Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 332



82 II 332

45. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Juli 1956 i.S. Jaussi gegen
Aeschbacher. Regeste

    Wohnrechtsvertrag, Schadenersatz wegen Nichterfüllung, Berufung.

    Anforderungen an die Berufungsbegründung, Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
(Erw. 2).

    Zulässigkeit eines Vertrags zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn
auf Leistung von Arbeit bei Hausumbau und Finanzierung desselben gegen
Einräumung eines Wohnrechts (Erw. 4).

    Unmöglichkeit der Vertragserfüllung: Subjektive Unmöglichkeit genügt.
Vorliegen solcher? Ermittlung des Schadens und Festsetzung des Ersatzes;
Art. 97 Abs. 1 OR (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Walter Aeschbacher war Eigentümer eines Wohnhauses in Uetendorf. Im
Jahre 1941 vereinbarte er mit seinem Schwiegervater Gottfried Jaussi,
dass dieser mit seiner Ehefrau und der zweiten Tochter Klara im Hause
Aeschbachers Wohnung nehmen solle. Zu diesem Zwecke wurde dort eine weitere
Wohnung eingerichtet. Die hiefür notwendigen Umbauarbeiten führte Gottfried
Jaussi, der von Beruf Maurer ist, zur Hauptsache selbst aus. Er bezahlte
ferner eine Anzahl von Rechnungen anderer Bauhandwerker. Endlich stellte
er Aeschbacher auch noch den Betrag von Fr. 3100.-- für den Kauf einer
angrenzenden Landparzelle zur Verfügung.

    Im Jahre 1943 zogen die Eheleute Jaussi mit ihrer Tochter Klara in
die für sie bereitgestellte Wohnung ein. Kurz darauf unterzeichneten die
Eheleute Aeschbacher im Hinblick auf die von Gottfried Jaussi für den Umbau
bezahlten Rechnungen einen Vorempfangsschein, durch den sie anerkannten,
von den Eltern Jaussi auf Anrechnung an das Erbteil der Frau Aeschbacher
Fr. 12'000.-- erhalten zu haben. Gottfried Jaussi führte auch nach 1943
noch verschiedene Arbeiten im Hause seines Schwiegersohnes aus.

    In der Folge verschlechterten sich die Beziehungen der Eheleute
Aeschbacher, weshalb die Ehefrau im Frühjahr 1951 das Scheidungsverfahren
einleitete. Daraufhin liess Aeschbacher im Juli 1951 seine Schwiegereltern
aus dem Hause weisen. Im Scheidungsverfahren, das 1952 zur Auflösung
der Ehe führte, machte Frau Aeschbacher den Vorempfang von Fr. 12'000.--
als Frauengutsforderung gegenüber dem Ehemann geltend. Dieser bezahlte
hieran Fr. 8000.--. Über die restlichen Fr. 4000.-- wurde in der vom
Gericht genehmigten Scheidungskonvention nichts gesagt.

    Nach seiner Ausweisung machte Gottfried Jaussi in einem
Aussöhnungsverfahren gegenüber Aeschbacher für die an dessen Haus
geleistete Arbeit eine Forderung von Fr. 10'915.10 geltend. Eine
Klage reichte er indessen nicht ein. Dagegen betrieb er Anfang Januar
1953 Aeschbacher auf Bezahlung von Fr. 14'915.10, wobei er als Grund
der Forderung angab: "Vorempfangsschein und Rechnung für geleistete
Arbeit". Aeschbacher erhob Rechtsvorschlag.

    Am 20. Februar 1953 bezahlte Aeschbacher an einen gewissen Zimmermann,
den Gottfried Jaussi und seine Tochter Alida, geschiedene Aeschbacher
mit der Eintreibung ihrer Forderungen beauftragt hatten, Fr. 3000.--
"à conto Vorempfangsschein zu Handen von Familie Jaussi".

    Am 17. November 1953 traten Gottfried und Alida Jaussi ihre restlichen
Ansprüche gegen Aeschbacher an Klara Jaussi ab.

