Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 I 298



81 I 298

48. Urteil der I. Zivilabteilung vom 15. Juni 1955 i.S. Geo. Bouverat &
Co. Ltd. gegen Eidgen. Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Geographische Namen als Marke, Voraussetzungen der Zulässigkeit.

    Eintragsfähigkeit einer seit Jahren bestehenden englischen Marke in
der Schweiz, obwohl sie mit einem schweizerischen Ortsnamen übereinstimmt?

    Pariser Verbandsübereinkunft Art. 6 B Ziff. 2 und 3.

Sachverhalt

    Die in Birmingham ansässige Firma Geo. Bouverat & Co. Ltd. ist
Inhaberin der englischen Marke "Bernex", unter der sie seit vielen Jahren
aus der Schweiz bezogene Uhren vertreibt. Am 17. März 1954 ersuchte sie um
Eintragung dieser Marke im schweizerischen Register. Das Eidgenössische
Amt für geistiges Eigentum erliess am 4. September 1954 eine ablehnende
Verfügung, weil Bernex der Name einer schweizerischen Ortschaft, daher
Gemeingut und gemäss Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG als Marke untauglich
sei. Hiegegen richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
mit der am Eintragungsbegehren festgehalten wird. Das Amt schliesst
auf Abweisung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Grundsätzlich ist der in der angefochtenen Entscheidung
eingenommene Standpunkt richtig. Schweizerische Ortsnamen gehören an sich,
nach der eidgenössischen Gesetzgebung wie in Hinsicht auf die Pariser
Verbandsübereinkunft vom 20. März 1883 /2. Juni 1934, zum Gemeingut und
können nicht als Marken eingetragen werden (Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG;
BGE 72 I 240, 55 I 270).

    Aber die Rechtsprechung lässt unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen
zu, so für geographische Bezeichnungen, die in ihrer Verwendung reinen
Phantasiecharakter haben, die als Ortsangaben wenig bekannt oder unbestimmt
sind, die sich im Verkehr durchgesetzt haben usw. (BGE 79 II 101, 77 II
326, 73 II 188, 59 II 212, 55 I 271 und vom 10. Mai 1955 i.S. Ebneter
A.-G. c. Hugentobler & Co.; vgl. MATTER, Kommentar zum MSchG S. 70 f.).

Erwägung 2

    2.- Bernex ist der Name eines Dorfes im Kanton Genf. Die
Beschwerdeführerin spricht von einer "unbedeutenden Ortschaft". Bei
Bedachtnahme auf die schweizerischen Verhältnisse kann dieser Wertung nicht
zugestimmt werden. Es handelt sich nicht um einen kleinen Weiler oder
eine blosse Häusergruppe (vgl. BGE 79 II 101), sondern um eine Gemeinde
mit 1260 Einwohnern, von einer Grösse also, wie sie sich in der Schweiz
häufig findet.

    Auch die Beschwerdebehauptung, das zufällig gewählte Markenwort stelle
für Uhren eine reine Phantasiebezeichnung dar, hält nicht stand. Wenn
es in Bernex keine Uhrenfabrik gibt, so liegt der Ort nichtsdestoweniger
in einer Gegend, deren Uhrenindustrie Weltruf geniesst. Es könnte einmal
auch in Bernex ein Betrieb eröffnet werden, was die Beziehung des Namens
zum Gegenstande offenkundig machen würde.

    Erwiesen ist dagegen, durch die im Beschwerdeverfahren beigebrachten
Belege, dass im Ursprungslande Grossbritannien die Uhrenmarke "Bernex"
gültig eingetragen ist, seit dem Jahre 1925 verwendet wird und als
Warenzeichen der Beschwerdeführerin Verkehrsgeltung erlangt hat. Ob das
genüge, um den beanspruchten Markenschutz in der Schweiz zu erzwingen,
ist anhand der internationalen Vereinbarungen zu prüfen.

