Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 555



82 II 555

74. Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1956 i.S. Fides
Treuhand-Vereinigung gegen Wwe Schoeller. Regeste

    Nichtigkeitsbeschwerde wegen Anwendung kantonalen statt eidgenössischen
Rechtes (Art. 68 Abs. 1 lit. a OG).

    1.  Ausschluss der Nichtigkeitsbeschwerde, wenn Berufung zulässig ist
(Erw. 1 und 2).

    2.  Unter den sonstigen Voraussetzungen unterliegt auch ein im
summarischen Verfahren ergangener Entscheid der Berufung, wenn er ohne
Vorbehalt eines ordentlichen Verfahrens einen endgültigen Befehl (hier:
zur Vorlegung von Urkunden) ausspricht (Erw. 3).

    3.  Wann ist der Anspruch auf Vorlegung von Urkunden
materiellrechtlicher Natur? (Erw. 4).

    4.  Wann ist er vom Bundesrecht beherrscht? (Erw. 7).

    5.  Die Einsichtnahme in Urkunden ist kein der Erbengesamtheit
vorbehaltener Verfügungsakt (Art. 602 Abs. 2 ZGB), sondern steht jedem
einzelnen Erben zu (Erw. 7).

    6.  Wann genügt im Berufungsverfahren ein Antrag auf Rückweisung der
Sache an die kantonale Instanz? (Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- Frau Ilse Schoeller war die Ehefrau des am 29.  September 1951 in
Zürich verstorbenen Hans-Rütger Walter Leopold Schoeller. Das Verhältnis
der Ehegatten hatte sich seit dem Jahre 1941 in zunehmendem Masse
verschlechtert. In den Jahren 1944 und 1945 unternahm die Ehefrau in den
Vereinigten Staaten von Amerika und in der Schweiz verschiedene rechtliche
Schritte gegen den Ehemann (auf Festsetzung von Unterhaltsbeiträgen,
Ehetrennung, Entmündigung). Im Mai 1946 leitete sodann der Ehemann beim
Bezirksgericht Unterlandquart Scheidungsklage gegen sie ein. Die Klage
wurde in erster Instanz geschützt, vom Kantonsgericht von Graubünden und
vom Bundesgericht (Urteil vom 23. November 1950) jedoch wegen überwiegenden
Verschuldens des Ehemannes abgewiesen. Zu einer Versöhnung der Ehegatten,
die seit 1942 getrennt lebten, kam es nicht.

    B.- Der Erblasser, der seit 1936 an einer schweren, langsam
fortschreitenden Gehirnerkrankung (Parkinsonismus) litt, hatte die
Fides Treuhandvereinigung in Zürich mit der Verwaltung seines Vermögens
betraut. Sie übte diese Tätigkeit bis zu seinem Tode aus und stand ihm
auch im Scheidungsprozess mit ihrem Rate bei. Der Erblasser errichtete
mehrere letztwillige Verfügungen, in denen er die Ehefrau enterbte und
die Fides als Willensvollstreckerin einsetzte. Im letzten Testament vom
24. Oktober 1947 widmete er den nach Abzug der Nachlasspassiven und eines
Vermächtnisses verbleibenden Teil seines Vermögens einer Familienstiftung,
als deren ersten Stiftungsrat er die Fides bezeichnete.

    C.- Nach dem Tode des Erblassers erhob die Ehefrau Klage
auf Ungültigerklärung seiner letzten Testamente wegen Irrtums
und Handlungsunfähigkeit des Testators; ausserdem focht sie ihre
Enterbung wegen Unrichtigkeit des Enterbungsgrundes an. Im zweiten
Punkte schützte das Bezirksgericht Zürich die Klage mit Urteil vom
10. März 1954 und anerkannte den Anspruch der Ehefrau auf einen Viertel
des gesamten Nachlasses als Pflichtteil. Das Urteil wurde von beiden
Parteien weitergezogen; doch liessen die Beklagten jenes Prozesses
ihre Appellation fallen, und die Appellation der Ehefrau hatte keinen
Erfolg. Das obergerichtliche Urteil vom 10. Januar 1956 erwuchs in
Rechtskraft. Somit steht nun fest, dass die Ehefrau im Umfange ihres
Pflichtteils Erbin des verstorbenen Ehemannes ist. Anderseits hat die
Fides ihr Amt als Willensvollstreckerin angenommen.

