Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 IV 1



82 IV 1

1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Februar 1956
i.S. Bärlocher gegen Bühler und Kons. Regeste

    Art. 27 Ziff. 3 Abs. 1 StGB.

    Der verantwortliche Redaktor, der durch seine Auskunftsverweigerung
den Verletzten zwingt, die subsidiäre Haftung des Redaktors geltend zu
machen, verwirkt das Recht, sich nachträglich dieser Haftung zu entziehen,
wenn der Verfasser nach Einleitung der Strafverfolgung bekannt wird.

    Art. 16 Abs. 1 OG findet nur Anwendung, wenn es sich um Entscheide
einer Abteilung oder des Plenums des Bundesgerichtes handelt, die nach der
Neuorganisation der Bundesrechtspflege vom 6. Oktober 1911 ergangen sind.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Das Kantonsgericht St. Gallen hat aus den am 17. März 1952, am
16. Januar und am 8. Juni 1953 abgegebenen Erklärungen des Dr. Bösch,
in denen er sich als Verfasser des angefochtenen Artikels bekannte,
geschlossen, dass während des Verlaufes des Prozesses gegen den Redaktor
der Verfasser ermittelt worden sei. Das habe indessen nicht zur Folge, dass
die Möglichkeit, den Prozess gegen den Redaktor bis zu dessen Aburteilung
weiterzuführen, entfalle und nunmehr der Verfasser zur Verantwortung zu
ziehen sei.

    Der Beschwerdeführer rügt diese Begründung des angefochtenen Urteils
mit der Behauptung, sie werde "durch die rechtsgeschichtliche und
rechtsvergleichende Betrachtung des Problems völlig entkräftet". Alle
in irgendeiner Weise auf das belgische System der Kaskadenhaftung
zurückgehenden Gesetzgebungen verlangten lediglich, dass der
Verfasser im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vor Urteilsfällung
genannt oder in anderer Weise ermittelt werde, um den Redaktor zu
entlasten. Dass jener schon bei Einleitung des Prozesses bekannt sein
müsse, sei nicht erforderlich. Überall gelte sozusagen als Stichtag
der Verantwortlichkeit der Zeitpunkt der erstinstanzlichen oder der
rechtskräftigen Verurteilung. Wäre es in unserem Strafrecht anders, so
müsste das StGB dies ausdrücklich vorschreiben. Aus dem Umstand, dass
eine entsprechende Bestimmung fehle, könne ohne Verletzung von Art. 1
StGB nichts zum Nachteil des Beschwerdeführers abgeleitet werden.

