Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 74



81 IV 74

16. Urteil des Kassationshofes vom 6. April 1955 i.S. Ilugels hofer
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 269 Abs. 1, 270 Abs. 2 BStP. Auch nach dem Tode des Angeklagten
setzt das Beschwerdeverfahren ein rechtliches Interesse an der Abänderung
des angefochtenen Urteils voraus. Ein solches Interesse fehlt, wenn die
Beschwerde nur auf (unmittelbare oder mittelbare) Beseitigung eines
Schuldspruches abzielt, an den Rechtsfolgen weder geknüpft sind noch
geknüpft werden können.

Sachverhalt

    A.- Das Kriminalgericht des Kantons Aargau verurteilte Hans Hugelshofer
am 18. Februar 1953 wegen wiederholter Urkundenfälschung, Anstiftung
hiezu und Veruntreuung zu vierzehn Monaten Gefängnis, abzüglich

    113 Tage Untersuchungshaft.

    Am 10. und 25. Mai 1954 ersuchte Hugelshofer das Kassationsgericht des
Kantons Aargau um Wiederaufnahme des Verfahren. Das erste Gesuch richtete
sich gegen die Strafzumessung wegen Urkundenfälschung, das zweite gegen
die Verurteilung wegen Veruntreuung.

    Das Kassationsgericht des Kantons Aargau wies mit Urteil vom 2. Juli
1954 (redaktionell berichtigt am 29. Oktober 1954) das zweite Gesuch ab,
hiess dagegen das erste gut, hob das Urteil des Kriminalgerichts auf und
wies die Sache zu neuer Beurteilung an das Kriminalgericht zurück.

    B.- Hugelshofer legte am 30. Oktober 1954 gegen den Entscheid des
Kassationsgerichts rechtzeitig eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
ein mit dem Antrag, er sei wegen Verletzung des Art. 397 StGB insoweit
aufzuheben, als er das zweite Wiederaufnahmegesuch betreffe, und die
Sache sei zur Gutheissung dieses Gesuches an das Kassationsgericht
zurückzuweisen.

    Am 3. Februar 1955 starb Hugelshofer. Seine Ehefrau Eva Hugelshofer
geb. Höpfner erklärte in der Folge, dass sie im Sinne des Art. 270 Abs. 2
BStP in das Beschwerdeverfahren eintrete.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde
sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Gemäss Art. 270 Abs. 2 BStP steht die Nichtigkeitsbeschwerde nach
dem Tode des Angeklagten seinen Verwandten und Verschwägerten in auf-
und absteigender Linie, seinen Geschwistern und dem Ehegatten zu. Eva
Hugelshofer geb. Höpfner ist darnach befugt, in das von ihrem Ehemanne
veranlasste Beschwerdeverfahren als Partei einzutreten.

    Dieses kann indessen nicht fortgesetzt werden. Das Kassationsgericht
hat das Urteil des Kriminalgerichtes aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung zurückgewiesen. Hugelshofer ist also nicht mehr verurteilt,
sondern steht gleich da, wie wenn das Strafverfahren nie abgeschlossen
worden wäre. Die Abweisung des zweiten Wiederaufnahmegesuches durch
das Kassationsgericht hat lediglich den Sinn eines Zwischenentscheides
darüber, dass der Sachrichter, wenn der Angeklagte noch lebte, im neuen
Urteil wiederum die Rechtsfolgen der Veruntreuung aussprechen müsste. Da
Hugelshofer inzwischen gestorben ist, sind sie indessen nicht mehr zu
verhängen (unveröffentlichtes Urteil des Kassationshofes vom 9. Dezember
1949 i.S. Höntzsch). Die Frage, ob das zweite Wiederaufnahmegesuch
gutzuheissen sei und das Kriminalgericht über die Anklage der Veruntreuung
neu zu urteilen habe, entbehrt daher jeden rechtlichen Interesses, wie
es Voraussetzung der Nichtigkeitsbeschwerde ist. Wie immer diese Frage
entschieden werden müsste, würde am Endergebnis nichts geändert. Lediglich
zur (unmittelbaren oder mittelbaren) Beseitigung eines Schuldspruches,
der keine Rechtsfolgen mehr haben kann, ist die Nichtigkeitsbeschwerde
nicht zulässig. Dass der Schuldspruch im Urteil des Kriminalgerichtes
vom 18. Februar 1953 im sogenannten Dispositiv steht, ändert nichts;
denn auch so hat er nach ständiger Rechtsprechung lediglich die Bedeutung
eines Urteilsgrundes, den das Bundesgericht auf Nichtigkeitsbeschwerde
hin nur zu überprüfen hat, wenn die veränderte rechtliche Würdigung an den
ausgesprochenen Rechtsfolgen (Strafen, Massnahmen) etwas zu ändern vermag
(BGE 69 IV 112, 150, 70 IV 50, 72 IV 188, 73 IV 263, 75 IV 180, 77 IV 61,
93, 78 IV 130, 79 IV 89). Das ideelle Interesse, das Art. 270 Abs. 2 BStP
schützt, indem es gewisse Angehörige eines Angeklagten nach dessen Tode
zur Nichtigkeitsbeschwerde legitimiert, gibt ihnen keine weitergehenden
Rechte als dem Angeklagten selbst. Ihr Beschwerderecht hat die gleichen
Grenzen wie das jedes anderen Beschwerdeführers.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.