    D.- Mit Eingabe vom 31. März 1955 stellte Frau Ilse Schoeller beim
Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirksgerichtes Zürich das
Begehren, es sei der Fides zu befehlen, ihr bei der Gerichtskanzlei die
sämtlichen Nachlassakten zur Einsichtnahme vorzulegen, insbesondere

    a) die im Besitz der Fides befindlichen Akten des Erblassers selbst,

    b) die Akten der Fides über die Vermögensverwaltung und
Geschäftsbesorgung für den Erblasser vor dessen Tod,

    c) die Akten der Vermögensverwaltung und Geschäftsbesorgung der Fides
für den Nachlass seit dem Tode des Erblassers.

    Mit Verfügung vom 30. Juni 1955 wies der Einzelrichter die von der
Fides erhobene Unzuständigkeitseinrede ab und befahl ihr, der Klägerin
Frau Schoeller oder einem von ihr bevollmächtigten Vertreter in ihren
Geschäftsräumen Einsicht in die Akten zu gewähren, welche die Verfügung
genau umschreibt.

    E.- Gegen diese Verfügung rekurrierten beide Parteien, mit dem
Ergebnis, dass das Obergericht am 20. Januar 1956 den Rekurs der Klägerin
abwies und den Rekurs der Beklagten dahin guthiess, dass lediglich
vorzulegen seien "alle Urkunden, die für die wertmässige Berechnung der
gesetzlichen Erbquote der Klägerin am Nachlass des H.-R. Schoeller von
Bedeutung sind, insbesondere Depotverzeichnisse und Kontoabschlüsse
auf den Todestag des Erblassers, ferner Kontoauszüge bis zur letzten
Richtigbefundanzeige des Erblassers, sodann auch allfällige Akten über
herabsetzungs- oder ausgleichungspflichtige Zuwendungen zu Lebzeiten
des Erblassers".

    F.- Das Kassationsgericht des Kantons Zürich schützte mit Entscheid
vom 5. Mai 1956 eine von der Klägerin erhobene Nichtigkeitsbeschwerde
und fällte einen neuen Sachentscheid aus, wonach der Beklagten unter
Androhung von Ordnungsbusse für den Säumnisfall befohlen wird, innert
14 Tagen der Klägerin oder einem von ihr bevollmächtigten Vertreter in
ihren Geschäftsräumen zur Einsicht vorzulegen:

    a) alle aus der Vermögensverwaltung und Geschäftsführung für
H.-R. Schoeller bis zu seinem Tode herrührenden Akten, welche über
Veränderungen des Vermögens der Höhe oder der Zusammenstellung nach
Aufschluss geben,

    b) alle die Vermögensverwaltung und Geschäftsführung für den Nachlass
seit dem Tode von H.-R. Schoeller betreffenden Akten.

