Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 25



82 II 25

5. Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Februar 1956 i. S. Baily gegen
Rosti. Regeste

    Schadenersatzpflicht eines Skifahrers wegen fahrlässiger
Körperverletzung.

    a)  Art. 41 Abs. 1 OR. Widerrechtlichkeit (Erw. 1).  Fahrlässigkeit
(Erw. 2).

    b)  Art. 43 Abs. 1 OR. Anpassung der Ersatzpflicht an die Grösse des
Verschuldens (Erw. 3, 5).

    c)  Art. 44 Abs. 1 OR. Herabsetzung des Schadenersatzes wegen
Mitverschuldens des Geschädigten (Erw. 4, 5).

    d)  Art. 46 OR. Schadenersatz wegen Erschwerung des wirtschaftlichen
Fortkommens (Erw. 6). Nachklage (Erw. 8).

    e)  Art. 47 OR. Genugtuung wegen Körperverletzung (Erw.  7).

Sachverhalt

    A.- Sonntag, den 13. Januar 1952 etwa um 11 Uhr fuhr der damals
fünfzehnjährige Carl Bally mit einer vom Lehrer Schild geleiteten und
angeführten Klasse des Lyceum Alpinum in Zuoz auf Skiern über eine von
Corviglia nach St. Moritz führende Piste gegen den Weg hinunter, der
das Restaurant Salastrains mit der Alp Giop verbindet. Die Piste fiel
von einer etwa 50-80 m über dem Weg liegenden Anhöhe sehr steil ab,
bog auf einer unmittelbar über dem Weg liegenden flachen Bodenschwelle
gegen links und mündete rund 30 m nach der Biegung und etwa 20-50 m vom
erwähnten Gasthaus entfernt in den Weg ein. Auf der Bodenschwelle war
der Schnee von den abschwingenden Skifahrern ein wenig in den Weg hinaus
getrieben worden und bildete einen abfallenden Wall. Hier stand Luigi
Rosti, Bankprokurist aus Mailand, auf der dem Berg zugewandten Seite des
Weges. Er hatte seine Skier in den Schnee gesteckt, kehrte der Piste den
Rücken zu, genoss die Aussicht und betrachtete den Betrieb der Skischule
auf dem unterhalb des Weges liegenden flacheren Übungsgelände. Obschon
Bally die harte Piste genau kannte und den Rosti von der Anhöhe aus sah,
fuhr er, mit Schwüngen den Hang hinunter gleitend, so schnell, dass er auf
der Schwelle am Wege beim Abschwingen nach links stürzte, an Rosti und
dessen Skier prallte und, sich zweimal überschlagend, über Rosti hinweg
bis etwa 2 m unterhalb des Weges geworfen wurde. Der Zusammenstoss war
so heftig, dass Rosti über den Weg hinaus mitgerissen wurde und den Hals
des linken Oberschenkelknochens brach.

    Der gebrochene Knochen musste genagelt werden. Rosti blieb bis
1. Februar 1952 im Spital von Samaden. Ab 3. Februar 1952 musste er in
Mailand wegen einer Wundinfektion und eines allgemein septischen Zustandes
die ärztliche Behandlung fortsetzen lassen. Aus der Infektion entwickelte
sich am Oberschenkel eine Venenentzündung. Rosti konnte die Arbeit am
15. April 1952 teilweise und am 16. Juni 1952 ganz wieder aufnehmen. Die
Beweglichkeit des linken Beines ist jedoch bleibend beeinträchtigt.

    B.- Am 2. April 1953 klagte Rosti gegen Bally beim Richteramt
Olten-Gösgen auf Bezahlung von Fr. 70'000.-- Schadenersatz und Genugtuung
nebst Zins zu 5% seit 13. Januar 1952 und Einräumung eines Nachklagerechtes
auf zwei Jahre.

    Das Amtsgericht Olten-Gösgen hiess am 26. Januar 1955 die Klage dahin
teilweise gut, dass es den Beklagten verurteilte, dem Kläger Fr. 27'259.10
nebst 5% Zins seit 13. Januar 1952 zu bezahlen, und den Kläger ermächtigte,
binnen zwei Jahren gemäss Art. 46 Abs. 2 OR Nachklage zu erheben.

