Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 82 III 110



82 III 110

31. Entscheid vom 8. September 19 i.S.

    Regli.  Regeste

    Lohnpfändung.  1. Art. 93 SchKG kennt keinen Vorrang von unterhalts-
gegenüber unterstützungsberechtigten Personen. Zur Familie des Schuldners
gehören auch die mit ihm zusammenlebenden Eltern. 2. Ob ausser dem
Schuldner noch Geschwister desselben zur Unterstützung der Eltern
beizutragen vermögen, haben die Betreibungsbehörden summarisch zu
   prüfen.

Sachverhalt

A.- In der Betreibung Nr. 89 der Rekurrentin gegen den ledigen
Hilfsarbeiter Walter Zwyssig für Alimente aus ausserehelicher Vaterschaft
pfändete das Betreibungsamt Erstfeld am 21. April 1956 pro Arbeitsstunde
des Schuldners 40 Rappen. Es ging von einem Monatseinkommen des Schuldners
von Fr. 400.-- aus. Er unterstütze seine bei ihm wohnenden Eltern, die
vermögenslos seien und deren Einkommen nur in den AHV-Renten von insgesamt
Fr. 120.-- im Monat bestehe. Den für die drei Personen verfügbaren
Mitteln von monatlich Fr. 520.-- stellte es deren Notbedarf gegenüber, mit
Einschluss der dem ausserehelichen Kinde zukommenden Alimente, wie folgt:
" Notbedarf der Eltern des Schuldners, inkl. des Schuldners Fr. 387.--
AHV-Beiträge " 8.- Unfall-Beiträge " 8.- Wohnung " 52.- Unkosten,
Kleiderverschleiss, auswärtige Ver- köstigung usw. " 20.- Alimente "
70.- Zusammen Fr. 545.--." B.- Über diese Pfändung beschwerte sich die
durch die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt vertretene Gläubigerin. Sie
machte geltend, es dürfe nur der persönliche Notbedarf des Schuldners,
mit entsprechend geringern Wohnungskosten, in Betracht fallen. In einer
Replik zum Amtsbericht machte der Vertreter der Gläubigerin geltend, die
familienrechtlichen Unterhaltspflichten - auch solche gegenüber einem nicht
beim Schuldner lebenden ausserehelichen Kinde - gingen familienrechtlichen
Unterstützungspflichten, wie sie hier gegenüber den Eltern bestehen mögen,
vor. Es sei also bei Berechnung des Existenzminimums in der vorliegenden
Alimentenbetreibung keine Rücksicht darauf zu nehmen, ob die Eltern des
Schuldners auf dessen Hilfe angewiesen seien oder nicht. Eventuell müsste
geprüft werden, ob er der einzige unterstützungspflichtige Verwandte
   sei.
C.- Die kantonale Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde am 12. Juli 1956
ab, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Nach Art. 93 SchKG ist das
Existenzminimum des Schuldners und seiner "Familie" massgebend. Zur Familie
gehören aber auch die mit ihm in Gemeinschaft lebenden Eltern. Da sie
kein Vermögen haben und nur die AHV-Rente beziehen, hat der Schuldner
für ihren übrigen Unterhalt aufzukommen. Der Schuldner hat einen
ältern Bruder Robert, der jedoch bei einem Familienbestand von sechs
Kindern kaum in der Lage ist, die Eltern mitzuunterstützen. Darüber kann
übrigens im Betreibungsverfahren nicht entschieden werden. Es handelt
sich um materiellrechtliche Verhältnisse, die in die Zuständigkeit der
Zivilgerichte fallen. Der vom Schuldner zu deckende Unterhaltsbedarf der
Gläubigerin, d.h. des ausserehelichen Kindes, steht auf gleicher Stufe
wie die Unterstützungsberechtigung der Eltern, wie das Betreibungsamt
richtig annimmt. Die Aufsichtsbehörde bemisst den Notbedarf der engern,
in Gemeinschaft lebenden "Familie" (ohne die Wohnungskosten von Fr. 52.-)
noch etwas höher, so dass der Notbedarf der Familie mit Einschluss des
Unterhaltsanspruches der Gläubigerin den Lohn des Schuldners nebst den
AHV-Renten seiner Eltern um Fr. 133.-- im Monat übersteigt. So ergibt sich
eine monatlich pfändbare Lohnquote von Fr. 55.75 oder rund 30 Rappen pro

