Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 362



82 II 362

49. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. September 1956 i.S. Eheleute
Salzmann gegen Amtsvormundschaft Horgen und Gemeinderat Thalwil. Regeste

    Berufung. Gegen einen Entscheid über die Ermächtigung zur Adoption
im Sinne von Art. 267 ZGB ist die Berufung an das Bundesgericht nicht
zulässig, selbst wenn die Adoption zur Folge hat, dass die Eltern des
Kindes die elterliche Gewalt verlieren.

Sachverhalt

    Am 12. Dezember 1952 gebar Mina Nagel ausserehelich das Kind Beatrice
Susanne. Als Vater bezeichnete sie Kurt Salzmann. Am 9. Januar 1953
erklärte sich die Mutter damit einverstanden, dass das Kind an einen
geeigneten Pflegeplatz gegeben werde, und stimmte einer allfälligen
Adoption zu. Am 29. Juni 1955 schloss der Vormund des Kindes mit
dessen Pflegeeltern einen Adoptionsvertrag. Nach vorausgegangener
Beschlussfassung des Waisenamtes Thalwil stimmte der Bezirksrat Horgen
als vormundschaftliche Aufsichtsbehörde dieser Adoption am 3. August 1955
im Sinne von Art. 442 Ziff. 1 ZGB zu. Gleichzeitig beschloss er als
die nach dem massgebenden kantonalen Recht zum Entscheid über "Gesuche
betreffend Kindesannahme" zuständige Behörde (§ 39 des zürch. EG zum ZGB;
vgl. Art. 267 ZGB und Art. 54 SchlT) auf Antrag des Gemeinderates Thalwil,
den Pflegeeltern werde "die Ermächtigung erteilt, ihr Pflegetöchterchen
B. S. Nagel an Kindesstatt anzunehmen, womit die Adoption als vollzogen
erklärt wird."

    Am 15. August 1955 rekurrierten Kurt Salzmann und Mina Nagel gegen
den "Adoptionsbeschluss" des Bezirksrates vom 3. August 1955 an den
Regierungsrat des Kantons Zürich. Am 3. September 1955 heirateten sie. Am
14. Juni 1956 hat der Regierungsrat entschieden, der Rekurs der Eheleute
Salzmann-Nagel gegen den Ermächtigungsbeschluss des Bezirksrates werde
abgewiesen.

    Gegen diesen Entscheid haben die Eheleute Salzmann die Berufung
an das Bundesgericht erklärt. Subsidiär haben sie ihn ausserdem mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 54 und 4 BV
angefochten.

    Der Regierungsrat beantragt in seinen Gegenbemerkungen zur Berufung,
es sei hieraufnicht einzutreten; eventuell sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Vormundschaftsbehörde Thalwil und der Bezirksrat Horgen,
die in der Berufungsschrift als Berufungsbeklagte genannt sind, haben
am kantonalen Verfahren nicht als Parteien, sondern als entscheidende
Behörden teilgenommen. Antragsteller waren dort die Amtsvormundschaft
des Bezirkes Horgen und der Gemeinderat Thalwil. Nur diese können daher
vor Bundesgericht als Gegenpartei der Berufungskläger gelten.

Erwägung 2

    2.- Der angefochtene Entscheid betrifft die Frage, ob im
vorliegenden Fall die Ermächtigung zur Adoption im Sinne von Art. 267
ZGB zu erteilen sei. Dabei handelt es sich wie bei der Zustimmung
der vormundschaftlichen Behörden zu dem vom Vormund abgeschlossenen
Adoptionsvertrag (Art. 422 Ziff. 1 ZGB), gegen die das zulässige kantonale
Rechtsmittel, der Rekurs an die Justizdirektion als obere Aufsichtsbehörde
in Vormundschaftssachen, nicht ergriffen wurde, um ein Geschäft der
sog. freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der angefochtene Entscheid ist also
nicht in einer Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 44 OG ergangen
(vgl. BGE 78 II 180).

