Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 I 337



81 I 337

54. Auszug aus dem Urteil vom 14. September 1955 i.S. Brugnoni gegen
Büttler und Obergericht des Kantons Basel-Landschaft. Regeste

    Gerichtsstand:

    1.  Gegenüber der Anwendung einer besonderen eidgenössischen
Gerichtsstandsnorm (hier Art. 312 ZGB) kann Art. 59 BV nicht angerufen
werden.

    2.  Die Rüge der Verletzung des Art. 312 ZGB ist mit der
zivilrechtlichen Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde, nicht mit der
staatsrechtlichen Beschwerde geltend zu machen.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    Die in Düsseldorf ausserehelich geborene Heidi Büttler hat
gegen Aldo Brugnoni beim Bezirksgericht Liestal Vaterschaftsklage
auf Vermögensleistungen eingereicht. Der Beklagte hat die
örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts - zwar nicht schon in der
Einleitungsverhandlung vor dem Gerichtspräsidenten, wohl aber in der
schriftlichen Klageantwort - bestritten mit der Begründung, er habe seinen
zivilrechtlichen Wohnsitz nicht, wie nach der Klage anzunehmen wäre,
in Pratteln, sondern in Breganzona (Tessin). Das Bezirksgericht Liestal
hat seine Zuständigkeit verneint. Auf Appellation der Klägerin hin hat
das Obergericht des Kantons Basel-Landschaft den Fall zur materiellen
Behandlung an jene Behörde zurückgewiesen. Es teilt zwar die Auffassung
der ersten Instanz, das Brugnoni seinen zivilrechtlichen Wohnsitz in
Breganzona habe, hält aber dafür, dass trotzdem das Bezirksgericht Liestal
zuständig sei, weil die Gerichtsstandsbestimmung in Art. 312 ZGB insoweit,
als die Klage lediglich auf Geldleistung gehe, nicht zwingend sei und der
Beklagte sich an der Einleitungsverhandlung auf die Klage eingelassen habe,
indem er dort vorbehaltlos zur Sache verhandelt habe.

    Brugnoni ficht den Entscheid des Obergerichts mit staatsrechtlicher
Beschwerde an. Er macht unter anderm geltend, er könne sich auf Art. 59 BV
berufen, da von den beiden Gerichtsständen, die Art. 312 ZGB vorsieht, hier
nur derjenige des Wohnsitzes des Beklagten in Betracht komme. Die Frage der
Einlassung beurteile sich daher nach eidgenössischem Recht, d.h. nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts zu jener Verfassungsvorschrift. Danach
habe aber der Bf. sich auf die Klage nicht eingelassen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Es ist nicht bestritten, dass für die Bestimmung des
Gerichtsstandes im vorliegenden Fall Art. 312 ZGB massgebend ist. Wenn
aber diese Vorschrift anwendbar ist, so kann Art. 59 BV nicht angerufen
werden. Diese Verfassungsbestimmung begründet nicht einen eidgenössischen
Gerichtsstand des Wohnsitzes, sondern setzt der Gerichtshoheit der Kantone
und fremder Staaten Grenzen, indem sie den in der Schweiz wohnhaften
Personen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht gibt, sich dagegen zur
Wehr zu setzen, dass sie vor anderen Gerichten als denjenigen des Kantons
ihres Wohnsitzes belangt werden. Sie fällt daher nicht in Betracht, wo die
örtliche Zuständigkeit eines kantonalen Gerichts aus einer eidgenössischen
Gerichtsstandsnorm, wie sie Art. 312 ZGB enthält, abgeleitet wird; denn in
solchen Fällen wird die Zuständigkeit nicht auf die Gerichtshoheit eines
Kantons gestützt, sondern auf ein Stück Gerichtshoheit, das ausnahmsweise
vom Bund in Anspruch genommen und den Kantonen entzogen worden ist. Die vom
Beschwerdeführer erhobene Rüge der Verletzung des Art. 59 BV ist deshalb
unbegründet (BGE 72 I 176, Erw. 2 und 3). Daran ändert es nichts, dass
der eine der beiden in Art. 312 ZGB wahlweise zur Verfügung gestellten
Gerichtsstände, derjenige am Wohnsitz des Beklagten zur Zeit der Klage,
von der Norm des Art. 59 BV nicht abweicht.

    Wenn anzunehmen wäre, der Beschwerdeführer wolle auch eine
Verletzung des Art. 312 ZGB geltend machen, so wäre auf diese Einwendung
nicht einzutreten. Man hätte es mit der Rüge der Verletzung einer
bundesrechtlichen Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit in einer
Zivilrechtsstreitigkeit zu tun. Hiefür hätte die Berufung oder, wenn
der Streitwert weniger als Fr. 4'000.-- beträgt, die zivilrechtliche
Nichtigkeitsbeschwerde zur Verfügung gestanden (Art. 49, 68 Abs. 1
lit. b OG). Insoweit ist die staatsrechtliche Beschwerde, als subsidiäres
Rechtsmittel, ausgeschlossen (Art. 84 Abs. 2 OG).

    Freilich wird in Art. 49 und 68 Abs. 1 lit. b OG die staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung des Art. 59 BV vorbehalten. Daraus folgt
indessen nicht, dass ein Verstoss gegen eine eigentliche bundesrechtliche
Gerichtsstandsnorm in einem Fall, wie er hier vorliegt, auch mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung jener Verfassungsbestimmung
geltend gemacht werden kann. Art. 43 Abs. 1 OG rechnet zu den Verletzungen
von Bundesrecht, die mit der Berufung einzig gerügt werden können,
nicht auch die Verletzung verfassungsmässiger (in der BV garantierter)
Rechte der Bürger und behält daher deren Geltendmachung allgemein der
staatsrechtlichen Beschwerde vor (Botschaft vom 9. Februar 1943 zum neuen
OG, BBl 1943 I S. 118). Art. 49 OG wiederholt diesen Grundsatz für einen
besonderen Anwendungsfall.

    Entsprechend ist Art. 68 Abs. 1 lit b zu verstehen.