Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 15



82 II 15

3. Urteil der II. Zivilabteilung vom 23. Februar 1956 i. S. Zimmermann
gegen Lehrerversicherungskasse des Kantons Glarus. Regeste

    Bauhandwerkerpfandrecht. Klage gegen den vorgehenden Pfandgläubiger
gemäss Art. 841 ZGB. Was ist im Falle der Reparatur oder des Umbaus eines
bereits bestehenden Gebäudes unter dem "den Wert des Bodens übersteigenden
Verwertungsanteil" der vorgehenden Pfandgläubiger zu verstehen? Erkennbare
Benachteiligung der Bauhandwerker? Berechnung der Entschädigung.

Sachverhalt

    A.- Jakob Schmid-Stauffacher, Konditor, kaufte am 22.  November 1950
von Peter Stüssi die aus einem Wohnhaus, einem Nebengebäude, Hofraum
und Garten bestehende, 1129 m2 umfassende Liegenschaft Nr. 87 des
eidgenössischen Grundbuchs in Linthal-Ennetlinth zum Preise von Fr.
120 000.--. Der Versicherungswert des Wohnhauses betrug damals gemäss
Schätzung vom 1. Juli 1948 Fr. 93'500.--, die Grundpfandbelastung
einschliesslich des beim Kauf errichteten Schuldbriefs von Fr. 20 000.--
insgesamt Fr. 80 000.--.

    Schmid liess die Liegenschaft sogleich umbauen und renovieren. Er
richtete eine moderne Konditorei ein. Der Gesamtbetrag der
Bauhandwerkerrechnungen belief sich auf Fr. 22'181.75, wovon Fr. 6455.90
auf die Rechnung der Firma Heinrich Zimmermann & Sohn entfielen.
Am 11. Januar 1951 wurde das Wohnhaus für die Gebäudeversicherung neu
auf Fr. 165 000.-- geschätzt.

    Am 19. Januar 1951 wurden auf der Liegenschaft Schmids zugunsten
der Lehrerversicherungskasse des Kantons Glarus zwei neue Schuldbriefe
von zusammen Fr. 55'000.-- errichtet. Diese erhielten im Nachgang zu den
im 1. und 2. Rang stehenden Schuldbriefen der Glarner Kantonalbank von
zusammen Fr. 30'000.-- den 3. und 4. Rang. Die Gläubiger der Schuldbriefe,
die bisher den 3.-5. Rang innegehabt hatten, nahmen mit dem 5.-7. Rang
vorlieb. Die gesamte Grundpfandbelastung betrug nunmehr Fr. 135'000.--. Vom
neu aufgenommenen Gelde erhielten die Bauhandwerker nur Fr. 8800.--. Die
Firma Zimmermann & Sohn war an dieser Summe mit Fr. 2000.-- beteiligt.

    Am 23. Februar 1951 erwirkte die Firma Zimmermann & Sohn die
provisorische Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts zu ihren
Gunsten. Am 17. Mai 1951 erfolgte auf Grund einer Einigung zwischen ihr
und Schmid die definitive Eintragung für den Betrag von Fr. 4489.95.

    B.- Am 12. März 1952 fiel Schmid in Konkurs. Die am 24.  September 1952
durchgeführte Zwangsversteigerung seiner Liegenschaft ergab bei einem
Zuschlagspreis von nur Fr. 82'000.-- einen Nettoerlös von Fr. 80'908.--,
während die konkursamtliche Schätzung gemäss der Steigerungspublikation im
Amtsblatt des Kantons Glarus vom 13. September 1952 Fr. 110 000.-- und der
Gebäudeversicherungswert gemäss "Generalschätzung" vom 6. Mai 1952 Fr. 179
000.-- (einschliesslich Garage und Fr. 13'000.-- für "Innenwerke") betragen
hatte. Die Schuldbriefe im 5.-7. Rang und das Bauhandwerkerpfandrecht
zugunsten der Firma Zimmermann & Sohn wurden infolgedessen am 13. November
1952 gelöscht und der auf die Lehrerversicherungskasse lautende Schuldbrief
im 4. Rang von Fr. 25'000.-- auf Fr. 20'908.-- herabgesetzt. Auf die in
die 5. Klasse eingereihte Pfandausfallforderung der Firma Zimmermann &
Sohn, die einschliesslich der Zinsen Fr. 4714.45 ausmachte, entfiel
eine Dividende von Fr. 117.85. Für den ungedeckt gebliebenen Betrag von
Fr. 4596.60 erhielt die Firma Zimmermann & Sohn einen Verlustschein.