    Dem ist nicht beizupflichten. Soweit es sich um die
rechtsgeschichtliche und rechtsvergleichende Betrachtung der umstrittenen
Frage handelt, ist das Vorbringen des Beschwerdeführers mit seiner
Berufung auf belgisches und deutsches Recht, sowie auf die früheren
Rechte der Kantone Basel-Stadt, Bern und Zürich schon im angefochtenen
Urteil widerlegt worden. Im weiteren kann nicht ausser Acht gelassen
werden, dass in Art. 27 StGB die Verantwortlichkeit der Presse insoweit
grundsätzlich eine besondere Regelung gefunden hat, als es galt, einen
Ausgleich zu schaffen zwischen den Interessen des Verletzten einerseits und
dem Grundsatz der Pressefreiheit und dem Anspruch der Presse auf Anonymität
anderseits. Die Presse, die zur Erfüllung ihrer Aufgabe unter Umständen
auch auf Mitarbeiter angewiesen ist, deren Namen sie nicht preisgeben
will, hat sich dieses Recht auf Anonymität dadurch erworben, dass sie sich
selbst bereit erklärte, einen verantwortlichen Redaktor zu stellen (BGE
76 IV 8; HAFTER, Allg. Teil S. 493 unter Hinweis auf WETTSTEIN, Prot.
II. ExpKom. 2, 461). Dieser Ordnung, nach der es vom freien Willen
des Redaktors abhängt, den Verfasser zu nennen oder an dessen Stelle
die Verantwortung zu übernehmen, widerspräche es, die Strafverfolgung
gegen den Redaktor von der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens
abhängig zu machen (BGE 76 IV 8, 67); nicht weniger verstiesse aber gegen
den Sinn des Gesetzes, die schon eingeleitete und möglicherweise zur
Spruchreife oder gar zum Abspruch gelangte Strafverfolgung (BGE 76 IV
69 E. 5) gegen den Redaktor selbst bei Antragsdelikten von Amtes wegen
aufzuheben und dahinfallen zu lassen, wenn der Verfasser nachträglich
bekannt wird. Vielmehr muss angenommen werden, dass der verantwortliche
Redaktor, der durch seine Auskunftsverweigerung den Verletzten zwingt, die
subsidiäre Haftung des Redaktors geltend zu machen, das Recht verwirkt,
sich dieser Haftung nachträglich zu entziehen. Diese Folgerung, welche
übrigens auch im früheren kantonalen Recht zu finden ist (vgl. St. Gallen §
195 StGB; SJZ 12, 237 Nr. 308), liegt nicht nur in der Sonderregelung des
Art. 27 StGB begründet, sondern drängt sich geradezu auf, soll nicht einem
unwürdigen Spiel mit der Rechtspflege Tür und Tor geöffnet werden. Dabei
geht es nicht so sehr um das Antragsrecht des Verletzten, sondern und
vor allem um den staatlichen Strafanspruch (vgl. BGE 79 IV 103), der nach
der Regel von Art. 27 Ziff. 3 Abs. 1 StGB dem Redaktor gegenüber besteht.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass ein Teil der Kläger -
wie die Vorinstanz in Auslegung kantonalen Verfahrensrechtes feststellt -
vorsorglich gegen Dr. Bösch selbst Klage einleitete für den Fall, dass
die Passivlegitimation des Beschwerdeführers verneint würde. Eine solche
vorläufige Rechtsvorkehr berührt in keiner Weise die grundsätzliche Frage,
die unabhängig davon zu beantworten ist, ob gegen den mutmasslichen
Verfasser vorsorglich ebenfalls Klage eingeleitet sei oder nicht. Das
hievon abweichende Vorbringen des Beschwerdeführers findet weder in BGE 76
IV 68 noch in BGE 79 IV 55 eine Stütze, da in keinem dieser Fälle zur Frage
Stellung zu nehmen war, ob bei nachträglichem Bekanntwerden des Verfassers
der bereits strafrechtlich verfolgte Redaktor von Amtes wegen von seiner
Verantwortung zu entlasten sei. Dasselbe trifft auf BGE 32 I 453 zu,
wo lediglich zur Beurteilung stand, ob ein Dritter als Zeuge die Aussage,
wer der Verfasser sei, in einem nach zürcherischem Recht (unter Vorbehalt
der definitiven Anklage gegen den zu ermittelnden Verfasser) vorläufig
gegen den Redaktor geführten Ehrverletzungsprozess verweigern könne.

    Zu dem in diesem Zusammenhang gemachten Hinweis des Beschwerdeführers
auf Art. 16 Abs. 1 OG ist zu bemerken, dass das zur Zeit des erwähnten
bundesgerichtlichen Entscheides vom 20. September 1906 geltende OG vom 22.
März 1893 keine Bestimmung diesen oder ähnlichen Inhalts kannte. Als
eine solche erstmals durch Art. 23 Abs. 2 des Bundesgesetzes betreffend
Änderung der Organisation der Bundesrechtspflege vom 6. Oktober 1911
(AS. 1912 S. 49) eingeführt wurde, hat das Plenum des Bundesgerichtes
entschieden, dass die zit. Bestimmung nur dann anwendbar sei, wenn eine
der gegenwärtigen Abteilungen eine Rechtsfrage anders entscheiden möchte,
als dies seit der Neuorganisation des Bundesgerichtes von Seiten einer
andern Abteilung oder des Plenums geschehen sei (BGE 38 II 726). Etwas
anderes kann auch für Art. 16 des OG vom 16. Dezember 1943 nicht gelten,
der an Stelle des früheren Art. 23 Abs. 2 getreten ist.