Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 576



82 II 576

77. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. Dezember 1956 i. S. Fux gegen
Domig. Regeste

    Vorkaufsrecht des Miteigentümers. Art. 682 ZGB.

    1.  Zur Frage der Passivlegitimation. (Erw. 1).

    2.  Die Geltendmachung der Ungültigkeit oder einseitigen
Unverbindlichkeit des Kaufvertrages bleibt auch gegenüber dem
Vorkaufsberechtigten vorbehalten. (Erw. 3).

    3.  Liegt ein Formmangel des Kaufvertrages um ein Grundstück vor,
wenn nur der vom Käufer zu bezahlende Nettopreis angegeben wird,
ohne Berücksichtigung des Mehrwertes, den er während des bisherigen
Mietverhältnisses auf eigene Kosten geschaffen hat? (Erw. 4).

    4.  Auch für den Vorkaufsberechtigten ist der wahre, allenfalls vom
Wortlaut abweichende Inhalt des Kaufvertrages massgebend. (Erw. 5).

    5.  Irrtümliche Mitteilung der Vertragsbestimmungen an den
Vorkaufsberechtigten. Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR. (Erw. 6).

    6.  Irrtümliches Verschweigen einer Vertragsgrundlage. Art. 24 Abs. 1
Ziff. 4 OR. (Erw. 7).

Sachverhalt

    A.- Das Grundstück Nr. 102, Blatt 2, Wohnhaus samt Werkstatt an
der Hauptstrasse in Visp, steht in hälftigem Miteigentum mit (offenbar
auf altes Stockwerkseigentum zurückgehender) ausschliesslicher Zuweisung
einzelner Teile der Liegenschaft an den einzelnen Miteigentumsanteil. Der
eine Anteil gehört dem Kläger Fux, der andere, umfassend den ersten
Stock, Laden- und Kellerräume sowie eine Werkstatt, gehörte bis zum
Frühjahr 1954 der Frau Chaperon-Nettis. Sie bewohnte die Wohnung des
ersten Stockes, während die ihrem Anteil zugehörigen Geschäftsräume
des Erdgeschosses seit 1944 dem Beklagten Domig vermietet waren. Dieser
hatte auf eigene Kosten (für Fr. 25'150.--) Umbauten und Installationen
für sein Milchgeschäft vornehmen und (für Fr. 10'795.--) dem Kläger Fux
einen Keller erstellen lassen, um dessen Nutzniessungsrecht am südlichen
Vorraum abzulösen. Die Rechtsvorgängerin der Frau Chaperon, nämlich ihre
Mutter, hatte dem Beklagten zugesichert, er werde bei einem Verkauf ihres
Miteigentumsanteils für seine Aufwendungen entschädigt werden.

    B.- Die in bedrängter Lage befindliche Frau Chaperon sah sich im
Frühjahr 1954 veranlasst, ihren Miteigentumsanteil dem Beklagten zu
verkaufen. Nach mündlicher Einigung setzten sich die Vertragsparteien
am 26. Mai 1954 mit Notar Hans Wyer in Verbindung, der den Kaufvertrag
am Nachmittag desselben Tages verurkundete und gleich am Abend an das
Grundbuchamt sandte. Im Vertrage war der Kaufpreis auf Fr. 77'000.--
bestimmt, zahlbar durch Tilgung der beiden Hypotheken der Walliser
Kantonalbank und durch Überweisung des Restbetrages an die Verkäuferin. Die
dem Notar nicht mitgeteilte Vertragsmeinung ging jedoch dahin, der Betrag
von Fr. 77'000.-- sei nur der Preis "für das nackte Geschäft und für die
Wohnung" ohne die von Domig vorgenommenen Umbauten und Installationen;
den in diesen Ausgestaltungen liegenden Mehrwert solle Domig nun als
Vergütung für seine Aufwendungen erhalten.

    Ferner bestand eine auf den Rat des Notars nicht in den Kaufvertrag
aufgenommene Nebenvereinbarung, wonach Frau Chaperon bis Ende 1954
unentgeltlich und vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1955 zu einem monatlichen
Mietzins von Fr. 50.- in den von ihr bisher innegehabten Räumlichkeiten
wohnen und Keller, Unterdach und Plätze benützen dürfe.