    C.- In der Folge leitete die Firma Zimmermann & Sohn gegen die
Lehrerversicherungskasse Klage ein mit dem Begehren, die Beklagte sei zu
verpflichten, aus ihrem Verwertungsanteil den von der Klägerin erlittenen
Pfandausfall zu ersetzen und der Klägerin demgemäss Fr. 4596.60 nebst 5%
Zins seit dem Tage der Vermittlung zu bezahlen. (Die vorsorglicherweise
ebenfalls eingeklagte Glarner Kantonalbank wurde mit Zustimmung der
Lehrerversicherungskasse aus dem Prozess entlassen.) Am 3. Juni 1954
verurteilte das Zivilgericht des Kantons Glarus die Beklagte in
teilweiser Gutheissung der Klage, der Klägerin Fr. 908.-- nebst 5% Zins
seit 17. November 1953 zu bezahlen. Das Obergericht des Kantons Glarus,
an das die Klägerin die Appellation, die Beklagte die Anschlussappellation
erklärte, hat dieses Urteil am 29. März 1955 bestätigt.

    D.- Mit ihrer Berufung an das Bundesgericht erneuert die Klägerin
ihr Klagebegehren. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Berufungssumme.)

Erwägung 2

    2.- Die Forderung der Klägerin ist bei der Pfandverwertung zu Verlust
gekommen. Der Ausfall ist also gemäss Art. 841 Abs. 1 ZGB "aus dem den Wert
des Bodens übersteigenden Verwertungsanteil der vorgehenden Pfandgläubiger
zu ersetzen, sofern das Grundstück durch ihre Pfandrechte in einer für
sie erkennbaren Weise zum Nachteil der Handwerker und Unternehmer belastet
worden ist."

    Da das Gesetz den Handwerkern und Unternehmern lediglich ein Vorrecht
auf Befriedigung aus den von ihnen geschaffenen Werten gewähren will
(vgl. BGE 43 II 611, 80 II 24/25), darf die Bestimmung, wonach ein
allfälliger Ausfall aus dem "den Wert des Bodens übersteigenden
Verwertungsanteil" zu ersetzen ist, im Falle der Reparatur oder des
Umbaus eines bereits bestehenden Gebäudes nicht wörtlich genommen
werden. Vielmehr ist in einem solchen Falle sinngemäss der Wert, den
der Boden samt dem Gebäude vor Beginn der Reparatur bzw. Umbauarbeiten
aufwies, als massgebend anzusehen. Nur soweit der bei der Verteilung den
vorgehenden Pfandgläubigern zugeflossene Anteil am Verwertungserlös diesen
Wert übersteigt, kann er, wenn die übrigen Voraussetzungen von Art. 841
ZGB zutreffen, zur Deckung des Ausfalls herangezogen werden, den die an den
fraglichen Arbeiten beteiligten Handwerker und Unternehmer erlitten haben.

    Bei der Beurteilung der vorliegenden Klage kommt es also in
erster Linie darauf an, ob und allenfalls wieweit der - vollständig
den vorgehenden Pfandgläubigern zugefallene - Verwertungserlös aus der
umgebauten Liegenschaft deren Wert vor dem Umbau überstiegen habe. Die
kantonalen Gerichte haben denn auch übereinstimmend erklärt, dass zunächst
diese Frage zu prüfen sei. In den hieran anschliessenden Ausführungen,
welche diese und die weitere Frage, ob das Grundstück durch die Pfandrechte
der Beklagten in einer für diese erkennbaren Weise zum Nachteil der
Klägerin belastet worden sei, zum Teil vermengen, haben die kantonalen
Gerichte dann allerdings nicht ausdrücklich festgestellt, welchen Wert
die Liegenschaft Schmids vor dem Umbau hatte bzw. welches die Differenz
zwischen dem Verwertungserlös und diesem Werte war. Aus ihrer Feststellung,
dass die Liegenschaft schon zur Zeit des Übergangs an Schmid, nämlich
am 22. November 1950, mit Fr. 80'000.-- belastet gewesen sei, während
der damalige Gebäudeschätzungswert Fr. 93'500.-- betragen habe, und aus
der Tatsache, dass sie im Hinblick auf diese vorbestehende Belastung den
Anspruch des Klägers auf Fr. 908.-- beschränkten, darf jedoch geschlossen
werden, dass sie annahmen, der Wert der Liegenschaft vor dem Umbau habe
dem Betrag der damaligen Grundpfandbelastung entsprochen. Angesichts
der amtlichen Gebäudeschätzungen hätte denn auch nicht wohl angenommen
werden können, dass die Liegenschaft damals weniger als Fr. 80 000.--
wert und folglich überlastet gewesen sei, was die Klägerin zu beweisen
gehabt hätte, weil sie ihren Anspruch u.a. hierauf stützte. Der Umstand,
dass die auf den Boden und das umgebaute Gebäude bezügliche Schätzung
des Konkursamtes nur Fr. 110'000.-- betrug, kann hieran nichts ändern;
zieht man von diesem Betrag die Umbaukosten von ca. Fr. 22'000.-- ab,
so bleiben immer noch ca. Fr. 88'000.--. Der Zuschlagspreis betrug dann
freilich nur Fr. 82'000.--. Auch hieraus ist aber nicht notwendig zu
schliessen, dass die Liegenschaft vor dem Umbau weniger als Fr. 80'000.--
wert gewesen sei; denn erfahrungsgemäss führt die Zwangsverwertung
oft zu einer Verschleuderung von Vermögensgegenständen und damit zu
einer Wertvernichtung. Die Auffassung der Vorinstanz, dass Schmid die
Liegenschaft mit Fr. 120'000.-- stark überzahlt habe, steht mit der
Annahme, dass ihr damaliger Wert immerhin Fr. 80'000.-- erreicht habe,
nicht im Widerspruch. Wenn schliesslich die Beklagte für ihre nach dem
Umbau errichteten Schuldbriefe den 3. und 4. Rang in Anspruch nahm,
so beweist dies entgegen der Behauptung der Klägerin nicht etwa, dass
die Beklagte die vor dem Umbau vorhanden gewesene Belastung selbst
als übersetzt betrachtet habe. Die Erklärung für ihr Begehren, dem zu
entsprechen die zurückversetzten Pfandgläubiger keine Bedenken gehabt zu
haben scheinen, dürfte vielmehr in den Belehnungsgrundsätzen liegen, welche
die Versicherungsinstitutionen im allgemeinen zu beobachten pflegen. Eine
Expertise über den Wert vor dem Umbau hat die Klägerin nicht beantragt,
sondern eine solche im Gegenteil mindestens implicite als untaugliches
Beweismittel abgelehnt.

