Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 II 142



82 II 142

20. Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. März 1956 i.S. Ritter gegen
Leuthold. Regeste

    Dienstvertrag, Konkurrenzverbot, Konventionalstrafe.

    Hinfall des Konkurrenzverbots, weil der Dienstherr dem Angestellten
Anlass zur Kündigung gegeben hat? Art. 360 Abs. 2 OR (Erw. 1 und 2).

    Voraussetzungen für die Herabsetzung der Konventionalstrafe. Art. 163
Abs. 3 OR (Erw. 3).

Sachverhalt

    Der Beklagte Ritter trat 1946 als Reisender in den Dienst des
Klägers Leuthold. Im Anstellungsvertrag wurde vereinbart, dass der
Reisende nach Auflösung des Anstellungsverhältnisses während zwei Jahren
im Vertretungsgebiet keine Konkurrenztätigkeit ausüben dürfe. Für den
Fall der Zuwiderhandlung sah der Vertrag eine Konventionalstrafe von
Fr. 10'000.-- vor.

    Am 30. August 1952 kündigte Ritter das Anstellungsverhältnis ohne
Grundangabe auf Ende Oktober 1952 und trat am 1. November 1952 in den
Dienst eines Konkurrenzunternehmens, für das er das gleiche Gebiet
bereiste.

    Die von Leuthold wegen Verletzung des Konkurrenzverbots erhobene Klage
auf Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung der Konventionalstrafe von Fr.
10'000.-- wurde von den Gerichten des Kantons Solothurn geschützt. Das
Bundesgericht weist die vom Beklagten hiegegen erhobene Berufung ab auf
Grund der folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beklagte hat, wie nicht streitig ist, nach der auf seine
vertragsgemässe Kündigung hin erfolgten Auflösung des Dienstverhältnisses
das vertraglich vereinbarte Konkurrenzverbot übertreten. Er bestreitet
jedoch gestützt auf Art. 360 Abs. 2 OR dem Kläger das Recht, gegen ihn
wegen dieser Übertretung irgendwelche Ansprüche zu erheben.

    Nach der angerufenen Bestimmung verliert in der Tat der Dienstherr
seinen Anspruch aus Verletzung des Konkurrenzverbotes nicht nur, wenn
er dem Dienstpflichtigen ohne einen von diesem zu vertretenden wichtigen
Grund kündigt, sondern auch, wenn er durch sein eigenes Verschulden dem
Dienstpflichtigen einen wichtigen Grund zur Aufhebung des Vertrages gegeben
hat. Der Begriff des wichtigen Grundes im Sinne dieser Bestimmung deckt
sich nach der Rechtsprechung nicht mit demjenigen des Art. 352 OR. Für
die Anwendbarkeit von Art. 360 Abs. 2 OR genügt vielmehr schon ein Grund,
der bei vernünftiger Betrachtungsweise Anlass zur Kündigung bilden kann,
ohne dass er geradezu die fristlose Aufhebung des Dienstverhältnisses
zu rechtfertigen vermöchte. Folgerichtig erfordert Art. 360 Abs. 2 auch
nicht eine sofortige Aufhebung des Dienstverhältnisses, sondern es ist
auch eine vertragsgemässe oder gesetzliche ordentliche Kündigung zulässig
(BGE 56 II 274, 57 II 331, 70 II 163).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz verbindlich festgestellt,
dass der Kläger entgegen dem Anstellungsvertrag während der ersten
Jahre keine Provisionsabrechnungen erstellte und dem Beklagten für die
ihm zustehenden Provisionen lediglich Teilzahlungen in unregelmässigen
Abständen ausrichtete. Ferner setzte der Kläger ohne die Zustimmung des
Beklagten das im ursprünglichen Vertrag von 1946 vereinbarte Fixum von
Fr. 500.-- auf Fr. 400.-- herab und vergütete ihm statt der vereinbarten
Vertrauensspesen lediglich eine feste Spesenentschädigung von Fr. 50.-
pro Woche. Ausserdem belieferte der Kläger in vielen Fällen die Kunden
schleppend und verspätet. Dazu waren die gelieferten Waren häufig
mangelhaft, was zu Reklamationen führte und einzelne Kunden veranlasste,
keine Bestellungen mehr aufzugeben.