    B.- Klara Jaussi belangte Aeschbacher auf Bezahlung eines Betrages
von Fr. 11 915.10 nebst Zinsen und Kosten auf Grund der folgenden Rechnung:

    Barleistungen gemäss Vorempfangsschein        Fr. 12'000.--

    Entschädigung für ausgeführte Bauarbei-

    ten   "  10'915.10

    Total Fr. 22'915.10

    abzüglich Zahlungen Aeschbachers      "  11'000.--

    Restschuld    Fr. 11 915.10

    Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage.

    C.- Der Appellationshof des Kantons Bern schützte mit Urteil vom
31. Januar 1956 die Klage im Betrage von Fr. 1000.-- nebst Zins und Kosten
und wies sie im übrigen ab.

    Der Zuspruch der Fr. 1000.-- wurde damit begründet, dass es sich dabei
um den Restbetrag der von Aeschbacher geschuldeten Frauengutsforderung
laut Vorempfangsschein handle.

    Einen Entschädigungsanspruch des Gottfried Jaussi für die von ihm
am Hause des Beklagten geleistete Arbeit verneinte der Appellationshof
mit der Begründung, Jaussi habe diese Arbeiten nicht auf Grund eines
obligationenrechtlichen Vertrages ausgeführt, sondern ausschliesslich im
Hinblick darauf, dass er nach der Meinung der Beteiligten mit seiner Frau
bis zum Tode unentgeltlich im Hause des Beklagten wohnen könne. Es handle
sich somit um Abmachungen und gegenseitige Leistungen zwischen Eltern und
Kindern im Rahmen ihres besonderen familienrechtlichen Verhältnisses, die
nach dem Willen der Beteiligten keine Lohn- oder Entschädigungsansprüche
begründen sollten. Mit dem vom Beklagten veranlassten Verlassen des
Hauses durch die Eheleute Jaussi sei der Grund für die Zuwendungen
des Gottfried Jaussi weggefallen, so dass der Beklagte um den Wert der
Arbeit des letzteren ungerechtfertigt bereichert worden sei. Der dadurch
begründete Bereicherungsanspruch sei aber verjährt.

    D.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Klägerin Verurteilung
des Beklagten zur Bezahlung von Fr. 9847.10 nebst Zinsen und Kosten,
eventuell die Rückweisung des Falles an die Vorinstanz zu neuer
Beurteilung.

    Der Beklagte beantragt, es sei auf die Berufung nicht einzutreten.
Eventuell schliesst er auf Abweisung der Berufung und auf dem Wege der
Anschlussberufung auf gänzliche Abweisung der Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Auf die Anschlussberufung kann nicht eingetreten werden,
da der Beklagte die Frist des Art. 59 Abs. 1 OG zur Einreichung
von Abänderungsanträgen versäumt hat und ein von ihm eingereichtes
Wiederherstellungsgesuch durch Zwischenentscheid vom 7. Juni 1956
abgewiesen worden ist.

Erwägung 2

    2.- Zur Begründung seines Antrages, auf die Berufung sei nicht
einzutreten, macht der Beklagte geltend, die Berufung behaupte zwar,
das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht, lasse es aber an einer
entsprechenden Substanzierung völlig fehlen, und die ganze Begründung
erschöpfe sich in einer Kritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung.

    Wenn die Berufungsbegründung auch nicht als mustergültig bezeichnet
werden kann, so rügt sie immerhin eindeutig, dass die Vorinstanz das
Vorliegen eines obligationenrechtlichen Vertrages zwischen dem Beklagten
und Gottfried Jaussi verneint habe. Das ist aber, wie im folgenden zu
zeigen sein wird, gerade der Kern des heutigen Streites. Ob die Berufung
dieses obligationenrechtliche Verhältnis, falls ein solches vorliegen
sollte, rechtlich zutreffend charakterisiert, wenn sie von Werkvertrag
und Darlehen spricht, ist unwesentlich, da der Richter den ihm von den
Parteien zur Beurteilung unterbreiteten Tatbestand von Amtes wegen zu
qualifizieren hat.

