Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 III 131



82 III 131

35. Entscheid vom 7. Juni 1956 i.S. Bank in Langenthal. Regeste

    Beschwerde gegen den Sachwalter bei Nachlassstundung. Art.  17,
295 Abs. 3 SchKG.

    Anfechtbare Verfügung: eine dem Schuldner erteilte Weisung im Sinne
von Art. 298 SchKG. Ein davon betroffener Gläubiger und Zessionar ist
zur Beschwerde legitimiert (Erw. 1).

    Die Weisung des Sachwalters, sich Ansprüchen eines Dritten zu
widersetzen, ist rechtmässig, wenn sie sich auf ernsthafte Gründe
stützt. Die Entscheidung über derart bestrittene Ansprüche bleibt dem
Richter vorbehalten (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Bank in Langenthal gewährte dem Schuldner Hans Glauser,
Neumühle, St. Urban, einen Kredit bis zu Fr. 100'000.--. Über dessen
Sicherstellung schloss sie mit dem Schuldner am 28. November 1955 einen
Forderungsabtretungs-Vertrag ab, der in den Ziffern 2 und 6 bestimmt:

    "Zur Sicherstellung des jeweiligen Guthabens der BANK an Kapital,
Zinsen, Provisionen und Kosten, sowie allfälliger weiterer Forderungen der
BANK, welche zu ihren Gunsten schon bestehen oder künfünftig entstehen
werden, tritt der KREDIT-NEHMER der BANK seine sämtlichen gegenwärtigen
und künftigen Buchforderungen mit allen damit verbundenen Rechten ab,
unter Garantie für deren Bestand und Einbringlichkeit."

    "Der KREDITNEHMER verpflichtet sich, der BANK je auf 30. Juni
und 31. Dezember (oder auf Wunsch der BANK auf jeden andern Termin) ein
detailliertes Verzeichnis aller seiner bestehenden (der BANK abgetretenen)
Forderungen einzureichen. Ferner hat der KREDITNEHMER der BANK auf jedes
Monatsende die Gesamtsumme der bestehenden Forderungen zu melden. Der
BANK steht ausserdem das Recht zu, jederzeit Einsicht in die Bücher des
KREDITNEHMERS und in die für die abgetretenen Forderungen bestehenden
Schuldurkunden oder sonstigen Beweismittel zu nehmen."

    B.- Am 7. April 1956 erhielt der Schuldner Glauser eine Nachlasstundung
von vier Monaten. Als Sachwalter ernannte die Nachlassbehörde Johann Sidler
in Rothenburg. Einem Begehren der Bank in Langenthal um Einsichtnahme
in die Bücher widersetzte sich der Schuldner im Einverständnis mit dem
Sachwalter. Nun beschwerte sich die Bank gegen den Schuldner "bezw." den
Sachwalter "wegen Vertragsverletzung". Die untere Aufsichtsbehörde hiess
die Beschwerde teilweise gut, indem sie entschied, der Schuldner habe dem
Abtretungsvertrage bis zum Tage der Stundungsbewilligung nachzukommen. Für
die Zeit der Nachlasstundung seien dagegen die Ansprüche der Bank aus
dem Abtretungsvertrag aus ernsthaften Gründen bestritten und daher alle
nach dem Datum der Stundung erlaufenen Buchforderungen des Schuldners
als streitige zu betrachten "und zu sistieren".

