Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 I 251



81 I 251

40. Urteil vom 17. Juni 1955 i.S. Gehring gegen Regierungsrat des
Kantons Bern. Regeste

    Einspruch gegen Liegenschaftskäufe:

    1.  Gegenstand des Einspruchsverfahrens.

    2.  Begriff des landwirtschaftlichen Heimwesens, hier ein
Bergbauernbetrieb im Berner Oberland.

Sachverhalt

    A.- Am 27. November 1953 verkaufte der Landwirt Alfred Jungen-Sieber
in Achseten, Gemeinde Frutigen, der Fabrikantin und Landwirtin Marie
Gehring-Schneider in Kandergrund ein Matt- und Weidgut bei der Wegscheide
in Ausserachseten. Das Gut umfasst eine Sennhütte, den Gebäudeplatz,
eine Matte, eine Weide, Wald und Waldboden im Ausmass von 379, 25 a
und 6 Kuhrechte. Anderseits gab Frau Gehring Herrn Jungen eine Matte,
auf Schützen in Achseten, genannt "Köblera", umfassend eine Scheune, den
Gebäudeplatz und Wiesland, zusammen 117,72 a in Tausch, unter Anrechnung
auf den Kaufpreis der Wegscheide-Besitzung.

    Der Grundbuchverwalter Frutigen erhob Einspruch gegen den Kaufvertrag
betr. die Wegscheide-Besitzung unter Berufung auf Art. 19, lit. a des
BG vom 12. Juni 1951 über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes
(EGG). Der Regierungsstatthalter des Amtsbezirks Frutigen und der
Regierungsrat des Kantons Bern haben den Einspruch bestätigt. Der
Regierungsrat geht - wenn auch mit Bedenken - davon aus, dass die
Wegscheide-Besitzung als landwirtschaftliche Betriebseinheit, Heimwesen
im Sinne von Art. 19 EGG, anzusprechen sei. Er hält den Kaufvertrag für
unzulässig, weil die Käuferin bereits Eigentümerin eines eine auskömmliche
Existenz gewährenden landwirtschaftlichen Grundebesitzes sei (Art. 19,
lit. b EGG).

    B.- Hiegegen richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Begehren, den Entscheid des Regierungsrates und den Einspruch des
Grundbuchverwalters aufzuheben. Zur Begründung wird im wesentlichen
ausgeführt, die Wegscheide-Besitzung sei kein landwirtschaftliches
Heimwesen im Sinne von Art. 19 EGG. Die Besitzung liege in einer Höhe von
ungefähr 1300 m über Meer, weitab von geschlossenen Siedelungen, und eigne
sich nicht als wirtschaftliche Grundlage für eine Bauernfamilie. Als
selbständige Existenzgrundlage wäre sie zu klein. Das für eine
Bauernfamilie erforderliche Existenzminimum würde einen Nebenverdienst von
rund Fr. 1900.-- voraussetzen. Er wäre nur im Baugewerbe zu finden. Doch
sei eine solche Erwerbstätigkeit ausgeschlossen, weil der Landwirt zur
Zeit der Hauptbeschäftigung im Baugewerbe im eigenen Betriebe notwendig
sei. Ausserdem sei die Entfernung von dem in Frage kommenden Arbeitsort
Frutigen zu weit (1 1/2 Stunden mit einem Höhenunterschied von 4-500 m.).
Andere Verdienstmöglichkeiten gebe es nicht. Der Weg zur Schule sei weit
und im Winter für die Kinder zu beschwerlich. Dass das Heimwesen keine
Existenz zu bieten vermöge, zeige sich in den eigenen Erfahrungen des
Verkäufers, der im Verlaufe weniger Jahre in Schulden geraten sei. -
Praktisch handle es sich bei der Besitzung um eine Vorsass.

    Die Voraussetzungen nach Art. 19, lit. b EGG seien nicht gegeben. Dem
Betrieb der Beschwerdeführerin fehle eine Vorsass. Betriebswirtschaftlich
sei eine solche notwendig. Die Wegscheide-Besitzung werde den Betrieb
der Beschwerdeführerin sachgemäss ergänzen, was mindestens als wichtiger
Grund im Sinne von Art. 19 lit. b gewertet werden müsse.

    C.- Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt Abweisung der
Beschwerde. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement betrachtet
den Einspruch als unbegründet, weil die vom kantonalen Experten
festgestellte Wünschbarkeit oder unter Umständen Notwendigkeit, den
Betrieb der Käuferin durch Anschluss einer Vorsass zu ergänzen, einen
wichtigen Grund für die Zulässigkeit des beanstandeten Kaufes bilde.

    D.- Im Instruktionsverfahren vor Bundesgericht ist als Experte
Herr Arnold von Grünigen, Gemeindepräsident in Saanen, Obmann der
oberländischen Gültschatzungskommission, beigezogen worden. Er hat
seinen Befund anlässlich eines am 7. Juni 1955 in Frutigen abgehaltenen
Rechtstages in Anwesenheit der Parteien und der Behördevertreter mündlich
erstattet. - Die Beschwerdeführerin hat am Rechtstag zu Protokoll erklärt,
dass sie bereit ist, die in Tausch gegebene Liegenschaft "Köblera" im Falle
einer Aufhebung der Einsprache gegen den Kaufvertrag auf Verlangen des
Verkäufers der Wegscheide-Besitzung zum Tauschpreis zurückzunehmen, sodass
der ganze für die Wegscheide-Besitzung vereinbarte Preis zu bezahlen wäre.