Erwägung 3

    3.- Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Beklagten und Gottfried Jaussi
sind teilweise dadurch klargestellt und geordnet worden, dass die Eheleute
Aeschbacher den Eheleuten Jaussi den Vorempfangsschein über Fr. 12'000.--
ausstellten. Dieser Vorempfangsschein bezog sich nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz (Urteil S. 5) auf die von Gottfried Jaussi
zur Bezahlung von Handwerkerrechnungen und für den Zukauf der Landparzelle
gemachten Barleistungen. Mit der Ausstellung des Vorempfangsscheins wurde
zum Ausdruck gebracht, dass Gottfried Jaussi den Anspruch auf Ersatz
dieser Auslagen seiner Tochter als Frauengut zuwende.

    Infolge der Auflösung der Ehe Aeschbacher-Jaussi entstand dann
auf Grund des Vorempfangsscheins eine Frauengutsschuld des Beklagten
gegenüber seiner geschiedenen Frau in der Höhe von Fr. 12'000.--. Seine
Schuldpflicht aus diesem Titel hat der Beklagte anerkannt, indem er
daran im Scheidungsverfahren Fr. 8000.--- und später weitere Fr. 3000.--
abzahlte. Die restlichen Fr. 1000.-- hat er nun auch noch zu begleichen
auf Grund des Urteils der Vorinstanz, das in diesem Punkte nicht Gegenstand
des Berufungsverfahrens bildet.

    Damit sind die Barleistungen des Gottfried Jaussi in der Hauptsache als
abgegolten zu betrachten. Es kann sich nur noch fragen, ob er, bezw. die
Klägerin als seine Rechtsnachfolgerin, für die beim Wohnungsbau geleistete
Arbeit vom Beklagten etwas zu fordern habe. Dieser Anspruch wird von der
Klägerin im Berufungsverfahren noch auf Fr. 9847.15 beziffert.

Erwägung 4

    4.- Die Klägerin glaubt zu Unrecht, den genannten Betrag auf Grund
eines Werkvertrages zwischen dem Beklagten und Gottfried Jaussi fordern
zu können. Ein solcher scheidet nach den verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz aus. Danach hatte nämlich Gottfried Jaussi
nie die Absicht, einen derartigen Anspruch geltend zu machen. Man ging
vielmehr beiderseits von der Meinung aus, dass, wenn Gottfried Jaussi beim
Umbau mit Geld und Arbeit helfe, er und seine Frau dann bis zu ihrem Tod
unentgeltlich im Hause des Beklagten wohnen könnten.

    In diesem Sinne lag aber eine vertragliche Abmachung der Beteiligten
vor. Wie die Klägerin im kantonalen Verfahren zutreffend ausführte,
stellte das Einräumen der Wohnung die vertragliche Gegenleistung
des Beklagten für die von Gottfried Jaussi erbrachten (Geld- und)
Arbeitsleistungen dar. Dass die Klägerin im Berufungsverfahren ihren
Anspruch nicht mehr in dieser Weise begründete, ist belanglos. Es genügt,
dass ein Anspruch dieser Art als Rechtsgrund der eingeklagten Forderung
aus dem Sachverhalt abgeleitet werden kann, der dem Richter zur Beurteilung
unterbreitet wird.

    Im Anschluss an die Feststellung, es habe die Meinung gehabt, dass die
Eltern Jaussi bis zu ihrem Tode unentgeltlich im Hause des Beklagten wohnen
könnten, hat die Vorinstanz weiter erklärt, Gottfried Jaussi habe nicht
die Absicht gehabt, "darüberhinaus" für seine Arbeit etwas zu fordern. Die
Vorinstanz verkennt jedoch, dass es im vorliegenden Streit nicht darum
geht, ob Gottfried Jaussi über die Einräumung eines Wohnrechtes hinaus
für seine Arbeit etwas zu fordern habe, sondern dass es vielmehr darauf
ankommt, ob den Eltern Jaussi ein Rechtsanspruch zustehe, bis zum Ableben
im Hause des Beklagten wohnen zu können.

    Die Möglichkeit einer obligationenrechtlichen Abmachung dieses Inhalts
wird von der Vorinstanz zu Unrecht verneint. Es ist nicht einzusehen,
wieso nicht auch unter Verwandten eine solche Vereinbarung getroffen
werden könnte, zumal es sich im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf
die von Gottfried Jaussi geleistete Arbeit nicht um die unentgeltliche
Einräumung eines Wohnrechts handelte.

