Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 I 9



81 I 9

3. Urteil vom 18. Februar 1955 i.S. Fonderie et Robinetterie Kugler SA
gegen Zürich, Kanton und Oberrekurskommission. Regeste

    Kant. Steuerrecht. Die im Kanton Zürich geltende Ordnung, wonach
im Rahmen einer Besteuerung nach Ertragsintensität nur die als Ertrag
versteuerten Reserven als Bestandteile des für die Berechnung des
Steuersatzes massgebenden Verhältniskapitals behandelt werden, ist nicht
willkürlich.

Sachverhalt

    A.- Die Beschwerdeführerin Kugler Metallgiesserei und Armaturenfabrik
AG in Genf unterhält seit dem Jahre 1932 ein Atelier und Verkaufsdepot in
Zürich und unterliegt daher auch der zürcherischen Steuerhoheit. Nach dem
ersten Weltkrieg, nach ihren Angaben vor Errichtung der Zürcher Filiale,
ging sie unter dem Eindruck der Nachkriegskrise und des Zerfalls der
Kupferpreise dazu über, ihre Warenvorräte vorsichtig zu bewerten. Sie
setzte diese Bilanzierungsweise mindestens bis 1934 fort. Ende 1934
wies sie in der Buchhaltung auf der Aktivseite Waren im Betrage von
Fr. 718'595.55 aus, und stellte ihnen eine "Reserve auf Waren" im Betrage
von Fr. 595'069.55 gegenüber. In der Bilanz auf den 31. Dezember 1934
wurde nur der Saldo im Betrage von Fr. 123'526.-- ausgewiesen. Bis zum
Jahre 1937 verminderte sich der in den Büchern als Reserve auf Waren
verbuchte Posten auf Fr. 424'063.85.

    In Genf verlangte die Beschwerdeführerin erstmals bei der Einschätzung
für die Krisenabgabe III (1938) die Anrechnung dieser Reserve beim
Verhältniskapital. Dem Begehren wurde stattgegeben. Ebenso wurde die
Reserve bei der Einschätzung zum I. und zum II. Wehropfer (1940 und 1945)
als Bestandteil des steuerbaren Vermögens behandelt. Die Beschwerdeführerin
legt im Verfahren vor Bundesgericht einen Bilanzauszug auf den 31. Dezember
1939 vor, in welchem die Reserve im angegebenen Betrage ausgewiesen ist.

    B.- In Zürich wurde in diesem Zeitraum weder die Anrechnung der
Reserve als Bestandteil des für die Steuerberechnung massgebenden
Vermögens in Anspruch genommen, noch auch der Posten "Reserve auf Waren"
in den den Steuererklärungen der Beschwerdeführerin beigegebenen Bilanzen
ausgewiesen. In diesen war das Warenkonto nach wie vor nur mit seinem
Saldobetrage aufgeführt. Die Warenreserve erscheint in den in Zürich
eingereichten Bilanzen erstmals in dem der Steuererklärung für 1945
beiliegenden Abschluss auf den 31. Dezember 1944.

    Die Beschwerdeführerin war in Zürich nach unbestrittener Feststellung
im Entscheide der Oberrekurskommission im Jahre 1934 zur Besteuerung
herangezogen worden. Die "Reserve auf dem Warenlager", die nicht als
Bestandteil des steuerbaren Kapitals ausgewiesen worden war, wurde weder
damals noch auch seither als steuerbarer Ertrag ausgewiesen. Sie wurde auch
dann nicht in die Ertragsbesteuerung einbezogen, als die Beschwerdeführerin
seit Ende 1944 anfing, sie in den Bilanzen auszuweisen.