    Dieses Verhalten des Klägers wäre an sich zweifellos geeignet
gewesen, dem Beklagten im Sinne der Rechtsprechung Anlass zur Kündigung zu
geben. Nun erklärt die Vorinstanz aber, die erwähnten Vertragsverletzungen
des Klägers hätten nicht die Ursache zur Vertragsauflösung gebildet; der
Beklagte habe vielmehr gekündigt, weil er eine Besserstellung angestrebt
habe. Aus den Akten ergibt sich in der Tat, dass die Parteien im Sommer
1952 wegen des vertragswidrigen Verhaltens des Klägers miteinander
verhandelten. Im Verlaufe dieser Auseinandersetzung schrieb der Beklagte
dem Kläger am 4. Juni 1952:

    "Sie können von mir nicht verlangen, dass ich weiterhin für Sie
tätig sein kann, wenn solche Abrechnungsdifferenzen, welche 2-4 Jahre
zurückliegen, nicht erledigt sind..."

    Unter Bezugnahme hierauf antwortete der Kläger am 21. Juni 1952:

    "Ihre Ausführungen ... fasse ich als Kündigung des
Anstellungsverhältnisses durch Sie auf und werde die daraus sich ergebenden
Konsequenzen ziehen."

    Darauf schrieb der Beklagte am 9. Juli 1952 dem Kläger zurück:

    "Mein Schreiben an Sie vom 14. Juni a.c. stellt keine Kündigung
des Anstellungsverhältnisses dar. Es war nicht meine Absicht, Ihnen zu
kündigen, wohl aber auf Unstimmigkeiten im gegenseitigen Vertragsverhältnis
hinzuweisen ... Aus Ziff. 3 Ihres Schreibens vom 21. Juni a.c. muss ich
nun aber meinerseits eine Kündigung herauslesen und die entsprechenden
Konsequenzen ziehen..."

    In seiner Antwort vom 11. Juli 1952 bestritt der Kläger eine
Kündigungsabsicht seinerseits und stellte fest, dass somit der Vertrag
bisher von keiner Seite gekündigt worden sei; sodann schlug er eine
mündliche Aussprache vor, um eine Bereinigung der verschiedenen strittigen
Punkte zu versuchen.

    Diese mündliche Besprechung fand dann allem nach statt, und der
Beklagte betätigte sich weiter im Dienste des Klägers, bis er am 30. August
1952 ohne Grundangabe auf Ende Oktober kündigte.

    Aus dem erwähnten Briefwechsel erhellt, dass im Sommer 1952 keine
der Parteien kündigen wollte oder gekündigt hat. Insbesondere fühlte sich
der Beklagte trotz den seit Jahren andauernden Vertragsverletzungen des
Klägers nicht zu einer Kündigung veranlasst, sondern bestritt im Gegenteil
ausdrücklich eine Kündigungsabsicht auf seiner Seite. Nun billigt zwar,
wie ausgeführt, die Rechtsprechung dem Dienstpflichtigen zu, dass er im
Falle des Art. 360 Abs. 2 OR - im Gegensatz zu Art. 352 - den Vertrag nicht
unverzüglich nach Kenntnis des wichtigen Grundes auflösen müsse, sondern
dass er auch ordnungsgemäss kündigen könne und dabei nicht einmal unbedingt
den wichtigen Grund zu erwähnen brauche. Hat aber der Dienstpflichtige
wie hier aus einem bestimmten Verhalten des Dienstherrn ausdrücklich die
Konsequenz der Kündigung nicht gezogen, so muss ihm selbstverständlich
auch verwehrt sein, bei einer später von ihm vorgenommenen Auflösung des
Dienstverhältnisses und nachfolgender Übertretung des Konkurrenzverbotes
dem daraus abgeleiteten Konventionalstrafanspruch mit dem Hinweis auf das
frühere, damals von ihm ausdrücklich nicht als Kündigungsgrund bewertete
Verhalten des Dienstherrn zu begegnen. Die in Art. 360 Abs. 2 OR getroffene
Regelung beruht auf der Überlegung, dass der Dienstpflichtige, der sich
zur Unterlassung einer Konkurrenztätigkeit verpflichtet hat, an das
gegebene Wort nur dann nicht gebunden sein solle, wenn ihm mit Rücksicht
auf das Verhalten des Dienstherrn die Fortsetzung des Dienstverhältnisses
billigerweise nicht zugemutet werden dürfe und ihm darum die Möglichkeit
zur freien Verwertung seiner Arbeitskraft zurückgegeben werden müsse. Diese
Voraussetzung entfällt aber, wo ein Verhalten des Dienstherrn in Frage
steht, das vom Dienstpflichtigen selber zunächst gemäss ausdrücklicher
Erklärung nicht als Anlass für eine Kündigung angesehen wurde.