    C.- Am 28. Mai 1954 gab der Notar im Auftrag der Vertragsschliessenden
dem vorkaufsberechtigten Kläger Kenntnis vom Abschluss des Kaufvertrages
und vom Preis von Fr. 77'000.--. Der Kläger erklärte am 22. Juni 1955,
sein Vorkaufsrecht zu den ihm mitgeteilten Vertragsbestimmungen ausüben
zu wollen. Hierauf orientierten die Vertragschliessenden den Notar über
den dem Kaufsobjekt beigemessenen Mehrwert und über ihre Vereinbarung,
diese Wertdifferenz dem Käufer Domig als Vergütung für seine Aufwendungen
zukommen zu lassen, weshalb sich eben die Verkäuferin für sich selbst
mit einem Preis von Fr. 77'000.-- begnügt habe.

    D.- Um dieser Sachlage Rechnung zu tragen, schlossen Frau Chaperon
und Domig am 7. Juli 1954 einen neuen Kaufvertrag, der an die Stelle
desjenigen vom 26. Mai 1954 treten sollte und in Ziff. 1 bestimmt:

    "1. Nichtigerklärung des Vertrages vom 26. Mai 1954.

    Domig Anton, des Viktor, einerseits, Frau Antoinette Nettis-Chaperon,
andererseits, unter Zustimmung ihrer Ehegatten, andererseits erklären
den Vertrag zwischen denselben Parteien vom 26. Mai 1954 als nichtig,
da die Kaufpreisbestimmung dieses Vertrages auf Irrtum beruht,
da die Parteien ihren wirklichen Willen nicht voll zum Ausdruck
brachten. Die Parteien haben den von Anton Domig als Mieter in dem von
ihm zu erwerbenden Kaufobjekt geschaffenen Mehrwert im Vertrage nicht
angeführt und bloss die Gegenleistung für den Gebäudeanteil ohne diesen
Mehrwert zu Urkunde gegeben. Der angegebene Kaufpreis von Fr. 77'000.--
(siebenundsiebzigtausend Franken) entspricht daher nicht der ganzen
Gegenleistung Domigs und es entspricht dem wirklichen Willen der Parteien
eine Angabe des Kaufpreises für Gebäudeanteil einschliesslich des durch
Umbauten geschaffenen Mehrwertes."

    Ferner ist dem neuen Vertrag zu entnehmen:

    "Kaufpreis: Der Kaufpreis für Gebäudeanteil und die festen
Installationen, die einen Mehrwert von Fr. 40'000.-- (vierzigtausend
Franken) darstellen, beträgt total Fr. 117'000.-- (hundertsiebzehntausend
Franken).

    Zahlungsmodus:

    Herr Domig bezahlt der Kantonalbank den Saldo der bestehenden
Hypotheken Nr. 138 und Nr. 46. Der Restbetrag bis auf Fr. 77'000.--
wird in bar bezahlt. Anton Domig bezahlt durch Hypothekenzahlung und
Barzahlung Fr. 77'000.-- der Differenzbetrag von Fr. 40'000.-- gilt als
durch die Bauaufwendungen und den damit geschaffenen Mehrwert als erlegt.

    Für den Fall der Geltendmachung des Vorkaufsrechtes sind vom
Vorkaufsberechtigten Fr. 40'000.-- (vierzigtausend Franken) an Anton
Domig zu zahlen, als Ersatz für seine Bauaufwendungen und den damit
geschaffenen Mehrwert."

    Die früher bloss mündlich getroffene Nebenvereinbarung über die der
Verkäuferin erteilte Wohnerlaubnis wurde in den neuen Vertrag aufgenommen,
mit dem Zusatze: "Diese Nebenvereinbarung ist im Falle der Geltendmachung
des Vorkaufsrechtes ebenfalls zu übernehmen."