    Dieser Entscheid ist im wesentlichen wie folgt begründet: Das
Obergericht hat der Klägerin ein Recht auf Einsicht in die Nachlassakten
nur soweit zuerkannt, als sich ein solches Recht aus den Pflichten des
Willensvollstreckers nach Art. 518 Abs. 2 ZGB ableiten lässt. Im übrigen
hält das Obergericht dafür, sowohl nach Erbrecht wie nach Auftragsrecht
und nach § 232 des zürcherischen EG zum ZGB könne ein Einsichtsrecht nur
von allen Erben gemeinsam, dagegen nicht von einem einzelnen Miterben
ausgeübt werden. In dieser Betrachtungsweise liegt keine Verletzung klaren
Rechts, soweit Erbrecht und Auftragsrecht in Frage kommen. Die Art. 607
Abs. 3 und 610 Abs. 2 ZGB regeln die Auskunftspflicht der Miterben
untereinander, bestimmen aber nichts über die Auskunftspflicht Dritter
gegenüber den Miterben. Auch nach Auftragsrecht lässt sich die zwar im
Ergebnis unbefriedigende Ansicht vertreten, die Rechte des Auftraggebers
könnten nur von allen Erben gemeinsam ausgeübt werden. Dagegen verstösst
der angefochtene Entscheid gegen § 232 des zürcherischen EG zum ZGB. Im
Sinne dieser Vorschrift ist jeder einzelne Erbe an den Nachlassakten
beteiligt (was näher dargelegt wird). Der angefochtene Beschluss ist
daher nach § 344 Ziff. 9 ZPO aufzuheben. Da Weiterungen nicht nötig sind,
hat das Kassationsgericht einen neuen Entscheid in der Sache selbst zu
fällen (§ 349 ZPO). Nun gebührt der Klägerin unbeschränkte Einsicht in
diejenigen Akten, die Aufschluss geben über die Vermögensverwaltung
und Geschäftsführung der Beklagten für den Nachlass seit dem Tode
des Erblassers (lit. c ihres Klagebegehrens). Die Gewährung solcher
Einsichtnahme ist unerlässlich, weil der Erbe sonst das ihm gegen
den Willensvollstrecker zustehende Beschwerderecht und allfällige
Verantwortlichkeitsansprüche nicht wirksam geltend machen könnte. Um
dieser Rechte willen kann auch der Erblasser den Willensvollstrecker
nicht zum voraus von der Auskunftspflicht gegenüber den Erben entbinden. -
Von den Akten, die vor dem Erbfall in den Besitz der Beklagten gelangten,
sind solche, die sich auf die persönlichen Verhältnisse des Erblassers,
namentlich auf den Scheidungsprozess beziehen, der Einsichtnahme
durch die Klägerin zu entziehen. Es ist nicht zweifelhaft, dass der
Erblasser diese Schriftstücke vor ihr geheim halten wollte, und er
hatte ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die darin enthaltenen,
der Beklagten auf Grund eines Vertrauensverhältnisses preisgegebenen
Geheimnisse auch nach seinem Tode gewahrt werden. Insoweit erweist sich
somit das Klagebegehren a als unbegründet. - Soweit die aus dem Nachlass
stammenden Akten die Vermögensverhältnisse betreffen, muss dagegen die
Geheimhaltungspflicht gegenüber dem höhern Interesse der Klägerin an
einer gesetzmässigen Erbteilung zurücktreten. Im Hinblick auf die ihr
zustehenden Herabsetzungs- und Ausgleichungsansprüche (Art. 527, 626 ZGB)
darf sich die Klägerin über alle zu Lebzeiten des Erblassers eingetretenen
Veränderungen des Vermögens, sei es der Höhe oder der Zusammensetzung
nach, orientieren. Dabei braucht sie sich nicht mit der Einsicht in die
Buchungen der Beklagten zu begnügen, sondern kann verlangen, dass ihr auch
die Belege vorgewiesen werden, die über die Gründe und näheren Umständen
der Vermögensverschiebungen Aufschluss geben. In diesem Sinne sind die
Klagebegehren a und b zu schützen.

    G.- Gegen den Entscheid des Kassationsgerichtes hat die Beklagte
Nichtigkeitsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben. Sie stützt sich auf
Art. 68 Abs. 1 lit. a OG und stellt den Antrag,

    "es sei die Ziff. 2 lit. a) des Dispositivs des angefochtenen Urteils
aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, den Rekursentscheid der II.
Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 20. Januar 1956
wieder herzustellen."

    Die Klägerin beantragt, es sei auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht
einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 68 Abs. 1 OG ist "in Zivilsachen, die nicht nach
Art. 44-46 der Berufung unterliegen, gegen letztinstanzliche Entscheide
kantonaler Behörden Nichtigkeitsbeschwerde zulässig,

    a) wenn statt des massgebenden eidgenössischen Rechts kantonales oder
ausländisches Recht angewendet worden ist".

    Darauf beruft sich die Beklagte in der vorliegenden Beschwerde, indem
sie geltend macht, ihre Editionspflicht sei nicht nach dem vom kantonalen
Kassationsgericht angewendeten § 232 des zürcherischen EG zum ZGB, sondern
nach eidgenössischen Normen, nämlich Art. 602, eventuell 607 Abs. 3 und 610
Abs. 2 ZGB zu beurteilen. Mit der Anwendung jener kantonalen Vorschrift
greife der angefochtene Entscheid in das dem Bundesrecht vorbehaltene
Privatrecht ein.