    Der vom Beklagten aus Art. 360 Abs. 2 OR hergeleitete Einwand ist
daher mit den Vorinstanzen zu verwerfen.

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte nimmt weiter den Standpunkt ein, die vorgesehene
Konventionalstrafe von Fr. 10'000.-- sei übermässig hoch und müsse daher
angemessen herabgesetzt werden.

    Bei der Beurteilung dieser Frage ist davon auszugehen, dass
gemäss Art. 163 Abs. 1 OR die Parteien in der Festsetzung der Höhe
der Konventionalstrafe grundsätzlich frei sind. Ein richterliches
Eingreifen im Sinne von Art. 163 Abs. 3 OR ist daher nur geboten, wenn
das Ausmass der Konventionalstrafe unvernünftig übersetzt ist und mit den
Anforderungen der Gerechtigkeit und Billigkeit in offenbarem Widerspruch
steht. Ob dies der Fall sei, ist zu entscheiden unter Berücksichtigung
des Verhältnisses zwischen der vereinbarten Konventionalstrafe und dem
Interesse des Dienstherrn an der Einhaltung des Konkurrenzverbotes, der
Schwere des Verschuldens des Schuldners und der wirtschaftlichen Lage
der Beteiligten (BGE 63 II 249, 51 II 170 und dort erwähnte Entscheide).

    Im vorliegenden Falle drängt sich, wie die Vorinstanzen zutreffend
entschieden haben, unter keinem dieser Gesichtspunkte eine Herabsetzung
der vereinbarten Strafsumme auf. Zunächst liegt auf der Hand, dass der
Kläger ein erhebliches Interesse an der Einhaltung des Konkurrenzverbotes
durch den Beklagten hatte. Denn es bedeutete selbstverständlich für
ihn eine Bedrohung in seiner Kundschaft, wenn gleichzeitig mit seinem
neuen Vertreter der den Kunden bekannte Beklagte dasselbe Gebiet für eine
Konkurrenzfirma bearbeitete. Tatsächlich ist denn auch dem Kläger gemäss
verbindlicher Feststellung der Vorinstanz infolge der Verletzung des
Konkurrenzverbots durch den Beklagten ein Schaden in der Grösse zwischen
Fr. 3000.-- und 6000.-- erwachsen.

    Gegen eine Herabsetzung der Konventionalstrafe spricht aber vor allem
das schwere Verschulden des Beklagten. Dieser hat sich bedenkenlos über
die eingegangene Verpflichtung zur Konkurrenzenthaltung hinweggesetzt
und unmittelbar nach dem Austritt beim Kläger seine Tätigkeit für
ein Konkurrenzunternehmen desselben aufgenommen. Diese an sich schon
unstatthafte Konkurrenztätigkeit hat er zudem auf eine höchst verwerfliche
Art ausgeübt, indem er die Bestellformulare und Bestellbücher des Klägers
zugunsten seiner neuen Arbeitgeberin ausnützte, den Kläger bei seinen
Kunden verlästerte und sie ihm abspenstig zu machen suchte, was denn auch
zu seiner strafrechtlichen Verurteilung wegen unlauteren Wettbewerbs und
Kreditschädigung führte.

    Mit Rücksicht auf sein schweres Verschulden ist der Beklagte
schliesslich auch nicht befugt, sich darüber zu beklagen, dass die
Konventionalstrafe von Fr. 10'000.-- für ihn eine erhebliche finanzielle
Belastung bedeutet. Auf jeden Fall ist diese nicht derart, dass ihretwegen
die Existenz des Beklagten als bedroht erschiene; denn er bezieht an
seiner neuen Stelle ein Fixum von Fr. 8400.-- im Jahr, d.h. Fr. 3600.--
mehr, als er beim Kläger zuletzt tatsächlich erhielt; dazu kommen noch
die Provisionen.