    Auf Appellation des Beklagten schützte das Obergericht des Kantons
Solothurn am 4. Juli 1955 die Klage im Umfange von Fr. 29'581.65 nebst
5% Zins von Fr. 4859.10 seit 13. Januar 1952 und von Fr. 24'722.55 seit
4. Juli 1955 und räumte dem Kläger ebenfalls das Nachklagerecht ein.

    C.- Der Beklagte hat die Berufung erklärt. Er beantragt, das Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben und die Klage abzuweisen, eventuell
die Sache zur Ergänzung des Tatbestandes und zu neuer Entscheidung
zurückzuweisen, subeventuell die Schadenersatzpflicht des Beklagten
erheblich herabzusetzen.

    D.- Der Kläger beantragt, die Berufung sei abzuweisen und das
angefochtene Urteil zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nur wer dem andern den Schaden widerrechtlich zufügt, ist nach Art.
41 Abs. 1 OR verpflichtet, ihn zu ersetzen.

    Das Obergericht sieht die Widerrechtlichkeit des Verhaltens des
Beklagten darin, dass er den Kläger in schwerwiegender Weise am Körper
verletzt habe, ohne dass irgendwelche Rechtfertigungsgründe vorlägen. Damit
stellt es auf die subjektive Theorie der Widerrechtlichkeit ab. Sie
widerspricht indessen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die, auf dem
Boden der objektiven Theorie stehend, ein schädigendes Verhalten dann als
widerrechtlich ansieht, wenn es gegen geschriebene oder ungeschriebene
Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstösst, die dem Schutze des
verletzten Rechtsgutes dienen (BGE 30 II 571, 47 II 179, 55 II 334,
56 II 373, 75 II 212).

    Der Beklagte geht jedoch fehl, seine Tat im Lichte dieser
Rechtsprechung für erlaubt zu halten. Wer einen Zustand schafft,
der einen andern schädigen könnte, ist nach allgemein anerkanntem
Rechtssatze verpflichtet, die zur Vermeidung eines Schadens erforderlichen
Vorsichtsmassnahmen zu treffen (BGE 21 625, 24 II 212, 29 II 65, 33 II
569, 34 II 637, 35 II 441, 45 II 647, 57 II 167, 60 II 40, 66 II 117,
71 II 113, 79 II 69).

    Der Beklagte hat dieses Gebot verletzt. Das Obergericht führt aus,
er habe im kantonalen Verfahren nicht behauptet, dass er den Kläger
nicht gesehen habe, und es fügt bei, eine solche Behauptung wäre auch
nicht glaubwürdig, da die Sicht von der Anhöhe auf die Strasse gut und
früh genug frei sei. Darnach steht verbindlich fest, dass er den Kläger
von der etwa 50-80 m über dem Weg liegenden Anhöhe aus gesehen hat. Auch
wenn dazu nicht die weitere Feststellung käme, dass der Weg während der
Skisaison von Spaziergängern und Skifahrern häufig benützt wurde und
dass der Beklagte von früheren Abfahrten her die Abfahrtspiste genau
kannte, war er daher verpflichtet, so zu fahren, dass dem Kläger kein
Schaden entstehen konnte. Dass der Beklagte die Fahrt mit einer von
einem Skilehrer geleiteten Klasse machte, entband ihn nicht von dieser
Pflicht. Er hatte selber abzuwägen, mit welcher Geschwindigkeit er
angesichts seiner persönlichen Fähigkeiten, der Steilheit der Piste und
der ihm bekannten Schneeverhältnisse (harte, abgefahrene und teilweise
gefrorene Piste) fahren durfte, um in der Linksbiegung unmittelbar über
dem Weg nicht an den Kläger geworfen zu werden. Denn auch wer in einem
Verbande fährt, kann und muss die Fahrart seinem persönlichen Können
anpassen und dort, wo geschicktere Fahrer die Strecke mit wenigen
Schwüngen zurücklegen, deren weitere einschalten oder stemmen, um an
einer bestimmten als gefährlich erkannten oder erkennbaren Stelle mit so
mässiger Geschwindigkeit anzukommen, dass niemand gefährdet wird. Das
hätte der Beklagte bei der Abfahrt von der erwähnten Anhöhe gegen die
unmittelbar am Wege liegende Linkswendung der Piste tun können, ohne
besondere Fähigkeiten zu haben. Umsomehr war er dazu imstande, wenn
er, wie er behauptet, ein guter Skifahrer war. Er hätte es daher tun
sollen. Statt dessen fuhr er mit einer Geschwindigkeit, die wesentlich
zu hoch war, wie die vom Obergericht verbindlich festgestellte Wucht
des schon durch den Sturz gemilderten Anpralles an den Kläger und dessen
Skier zeigt. Nur eine erhebliche Geschwindigkeit konnte erfahrungsgemäss
nach einem Sturze noch solche Auswirkungen haben. Hätte der Beklagte die
Fahrt pflichtgemäss verlangsamt, so wäre er auf der Bodenschwelle nicht
ausgerutscht und gestürzt oder durch einen Sturz jedenfalls nicht auf
den Weg geschleudert worden. Aus der nach den Verhältnissen übersetzten
Geschwindigkeit aber ergibt sich die Widerrechtlichkeit seines Verhaltens.