    Das Bundesgericht hat die Beschwerde begründet erklärt und den
Einspruch gegen Liegenschaftkauf aufgehoben

Auszug aus den Erwägungen:

                          in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 19 EGG findet das Einspruchsverfahren gegen
Liegenschaftskäufe Anwendung auf Kaufverträge über landwirtschaftliche
Heimwesen und zu einem solchen gehörende Liegenschaften. Liegenschaften,
die nicht zu einem landwirtschaftlichen Heimwesen gehören, unterliegen
dem Einspruch nicht, auch wenn sie landwirtschaftlich genutzt werden. Der
Einspruch ist demnach auf landwirtschaftliche Heimwesen und Bestandteile
von solchen beschränkt. Landwirtschaftliche Heimwesen sollen nicht nur an
sich, sondern, unter den gesetzlichen Voraussetzungen und in deren Rahmen,
auch in ihrem Bestande erhalten bleiben.

    Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, der von ihr
abgeschlossene Kauf betreffe weder ein landwirtschaftliches Heimwesen noch
eine zu einem solchen gehörende Liegenschaft. Die Einwendung ist begründet.
Nach der Praxis (BGE 81 I 107; 80 I 96, 412) werden als landwirtschaftliche
Heimwesen Gewerbe angesehen, die dem Betriebsinhaber (Eigentümer
oder Pächter) und seiner Familie als Existenzgrundlage dienen. Nicht
erforderlich ist, dass das Gewerbe (der landwirtschaftliche Betrieb) für
sich allein eine Familie zu ernähren vermag oder für sie die hauptsächliche
oder wesentliche Existenzgrundlage bildet. Auch Kleinheimwesen, deren
Bewirtschaftung nur einen Nebenverdienst gewährt, stehen unter dem Schutze
von Art. 19 EGG. Dagegen muss es sich um ein geschlossenes Gewerbe, eine
landwirtschaftliche Einheit handeln. Liegenschaften, die zwar zusammen
mit andern ein landwirtschaftliches Gewerbe bilden könnten, aber nicht mit
solchen zu einem Gewerbe verbunden sind, fallen nicht unter Art. 19 EGG.

Erwägung 2

    2.- Die im bundesgerichtlichen Verfahren durchgeführten Erhebungen
haben ergeben, dass in der Gegend von Frutigen zu einem Bergbauernbetrieb
in der Regel Talliegenschaft, Vorsass und Alp gehören, wobei die Vorsass
im Frühjahr vor dem Auftrieb des Viehs auf die Alp während kurzer
Zeit teilweise geweidet, im übrigen während des Sommers geheut wird;
im Herbst wird alsdann die ganze Liegenschaft geweidet und im Vorwinter
das vorhandene Dürrfutter herausgefüttert. Eine Vorsass bildet daher in
der Regel nur einen Teil eines landwirtschaftlichen Gewerbes.

    Nach den Feststellungen des bundesgerichtlichen Experten ist die
Wegscheide-Besitzung eine ausgesprochene Vorsass. Das darauf stehende
Gebäude ist eine Sennhütte, nicht ein Wohnhaus. Als Sennhütte war sie schon
im Zeitpunkt ihrer Errichtung charakterisiert worden. Sie wurde mit Bundes-
und Kantonsbeiträgen erbaut. Ein Wohnhaus wäre nicht subventioniert
worden. Die Einrichtung des Gebäudes ist diejenige einer Sennhütte:
Die Küche entspricht den Bedürfnissen einer Vorsass; die Stallungen
sind, nach Sennhüttenart, direkt mit den Wohnräumen verbunden. "Die
Höhenlage der Wegscheide-Besitzung von fast 1300 m auf der Schattenseite,
die Entfernung von mehr als 3/4 Stunden vom nächsten Schulhaus und der
nächsten Poststelle, sowie die besonders im Winter einsame und weglose
Lage der Liegenschaft rechtfertigen entschieden die Auffassung, dass
hier ein günstiger Frühlings-und Herbst-, aber kein Jahressitz für eine
Familie mit schulpflichtigen Kindern besteht." (Vorbericht des Experten
vom 6. Mai 1955).

    Unter derartigen Verhältnissen hat eine Vorsass den Charakter eines
landwirtschaftlichen Heimwesens im Sinne des Gesetzes nicht. Für sich
allein gewährt sie keine ausreichende Grundlage für den Betrieb eines
landwirtschaftlichen Gewerbes. Allerdings hat der Verkäufer Jungen
die Wegscheide-Besitzung von 1952 bis 1954 ganzjährig bewohnt und
bewirtschaftet. Es war jedoch, nach Auffassung des Experten, eine
ausgesprochene Notlösung, die sich nicht auf längere Zeit halten liesse.

    Fehlt aber - unter den hier gegebenen Verhältnissen - der
Wegscheide-Besitzung der Charakter eines landwirtschaftlichen Heimwesens
im Sinne des Gesetzes, so ist der Einspruch aufzuheben. Wie es sich mit
den Voraussetzungen von Art. 19, lit. a, b und c EGG verhalten würde,
ist unter diesen Umständen nicht zu erörtern.