Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 330



81 IV 330

73. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1955
i.S. Altherr gegen Justizdirektion des Kantons Appenzell A.Rh. Regeste

    Art. 335 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Die Kantone dürfen
Amtspflichtverletzungen, welche nicht unter die Vorschriften des StGB
fallen, als übertretung mit Strafe bedrohen.

Sachverhalt

    A.- Das Obergericht des Kantons Appenzell A.Rh.  verurteilte
am 25. Juli 1955 Hans Altherr wegen fortgesetzter Hinderung einer
Amtshandlung und fortgesetzter Amtspflichtverletzung gemäss Art. 39 des
Einführungsgesetzes zum StGB zu Fr. 200.-- Busse. Die Amtspflichtverletzung
erblickte es darin, dass Altherr als Untersuchungsrichter der Gemeinde
Gais wiederholt Straffälle unter Umgehung der Justizdirektion oder
des Justizdirektors überwiesen und, ohne dazu befugt gewesen zu sein,
verschiedene Verfahren eingestellt habe.

    B.- Gegen dieses Urteil reichte Altherr Nichtigkeitsbeschwerde ein
mit den Anträgen, es sei aufzuheben und das Obergericht anzuweisen,
ihn freizusprechen. Er macht u.a. geltend, Art. 39 EGzStGB, welcher die
vorsätzliche oder grob fahrlässige Amtspflichtverletzung mit Haft oder
Busse bedrohe, sofern nicht andere Strafbestimmungen zur doch diejenigen
Kantone angewiesen sind, die (abweichend von der erwähnten "Regel")
keine ausreichenden Disziplinarbestimmungen aufgestellt haben. Den
Kantonen aber von Bundes wegen eine ausreichende Ausgestaltung ihres
Disziplinarrechts aufzudrängen, geht nicht an; vielmehr muss es ihnen
anheimgestellt bleiben, darüber zu befinden, inwieweit sie die Ahndung von
nicht im StGB geordneten Amtspflichtverletzungen kantonaler Beamter ihren
Strafgerichten anvertrauen wollen anstatt bloss den vorgesetzten Behörden,
denen das Disziplinarrecht zu handhaben obliegt. Dass der Bundesgesetzgeber
auf den bisherigen Übertretungstatbestand des Art. 53 litt. f des
Bundesstrafrechts-Gesetzes von 1853 gänzlich verzichtete, erklärt sich
zwanglos daraus, dass er es selbst in der Hand hat, das Disziplinarrecht
für die Bundesbeamten als genügenden Ersatz dafür auszugestalten. Somit
ist die Regelung des Strafgesetzbuches, welches nur bestimmte, besonders
qualifizierte und schwere Amtspflichtverletzungen als Verbrechen oder
Vergehen mit Strafe bedroht, nicht als abschliessend zu betrachten. Den
Kantonen bleibt vorbehalten, für leichtere Amtspflichtverletzungen ihrer
öffentlichen Funktionäre nicht nur zusätzliche Disziplinar-, sondern
auch Übertretungstatbestände zu schaffen. Dies ist in vielen Kantonen,
so auch in Appenzell A.Rh. geschehen (vgl. HAFTER: Besonderer Teil
S. 826 /827). Art. 39 des EG zum StGB des Kantons Appenzell A.Rh.,
welcher bestimmt, dass die Behördenmitglieder und Beamte, die ihre
Amtspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzen, sofern nicht
andere Strafbestimmungen zur Anwendung gelangen, mit Haft oder Busse
bestraft werden, ist nach dem Gesagten nicht bundesrechtswidrig. Ob die
Vorinstanz das kantonale Strafrecht richtig angewendet hat, kann der
Kassationshof nicht überprüfen (Art. 269 Abs. 1 BStP).

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.