Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 34



81 IV 34

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Februar 1955
i.S. Leutwyler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    1.  Art. 252 Ziff. 2 StGB. Begriff des Handeltreibens (Erw.  2).

    2.  Art. 3 Ziff. 24 BG vom 22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung
gegenüber dem Auslande. Das Vergehen des Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 StGB
(Missbrauch echter Ausweisschriften) ist nicht Auslieferungsdelikt
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Jean Leutwyler verkaufte Mitte Dezember 1952 dem Schweizer
Max Brodmann für Fr. 200.-- einen auf Walter Businger von Stans
lautenden Reisepass, den ihm Businger als Sicherheit für eine Forderung
übergeben hatte. Leutwyler wusste, dass Brodmann den Pass kaufte, um ihn
widerrechtlich als Ausweis zur Ausreise aus der Schweiz zu benützen. Am
Abend des gleichen Tages führte er Brodmann auf seinem Motorroller an
die schweizerisch-französische Grenze bei Flüh. Brodmann überschritt sie.

    B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt erhob gegen
Leutwyler Anklage wegen Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 al. 3 des
Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom 26. März
1931/8. Oktober 1948 (ANAG).

    Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt lehnte mit Urteil vom 2. März
1954 die Anwendung dieser Bestimmung ab, da nicht ein fremdenpolizeilicher
Tatbestand vorliege, verurteilte den Angeklagten dagegen gemäss Art. 252
Ziff. 2 StGB wegen Handels mit Ausweisschriften zu sechzig Tagen Gefängnis
und erklärte die Fr. 200.-- Verkaufserlös gemäss Art. 59 Abs. 1 StGB als
dem Staate verfallen.

    Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, an das Leutwyler
appellierte, hielt mit Urteil vom 19. Mai 1954 Art. 252 Ziff. 2 StGB
nicht für erfüllt, da unter Handeltreiben im Sinne dieser Bestimmung nur
der Erwerb eines Gegenstandes zur Weiterveräusserung verstanden werden
könne, jedoch nicht feststehe, dass Leutwyler den Pass mit dieser Absicht
erworben habe. Das Appellationsgericht verurteilte Leutwyler dagegen
wegen Gehilfenschaft zum Missbrauch eines Ausweispapiers im Sinne von
Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 und Art. 25 StGB zu einem Monat Gefängnis und
bestätigte den Verfall des gelösten Betrages.

    C.- Leutwyler führt gegen das Urteil des Appellationsgerichts
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache
zur Freisprechung des Beschwerdeführers zurückzuweisen. Er macht geltend,
aus den Akten ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass Brodmann den
Pass schweizerischen Grenzstellen vorgewiesen habe; die Aussagen Brodmanns
sprächen vielmehr für das Gegenteil. Habe Brodmann die Ausweisschrift
nur im Ausland gegenüber ausländischen Behörden gebraucht, so könnte er
gemäss Art. 6 StGB in der Schweiz nur bestraft werden, wenn die Tat auch
in Frankreich strafbar und ausserdem Auslieferungsdelikt wäre. Das treffe
nicht zu. Folglich könne auch gegen den Gehilfen nicht vorgegangen werden.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt stellt keinen
Antrag.

    Das Appellationsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 252 Ziff. 2 StGB, den die Staatsanwaltschaft
auch im Beschwerdeverfahren noch für erfüllt hält, ist strafbar, wer
Ausweisschriften, Zeugnisse, Bescheinigungen gewerbsmässig fälscht oder
verfälscht oder mit solchen Schriften Handel treibt.

    Gewerbsmässig vergeht sich nur, wer - in der Absicht, zu einem
Erwerbseinkommen zu gelangen, und mit der Bereitschaft, gegen unbestimmt
viele zu handeln - die Tat wiederholt (BGE 79 IV 11, 118). Da somit die
einmalige Fälschung einer Ausweisschrift nicht als gewerbsmässige Tat
zu würdigen und deshalb nur nach Art. 252 Ziff. 1 StGB strafbar ist,
wo als Strafe wahlweise Gefängnis ohne bestimmte Mindestdauer und Busse
angedroht sind, kann auch ein einmaliges Geschäft mit einer Ausweisschrift,
das doch grundsätzlich weniger schwer wiegt als eine Fälschung, jedenfalls
dann nicht mit der in Ziffer 2 vorgesehenen Mindeststrafe von einem Monat
Gefängnis bedroht sein, wenn der Täter nicht die Absicht hat, die Tat zu
wiederholen. Der gewöhnliche Sprachgebrauch stimmt mit dieser Auslegung
überein. Wer nur ein vereinzeltes Geschäft abschliesst und weitere auch
nicht beabsichtigt, gilt nicht als Händler. Dass bei diesem Sinne der
Bestimmung ein einmaliger Geschäftsabschluss nur als Gehilfenschaft zum
Missbrauch eines Ausweises strafbar ist, also nur unter der Voraussetzung
des widerrechtlichen Gebrauches der Schrift durch den Erwerber oder einen
späteren Besitzer erfasst wird, während schon die erste Fälschung als
solche unter Strafandrohung steht, spricht nicht gegen diese Auslegung;
denn die Unterscheidung lässt sich sachlich rechtfertigen. Auch den
Gesetzesmaterialien lässt sich nichts entnehmen, was auf einen anderen
Sinn hinweisen würde.