    Bei den Steuereinschätzungen 1948-1950 entstand Streit darüber, ob
die Reserve von Fr. 424'063.-- dem steuerbaren und gleichzeitig für die
Berechnung des Ertragssteuersatzes massgebenden Kapitals zuzurechnen
sei. Während die Rekurskommission I - ausgehend von der Annahme, die
Bildung einer als Kapitalbestandteil anzusehenden Reserve auf Waren
im angegebenen Betrage habe schon vor Errichtung der zürcherischen
Betriebsstätte stattgefunden - deren Zurechnung zum steuerbaren
Kapital anordnete, lehnte die Oberrekurskommission, auf Beschwerde des
Steuerkommissärs hin, die Hinzurechnung ab, weil nach feststehender Praxis
(RB. 1933 Nr. 25 und 26 = ZBl. 35, 483 = ZR 33 Nr. 87; RB 1941 Nr. 21
mit Zitaten) nur die als Ertrag versteuerten Reserven steuerbares
Eigenkapital bilden und ein Vermögenszuwachs, der noch nicht als
steuerbarer Ertrag ausgewiesen ist, nicht zum steuerbaren Kapital gerechnet
werden dürfe. Eine Ausnahme wäre nur zu machen, wenn der Anlass, die
Warenreserve als Ertrag zu besteuern, vor Eintritt der Steuerpflichtigen in
die zürcherische Steuerpflicht (1. April 1932) entstanden wäre. Dies sei
aber nicht anzunehmen, da die Reserve aus geschäftsmässig begründeten und
steuerrechtlich nicht zu beanstandenden Abschreibungen gebildet worden sei,
als steuerrechtlich zulässige vorsichtige Warenbewertung zu gelten habe
und diesen Charakter solange bewahre, bis die Pflichtige selbst sich dazu
entschliesse, den Mehrwert auf dem Warenlager als Ertrag und Eigenkapital
auszuweisen. Nach zürcherischer Praxis könne ein Vermögenszuwachs erst bei
seiner Realisierung oder bei freiwilliger Aufwertung als steuerbarer Ertrag
erfasst werden. Das gelte auch für stille Reserven auf dem Warenlager
(RB 1947 Nr. 29 = ZBl. 48, 515 = ZR 46 Nr. 30). Es könne daher keine
Rede davon sein, dass vor Eintritt der Pflichtigen in die zürcherische
Steuerpflicht irgendein Anlass entstanden wäre, die durch vorsichtige
Warenbewertung herangewachsene Reserve als Ertrag zu besteuern.

    Auch seither sei kein Anlass zur Besteuerung eingetreten. Am
31. Dezember 1934 habe die Pflichtige eine Warenreserve wohl in der
Buchhaltung, nicht aber in der für die Steuerbehörden massgebenden
Bilanz ausgewiesen. Nach der Bilanzierung auf Ende 1934 erscheine die
"Reserve auf dem Warenlager" als interner Wertberichtigungsposten. Eine
als Ertrag steuerbare Aufwertung des Warenlagers sei darin nicht
zu erblicken. Als Ende 1944 erstmals gegenüber Dritten wirksam eine
"Reserve auf dem Warenlager" bilanziert wurde, habe diese noch immer
sehr wohl als Wertberichtigungsposten (Rückstellung) aufgefasst werden
können, solange nicht die Steuerpflichtige selbst die angeblichen
Reserven auf dem Warenlager (durch Auflösung der Rückstellung über das
Gewinn- und Verlustkonto) als Ertrag auswies. Das sei bis zu den für
die Einschätzungen 1948-1950 massgebenden Abschlüssen unstreitig nie
geschehen. Wenn die je auf Ende 1947, 1948 und 1949 erstellten Bilanzen
überhaupt ertragssteuerfähige Reserven enthalten, so seien diese doch
nicht als Ertrag besteuert und auch nicht steuerbar geworden und deshalb
dem steuerbaren Kapital nicht zuzurechnen.

    C.- Hiegegen richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde mit dem
Antrage, den angefochtenen Entscheid aufzuheben, soweit die Anrechnung
der Reserve von Fr. 424'063.85 bei Berechnung des steuerbaren Kapitals und
bei Festsetzung der Ertragssteuer abgelehnt wurde, und die Steuerfaktoren
und Steuersätze entsprechend festzusetzen, eventuell die Sache zu neuer
Beurteilung zurückzuweisen.

    Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die Reserve sei
von den Genfer Behörden seit 1938 sowohl für die kantonalen Steuern
als auch bei den eidgenössischen Steuern als kapitalbildende Reserve
anerkannt und namentlich auch beim I. eidg. Wehropfer als solche deklariert
worden. Die Genfer Behörden hätten festgestellt, dass die Reserve seit dem
31. Dezember 1934 ordnungsgemäss gebucht worden sei und dass die Bildung
der Reserve auf die Zeit zwischen 1918 und 1927 zurückgehe. Die Zürcher
Steuerbehörde handle willkürlich, wenn sie für einen Zeitraum, in welchem
eine Unternehmung der zürcherischen Steuerhoheit nicht unterstand, deren
Verhältnisse nach ihrer eigenen Steuergesetzgebung überprüfe und damit vom
Steuerpflichtigen verlange, dass er den Anforderungen einer Gesetzgebung
genüge, mit der er nichts zu tun hatte und deren Anforderungen er erst
von dem Zeitpunkt an zu genügen brauchte, in dem er ein Steuerdomizil
begründete. Die Zürcher Steuerbehörde müsse sich vielmehr darauf
beschränken, zu prüfen, ob die zuständige Steuerbehörde, d.h. diejenige
von Genf, die Reserve als Bestandteil des steuerbaren Kapitals anerkannt
hatte. Es sei daher nur die Lösung der Steuerrekurskommission I möglich,
die festgestellt habe, dass die Reserve vor Errichtung der Filiale bestand,
und sich damit der Entscheidung der Genfer Behörden angeschlossen habe.

    Die Beschwerdeführerin- habe die Reserve beim I. Wehropfer als
steuerbares Vermögen deklariert. Diese Erklärung habe von rechtswegen
zur Folge, dass die Beschwerdeführerin für die Gewinne, aus denen sie
gebildet wurde, die eidg. Amnestie von 1940 anrufen könne. Das Begehren
der Zürcher Behörde, dass die Reserve über Gewinn- und Verlustkonto
ausgewiesen werden müsse, um als kapitalbildend anerkannt zu werden,
bezwecke nur, die Beschwerdeführerin um den Genuss der Amnestie zu
bringen. Es verstosse daher gegen diese.

    Das Zürcher Steuergesetz gestatte nicht nur, wie die
Oberrekurskommission annehme, den Saldo der Gewinn- und Verlustrechnung
als Gewinn anzusehen, es anerkenne als Gewinn vielmehr auch, ohne
Verbuchung über Gewinn und Verlust, die geschäftsmässig nicht begründeten
Abschreibungen. Hier handle es sich zweifellos um solche.

    Die Behauptung im angefochtenen Entscheid, die Zürcher Steuerbehörden
hätten keine Möglichkeit gehabt, eine Aufwertung als Ertrag zu besteuern,
sei missbräuchlich. Die Reserve sei nicht nur seit dem 31. Dezember
1934 verbucht gewesen, sondern sogar in die Bilanz von 1944 aufgenommen
worden, und die Beschwerdeführerin habe die Zürcher Steuerbehörde von
jeher darauf aufmerksam gemacht, dass sie die Reserve als Bestandteil des
steuerbaren Kapitals behandelt haben möchte in gleicher Weise, wie sie
es bei den Genfer Steuerbehörden und bei den verschiedenen Behörden für
die eidg. Spezialsteuern (Wehrsteuer und Wehropfer) verlangt habe. Es
bedeute Willkür zu verlangen, dass die Reserve über die Gewinn- und
Verlustrechnung ausgewiesen werde, nur damit sie der Besteuerung als
Ertrag unterworfen werden könne.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen

Auszug aus den Erwägungen:

                          in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde aus Art. 4 BV, die rein
kassatorischen Charakter hat, kann nur die Aufhebung des angefochtenen
Entscheides beantragt werden. Soweit mit der vorliegenden Eingabe andere
Begehren erhoben werden, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

    Nicht einzutreten ist weiterhin auf die Behauptung, der angefochtene
Entscheid verletze die bundesrechtliche Steueramnestie vom Jahre
1940. Diese Rüge, die im direkten verwaltungsrechtlichen Prozess gemäss
Art. 111, lit. a OG zu beurteilen ist, wurde von der Beschwerdeführerin
nachträglich zum Gegenstand einer besonderen Eingabe an das Bundesgericht
gemacht und scheidet daher hier aus.