    E.- Der Kläger wurde vom neuen Vertragsschluss benachrichtigt. Er
bezeichnete das Vorgehen der Vertragsparteien als gesetzwidrig und
erklärte, er halte sich an den frühern Kaufvertrag und beharre auf
seinem Vorkauf zum Preis von Fr. 77'000.-- Die Nebenvereinbarung über
die Wohnerlaubnis an Frau Chaperon anerkenne er auch und betrachte sie
als Bestandteil des früheren Kaufvertrages.

    F.- Er erhob am 15. September 1954 gegen den bereits im Grundbuch
eingetragenen Käufer Domig Klage mit den Rechtsbegehren:

    "1. Es wird festgestellt, dass das von Fux Marinus durch Schreiben
vom 23. Juni 1954 an Grundstücknummer 102, Blattnummer 2, Hauptstrasse,
Visp, Wohnhaus und Werkstatt, geltend gemachte Vorkaufsrecht zu Recht
besteht und zwar zu den Bedingungen, wie sie im Kaufvertrag vom 26. Mai
1954 festgelegt sind, unter Anerkennung der Nebenvereinbarung, wonach
Domig Anton Frau Chaperon-Nettis gestattet, in den von ihr heute bewohnten
Räumlichkeiten bis Ende 1954 gratis und bis Juni 1955 zum Preis von
Fr. 50.- pro Monat zu wohnen.

    2. Fux Marinus ist gegen Bezahlung des Kaufpreises in der
Höhe von Fr. 77'000.--, zahlbar durch Übernahme der Hypotheken und
Verfügungsbeschränkung, gemäss Aufstellung vom 8. Juli 1954 und eines
Saldobetrages von Fr. 23'523.40, Betrag, der seit 8. Juli 1954 bei der
Darlehenskasse Visp zur Verfügung steht, als Eigentümer der an Domig Anton
verkauften Hälfte an Grundstücknummer 102, im Grundbuchamt einzutragen.

    3. Herr Fux Marinus erklärt sich bereit, die für die grundbuchamtliche
Behandlung des Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 bezahlten grundbuchamtlichen
Gebühren sowie die Stipulationsgebühr des Notars zu bezahlen.

    4. Domig Anton bezahlt an Fux Marinus als Mietzinsausfall pro Monat Fr.
250.-- und zwar ab 1. Juni 1954.

    5. Domig Anton bezahlt die sämtlichen Kosten des Verfahrens und
des Urteils."

    Der Beklagte beantragte die gänzliche Abweisung der Klage, eventuell
die Abweisung im Sinne der Feststellung, dass der Kläger ihm nebst seinen
Kapital- und Zinsaufwendungen seit dem 26. Mai 1954 noch für Umbauauslagen
und Wertvermehrung Fr. 40'000.--, richterliches Ermessen vorbehalten,
zu bezahlen habe.

    G.- Nach dem Befund der Gerichtsexperten beträgt der Wert des
verkauften Miteigentumsanteils, auf den Monat Mai 1954 berechnet,
Fr. 123'435.--. Der Kläger beharrte jedoch auch in seinem Schlussantrag
auf seinen Rechtsbegehren. Die Zahlung eines Preises von Fr. 117'000.--
hatte er ausdrücklich abgelehnt.

    H.- Das Kantonsgericht des Kantons Wallis hat die Klage mit Urteil
vom 22. Mai 1956 abgewiesen in Anwendung von Art. 24 OR, im wesentlichen
mit folgender Begründung:

    "Die Vertragsparteien waren sich darüber einig, dass das Kaufobjekt,
inclusive Umbauten, die zu dessen Bestandteilen geworden waren und einen
erheblichen Mehrwert herbeigeführt hatten, Fr. 117'000.-- wert sei. Sie
sagten sich alsdann, von diesem Kaufpreis gehört Fr. 40'000.-- Domig,
der für die Auslagen bei den Umbauarbeiten einen Ersatzanspruch hat, der
Rest von Fr. 77'000.-- gehört der Verkäuferin. Im Kaufvertrag wurde dann
nur dieser Teil von Fr. 77'000.-- als Kaufpreis angegeben... Die Parteien
konnten sich auf Art. 24 Ziff. 3 und event. 4 OR berufen. Frau Chaperon
schuldete ihrem Mieter Ersatz für die von ihm gemachten Aufwendungen. Wenn
sie, wie der Kläger behauptet, aus einem Kaufpreis von bloss Fr. 77'000.--
den Mieter dafür entschädigen muss, dann hat sie sich eine Gegenleistung
von erheblich geringerem Umfang versprechen lassen, als es ihr Wille war
(Art. 24 Z. 3).