    Da dem Beschwerdeführer nicht vorgeworfen wird, er habe Geschäfte der
vorliegenden Art wiederholt oder zu wiederholen beabsichtigt, ist er mit
Recht nicht nach Art. 252 Ziff. 2 StGB bestraft worden.

Erwägung 3

    3.- Wegen Gehilfenschaft zum Missbrauch einer echten Ausweisschrift im
Sinne des Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 25 StGB ist der
Beschwerdeführer nur strafbar, wenn Brodmann, dem er den Pass des Businger
bewusst und gewollt zum Zwecke der Ausreise nach Frankreich verkauft hat,
diese Ausweisschrift zur Täuschung missbraucht hat und seine Tat nach
schweizerischem Recht strafbar ist.

    Letztere Voraussetzung trifft nicht zu, wenn Brodmann den Pass
lediglich gegenüber der französischen Grenzwacht, also in Frankreich
gebraucht hat. Denn gemäss Art. 6 StGB ist der Schweizer, der die Tat
im Auslande verübt, in der Schweiz nur strafbar, wenn sie ein Verbrechen
oder Vergehen ist, für das das schweizerische Recht die Auslieferung
zulässt. Eine solche Tat ist die in Art. 252 Ziff. 1 Abs. 4 StGB
umschriebene nicht. Der Missbrauch echter Ausweisschriften ist weder
im Vertrag vom 9. Juli 1869 zwischen der Schweiz und Frankreich über
gegenseitige Auslieferung von Verbrechern, noch im Bundesgesetz vom
22. Januar 1892 betreffend die Auslieferung gegenüber dem Auslande unter
den Delikten aufgezählt, die zur Auslieferung des Täters führen müssten
oder könnten. Insbesondere fällt dieses Vergehen nicht unter den Begriff
des "Missbrauchs echter Siegel, Stempel, Marken, Klischees" im Sinne
von Art. 3 Ziff. 24 des Auslieferungsgesetzes. Darunter ist nur der
Missbrauch des technischen Hilfsmittels (Siegels, Stempels, Klischees)
oder des amtlichen Zeichens (Marken) zu verstehen, mit dem Beamte oder
Personen öffentlichen Glaubens eine Schrift zu beglaubigen oder eine
bestimmte Tatsache, z.B. das Ergebnis einer Prüfung, festzustellen oder
eine Rechtshandlung, z.B. eine Genehmigung, zum Ausdruck zu bringen
haben. Widerrechtliche Verwendung der Schrift oder des Gegenstandes,
auf dem der Abdruck des Siegels, Stempels, Klischees oder das amtliche
Zeichen befugterweise angebracht ist, steht dem Missbrauch des Siegels
usw. nicht gleich.

    Ob Brodmann den Pass auch der schweizerischen Grenzwacht vorgewiesen,
also ihn auf schweizerischem Gebiet zur Täuschung missbraucht hat, haben
die kantonalen Gerichte nicht festgestellt. Von selbst versteht sich das
nicht, zumal sich weder aus dem Urteil des Strafgerichts noch aus dem
des Appellationsgerichts ergibt, dass der Beschwerdeführer den Brodmann
mit dem Motorroller bis jenseits der Grenze begleitet habe und beide der
gegenüber Benützern von Motorfahrzeugen üblichen Kontrolle unterworfen
worden seien. Die Sache ist daher an die Vorinstanz zurückzuweisen,
damit sie feststelle, ob Brodmann den Pass der schweizerischen Grenzwacht
vorgewiesen hat. Wenn nein, ist der Beschwerdeführer freizusprechen.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil
des Ausschusses des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom
19. Mai 1954 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.