    Die Berufungskläger behaupten dies denn auch selber nicht, sondern
machen geltend, gegen den angefochtenen Entscheid sei die Berufung nach
Art. 44 lit. b OG zulässig, weil ihnen durch die Bewilligung der Adoption
ihres Kindes, das durch ihre Heirat legitimiert worden sei, mittelbar die
elterliche Gewalt entzogen werde. Dabei verkennen sie jedoch den klaren
Sinn von Art. 44 lit. b OG. Diese Vorschrift spricht nur von der Entziehung
und Wiederherstellung der elterlichen Gewalt gemäss Art. 285 und 287 ZGB
und will unzweifelhaft nur die Möglichkeit schaffen, dass die Beteiligten
die in Anwendung dieser Bestimmung getroffenen Entscheidungen durch
das Bundesgericht überprüfen lassen können. Eine Entscheidung, die den
Verlust der elterlichen Gewalt bewirkt, unterliegt also der Weiterziehung
an das Bundesgericht nur dann, wenn sie sich auf Art. 285 ZGB stützt, nicht
auch dann, wenn sich der Verlust der elterlichen Gewalt aus der Anwendung
anderer Bestimmungen ergibt. Demgemäss wurde unter dem früheren OG, das
als Rechtsmittel gegen kantonale Entscheidungen über den Entzug und die
Wiederherstellung der elterlichen Gewalt im Sinne von Art. 285 und 287
ZGB anstelle der Berufung die zivilrechtliche Beschwerde vorsah (Art. 86
Ziff. 2 aoG), die Weiterziehung von Entscheidungen nach Art. 286 ZGB als
unzulässig erklärt, obwohl durch die Bestellung eines Vormundes für die
Kinder auf Grund dieser Bestimmung die elterliche Gewalt aufgehoben wird
(BGE 38 II 771, 65 II 119). Im vorliegenden Fall kann nichts anderes
gelten. Ob die Adoption des Kindes Barbara Susanne zu bewilligen sei,
wodurch die elterliche Gewalt der Berufungskläger beseitigt würde, ist
eine Frage der Anwendung von Art. 267 ZGB. Art. 285 ZGB spielt bei dieser
Entscheidung keine Rolle. Der angefochtene Entscheid fällt daher nicht
unter Art. 44 lit. b OG.

    BIRCHMEIER erklärt an der von den Berufungsklägern angerufenen Stelle
(N. 6 b zu Art. 44 OG, S. 131) nicht allgemein, dass die Berufung auch
bei bloss mittelbarem Gewaltentzug zulässig sei. Er sagt vielmehr nur,
die elterliche Gewalt könne ausdrücklich oder dadurch entzogen werden,
dass dem Unmündigen ein Vormund bestellt werde; auch in diesem Falle
bloss mittelbaren Gewaltentzuges sei der Weiterzug zulässig. Damit wollte
er die Ausführungen in der vorhergehenden Note (6 a), wonach es sich um
einen Gewaltentzug nach Art. 285 ZGB handeln muss, offensichtlich nicht
widerrufen. Das von ihm angeführte Präjudiz BGE 47 II 16 betrifft einen
Fall, wo der Scheidungsrichter in gesetzwidriger Weise die Kinderzuteilung
der Vormundschaftsbehörde überlassen und diese hierauf die Kinder
"gemäss Art. 285 und 368 ZGB" unter Vormundschaft gestellt hatte. Diese
von den kantonalen Rekursinstanzen bestätigte Massnahme lief zweifellos
auf einen Entzug der elterlichen Gewalt gemäss Art. 285 ZGB hinaus. Indem
das Bundesgericht in diesem Falle die zivilrechtliche Beschwerde im Sinne
von Art. 86 Ziff. 2 aoG zuliess, bekannte es sich also keineswegs zur
Auffassung, dass Entscheidungen, die den Verlust der elterlichen Gewalt
nach sich ziehen, auch dann ans Bundesgericht weitergezogen werden können,
wenn sie sich nicht auf Art. 285 ZGB stützen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Berufung wird nicht eingetreten.