Erwägung 2

    2.- Die Praxis der Zürcher Oberrekurskommission, wonach nur die
als Ertrag versteuerten Reserven steuerbares Eigenkapital bilden (RB
1933 Nr. 25 und 26), ist mit Recht nicht als willkürlich angefochten
worden. Wenn sie auch nicht die einzige, an sich denkbare Ordnung für das
steuerbare Kapital einer Aktiengesellschaft ist, so erscheint sie doch
jedenfalls als eine mögliche und - im Rahmen einer Besteuerung, die auf
die Ertragsintensität als wesentliches Element für die Steuerbemessung
abstellt - einleuchtende Regelung.

    Im übrigen beruht der Entscheid der Oberrekurskommission
auf der Annahme, dass die Anrechnung der Reserve als steuerbares
Kapital stattzufinden hätte, wenn die Reserve vor dem Eintritt der
Steuerpflichtigen in die zürcherische Steuerhoheit in Genf als Ertrag
versteuert worden wäre oder wenn sie als Ertrag hätte besteuert werden
können und unter der Annahme, dass zürcherisches Recht anwendbar gewesen
wäre, hätte besteuert werden müssen.

    Damit wird die Beschwerdeführerin nicht, wie sie behauptet, einer
für sie im massgebenden Zeitpunkt nicht geltenden Steuergesetzgebung
unterstellt, sondern es wird zusätzlich, zu ihren Gunsten, neben der
Behandlung, die am damaligen Steuerort tatsächlich stattgefunden hat, ein
weiterer Gesichtspunkt, der die Anrechnung der Reserve als steuerbares
Kapital ermöglichen würde, in die Untersuchung einbezogen. In einer
solchen Erweiterung der Untersuchung zu Gunsten des Steuerpflichtigen
kann aber unmöglich Willkür liegen. Dass das Ergebnis negativ ausgefallen
ist, ändert daran nichts. Im Jahre 1932, dem Zeitpunkt, in welchem die
Betriebsstätte in Zürich gegründet wurde und die Beschwerdeführerin
unter die Steuerhoheit und Steuergesetzgebung des Kantons Zürich trat,
war die Reserve unbestrittenermassen in der Bilanz nicht ausgewiesen
und sie hatte, wie die Oberrekurskommission überzeugend dartut, sowohl
nach ihrer Veranlassung als auch nach der - übrigens noch in der
staatsrechtlichen Beschwerde vorgebrachten - Begründung den Charakter
einer internen Berichtigung der Warenbewertung (vgl. dazu auch BGE 69 I
S. 274). Die Anerkennung als steuerbares Kapital bei der Besteuerung in
Genf und bei den eidgenössischen direkten Steuern fand erst viel später
statt in einem Zeitpunkt, in welchem die Beschwerdeführerin längst der
zürcherischen Steuergesetzgebung unterstand, der Vorwurf, es werde auf
die Beschwerdeführerin eine für sie nicht geltende Gesetzgebung angewandt,
daher überhaupt nicht zutreffen kann.

Erwägung 3

    3.- Seit 1932 unterlag die Beschwerdeführerin der zürcherischen
Steuerhoheit. Die zürcherische Steuerpraxis lässt die Überführung einer
aus geschäftsmässig begründeten Abschreibungen herrührenden Reserve in das
steuerbare Kapital davon abhängen, dass der Steuerpflichtige die Reserve
in der einen oder andern Form realisiert, was in der Regel dazu führt,
dass die Reserve als Ertrag ausgewiesen wird. Bis dies geschieht, hat
es bei der Gestaltung der Sachlage sein Bewenden, die durch Anerkennung
der Geschäftsmässigkeit der vom Steuerpflichtigen in Anspruch genommenen
Abschreibungen geschaffen wurde. In einer Besteuerung, die sich in dieser
Weise nach der Haltung richtet, die der Steuerpflichtige nach seinem
geschäftlichen Ermessen einnimmt, kann aber unmöglich Willkür liegen.
Widerspruchsvoll und in diesem Sinne willkürlich verhält sich die
Beschwerdeführerin, die auf der einen Seite die Reserven, die aus mit dem
Zerfall der Rohmaterialpreise begründeten Abschreibungen entstanden sind,
als definitiv erworbenes Kapital behandelt wissen will, anderseits aber
dem ordnungsgemässen Ausweis der entsprechenden Erträgnisse über Gewinn-
und Verlustrechnung auszuweichen versucht.