    Die Vertragsparteien, die um das Vorkaufsrecht des Fux wussten,
durften aber auch nach Treu und Glauben als notwendige Grundlage des
Vertrages annehmen, dass Fux den ganzen Kaufpreis zu ersetzen hatte, also
den Teil, der Domig gehörte und jenen, auf den Frau Chaperon Anrecht hatte
(Art. 24 Z. 4 O.R.).

    Es handelte sich also auf keinen Fall um einen blossen Motivirrtum,
sondern um einen wesentlichen Irrtum.

    Statt mm den Richter anzugehen, damit dieser den Vertrag als nichtig
erkläre, haben die Parteien, was durchaus vernünftig war, den Vertrag
vom 26. Mai 1954 selbst nichtig erklärt. Ein nichtiger Vertrag kann
jedoch nicht zur Ausübung eines Vorkaufsrechtes Grundlage bieten,
denn die Ausübung des Vorkaufsrechtes hat einen gültigen Kaufvertrag
zur Voraussetzung."

    I.- Mit vorliegender Berufung erneuert der Kläger die Klagebegehren,
die er nun als Primärbegehren a - d bezeichnet. Er fügt folgende
Eventualanträge bei:

    "Subsidiär:

    a)  Die Primärbegehren a - d werden dem Kläger zugesprochen gegen
Bezahlung des Kaufpreises von Fr. 77'000.-- an die Verkäuferin und
gegen angemessenen Ersatz der vom Mieter Domig Anton aufgebrachten
Wertvermehrungen, den den Beklagten (sollte wohl heissen: an den
Beklagten).

    b)  Domig Anton bezahlt sämtliche Kosten erster Instanz und der
Berufung".

    Der Beklagte schliesst auf kostenfällige Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Vorkaufsrecht bleibt ein persönliches Recht, auch wenn
ihm verstärkte Wirkung zukommt, sei es kraft gesetzlicher Vorschrift
(wie unter Miteigentümern), sei es kraft Vormerkung gemäss Art. 959
in Verbindung mit Art. 681 ZGB (vgl. GUHL, Persönliche Rechte mit
verstärkter Wirkung, in der Festgabe für das Bundesgericht, S. 125
ff.). Deshalb hat als "Vorkaufsverpflichteter" der Verkäufer zu gelten
und ist nach verbreiteter Ansicht eine Klage des Vorkaufsberechtigten,
selbst wenn der Käufer inzwischen im Grundbuch eingetragen wurde, nicht
gegen ihn, sondern gegen den Verkäufer anzuheben (vgl. HAAB, N. 55 in
Verbindung mit N. 36-39 zu Art. 681/2 ZGB; anderseits MEIER-HAYOZ, Vom
Vorkaufsrecht, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 92 S. 302/3). Ob
der vorliegenden, gegen den Käufer gerichteten Klage dessen fehlende
Passivlegitimation entgegengehalten werden könne, mag indessen offen
bleiben, weil sich die Klage auch abgesehen davon als unbegründet erweist.