    War die Liegenschaft vor dem Umbau wenigstens Fr. 80'000.-- wert
und belief sich der reine Verwertungserlös auf Fr. 80'908.--, so ist
klar, dass die Klägerin nach Art. 841 ZGB höchstens auf den Betrag von
Fr. 908.-- Anspruch erheben könnte, selbst wenn das Grundstück durch die
Pfandrechte der vorgehenden Pfandgläubiger, insbesondere der Beklagten,
in einer für diese erkennbaren Weise zum Nachteil der Bauhandwerker
belastet worden wäre. Diesen Betrag hat die Vorinstanz der Klägerin
zugesprochen. Die Beklagte hat sich damit abgefunden. Unter diesen
Umständen könnte dahingestellt bleiben, ob eine erkennbare Benachteiligung
der Bauhandwerker im Sinne von Art. 841 vorgelegen habe. Es mag aber
immerhin bemerkt werden, dass für die Beklagte angesichts der Schätzungen,
die bei Errichtung ihrer Pfandrechte bekannt waren, auf jeden Fall
nicht erkennbar war, dass ihre Pfandrechte schon insoweit, als sie nur
in die Stellung bereits bestehender Hypotheken einrückten, eine den
Bauhandwerkern nachteilige Belastung darstellen könnten. Auch deshalb
kann höchstens der Fr. 80'000.-- übersteigende Teil des Verwertungserlöses
der Klägerin verfallen sein. Der von dieser hervorgehobene Umstand, dass
durch die Transaktion der Beklagten die Gesamtbelastung um Fr. 55'000.--
auf Fr. 135 000.-- erhöht wurde, ist, nachdem die Beklagte sich mit der
Gutheissung der Klage für Fr. 908.-- abgefunden hat, ohne Bedeutung, weil
alle den Betrag von Fr. 80'908.-- übersteigenden Pfandforderungen ungedeckt
geblieben sind. Ob der Verwertungserlös bis zum Betrage von Fr. 80'000.--
neben der Glarner Kantonalbank den Gläubigern, die bis zum 19. Januar 1951
den dritten bis fünften Rang innehatten, oder aber der Beklagten zufiel,
berührt die Klägerin in keiner Weise.

    Auf volle Deckung ihres Ausfalls hätte übrigens die Klägerin, deren
Rechnung weniger als ein Drittel der gesamten Bausumme ausmachte, beim
Vorliegen einer erkennbaren Benachteiligung der Baugläubiger nicht schon
dann Anspruch gehabt, wenn der Überschuss des Verwertungserlöses über
den Grundstückswert vor dem Umbau den Betrag ihres Guthabens erreicht
hätte, sondern nur dann, wenn dieser Überschuss so hoch gewesen wäre wie
die gesamte Bausumme von ca. Fr. 22'000.-- (vgl. BGE 76 II 143 und dort
zit. Entscheide).

    Dass die Beklagte durch eine geeignete Kontrolle der Verwendung des
von Schmid aufgenommenen Geldes die Verluste der Bauhandwerker hätte
verhüten können, mag zutreffen. Dies genügt aber nach Art. 841 ZGB eben
nicht, um ihre Haftung zu begründen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Glarus vom 29. März 1955 bestätigt.