Erwägung 5

    5.- Dieser obligationenrechtliche Vertrag, der Leistung von Arbeit
und vorläufige Finanzierung des Umbaus auf der einen und Einräumung
eines Wohnrechts auf der andern Seite vorsah, ist nun vom Beklagten nicht
erfüllt worden, indem er den Eltern Jaussi das Wohnrecht nicht während
der ganzen in Aussicht genommenen Zeitspanne gewährt hat. Es handelt
sich somit um eine Frage der Folgen der Nichterfüllung, nicht um eine
solche der ungerechtfertigten Bereicherung, wie die Vorinstanz irrtümlich
angenommen hat.

    Nach Art. 97 Abs. 1 OR hat der Schuldner, wenn die Erfüllung einer
Verbindlichkeit nicht oder nicht gehörig bewirkt werden kann, für den
daraus erwachsenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist,
dass ihm keinerlei Verschulden zur Last fällt.

    Unmöglichkeit der Vertragserfüllung im Sinne dieser Bestimmung liegt
auch bei bloss subjektiver Unmöglichkeit vor, und eine solche ist schon
dann als verwirklicht anzusehen, wenn nach Treu und Glauben im Verkehr
dem Schuldner die weitere Erfüllung nicht mehr zumutbar ist.

    Mit einer subjektiven Unmöglichkeit in diesem Sinne hat man es hier
zu tun. Dem Beklagten konnte nicht zugemutet werden, seinen ehemaligen
Schwiegereltern auch nach der Scheidung weiterhin das Wohnrecht zu
gewähren und auf diese Weise ständig Begegnungen mit seiner vormaligen
Ehefrau ausgesetzt zu sein. Die Ausweisung der Eheleute Jaussi war daher
die natürliche Lösung einer subjektiv unmöglich gewordenen Situation.

    Für den aus dieser Unmöglichkeit der Vertragserfüllung erwachsenen
Schaden hat der Beklagte nach der oben genannten Bestimmung Ersatz zu
leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm kein Verschulden zur Last
fällt. Praktisch läuft das auf die Frage des Verschuldens des Beklagten
an der Scheidung der Ehe hinaus, da die Unmöglichkeit der Erfüllung auf
diese zurückzuführen ist.

    Die Vorinstanz, an die der Fall zu neuer Beurteilung zurückzuweisen
ist, hat daher zur Frage der Exkulpation des Beklagten Stellung zu
nehmen. Kommt sie zum Schlusse, dieser Entlastungsbeweis sei nicht
erbracht, so hat sie weiter die Höhe des Schadens und des vom Schuldner
zu leistenden Ersatzes zu bestimmen. Dabei ist vom Wert des Wohnrechts
auszugehen, das dieses im Zeitpunkt der Ausweisung der Eheleute Jaussi
in Anbetracht ihrer Lebenserwartungen noch hatte. Das Mass der Haftung
sodann richtet sich auf Grund von Art. 99 Abs. 2 OR nach der besonderen
Natur des Geschäftes; im übrigen finden die Bestimmungen über das Mass der
Haftung bei unerlaubten Handlungen entsprechende Anwendung (Art. 99 Abs. 3
OR). Es bleibt somit einmal Raum für die Berücksichtigung eines allfälligen
Mitverschuldens der Ehefrau an der Ehescheidung. Darüber hinaus ist aber
auch noch den besondern Umständen des Falles Rechnung zu tragen. Dazu
gehört vorab, dass es sich um Beziehungen zwischen Verwandten handelte,
dass der Berufungsbeklagte durch die Abtragung der Frauengutsforderung
von Fr. 12'000.-- in diesem Umfange Barauslagen für die Erstellung der
Wohnung auf sich genommen hat, dass auf der andern Seite Gottfried Jaussi
seinerseits bei der Erstellung der Wohnung unbezahlte Arbeit geleistet
hat usw.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Auf die Anschlussberufung wird nicht eingetreten. 2. - Die Berufung
wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Appellationshofs des Kantons
Bern vom 31. Januar 1956 aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.