Erwägung 2

    2.- Das Vorkaufsrecht gibt dem Berechtigten (sofern mit ihm nichts
anderes vereinbart worden ist) Anspruch auf Erwerb des Kaufsobjektes
zu den wirklichen Bedingungen des Kaufsgeschäftes. Dazu gehört hier
auch die (obgleich nicht öffentlich beurkundete) Nebenvereinbarung über
die der Verkäuferin eingeräumte befristete Wohnerlaubnis zu bestimmten
Bedingungen. Das Kantonsgericht hält nicht für bewiesen, dass der Kläger
diese Nebenvereinbarung binnen Monatsfrist, seitdem er davon erfahren
(Art. 681 Abs. 3 ZGB), als auch für ihn verbindlich anerkannt habe. Es
weist auf das erst nach Ablauf dieser Frist ergangene Schreiben seines
Anwaltes vom 7. August 1954 hin. Allein es fällt ausserdem die von Frau
Chaperon bezeugte persönliche Erklärung des Klägers in Betracht, die er
abgab, als er "in den Mietvertrag Einsicht nahm", in einem Zeitpunkt, der
allenfalls (nach Rückweisung der Sache an die Vorinstanz) noch abzuklären
wäre. Dieser Punkt kann jedoch gleichfalls auf sich beruhen bleiben,
da der Kläger das Vorkaufsrecht auch bei rechtzeitiger Anerkennung der
Nebenvereinbarung nicht in rechtswirksamer Weise ausgeübt hat.

Erwägung 3

    3.- Die Parteien des Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 waren allerdings
nicht ohne weiteres berechtigt, ihre Vereinbarungen angesichts der
Eintrittserklärung des Klägers zu widerrufen und durch einen neuen
Vertrag mit erhöhtem Kaufpreis zu ersetzen. Mit dem Abschluss eines
Kaufvertrages ist der Vorkaufsfall gegeben, und der Vertrag bleibt
zugunsten des Vorkaufsberechtigten bestehen, zumal nachdem er das
Vorkaufsrecht ausgeübt hat (BGE 42 II 28 ff., Erw. 5). Dabei ist aber
ein gültiger Vertragsschluss vorausgesetzt. Fehlt es daran, sei es wegen
Formmangels, wegen fehlender Urteilsfähigkeit einer Partei oder wegen
Verstosses gegen Art. 27 ZGB oder 20 OR, so liegt auch kein Vorkaufsfall
vor. Und bei einseitiger Unverbindlichkeit des Kaufvertrages infolge
eines Willensmangels (Art. 23 ff. OR) besteht ein Schwebezustand. Das
Vorkaufsrecht kann die Geltendmachung der Unverbindlichkeit nicht hindern
(vgl. HAAB, N. 34 zu Art. 681/2 ZGB). Erweist sich der Kaufvertrag in
der Tat als unverbindlich, so fällt auch der Vorkauf dahin, und wenn
alsdann die Vertragsparteien einen neuen, gültigen Kauf abschliessen,
fällt nur mehr dieser als Vorkaufsfall in Betracht.

Erwägung 4

    4.- Die Annahme eines Irrtums der einen oder andern der
Vertragsparteien beim Abschluss des Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 stösst
indessen auf Bedenken. Sie waren unter sich über die gegenseitigen Rechte
und Pflichten einig, insbesondere auch darüber, dass der als Kaufpreis
bezeichnete Betrag von Fr. 77'000.-- nur dem "nackten Wert von Geschäft
und Wohnung" ohne den vom Beklagten geschaffenen Mehrwert entsprach, und
dass dieser im Sinne einer Verrechnung zu berücksichtigen war. Dieser
Willensmeinung entsprechend hätte sich der Vollzug des Kaufvertrages
denn auch ohne das Dazwischentreten des Klägers ausgewirkt, und es hätte
alsdann für keine der Vertragsparteien Grund bestanden, den Vertrag wegen
Irrtums anzufechten.

    Fraglich ist eher die Formgültigkeit des bloss den Nettopreis
angebenden Kaufvertrages (vgl. BGE 78 II 221 ff.). In dieser Beziehung ist
aber nichts eingewendet worden weshalb auch ungeprüft bleiben mag, ob es
als Formerfordernis zu betrachten wäre, den dem Käufer als Ersatz für seine
Aufwendungen zugewendeten Mehrwert ziffermässig zu bestimmen, obgleich
er nach der Vertragsmeinung ohne weiteres mit einer Ersatzforderung von
gleichem Betrage zu verrechnen war.

