Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 43



82 II 43

7. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Januar 1956 i. S. Meer gegen Born.
Regeste

    1.  Art. 60 Abs. 1 OR, Beginn der Verjährung. Wann hat der
Geschädigte vom Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis
erlangt? (Erw. 1).

    2.  Art. 37 Abs. 1 MFG. Wann ist der Schaden "durch den Betrieb eines
Motorfahrzeuges" verursacht worden? (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Jakob Born führte am 13. Dezember 1951 von seiner Grube in
der Steinbille her auf der Hauptstrasse Aarburg-Oftringen mit einem
Motorlastwagen nasses Kies. Das aus der Ladung tropfende Wasser vereiste
die Fahrbahn. Daher begann der Personenwagen des Karl Peyer am gleichen
Tage auf der Fahrt von Oftringen gegen Aarburg zu gleiten, als Peyer
bremste, um einem von rechts von der Steinbille her Richtung Aarburg
einschwenkenden Motorlastwagen der Bau AG den Vortritt zu lassen. Er
drehte sich und stiess mit dem von Aarburg gegen Oftringen fahrenden
Personenwagen des Paul Meer zusammen. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

    Das Obergericht des Kantons Aargau sprach Peyer am 29. August 1952
von der Anschuldigung der Übertretung des Art. 25 Abs. 1 MFG frei, weil
er die Vereisung nicht habe voraussehen können.

    B.- Meer liess Born auf 25. Juni 1953 zu einem amtlichen Sühneversuch
vorladen und klagte am 14. November 1953 gegen ihn auf Fr. 4438.30
Schadenersatz nebst Zins zu 5% seit Friedensrichtervorstand. Born
beantragte Abweisung der Klage. Er machte unter anderem geltend, die
Schadenersatzforderung sei verjährt.

    Das Bezirksgericht Zofingen hiess die Klage im Betrage von Fr. 4038.30
nebst Zins gut, wogegen das Obergericht des Kantons Aargau sie am 9.
September 1955 auf Appellation des Beklagten wegen Verjährung abwies.

    C.- Der Kläger hat Berufung erklärt mit dem Antrag, das
oberinstanzliche Urteil sei aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen,
ihm Fr. 4038.30 nebst 5% Zins seit 25. Juni 1953 zu bezahlen, eventuell
sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen.

    D.- Der Beklagte beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das Urteil
des Obergerichts zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Der Anspruch auf Schadenersatz aus unerlaubter Handlung verjährt
in einem Jahre von dem Tage hinweg, an dem der Geschädigte Kenntnis vom
Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat (Art. 60
Abs. 1 OR).

    Vom Schaden hat der Betroffene nicht schon Kenntnis, wenn ihm bekannt
ist, dass er geschädigt wurde, sondern erst, wenn er weiss, worin der
Schaden besteht und wie hoch er ist. Denn solange er die tatsächlichen
Voraussetzungen seines Anspruches nicht kennt, ist er ausserstande, die
Schadenersatzklage zu begründen (BGE 74 II 33 ff.). Aus der gleichen
Überlegung kann die "Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen"
nicht schon bejaht werden, wenn der Geschädigte vermutet, die betreffende
Person könnte Ersatz schulden, sondern erst, wenn er die Tatsachen kennt,
die ihre Ersatzpflicht begründen. Nicht nötig ist dagegen, dass ihm auch
die Rechtssätze bekannt seien, aus denen sich diese ergibt; Rechtsirrtum,
sei er entschuldbar oder nicht, steht dem Lauf der Verjährung nicht im Wege
(Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juni 1954 i.S. Bochatey c. Roten).

    b) Der Kläger versucht mit Recht nicht, die Auffassung des
Obergerichts, er habe spätestens mit dem Empfang der Reparaturrechnung
vom 18. Februar 1952 vom Schaden Kenntnis gehabt, zu widerlegen. Er macht
dagegen geltend, er habe erst mit der am 29. September 1952 erfolgten
Zustellung des freisprechenden Urteils gegen Peyer vom 29. August 1952
von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, weil er erst damals
erfahren habe, dass der Wagen Peyers ohne Verschulden des Führers zufolge
der Vereisung der Strasse ins Schleudern gekommen sei und somit Born für
den Schaden hafte.