    In der Antwort auf die Beschwerde hält die Klägerin die Berufung
auf Art. 68 Abs. 1 lit. a OG für unzulässig, "weil das Bundesgericht als
Beschwerdeinstanz nicht zu prüfen hat, ob eine kantonale Vorschrift richtig
oder falsch ausgelegt worden sei, sondern nur, ob zu Unrecht kantonales
statt Bundesrecht angewendet wurde". Nun behaupte die Beschwerdeführerin
nicht, § 232 des kantonalen EG verletze an sich Bundesrecht, sondern nur
in der vom Kassationsgericht gegebenen Auslegung.

    Dieser Einwand, mit dem die Beschwerdegegnerin ihren
Nichteintretensantrag begründet, ist nicht stichhaltig. Die Beschwerde
macht gerade geltend, es sei zu Unrecht kantonales statt Bundesrecht
angewendet worden, also den in Art. 68 Abs. 1 lit. a OG vorgesehenen
Beschwerdegrund. Aus dem angefochtenen Entscheid (Erw. V 2, S. 9 ff.,
und VI 2 a, S. 13 ff.) geht auch klar hervor, dass kantonales Recht,
nämlich § 232 des EG zum ZGB, angewendet worden ist. Die Frage, ob
statt dessen eidgenössisches Recht hätte angewendet werden sollen, kann
daher unter den nähern Voraussetzungen des Art. 68 OG Gegenstand einer
Nichtigkeitsbeschwerde bilden.

Erwägung 2

    2.- Dieses Rechtsmittel erweist sich jedoch aus einem andern, von
Amtes wegen zu berücksichtigenden Grunde als unzulässig. Wie sich aus
dem Eingang von Art. 68 OG ergibt, ist die Nichtigkeitsbeschwerde ein
der Berufung nach Art. 43 ff. OG subsidiäres Rechtsmittel. Sie ist also
nicht statthaft gegen einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid,
der dem Weiterzug durch das umfassendere Rechtsmittel der Berufung
unterliegt. Art. 68 OG geht stillschweigend davon aus, jeder der von ihm
vorgesehenen Beschwerdegründe (Abs. 1 lit. a und b) sei auch Berufungsgrund
und könne daher in einem der Berufung unterliegenden Falle ohne weiteres
auf diesem Wege geltend gemacht werden. Das trifft denn auch nach Art. 43
OG zu. Insbesondere ist nach dessen Abs. 2 das Bundesrecht nicht nur bei
unrichtiger Anwendung bundesrechtlicher Normen, sondern auch dann verletzt,
wenn ein eidgenössischer Rechtssatz zu Unrecht überhaupt nicht angewendet
worden ist. So verhielt es sich übrigens schon unter der Herrschaft
des frühern Organisationsgesetzes; in berufungsfähigen Fällen war daher
die zivilrechtliche Beschwerde nach Art. 87 Ziff. 1a OG ausgeschlossen
(BGE 65 II 247 ff.; vgl. auch BGE 71 III 192 ff. und BIRCHMEIER, N. 3,
a zu Art. 68 OG).