Erwägung 5

    5.- Angesichts dieser übereinstimmenden Willensmeinung der
Vertragsparteien ist zunächst nicht von einem Willensmangel, sondern
von der dem Vertrag abweichend vom Wortlaut zu gebenden Auslegung
auszugehen (vgl. W. BURCKHARDT, Die Auslegung der Verträge, Zeitschr. des
bern. Juristenvereins 71 S. 425 ff., namentlich 427/8). Alsdann erscheint
aber die Eintrittserklärung des Klägers deshalb als rechtsunwirrksam, weil
sie wohl dem Wortlaut des Vertrages, nicht aber der wahren Vertragsmeinung
entsprach und er auch nach Aufklärung über den Sinn des Vertrages keine
entsprechende Mehrleistung zugestand. Gewiss erhielt er eine zahlenmässige
Angabe hierüber erst, als ihm der neue Kaufvertrag vom 7. Juli 1954
(tags darauf) mitgeteilt wurde. Allein demgegenüber verhielt er sich
einfach ablehnend; weder stimmte er der ihm zugedachten Mehrleistung von
Fr. 40'000.-- zuhanden des Beklagten zu, noch erklärte er sich bereit,
einen dessen Aufwendungen zuzuschreibenden, von Sachverständigen
zu schätzenden Mehrwert zum Nettopreis von Fr. 77'000.-- hinzu zu
übernehmen. An dieser Stellungnahme hielt er auch nach Bekanntgabe
des Expertenbefundes im Prozess fest und beharrte gemäss seinen im
Schlussantrag erneuerten Rechtsbegehren auf dem Anspruch, das Kaufsobjekt
im Wert von ca. Fr. 123'000.-- zu Fr. 77'000.-- zu erwerben, um den
Mehrwert unentgeltlich zu erhalten, wobei der Verkäuferin anheimgegeben
wäre, den Beklagten aus diesem Nettopreis zu entschädigen oder leer
ausgehen zu lassen. Erst in der bundesgerichtlichen Instanz stellt er einen
entgegenkommenden Eventualantrag, der aber (abgesehen von der Versäumung
der Ausübungsfrist des Art. 681 Abs. 3 ZGB) als neu ausser Betracht
fallen muss (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG). Somit ist dem Kantonsgericht
darin beizustimmen, dass es an einer rechtzeitig abgegebenen gültigen
Ausübungserklärung des Klägers, wonach er den Kaufvertrag gemäss seinem
wahren Inhalt hätte erfüllen wollen, gefehlt hat.

Erwägung 6

    6.- Diese Erwägungen fassen das Vorkaufsrecht, der heute
vorherrschenden Auffassung gemäss, als ein Gestaltungsrecht ins Auge
(vgl. MEIER-HAYOZ, Zeitschrift des bernischen Juristenvereins 92 S. 303/4),
bei dessen Ausübung die Wirkungen des Kaufvertrages, so wie er nach
dem wahren Willen der Vertragsparteien auszulegen ist, nunmehr für den
Vorkaufsberechtigten an Stelle des Käufers gelten. Im vorliegenden Falle
hätte es hiefür, wie aus dem Ausgeführten hervorgeht, einer Konversion
bedurft. Denn der Kläger wäre nicht wie der Beklagte in der Lage gewesen,
den Mehrwert des Kaufsobjektes an Erfüllungstatt zu erwerben oder,
anders ausgedrückt, die dem Mehrwert entsprechende Preisdifferenz
mit einer Ersatzforderung zu verrechnen. Deshalb hätte an die Stelle
der Annahme an Erfüllungstatt oder der Verrechnung eine zusätzliche
Preiszahlung treten müssen, sei es gemäss der von den Vertragsparteien
selbst im zweiten Kaufvertrag vorgenommenen Bemessung oder nach einem
darüber einzuholenden Expertenbefund. Legt man dagegen der Ausübung des
Vorkaufsrechtes (mit BGE 42 II 35/6) die Wirkung bei, dass nun ein neuer
Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Vorkaufsberechtigtem zustande komme,
so hat die Anzeige des Kaufsabschlusses an den Vorkaufsberechtigten
gewissermassen den Sinn einer Vertragsofferte. Davon ausgehend, ist dem
Beklagten die Berufung auf den Irrtum zuzugestehen, mit dem die vom Notar
vorgenommene Anzeige des ersten Kaufvertrages vom 26. Mai 1954 an den
Kläger behaftet war. Dem Notar war hiebei unbekannt, und in der Anzeige
blieb daher unerwähnt, dass die Vertragsparteien dem Kaufsobjekt - mit
Recht, wie die Prozessexpertise ergeben hat - einen beträchtlichen Mehrwert
zuschrieben, den der Beklagte zwar nicht durch zusätzliche Preiszahlung,
wohl aber durch Verrechnung seiner Ersatzforderung ausgleichen sollte. Das
war ein erheblicher Vertragspunkt, und indem die vom Notar als Vertreter
der Vertragsparteien an den Kläger gestellte "Offerte" diese vom Beklagten
durch Verrechnung zu erbringende Mehrleistung unerwähnt liess, war sie
irrtümlich im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Ziff. 3 OR.