Erwägung 2

    2.- Nur wer den Schaden absichtlich oder fahrlässig zufügt, wird
aus Art. 41 Abs. 1 OR ersatzpflichtig.

    Dem Beklagten wird nur Fahrlässigkeit vorgeworfen. Das Obergericht
sieht sie darin, dass er "eine gefährliche, steile Abfahrt auf eine Strasse
zu in der Fallrichtung mit offensichtlich ungenügendem technischen Können
überhaupt und dann erst noch zu rasch" befahren habe.

    Dem ist insofern nicht beizupflichten, als dem Beklagten kein Vorwurf
daraus gemacht werden kann, dass er die Abfahrt überhaupt und auch
auf dem Teilstück von der letzten Anhöhe bis auf den Weg mitmachte. Er
fuhr in einer Klasse, mit der er sie schon öfters ausgeführt hatte, und
dass er dieses Mal aus besonderen Gründen austreten müsse, hatte ihm
der Leiter der Klasse, der den Stand seiner Ausbildung kannte, nicht
befohlen. Der Beklagte durfte sich daher, auch wenn sein technisches
Können noch nicht vollkommen gewesen sein sollte, die Fähigkeit zur
Abfahrt zutrauen. Das entband ihn aber, wie schon gesagt, nicht von der
Pflicht, seine Geschwindigkeit den Verhältnissen anzupassen und auf die
Anwesenheit des Klägers Rücksicht zu nehmen. Trotz seiner Jugend musste
er als Skifahrer von einiger Erfahrung wissen, dass auf der harten Piste
beim Befahren einer steilen Strecke die Geschwindigkeit sehr gross werden
konnte, dass er sie aber durch vermehrtes Abschwingen oder durch Stemmbogen
verringern konnte. Er musste auch wissen, dass ein Schwung auf der harten
Unterlage der Bodenschwelle am Wege viel leichter zu einem Sturze führen
konnte als bei anderen Schneeverhältnissen, dass diese Gefahr mit der
Grösse der Geschwindigkeit wuchs und dass ein Sturz aus schneller Fahrt
heraus auf dem harten Schnee ihn über die Biegung der Piste hinaus an den
auf dem Wege stehenden Kläger schleudern konnte. Wenn seine Ausbildung
gut sein sollte, wie er es annimmt, musste er umsomehr zu dieser Einsicht
kommen. Der Einwand, auch der Fähigste könne stürzen, hilft nicht. Gewiss
nimmt auch der gewandte Skifahrer die Gefahr von Stürzen in Kauf. Wenn
er dadurch niemanden gefährdet, trifft ihn kein Vorwurf. Wenn er sich
aber sagen muss, dass er durch seine Fahrweise jemanden verletzen könnte,
muss er alle zumutbare Sorgfalt anwenden, um das zu verhüten. Der Beklagte
hätte bedenken können und sollen, dass ein heftiger Zusammenstoss den
Kläger erheblich schädigen könnte. Die eingetretenen Folgen liegen nicht
ausserhalb allgemeiner Lebenserfahrung und ausserhalb dessen, was auch
ein fünfzehnjähriger Gymnasiast voraussehen kann. Der Beklagte ist daher
grundsätzlich ersatzpflichtig.