Erwägung 3

    3.- Nun möchte man freilich die Zulässigkeit einer Berufung gegen
den hier angefochtenen Entscheid zunächst in Zweifel ziehen. Erging er
doch in einem summarischen Verfahren, das seiner Natur nach nicht ohne
weiteres zur endgültigen Beurteilung zivilrechtlicher Ansprüche führen
kann. Aus diesem Grunde wurde denn auch einer im summarischen Verfahren
der §§ 277 ff. der zürcherischen ZPO gefällten Entscheidung der Charakter
eines Endentscheides im Sinne von Art. 48 OG gelegentlich abgesprochen
(BGE 81 II 85). Indessen lässt das im vorliegenden Fall eingeleitete,
obgleich summarische Befehlsverfahren auch eine endgültige Erledigung
der erhobenen Ansprüche zu. Denn im Unterschied etwa zur einstweiligen
Verfügung nach Art. 326 Ziff. 3 der bernischen ZPO, wobei die endgültige
Entscheidung immer einem Hauptprozesse vorbehalten bleibt (vgl. LEUCH,
N. 3 zu Art. 326 bern. ZPO), ist das Befehlsverfahren der zürcherischen
ZPO zulässig "zur schnellen Handhabung klaren Rechtes ... bei sofort
herstellbaren tatsächlichen Verhältnissen ..." (§ 292 Ziff. 1 zürch. ZPO)
und (nach Ziff. 5 daselbst) "zur Geltendmachung von Begehren um Vorlegung
von beweglichen Sachen" (worunter namentlich Urkunden zu verstehen sind;
STRÄULI-HAUSER, N. 7 zu Art. 292). Dabei handelt es sich nur unter
besondern Voraussetzungen um vorläufige Massnahmen, denen gegenüber ein
gerichtlicher Entscheid im ordentlichen Verfahren vorbehalten bliebe
(vgl. § 297 zürch. ZPO). Der angefochtene Entscheid wurde nicht im Sinne
einer solchen Massnahme getroffen; er enthält vielmehr einen endgültigen,
an keinen Vorbehalt geknüpften Befehl.