    Arbeitsstunde.  D.- Gegen diesen Entscheid rekurriert die Gläubigerin
und beantragt in erster Linie, der für sie pfändbare Teil des Lohnes
sei so zu berechnen, dass dem persönlichen Einkommen des Schuldners
von Fr. 400.-- nur das persönliche Existenzminimum eines ledigen Mannes
nebst den üblichen Sozialzuschlägen gegenübergestellt werde. Eventuell
verlangt sie genauere Erhebungen über allfällig neben dem Schuldner
zur Unterstützung der Eltern pflichtige andere Kinder derselben und
über die wahre Unterstützungsbedürftigkeit der Eltern (zeitweiliges
Arbeitseinkommen), worauf der den Schuldner treffende Unterstützungsanteil
neu zu bestimmen und die Lohnpfändung dementsprechend zu erhöhen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung

1.- Wie in BGE 59 II 1 ff. entschieden wurde, gehen die in den Art. 159
und 160 ZGB als Wirkungen der Ehe vorgesehenen Beistandspflichten den
Unterstützungspflichten nach Art. 328 ff. ZGB vor. Dabei wurde ausser der
gegenseitigen Beistandspflicht der Ehegatten die entsprechende Pflicht
der Eltern gegenüber den (unmündigen) Kindern ins Auge gefasst (Erw. 3
Anfang und 3, b daselbst). Daraus folgt jedoch nichts zu Gunsten des
Hauptantrages der Rekurrentin. Einmal lassen sich die Wirkungen der Ehe
nicht ohne weiteres auf die Unterhaltspflicht gegenüber einem nicht beim
pflichtigen Vater wohnenden ausserehelichen Kinde übertragen. Sodann
begründet die familienrechtliche Beistands- oder Unterhaltspflicht
überhaupt kein bei der Zwangsvollstreckung anzuerkennendes Vorrecht
gegenüber Unterstützungspflichten nach Art. 328 ff. ZGB. Vielmehr
ist für die Lohnpfändung nach Art. 93 SchKG das Existenzminimum des
Schuldners und seiner "Familie" massgebend. Zur "Familie" gehören aber
zweifellos auch die mit ihm in gemeinsamem Haushalt lebenden und von ihm
unterstützten Eltern. Art. 93 SchKG macht keinen Unterschied zwischen
unterhalts- und unterstützungsberechtigten Personen. Das liefe dem
Sinn und Zweck dieser Vorschrift zuwider. Art. 93 SchKG will in erster
Linie ausser dem Schuldner selbst den mit ihm zusammenlebenden Personen
Schutz gewähren, sofern diese nicht nur tatsächlich, sondern auf Grund
einer rechtlichen oder auch nur moralischen Verpflichtung des Schuldners
ihren Lebensbedarf von ihm beziehen (BGE 51 III 228, 77 III 157 /8). Der
ausserhalb der Wohnungsgemeinschaft (also der Familie im engern Sinne)
lebende Unterhaltsgläubiger hat nur darauf Anspruch, im Umfang seines
eigenen Notbedarfs den Mitgliedern der engern Familie gleichgestellt
zu werden. Das geschieht in der Weise, dass sein Notbedarf, soweit
er zu des Schuldners Lasten zu gehen hat, zum Notbedarf der "engern"
Familie hinzugerechnet wird, und dass - bei einem den Notbedarf der
"weitern" Familie nicht deckenden Lohneinkommen des Schuldners - für ihn
ein proportionaler Teil dieses Lohnes zu pfänden ist (BGE 71 III 177,
74 III 46 /7). Davon geht der angefochtene Entscheid zutreffend aus.