Erwägung 3

    3.- In welchem Umfange der Schaden zu ersetzen ist, bestimmt der
Richter nach den Umständen und der Grösse des Verschuldens (Art. 43
Abs. 1 OR). Leichte Fahrlässigkeit macht also nicht in gleichem
Masse ersatzpflichtig wie grobe (BGE 53 II 430, 59 II 370). Trifft
den Ersatzpflichtigen nur ein leichtes Verschulden, so kann sich
daher rechtfertigen, den Geschädigten einen Teil des Schadens selber
tragen zu lassen, und zwar unbekümmert darum, ob er seinerseits durch
ein schuldhaftes Verhalten zur Entstehung oder Grösse des Schadens
beigetragen hat. Diese Ordnung ist billig. Ist der Schaden nur auf Umstände
zurückzuführen, für die der Schädiger nicht einzustehen hat, so entfällt
die Ersatzpflicht überhaupt. Es rechtfertigt sich deshalb durchaus,
von ihr teilweise zu entbinden, wenn neben einem leichten Verschulden
des Ersatzpflichtigen auch unverschuldete Umstände die Entstehung des
Schadens beeinflusst haben.

    Unter diesem Gesichtspunkt hat der Kläger einen Teil des Schadens
selber zu tragen. Das Verschulden des Beklagten ist leicht. Es wird
einigermassen dadurch gemildert, dass der Beklagte die Abfahrt in einer
kundig geführten Klasse gemacht hat. Obwohl er dadurch der Pflicht nicht
enthoben war, seine Fahrweise den Verhältnissen und seinen persönlichen
Fähigkeiten anzupassen, ist doch zu berücksichtigen, dass die Versuchung
für ihn gross sein musste, nicht hinter dem Lehrer und den Mitschülern
zurückzubleiben. Fährt, wie es hier zutraf, der Lehrer voraus, so sind
fünfzehnjährige Schüler erfahrungsgemäss auch schon um der Zucht und
Ordnung willen bestrebt, seine Geschwindigkeit einzuhalten und seine
Bewegungen nachzumachen. Dieses Bestreben trug dazu bei, dass der
Beklagte, auf die Anwesenheit des Klägers zu wenig Rücksicht nehmend,
mit übersetzter Geschwindigkeit gegen die gefährliche Linksbiegung der
Piste fuhr und daher beim Abschwingen stürzte.

Erwägung 4

    4.- Art. 44 Abs. 1 OR ermächtig den Richter, die Ersatzpflicht zu
ermässigen oder gänzlich von ihr zu entbinden, wenn Umstände, für die
der Geschädigte einstehen muss, auf die Entstehung oder Verschlimmerung
des Schadens eingewirkt oder die Stellung des Ersatzpflichtigen sonst
erschwert haben.

    Mit Recht sieht der Beklagte einen solchen Umstand darin, dass der
Kläger an einem Orte stehen blieb, an dem die Gefahr eines Zusammenstosses
auch für ihn erkennbar war. Die Piste in der Fallinie lief genau auf
die Stelle zu, an der er sich aufhielt. Hinter seinem Rücken unmittelbar
über dem Wege pflegten die Benützer der Piste nach links abzuschwingen,
wodurch der Schnee so weit in den Weg hinausgetrieben worden war, dass
ein Wall diesen verengte. Da der Kläger selber Skifahrer war und die
Verhältnisse kannte oder mit gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmen konnte,
hätte er sich sagen können und sollen, dass hier ein Fahrer über die
Piste hinaus geschleudert werden könnte. Einen triftigen Grund, gerade
dort und nicht anderswo seine Skier einzustecken und stehen zu bleiben,
hatte er nicht. Dass der Weg von Fussgängern und Skifahrern benützt
wurde und die Grenze zwischen zwei verschieden gearteten Skigebieten,
dem Abfahrtsgelände einerseits und den Übungshängen anderseits, bildete
und der Standort des Klägers sich in der Nähe eines Gasthauses befand,
ändert nichts. Der Kläger war nichtsdestoweniger verpflichtet, auf die
Benützer der Piste Rücksicht zu nehmen, wie sie ihrerseits auf ihn zu
achten hatten. Er hätte dort umsoweniger stehen bleiben sollen, als er der
Piste den Rücken zuwandte und daher von der Gefahr ohne Möglichkeit der
Abwehr überrascht wurde. Er hat den Zusammenstoss mitverschuldet. Immerhin
ist der von ihm begangene Fehler leichter als jener des Beklagten.