Erwägung 3

    3.- Massgeblich ist die Pariser Verbandsübereinkunft vom 20. März
1883 in der revidierten Londoner-Fassung vom 2. Juni 1934, der sowohl die
Schweiz wie Grossbritannien und Nordirland beigetreten sind. Aus Art. 2
ergibt sich zunächst formell die Legitimation der Beschwerdeführerin zur
Geltendmachung von Markenrechten in der Schweiz. Sodann sieht Art. 6
lit. A vor, dass "jede im Ursprungslande regelrecht eingetragene
Fabrik- oder Handelsmarke in den anderen Verbandsländern unter den
nachstehenden Vorbehalten unverändert zur Hinterlegung zugelassen
und geschützt werden". Die Vorbehalte, welche eine Zurückweisung oder
Ungültigerklärung erlauben, sind in Art. 6 lit. B Abs. 1 aufgezählt. Sie
betreffen u.a. gemäss Ziff. 2:

    "Marken, welche jeder Unterscheidungskraft entbehren oder
ausschliesslich aus Zeichen oder Angaben zusammengesetzt sind, die
im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge,
der Best immung, des Wertes, des Ursprungsortes der Ware oder der Zeit
ihrer Erzeugung dienen können, oder welche in der gewöhnlichen Sprache
oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten des Landes,
wo der Schutz beansprucht wird, gebräuchlich geworden sind";

    gemäss Ziff. 3:

    "Marken, welche gegen die guten Sitten oder gegen die öffentliche
Ordnung verstossen, namentlich solche, welche geeignet sind, das Publikum
zu täuschen."

Erwägung 4

    4.- Unter die in Art. 6 lit. B Ziff. 2 gegebene Umschreibung der
Voraussetzungen für die Verweigerung der Eintragung einer Marke fällt
deren Eigenschaft als Freizeichen.

    Laut der an gleicher Stelle abschliessend angefügten Weisung
sind "bei der Würdigung der Unterscheidungskraft einer Marke alle
Tatumstände... namentlich die Dauer des Gebrauchs" zu berücksichtigen.

    Das Amt will auf den Gebrauch im Inlande abstellen und, wo er
fehlt, den Gebrauch im Auslande höchstens beachten für "ein Zeichen mit
grösserem, ja internationalem Ruf... welches in anderer Weise (z.B. durch
Reklame im Radio oder in Zeitungen. Fachschriften usw.) beim Publikum des
Hinterlegungslandes doch als Marke des Hinterlegers bekannt ist". Indessen
sprach sich das Bundesgericht bereits in seinem Entscheide 55 I 262 -
betreffend die Marke "Tunbridge Wells" der englischen Firma A. Romary
& Co. Ltd. - dahin aus, dass es auf den Gebrauch im Ursprungslande
ankomme. Von dieser Anschauung abzugehen besteht kein Grund. Die an
ihr geübte, auf eine engere Auslegung zielende Kritik (vgl. SEILER,
Die Entstehung des Rechts an ausländischen Marken in der Schweiz, Berner
Diss. 1943 S. 69 /70) ist unzutreffend. Sie kann sich sachlich weder auf
die Entstehungsgeschichte des Art. 6 lit. B der Pariser Übereinkunft,
noch auf Wortlaut und Wortsinn der Bestimmung, noch auf die Streichung
von Art. 4 des Schlussprotokolls, noch auf die weitere Entwicklung
stützen. Vielmehr zeigt ein Rückblick, dass an der Konferenz von
Washington "dans le but de concilier les desiderata des différents pays"
eine allgemeine Fassung des Art. 6 vorgeschlagen und angenommen wurde,
und dass es dabei an der Haager-Konferenz blieb (vgl. PILLET, Le régime
international de la propriété industrielle S. 15 /16, 347 ff.; OSTERRIETH,
Die Washingtoner Konferenz, S. 59 ff.; LUZZATO, La proprietà industriale
nelle convenzioni internazionali S. 125 ff., 147 ff., 151 /52; Actes
de la Conférence réunie à Washington S. 300; PATAILLES, Annales Bd. 77
S. 347 ff.; BGE 55 I 270 ff.). Falsch ist anderseits die Behauptung,
das Bundesgericht habe die in BGE 55 I 262 niedergelegte Auffassung
"preisgegeben" (SEILER aaO).