Erwägung 4

    4.- Hat man es also mit einem Endentscheid (der letzten kantonalen
Instanz) zu tun, so bleibt zu prüfen, ob der streitige Anspruch ein
zivil- oder aber ein prozessrechtlicher war. Nur im ersten Falle
liegt eine "Zivilrechtsstreitigkeit" vor, die auf dem Wege der
Berufung hätte weitergezogen werden können, sofern ihr Gegenstand
keiner vermögensrechtlichen Schätzung unterlag oder einen Streitwert
von mindestens Fr. 4000.-- hatte (Art. 44 und 46 OG). In dem von der
Vorinstanz angeführten Entscheide des zürcherischen Obergerichtes vom
26. Mai 1951 (BlZR 55 Nr. 12, S. 22 ff.) wird das Recht auf "Einsicht
in Privaturkunden zur eigenen Aufklärung über eine Rechtslage", soweit
es nicht im Rahmen eines sonstigen Prozesses geltend gemacht wird,
aus einer "vorprozessualen Editionspflicht" hergeleitet, die ebenso
wie die prozessuale Editionspflicht ihrem Wesen nach zum Prozessrecht
gehöre. Diese Ansicht entspricht der römisch-rechtlichen Zuweisung der
"actio ad exhibendum" zu den sog. präparatorischen Klagen, denen auch die
Klagen auf Rechnungslegung, z.B. auf Grund eines Mandatsverhältnisses,
eines Gesellschaftsverhältnisses usw., zugezählt wurden (vgl. DERNBURG,
System des römischen Rechts, 8. Auflage, I S. 258/9, § 125 Ziff. 2;
JOH. ALB. AFFOLTER, Die actio ad exhibendum und ihre Bedeutung für das
heutige Prozessrecht, S. 5; GUSTAV DEMELIUS, Die Exhibitionspflicht, S.
87 ff.). Im geltenden schweizerischen Rechte gibt es aber Ansprüche auf
Vorlegung von Urkunden (und auf Vorzeigung anderer beweglicher Sachen),
die richtigerweise dem materiellen Rechte zuzuweisen sind. Es mag hier
dahingestellt bleiben, wie es sich mit der speziellen Editionspflicht
im Prozess verhält, wie sie manche Prozessgesetze im Rahmen des
Beweisverfahrens vorsehen (vgl. z.B. Art. 50-54 BZP). Auch wenn man hiebei
und ebenso bei einer vorsorglichen Beweissicherung ("Beweis zu ewigem
Gedächtnis") von einer prozessualen Vorlegungspflicht (der Parteien und
auch dritter Personen) sprechen will und allenfalls muss, besteht daneben
eine nicht aus prozessualen Normen abzuleitende Vorlegungspflicht, die
nicht notwendig an dieselben Voraussetzungen gebunden ist, sich vielmehr
nur nach materiell-rechtlichen Grundsätzen sachgemäss rechtfertigen
lässt. Zu denken ist dabei an Vorlegungspflichten, die ohne jede
Bezugnahme auf ein gegenwärtiges oder künftiges Prozessverfahren geltend
gemacht werden. In solchen Fällen brauchen die Urkunden, die jemand
einzusehen wünscht, nicht notwendig als Beweismittel für Ansprüche ins
Auge gefasst zu werden. Es kann auch einfach eine Orientierung im Rahmen
einer privatrechtlichen Beziehung in Frage stehen, dazu bestimmt, das
geschäftliche oder sonstige persönliche Verhalten desjenigen, der sie
verlangt, zu beeinflussen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn, wie hier,
jemand ausserhalb eines Hauptprozesses oder Beweissicherungsverfahrens
nur gerade die Vorlegung von Urkunden verlangt und sich dabei auf ein
materiellrechtliches Verhältnis beruft, das ihm, wie er annimmt und
behauptet, Anspruch auf solche Orientierung ohne Rücksicht auf eine
allfällige künftige Prozessführung gibt. Ob ihm ein derartiger nicht auf
prozessuale Grundsätze gestützter Anspruch wirklich zustehe, ist eine Frage
des materiellen Rechtes, d.h. der das geltend gemachte materiellrechtliche
Verhältnis beherrschenden Normen. Selbst das Prozessrecht kann sich
übrigens damit begnügen, eine Editionspflicht nur gemäss den im materiellen
Rechte begründeten Vorlegungspflichten vorzusehen. So heisst es gerade
in § 328 der zürcherischen Zivilprozessordnung: "Die Pflicht, Urkunden
vorzulegen, richten sich nach den Bestimmungen des Privatrechtes". Damit
wird sowohl auf Vorschriften des eidgenössischen (z.B. Art. 963 OR) wie
auch auf solche des kantonalen Rechtes (§ 232 des EG zum ZGB) hingewiesen
(vgl. STRÄULI-HAUSER, N. 3 zu § 328 ZPO). Aus jener Vorschrift des
Prozessgesetzes ist zu ersehen, dass der zürcherische Gesetzgeber die
Pflicht zur Vorlegung von Urkunden und insbesondere auch die Vorschriften
von § 232 des EG zum ZGB als privatrechtliche betrachtet. Dem steht
nicht entgegen, dass § 231 der zürcherischen ZPO die Editionspflicht
Dritter im Prozess in das freie Ermessen des Richters stellt, also
anscheinend nicht streng an die dafür geltenden materiellrechtlichen
Normen bindet. Auch der Grundsatz, dass die Editionspflicht im Prozess
im interkantonalen Verhältnis durch allfällige im Wohnsitzkanton des
Urkundebesitzers geltende Weigerungsgründe beschränkt ist (BGE 47 I 87),
tut der materiellrechtlichen Natur der ausserprozessualen Vorlegungspflicht
keinen Abbruch. Jener Grundsatz lässt sich nur auf besondere prozessuale
Editionspflichten beziehen, die nicht oder doch nicht in vollem Umfange als
materiellrechtliche Vorlegungspflichten bestehen. An das materielle Recht
ist dagegen jedermann gebunden. Und wenn es sich um ein vom Bundesrecht
beherrschtes Rechtsverhältnis handelt, kann die Vorlegungspflicht nicht
von Kanton zu Kanton verschieden sein.

Erwägung 5

    5.- Somit betraf das zwischen den Parteien durchgeführte
Befehlsverfahren in der Tat eine Zivilrechtsstreitigkeit. Betrachtet man
den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Vorlegung von Urkunden als
vermögensrechtlichen, so ist unter den vorliegenden Umständen zweifellos
ein Streitwert von mindestens Fr. 4000.-- vorhanden (Art. 46 OG). Sollte
man es aber mit einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit zu tun haben,
so wäre die Berufung ohnehin nach Art. 44 OG zulässig gewesen.