    Eine weitere Mitverantwortung für den eingetretenen Schaden trifft
ihn dagegen nicht. Dem Beklagten ist nicht beizupflichten, wenn er einen
Herabsetzungsgrund im Sinne des Art. 44 Abs. 1 OR darin sieht, dass
eine vorzeitige Heimkehr des Klägers nach Mailand zur Verschlimmerung
seines Zustandes geführt und den Dauerschaden zur Folge gehabt habe. Das
Obergericht stellt auf Grund eines Berichtes des Arztes Dr. Ryffel
fest, dass die Operationswunde unmittelbar vor der Überführung aus dem
Kreisspital Samaden nach Mailand verheilt war, die postoperativen Schmerzen
weitgehend abgeklungen schienen, vorsichtige passive Bewegungen in der
operierten Hüfte ohne wesentliche Beschwernis möglich waren und kein Fieber
bestand, weshalb die Überführung sich vom ärztlichen Standpunkt aus sehr
wohl habe verantworten lassen. Unter diesen Umständen kommt nichts darauf
an, dass der Kläger aus geschäftlichen Gründen auf Heimkehr drängte. Er
war nicht gehalten, länger in Samaden zu bleiben, als der Arzt es für
nötig hielt.

Erwägung 5

    5.- Berücksichtigt man die Grösse des Verschuldens des Beklagten und
des Mitverschuldens des Klägers, so rechtfertigt es sich, unter beiden
Gesichtspunkten zusammen, den Beklagten nur zum Ersatz der Hälfte des
Schadens zu verurteilen.

Erwägung 6

    6.- Der Beklagte bringt gegen die Zusprechung von Schadenersatz für
dauernde Verminderung der Arbeitsfähigkeit vor, die vom Sachverständigen
festgestellte und der vorinstanzlichen Schadensberechnung zugrunde liegende
zwanzigprozentige Einschränkung der Beweglichkeit des linkes Beines habe
für den Kläger keine Erwerbseinbusse zur Folge.

    Das Obergericht stellt indessen fest, dass der Kläger bis zum Unfall
als Prokurist der Banca Agricola Milanese mit der Liegenschaftsverwaltung
betraut war, in dieser Eigenschaft fast täglich Reisen zu den
neunundzwanzig Zweigniederlassungen zu unternehmen hatte und nun im
Innendienst verwendet werden muss, weil er seine frühere Tätigkeit nicht
mehr ausüben kann. Der Übertritt des Klägers in den Innendienst als
Folge des Unfalles wird denn auch vom Beklagten nicht bestritten. Dieser
will nur nicht gelten lassen, dass das Einkommen des Klägers und sein
wirtschaftliches Fortkommen dadurch gelitten haben. Aus dem vom Beklagten
angerufenen gedruckten Personalverzeichnis des Ufficio economato der
Banca Agricola Milanese ergibt sich indessen nur, dass der Kläger an
erster Stelle steht. Ob seine Besoldung schon den Höchststand erreicht
habe oder ob er in eine obere Gehaltsklasse eingereiht werden könnte,
ist der Urkunde nicht zu entnehmen. Auch der angerufene Brief der Bank vom
19. September 1953 sagt nur, dass dem Kläger im Jahre 1952 das in der Klage
geltend gemachte Jahreseinkommen von Lire 1'950,000 ausbezahlt werde. Dass
er im Innendienst weiter vorwärts kommen werde, steht nicht fest. Gerade
der vom Beklagten angerufene, aber nicht vollständig angeführte Nachtrag
des ärztlichen Gutachtens vom 16. Dezember 1954 sagt, der Kläger sei
nicht so sehr in der Ausübung seiner Tätigkeit als Bankprokurist als
vielmehr und insbesondere in seiner Eigenschaft als Oberintendant und
Inspektor für Bauarbeiten behindert. Die Auffassung des Obergerichts,
die dauernde Beeinträchtigung im Gebrauch des linken Beines vermindere
seine Arbeitsfähigkeit um 10% und entsprechend auch sein wirtschaftliches
Fortkommen, widerspricht der allgemeinen Lebenserfahrung nicht. Ein
körperlich behinderter Mann ist erfahrungsgemäss auch im Innendienst einer
Bank in seiner Arbeit beeinträchtigt und hat daher weniger Aussicht auf
Beförderung, zumal im vorgerückten Alter des Klägers, der 1908 geboren
worden ist. Mit zunehmendem Alter wird der Kläger möglicherweise sogar
mit grösseren Schwierigkeiten rechnen müssen.