Erwägung 7

    7.- Die Irrtumsanfechtung, wie sie hier einredeweise erfolgt
ist, muss auch dann durchgreifen, wenn man die am 26. Mai 1954
mündlich vereinbarte Zuwendung des auf die Aufwendungen des Beklagten
zurückzuführenden Mehrwertes an ihn zur Tilgung seiner Ersatzforderung
nicht als Bestandteil des Kaufvertrages, sondern als eine davon getrennte
Zusatzabrede betrachtet. In diesem Fall erhebt sich zunächst die Frage,
ob der Kaufvertrag, für sich allein genommen, eine gemischte Schenkung
gewesen sei, die nach verbreiteter, immerhin umstrittener Ansicht gar
keinen Vorkaufsfall darstellen würde (vgl. ein Urteil des bernischen
Appellationshofes in ZbJV 69 S. 443/4; WIEDERKEHR, Das gesetzliche
Vorkaufsrecht des Miteigentümers, S. 122; SCHMID, Das Vorkaufsrecht,
S. 75; Entscheidungen des deutschen Reichsgerichtes in Zivilsachen 101
S. 99 ff.). Wie dem aber auch sein möge, erscheint die Vereinbarung über
die Berücksichtigung des vom Beklagten geschaffenen Mehrwertes sowohl
vom Standpunkte der Vertragsparteien aus wie auch nach Treu und Glauben
im Verkehr als eine wesentliche Grundlage des Kaufgeschäftes. Die in
Unkenntnis davon erfolgte Vertragsanzeige an den Kläger, die einfach
den verurkundeten Kaufpreis von Fr. 77'000.-- nannte, beruhte auf
einem schwerwiegenden Irrtum, indem sie die erwähnte Vertragsgrundlage
verschwieg. Dieser Irrtum kann dem Kläger nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR
entgegengehalten werden.

    Natürlich durften die Vertragsparteien den ihrem Vertreter
unterlaufenen Irrtum nicht dazu ausnützen, dem Kläger die Ausübung seines
Vorkaufsrechtes bei diesem Kaufgeschäft nun überhaupt unmöglich zu machen
(vorausgesetzt, man habe es nicht, wie oben angedeutet, mit einer dem
Vorkaufsrecht entzogenen "gemischten Schenkung" zu tun). Sie hatten
die irrige Anzeige durch eine richtige zu ersetzen und sich vorerst, um
dies tun zu können, über den Betrag der vom Kläger in bar zu leistenden
Preisdifferenz zu einigen. Das geschah durch den neuen Kaufvertrag
vom 7. Juli 1954, in den einzutreten der Kläger jedoch ablehnte, ohne
seinerseits eine Schätzung des heutigen Gebäudewertes und speziell des
durch die Umbauten und Einrichtungen des Beklagten bewirkten Mehrwertes
zu verlangen und einen entsprechenden Mehrpreis anzubieten.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes des
Kantons Wallis vom 22. Mai 1956 bestätigt.