Erwägung 6

    6.- Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit ausgeschlossen. Die
Beschwerdeschrift lässt sich auch nicht etwa in eine Berufung umdeuten.
Grundsätzlich könnte dies allerdings geschehen, da die unrichtige
Benennung eines Rechtsmittels nicht schadet. Voraussetzung ist aber,
dass die wesentlichen Formalien des zulässigen Rechtsmittels gewahrt
seien. Das trifft hier nicht zu, denn die Beschwerdeführerin hat nur
ein kassatorisches Rechtsbegehren gestellt, das den Vorschriften von
Art. 55 Abs. 1 lit. b OG nicht zu genügen vermag. Dieses Begehren zielt
auf eine vom Kassationsgericht zu fällende neue Entscheidung, statt dass
ein Sachurteil des Bundesgerichtes beantragt wird. Ein Rückweisungsantrag
genügt aber nur, wenn das Bundesgericht ohne Rückweisung nicht zu Gunsten
des Berufungsklägers entscheiden könnte (BGE 71 II 186, 75 II 230),
was hier nicht der Fall ist.

Erwägung 7

    7.- Trotz der sich daraus ergebenden formellen Erledigung der
Beschwerde mag, da materiellrechtliche Überlegungen bei Prüfung der
Frage nach dem Vorliegen einer Zivilrechtsstreitigkeit nötig waren,
noch folgendes beibefügt werden:

    Das materielle Recht, nach dem sich die Vorlegungspflicht der Beklagten
bestimmt, kann nicht kantonales, sondern muss eidgenössisches Recht sein.
Denn sowohl der Auftrag (des Erblassers an die Beklagte) wie auch die (von
ihm testamentarisch verfügte) Willensvollstreckung sind Rechtsverhältnisse
des Bundesrechts, und ebenso ist die rechtliche Stellung der Klägerin
zum Miterben durch eidgenössisches Recht bestimmt. Eine Pflicht zur
Vorlegung von Urkunden kann daher, wenigstens als ausserprozessuale,
wie sie hier in Frage steht - da, wie schon erwähnt, nur die Vorlegung
an die Klägerin selbst oder einen von ihr Bevollmächtigten und nicht die
Vorlegung an einen Richter im Rahmen eines (Haupt-)Prozesses oder im Sinne
einer Beweissicherung verlangt wurde - nur aus den betreffenden materiellen
Rechtsverhältnissen hergeleitet werden. § 232 des kantonalen EG war somit
nicht als eigentliche Rechtsnorm anwendbar, sondern nur als Hinweis auf
die massgebenden Normen des Zivilrechts zu betrachten. An sich wäre die
mit der Beschwerde erhobene Rüge also begründet gewesen. Dennoch hätte
die Beschwerde, wenn zulässig, oder eine in gleichem Sinne eingereichte
Berufung abgewiesen werden müssen, weil das vorinstanzliche Urteil
auch bei Anwendung des eidgenössischen Rechts im Ergebnis richtig
ist. Gleichwie nach der vom Kassationsgerichte dem § 232 des zürcherischen
EG zum ZGB gegebenen Auslegung ist nämlich auch nach dem massgebenden
Bundesrecht jeder einzelne Miterbe befugt, Aufklärung und insbesondere
Vorlegung von Urkunden in dem vom vorinstanzlichen Urteil bejahten
Umfange zu verlangen. Dem kann namentlich nicht etwa entgegengehalten
werden, dass nach Art. 602 Abs. 2 ZGB nur alle Miterben insgesamt über
Erbschaftswerte verfügen können. Denn in der Einsichtnahme in Urkunden,
wie sie der Klägerin gewährt worden ist, liegt keinerlei Verfügung, und
es ist nicht zu finden, wieso diese Orientierung Rechte eines Miterben
beeinträchtigen sollte. - Völlig ausser Betracht fällt vor Bundesgericht,
ob der Einsichtnahme durch die Klägerin solche Akten des Erblassers
entzogen seien, die sich nicht auf das Vermögen, sondern auf persönliche
Angelegenheiten beziehen. So hat die Vorinstanz unter Annahme einer auch
den Erben gegenüber zu beachtenden Geheimhaltungspflicht der Beklagten
entschieden. Diese Frage ist vor Bundesgericht gar nicht mehr aufgeworfen,
weil die in diesem Punkte unterlegene Klägerin den vorinstanzlichen
Entscheid nicht angefochten hat.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.