Erwägung

2.- Auch den zur Begründung der Eventualantrages vorgebrachten
Rügen ist nicht beizutreten. Einmal ist ohne Verletzung von
Bundesrecht festgestellt, dass die Eltern des Schuldners vermögenslos
und erwerbsunfähig sind, und dass sie kein anderes Einkommen als die
AHV-Rente von monatlich Fr. 120.-- (für beide zusammen) haben. Für den
ganzen übrigen Notbedarf sind sie somit auf Unterstützung durch ihre Kinder
angewiesen. Zur Frage, ob neben dem Schuldner noch Geschwister desselben
in der Lage wären, an den Lebensunterhalt der Eltern beizutragen und ihn
dementsprechend zu entlasten, hat sich die Vorinstanz mit Recht auf eine
summarische Prüfung beschränkt. Ihre Bemerkung, es stehe ihr gar nicht zu,
über diese Verhältnisse zu befinden, ist zwar unrichtig (BGE 51 III 229),
und der Rekurrentin ist auch zuzugeben, dass die Unterstützungspflicht
von Verwandten gleichen Grades eine anteilsmässige ist, und dass sich
der grundsätzlich gleiche Anteil eines jeden nur insoweit erhöht,
als Mitverpflichtete das ihrige nicht beizutragen vermögen oder nicht
belangbar sind (BGE 60 II 266 ff.). Allein, die Vorinstanz hat diesen Punkt
nicht einfach ungeprüft gelassen, sondern das Betreibungsamt beauftragt,
abzuklären, "ob nicht noch weitere Kinder bzw. Nachkommen i.S. Zwyssig
eine Unterstützungspflicht gegenüber den Eltern trifft", und darüber am
11. Juni 1956 Bericht erhalten. Danach kommt als unterstützungspflichtig
nur noch ein Bruder des Schuldners, Robert Zwyssig-Denier, in Frage, ein
MF-Arbeiter, verheiratet und Vater von sechs Kindern, geboren 1934, 1936,
1937, 1938, 1940 und 1941. Die Aufsichtsbehörde hat sich nun nicht jeder
sachlichen Würdigung dieser Verhältnisse enthalten, sondern erklärt, es sei
kaum anzunehmen und lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Robert
Zwyssig bei diesem Familienbestande noch in der Lage wäre, seine Eltern zu
unterstützen. Damit hat die Vorinstanz die ihr obliegende Prüfungspflicht
hinreichend erfüllt, zumal die Betreibungsbehörden den allenfalls in Frage
kommenden weitern Unterstützungsverpflichteten gegenüber kein Recht auf
Auskunfterteilung haben; sind diese doch am Betreibungsverfahren nicht
beteiligt. Demgegenüber kann nicht auf BGE 70 III 22 ff. hingewiesen
werden; denn dort wurde nur gesagt, der angeblich Unterstützungsberechtigte
selbst habe sich eine Prüfung seiner eigenen Verhältnisse gefallen zu
lassen. Die Vorinstanz handelte im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens,
wenn sie von weiteren Erhebungen absah und nach wie vor die vom Schuldner
schon bei einer früheren Lohnpfändung, vom 20. Juli 1955, abgegebene
Erklärung gelten liess, er allein müsse für den durch die AHV-Renten
nicht gedeckten Unterhalt der Eltern aufkommen. Dabei darf es umso mehr
sein Bewenden haben, als Unterstützungspflichten anderer Personen den
Schuldner nur dann wirksam zu entlasten vermögen, wenn und soweit ein ohne
Schwierigkeiten sofort realisierbarer Anspruch besteht. Andernfalls ist der
Schuldner mindestens moralisch verpflichtet, die mit ihm zusammenlebenden
Eltern vorderhand einmal selber zu unterstützen. Unter diesen Umständen
ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz angesichts des erwähnten
Berichtes des Betreibungsamtes einfach verneinte, dass Anhaltspunkte
für die Möglichkeit der Heranziehung anderer Kinder zur Unterstützung
der Eltern vorlägen. Sollte die Rekurrentin übrigens der Meinung sein,
dem Schuldner stehen gegen bestimmte Geschwister Ersatzforderungen für
seine Unterstützungsleistungen an die Eltern zu, so könnte sie derartige
Forderungen pfänden und gegebenenfalls als bestrittene verwerten lassen.

Erwägung

3.- Ob die Vorinstanz, indem sie einen geringern als den vom Betreibungsamt
angenommenen Lohnbetrag als pfändbar erachtet, richtig gerechnet habe, kann
dahingestellt bleiben. Gepfändet ist ja nach wie vor der vom Betreibungsamt
festgesetzte Betrag, über den sich der Schuldner nicht beschwert hat. Die
Berechnungsweise des Betreibungsamtes aber ist als solche auch von der
Rekurrentin nicht angefochten worden.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird
abgewiesen. wird abgewiesen.