angekündigten Termin auch
nur von der unteren Aufsichtsbehörde nachgeprüft werden könnte. Da die
Aufsichtsbehörden über die Betreibungsämter gestützt auf die angeführte
Vorschrift in ständiger Rechtsprechung (vgl. BGE 77 III 78) ablehnen,
auf (selbst rechtzeitige) Beschwerden einzutreten, deren Erfolg keinen
Einfluss mehr auf das Betreibungsverfahren selbst ausüben, sondern nur
noch präjudizielle Bedeutung für einen nachfolgenden Zivilprozess haben
kann, werden unter Umständen wie den vorliegenden die Strafgerichte
die entscheidungsbedürftige Frage des Betreibungsverfahrens selbst
vorfrageweise prüfen müssen. Das haben die beiden Vorinstanzen getan. Sie
stellen fest, dass die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Entschuldigungen
nicht stichhaltig seien. Vielmehr wäre es ihm bei gutem Willen sehr wohl
möglich gewesen, zur festgesetzten Zeit der Pfändung beizuwohnen. Die
Amtshandlungen des Betreibungsbeamten habe er aus purer Rechthaberei und
unter nebensächlichen Ausflüchten vereitelt. Zumindest mit Bezug auf seine
Säumnis vom 20. April 1955 sei der Straftatbestand des Art. 323 Ziff. 1
StGB klar erstellt. Damit haben die kantonalen Instanzen zu erkennen
gegeben, dass sie einen Ungehorsam des Schuldners im Betreibungsverfahren,
wie er hier in Frage steht, nicht ausnahmslos für unerlaubt bzw. strafbar
erachten, sondern der Auffassung sind, dass er ausnahmsweise (z.B. zur
Wahrnehmung berechtigter Interessen) erlaubt bzw. rechtmässig und daher
straflos sein könne. Inwiefern aber nach dem vom Obergericht als erwiesen
erachteten Sachverhalt die Abwesenheit des Beschwerdeführers bei den
Pfändungen nicht rechtswidrig gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.