    C.- Gegen diesen Entscheid rekurrierten sowohl die Bank in Langenthal,
die den Abtretungsvertrag auch für die Zeit der Nachlasstundung zur Geltung
brachte, wie auch der Schuldner gemeinsam mit dem Sachwalter, die den
Abtretungsvertrag nur gemäss dem der Bank mitgeteilten Forderungsstand
auf den 31. Dezember 1955 gelten liessen. Indessen hob die obere
Aufsichtsbehörde am 12. Mai 1956 den erstinstanzlichen Entscheid
gänzlich auf und trat auf die Beschwerde der Bank in Langenthal nicht
ein, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Anlass zur Beschwerde bot
der Bank eine Weigerung des Schuldners. Diese kann aber nicht auf dem
Beschwerdeweg angefochten werden. Eine Beschwerde gegen den Sachwalter,
wie sie Art. 295 Abs. 3 SchKG vorsieht, war hier nicht zulässig. Denn der
Sachwalter hatte dem Schuldner keine Weisung gegeben, sondern bloss eine
Rechtsauskunft erteilt. Wäre übrigens eine Weisung ergangen, so hätte
sich darüber nur der Schuldner beschweren können. Denn die Weisungen
des Sachwalters berühren nur den Schuldner, an den sie ergehen. Für einen
Gläubiger fällt dagegen nur in Betracht, was der Schuldner selbst vorkehrt,
sei es auch auf Grund einer ihm vom Sachwalter erteilten Weisung. Will ein
Gläubiger das Verhalten des Schuldners nicht als vertragsgemäss anerkennen,
so bleibt ihm nur die Anrufung der Gerichte offen. Daran ist er durch die
Nachlasstundung nicht gehindert. Er kann ein ordentliches Verfahren oder
auch, bei liquiden Verhältnissen, ein Befehlsverfahren nach § 348 Ziff. 1
ZPO einleiten. Der Beschwerdeweg steht ihm nicht zur Verfügung.