    Dem ist nicht beizupflichten. Wie das Obergericht ausführt, erfuhr
der Kläger "sicherlich" unmittelbar nach dem Zusammenstoss auf der
Unfallstelle, dass der Schaden durch die dort vorhandene Vereisung der
Strasse mitverursacht worden war, und hatte er auf jeden Fall anlässlich
seiner Einvernahme vor Bezirksamt Zofingen vom 7. Februar 1952 davon
Kenntnis. Ferner ist das Obergericht davon überzeugt, dass der Kläger
schon unmittelbar nach dem Unfall oder wenigstens in den nächsten Tagen
oder Wochen erfuhr, dass die Vereisung durch Nasskiestransporte des
Beklagten verursacht worden war. Diese Feststellungen sind tatsächlicher
Natur. Das Obergericht legt ihnen nicht unzutreffende Rechtsbegriffe
zugrunde, was denn auch der Kläger nicht behauptet. Insbesondere verkennt
es den Begriff der Mitverursachung nicht. Die Feststellungen sind
auch nicht in Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften zustande
gekommen. Das Bundesgericht ist deshalb an sie gebunden (Art. 43 Abs. 3,
55 Abs. 1 lit. c OG). Da der Kläger nicht behauptet, er habe zunächst
gemeint, besondere Tatsachen (irrige Vorstellung über den Zustand des
Kieses usw.) vermöchten das Verhalten des Beklagten zu entschuldigen, war
ihm somit spätestens in den nächsten Wochen nach dem Unfalle alles bekannt,
was er wissen musste, um im Beklagten die Person eines Ersatzpflichtigen
aus unerlaubter Handlung im Sinne der Art. 41 ff. OR zu sehen.

    Spätestens in der zweiten Hälfte Februar 1952 (Eingang der
Reparaturrechnung) begann daher die einjährige Frist des Art. 60 Abs. 1
OR zu laufen. Dass Peyer den Unfall nicht mitverschuldet habe, brauchte
der Kläger nicht zu wissen; hievon hing weder die Grösse des Schadens,
noch die Ersatzpflicht des Beklagten ab. Schon deshalb kommt nichts
darauf an, dass Peyer erst am 29. August 1952 freigesprochen wurde und
der Kläger vom Urteil erst am 29. September 1952 Kenntnis erhalten haben
will. Übrigens betraf dieses Urteil nur die Frage der Strafbarkeit, nicht
auch der zivilrechtlichen Verantwortung. Als dem Beklagten die Vorladung
zum amtlichen Sühneversuch vom 25. Juni 1953 zugestellt wurde, war daher
der Schadenersatzanspruch aus Art. 41 ff. OR verjährt. Dass die Frist,
wenn sie spätestens in der zweiten Hälfte Februar 1952 zu laufen begann,
unterbrochen worden sei (Art. 135 OR), behauptet der Kläger nicht.

Erwägung 2

    2.- Die Ansprüche gegen den Halter eines Motorfahrzeuges verjähren
in zwei Jahren vom Tage hinweg, an dem der Geschädigte Kenntnis vom
Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat (Art. 44 Abs. 1
MFG). Diese Frist ist im vorliegenden Falle gemäss Art. 44 Abs. 2 MFG in
Verbindung mit Art. 135 Ziff. 2 und 138 Abs. 1 OR wiederholt unterbrochen
worden und noch nicht abgelaufen.

    Sie ist jedoch nicht massgebend, da der Beklagte für das ihm
zur Last gelegte Verhalten nicht nach Art. 37 ff. MFG haftet. Diese
Bestimmungen gelten nur, wenn der Schaden "durch den Betrieb eines
Motorfahrzeugs" verursacht worden ist (Art. 37 Abs. 1 MFG). Das trifft
entgegen der Auffassung des Klägers hier nicht zu. Durch den Betrieb
eines Motorfahrzeuges entstanden ist ein Schaden nur, wenn er auf den
Gebrauch der maschinellen Einrichtungen (Motor, Scheinwerfer usw.) dieses
Verkehrsmittels zurückgeht, d.h. Folge der besonderen Unfallgefahr ist,
die dieser Gebrauch, insbesondere die Fortbewegung des Motorfahrzeuges,
mit sich bringt (BGE 64 II 240, 72 II 220). Es genügt also nicht, dass die
Schadensursache anlässlich des Betriebes eines solchen Fahrzeuges gesetzt
worden sei, sondern sie muss auf die diesem Betrieb eigene besondere Gefahr
zurückgehen. Das Wasser aus dem vom Beklagten geführten Kies ist indessen
nur anlässlich des Betriebes des Lastwagens auf die Strasse abgetropft,
nicht wegen der diesem Betriebe innewohnenden besonderen Unfallgefahren. Es
hätte mit gleicher Auswirkung auch aus einem stille stehenden Lastwagen,
einem Pferdefuhrwerk oder einem Handkarren auf die Strasse gelangen und
dort gefrieren können. Ob die motorische Erschütterung des Lastwagens
das Abtropfen förderte, wie der Kläger in der Berufung anbringt,
ist unerheblich; denn für den Umfang der Vernässung der Strasse ist in
erster Linie der Wassergehalt der Ladung massgebend. Zudem kann von einem
langsamer fahrenden Pferdefuhrwerk mit einer Kiesladung unter Umständen
mehr Wasser auf eine bestimmte Strassenstrecke abtropfen als von einem
Motorlastwagen, der sie in kürzerer Zeit durchfährt.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil der I. Abteilung des
Obergerichts des Kantons Aargau vom 9. September 1955 bestätigt.