    Weitere Einwendungen gegen die vorinstanzliche Schadensberechnung
erhebt der Beklagte nicht, insbesondere auch nicht solche gegen die
Berechnung des Dauerschadens, die denn auch der neuen bundesgerichtlichen
Rechtsprechung zur Ermittlung des Barwertes von Invalidenrenten (BGE 81
II 42 ff.) entspricht. Das Obergericht hat folgende Schadensposten in
Rechnung gestellt:

    Konkret berechneter Verdienstausfall vom

    13. Januar 1952 - 4. Juli 1955        Fr. 4'743.55

    Zins davon zu 5% vom 8. Oktober 1953

    (mittlerer Termin) - 4. Juli 1955     "    411.70

    Barwert einer Rente von jährlich Fr.

    1433.50 am 4. Juli 1955 (Alter des Berechtigten 47 Jahre)
Fr. 19'567.30

    zusammen      Fr. 24'722.55

    Heilungskosten        "   3'859.10

    Gesamtschaden Fr. 28'581.65

    Von diesem Gesamtbetrage hat der Beklagte dem Kläger die Hälfte,
d.h. Fr.

    14'290.80, zu ersetzen.

    Die halben Heilungskosten, nämlich Fr. 1929.55, sind seit dem
Unfalltage

    zu verzinsen, der übrige Schadenersatz seit 4. Juli 1955, beide
Beträge zu

    5%.

Erwägung 7

    7.- Das Obergericht hat dem Kläger Fr. 1000.-- als Genugtuung
zugesprochen in der Meinung, dieser Betrag liege an der unteren Grenze
dessen, was der Kläger beanspruchen könne, doch bestehe aus prozessualen
Gründen keine Möglichkeit der Erhöhung.

    Demgegenüber vertritt der Beklagte die Auffassung, die Voraussetzungen
für den Zuspruch einer Genugtuung fehlten.

    Die Folgen des Unfalles waren indessen schwer. Der Kläger war an ein
langes und schmerzhaftes Krankenlager gebunden. Er konnte seine Arbeit
erst nach fünf Monaten vollständig aufnehmen. Dazu kommt die dauernde
Beeinträchtigung im Gebrauch des linken Beines. Das leichte Mitverschulden
des Klägers am Unfall steht nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung
dem Anspruch auf Genugtuung nicht im Wege, da die Fahrlässigkeit des
Beklagten deutlich überwiegt (BGE 54 II 17 f., 469; 55 II 322; 63 II 346;
72 II 266). Auch was die Höhe des zugesprochenen Betrages betrifft,
hält das angefochtene Urteil vor Art. 47 OR stand. Der Betrag ist vom
Tage des Unfalles an zu 5% zu verzinsen.

Erwägung 8

    8.- Der Beklagte beantragt Abweisung der Klage in vollem Umfange,
somit auch die Aufhebung des Vorbehaltes einer Nachklage gemäss Art. 46
Abs. 2 OR. Inwiefern dieser Vorbehalt nicht berechtigt sei, führt er
aber nicht aus. Das Obergericht hat ihn denn auch mit Recht in das Urteil
aufgenommen, stellt es doch verbindlich fest, dass der Jewett-Stift im
operierten Oberschenkel entfernt werden müsse und der Kläger somit vor
einer Nachoperation stehe, die nicht ganz harmlos sei.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Die Berufung wird dahin teilweise gutgeheissen, dass der dem
Berufungsbeklagten zugesprochene Betrag auf Fr. 15'290.80 nebst Zins zu 5%
von Fr. 2929.55 seit 13. Januar 1952 und von Fr. 12'361.25 seit 4. Juli
1955 herabgesetzt wird.

    2.- Soweit die Berufung weiter geht, wird sie abgewiesen und das
Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn vom 4. Juli 1955 bestätigt.