    D.- Mit vorliegendem Rekurs hält die Bank in Langenthal an ihrer
Beschwerde fest.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Soweit sich die Beschwerde gegen den Schuldner richtete, war
sie zweifellos nicht zulässig. Die Beschwerde wurde aber auch gegen den
Sachwalter erhoben, im Sinne von Art. 295 Abs. 3 in Verbindung mit den Art.
17 ff. SchKG. Davon geht der angefochtene Entscheid gleichfalls aus; er
hält die Beschwerde aber für unzulässig, weil der Sachwalter gar keine
Verfügung getroffen habe, die Gegenstand einer Beschwerde bilden könnte,
und weil übrigens eine dem Schuldner erteilte Weisung nur von diesem,
nicht auch von einem Gläubiger hätte angefochten werden können. In
der einen wie in der andern Hinsicht erweckt die Betrachtungsweise der
Vorinstanz Bedenken. Die Rekurrentin entnimmt eine förmliche Weisung
des Sachwalters einem Brief vom 12. April 1956, worin er ihr mitteilte,
infolge der Nachlasstundung sei der Schuldner unter Straffolge während
dieser Zeit nicht berechtigt, irgendwelche Verfügungen über Abtretungen,
Begünstigungen etc. gegenüber den Gläubigern zu treffen. Die Rekurrentin
weist auch auf die Begründung des erstinstanzlichen Beschwerdeentscheides
hin, wo es heisst, der Sachwalter opponiere für den Schuldner, indem er
geltend mache, mit der Bewilligung der Nachlasstundung können zukünftige
Forderungen nicht mehr abgetreten werden. In der Tat liegt in diesen
Erklärungen des Sachwalters keine blosse Ansichtsäusserung, sondern der
Sachwalter hat damit kraft seines Amtes Stellung bezogen. Der Brief an
die Gläubigerin sprach aus, was für den Schuldner verbindlich sein solle.
Dass er dem Schuldner eine entsprechende Weisung und nicht bloss eine
unverbindliche Rechtsauskunft zu beliebigem Gebrauch erteilt hatte,
lag auf der Hand. In gleichem Sinne sind denn auch die Ausführungen
des Sachwalters in seiner Vernehmlassung vom 26. April 1956 an die
Vorinstanz zu verstehen: "Gestützt auf die tel. Anfrage des Schuldners
an den Unterzeichneten, wie er sich gegenüber diesen Begehren der Bank
zu verhalten habe, musste ich demselben mitteilen, dass gestützt auf
die gesetzlichen Bestimmungen solchen Begehren nicht entsprochen werden
könne". Diese Weisung unterlag der Anfechtung durch Beschwerde, und zwar
kann der dadurch betroffenen (und zudem durch den erwähnten Brief direkt
vom Sachwalter benachrichtigten) Gläubigerin die Beschwerdelegitimation
nicht abgesprochen werden. Wenn JAEGER, N. 1 zu Art. 298 SchKG, II S. 434
unten, sich darauf beschränkt, gegenüber den Weisungen des Sachwalters das
Beschwerderecht des Schuldners zu erwähnen, so ist damit der Frage nicht
vorgegriffen, ob bei ungesetzlichem oder unangemessenem Eingriff in Rechte
Anderer nicht auch diesen der Beschwerdeweg offen stehe. Diese Frage ist zu
bejahen, entsprechend den die Legitimation zur Beschwerde nach den Art. 17
ff. SchKG beherrschenden Grundsätzen. Dass in die Rechte anderer Personen
eingreifende Verfügungen des Sachwalters auch von diesen angefochten
werden können, ist übrigens speziell für die Schätzungen nach Art. 299
SchKG anerkannt (JAEGER, N. 3 hiezu; BGE 61 III mit Hinweis auf Art. 9 und
99 VZG und Art. 4 Abs. 2 der Verordnung über den Bankennachlassvertrag).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerde war aber aus den von der Vorinstanz ergänzend
angestellten Erwägungen unbegründet. Nach Art. 298 SchKG untersteht der
Schuldner der Aufsicht des Sachwallters. Die dort in Abs. 1 aufgezählten
Verfügungen kann er seit der öffentlichen Bekanntmachung der Stundung
überhaupt nicht mehr gültig vornehmen (vgl. indessen BGE 77 III 46 Erw. 2),
und im übrigen hat er die ihm allfällig vom Sachwalter erteilten Weisungen
zu befolgen, unter Vorbehalt des Beschwerderechtes. Es ist anerkannt,
dass solche Weisungen sowohl auf ein Unterlassen wie auf ein Tun
gerichtet sein und auch rechtsgeschäftliche Vorkehren betreffen können
(BGE 62 III 192). Die hier angefochtene Weisung hielt sich in diesem
Rahmen. Der Sachwalter überschritt also nicht die mit seinen Obliegenheiten
verbundenen Befugnisse. Aber auch sachlich lässt sich die Weisung, den
Begehren der Rekurrentin nicht zu entsprechen, nicht beanstanden. Wie es
jedermann erlaubt ist, Ansprüche Anderer, die er für unbegründet hält,
zu bestreiten, so handelt auch ein Sachwalter rechtmässig, wenn er dem
Schuldner aufgibt, sich Ansprüchen eines Gläubigers zu widersetzen,
die nach seiner Ansicht mit den Wirkungen der Nachlasstundung nicht
vereinbar sind. Da diese Art der Stellungnahme weder als böswillig noch
als leichtfertig, d.h. jedes ernsten Grundes entbehrend, erscheint,
muss es dabei sein Bewenden haben. Eine Prüfung der zivilrechtlichen
Rechtslage steht den Aufsichtsbehörden nicht zu; vielmehr wird über die
Frage, ob und allenfalls in welchem Umfange der Abtretungsvertrag vom
28. November 1955 auch für die Zeit der Nachlasstundung gelte, nur der
Richter entscheiden können.

Erwägung 3

    3.- Bei dieser Sachlage hat die Rekurrentin kein Interesse an einer
Aufhebung des zu Unrecht ergangenen kantonalen Nichteintretensentscheides
und an einer Rückweisung der Sache zu materieller Beurteilung der
Beschwerde. Diese müsste, wie dargetan, aus den zusätzlichen Erwägungen
der Vorinstanz abgewiesen werden, ohne Präjudiz für die Entscheidung der
zivilrechtlichen Streitfragen.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.