    Im Urteil BGE 63 II 423, auf das verwiesen wird, war darüber zu
befinden, ob die Marke "Hammerschlagfarbe" Beschaffenheitsangabe sei, nicht
über die Frage, ob das Hinterlegungsland die im Ursprungslande erreichte
Verkehrungsgeltung einer Marke anzuerkennen habe. Auch anderweitig wurde
die Stellungnahme in BGE 55 I 262 weder aufgegeben noch in Wiedererwägung
gezogen, wohl aber zweimal - in BGE 72 I 241 und 59 II 212 - zumindest
beiläufig durch Verweisung bestätigt. Sie ist im Einklang mit der
inhaltlich gewollt weiten Fassung des Art. 6 der Übereinkunft. Sie ist auch
zweckentsprechend, weil den Bedürfnissen eines gesteigerten internationalen
Handelsverkehrs und den Schutzbestrebungen des Abkommens angepasst (vgl.
OSTERRIETH, aaO S. 65 ff.; LUZZATO, aaO S. 127). Sie wurde endlich durch
eine analoge ausländische Praxis erhärtet (vgl. PLAISANT, Traite de droit
conventionnel international concernant la propriété industrielle S. 209
ff., besonders 211). Umso weniger hat das Bundesgericht Veranlassung,
darauf zurückzukommen. Der Umstand allein, dass heute die Eintragung des
Namens einer schweizerischen Ortschaft (Bernex) statt einer englischen
Stadt (Tunbridge Wells) als im Ursprungslande verkehrsbekannte Marke
verlangt wird, rechtfertigt keine Abweichung vom Präjudiz. Denn unter
dem Gesichtspunkte von Art. 6 lit. B Ziff. 2 der Verbandsübereinkunft
ist die Rechtslage in beiden Fällen gleich.

Erwägung 5

    5.- Alsdann bleibt nach Art. 6 lit. B Ziff. 3 des Abkommens
zu untersuchen, ob die Marke "Bernex" geeignet sei, das Publikum
zu täuschen. Nichts deutet darauf hin. Die verkauften Uhren sind
tatsächlich schweizerischer Herkunft. Ob sie nun den mit keinerlei Fachruf
verbundenen Namen einer Ortschaft im Genfer- oder in einem sonstigen
Uhrenfabrikationsgebiete tragen, ist in Hinsicht auf die Interessen sowohl
der Käufer wie der Industrie unerheblich. Gewiss besteht die Möglichkeit,
dass früher oder später in Bernex eine Fabrik eingerichtet werden könnte.
Doch ist sie als gering einzuschätzen. Und sollte sie sich verwirklichen,
so würde wohl eher in geeigneter Form auf den eingeführten Genfernamen
gegriffen, als auf den wenig bekannten Ortsnamen. Anders als die
Marken "Schweizer Gruss" für Rosen, die nicht aus der Schweiz, sondern
aus Deutschland stammten (BGE 79 I 252), "Big Ben" für wasserdichte
Kleidungsstücke, die nicht in England, sondern in Holland hergestellt
wurden (BGE 76 I 168) oder "Kremlin" für nichtrussische Maschinenöle
(BGE 56 I 469), bewirkt die Uhrenmarke "Bernex" nach dem Gesagten bei
den beteiligten Verkehrskreisen keine Täuschungsgefahr.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Eidgenössische Amt für
geistiges Eigentum angewiesen, die von der Beschwerdeführerin vorgelegten
Marke "Bernex" einzutragen.