Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 325



81 IV 325

72. Urteil des Kassationshofes vom 22. Dezember 1955 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Küttel. Regeste

    Verhältnis der Art. 286 und 292 StGB zu den Bestimmungen über den
Ungehorsam im Betreibungs- und Konkursverfahren (Art. 323 und 324 StGB).

Sachverhalt

    A.- Im März 1954 pfändete das Betreibungsamt Zürich bei Küttel
verschiedene Gegenstände, unter anderem einen Skirucksack. Küttel verkaufte
den Rucksack in der Folge.

    Am 2. Oktober 1954 erhielt er eine Steigerungsanzeige, in welcher
die Wegnahme der im März gepfändeten Gegenstände auf den 5. Oktober 1954
angekündigt wurde. Am angekündigten Zeitpunkt war er nirgends anzutreffen,
und die Wegnahme der gepfändeten Gegenstände konnte nicht erfolgen. Am 8.
Oktober 1954 wurde er auf das Betreibungsamt vorgeführt und nach dem
Verbleib der im März 1954 gepfändeten Gegenstände befragt. Er erklärte,
teilweise wahrheitswidrig, diese Gegenstände seien nicht mehr an seinem
Wohnort, eine Kontrolle dieser Angabe lasse er nicht zu, im übrigen
verweigere er die Auskunft.

    B.- Durch Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 24. Mai 1955
wurde Küttel verurteilt wegen Verfügung über eine gepfändete Sache und
Hinderung einer Amtshandlung. Auf Appellation hin sprach das Obergericht
Küttel von der Hinderung einer Amtshandlung gemäss Art. 286 StGB frei. Es
begründete dies im wesentlichen damit, dass die reinen Ungehorsamsdelikte
im Betreibungs- und Konkursverfahren, bei welchen sich das Verhalten des
Angeschuldigten in passiver Renitenz erschöpft, in Art. 323 und 324 StGB
abschliessend geordnet seien, sodass eine Anwendung von Art. 286 StGB
nicht mehr in Frage komme. Erst wenn der Schuldner sich durch Gewalt oder
Drohung einer Amtshandlung widersetze oder durch persönliche Behinderung
die Durchsetzung verunmögliche, kämen die Art. 285 (Gewalt und Drohung
gegen Behörden und Beamte) und 286 (Hinderung einer Amtshandlung) zur
Anwendung. Das Verhalten Küttels habe sich jedoch in passiver Renitenz
erschöpft. Er könne daher nicht nach Art. 286 StGB verurteilt werden.

    C.- Gegen dieses Urteil reichte die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationshof ein. Sie beantragt
Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und Rückweisung des Straffalls
zur Verurteilung von Küttel wegen Hinderung einer Amtshandlung.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, Art. 286 StGB sei auch für das
Betreibungsverfahren anwendbar, gleich wie nach der Praxis der allgemeine
Ungehorsamstatbestand von Art. 292 StGB. Die Art. 323 und 324 StGB reichten
nicht aus, um eine reibungslose Durchführung des Betreibungsverfahrens
zu gewährleisten. Das Abschliessen des Hauses und die Verweigerung der
Auskunft seien schwerwiegender als die blossen Ungehorsamstatbestände
gemäss Art. 323 und 324 StGB. Das Verhalten des Beschwerdegegners liege
ungefähr in der Mitte zwischen einfachem Ungehorsam und den qualifizierten
Tatbeständen gemäss Art. 169 StGB (Verfügung über gepfändete Sachen)
und Art. 289 StGB (Bruch amtlicher Beschlagnahme). Der Beschwerdegegner
habe durch sein Verhalten die Wegnahme der gepfändeten Gegenstände, soweit
über diese nicht verfügt worden sei, verhindert. Eine Verurteilung wegen
Hinderung einer Amtshandlung sei daher gerechtfertigt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist in erster Linie zu prüfen, in welchem Verhältnis der
Tatbestand der Hinderung einer Amtshandlung gemäss Art. 286 StGB zu den
Bestimmungen über den Ungehorsam im Betreibungs- und Konkursverfahren,
Art. 323 und 324 StGB, steht. Soweit es sich um Ungehorsam handelt,
der sich in einem passiven Verhalten erschöpft, ist die Anwendbarkeit von
Art. 286 im Betreibungs- und Konkursverfahren zu verneinen. Die im Titel
"Übertretungen bundesrechtlicher Bestimmungen" enthaltenen Art. 323 und 324
StGB lassen diesen Tatbeständen eine eingehende Regelung zukommen. Nach
Art. 323 Ziff. 1 StGB wird mit Haft bis zu 14 Tagen oder Busse bestraft
der Schuldner, der einer ihm ordnungsgemäss angekündigten Pfändung oder
Aufnahme eines Güterverzeichnisses weder selber beiwohnt, noch sich dabei
vertreten lässt, ebenso der Schuldner, der bei der Pfändung, der Aufnahme
eines Güterverzeichnisses oder im Konkurs seine Vermögensgegenstände,
Rechte und Forderungen nicht angibt (Art. 323 Ziff. 2 bis 4), ferner der
Gemeinschuldner, der während des Konkursverfahrens nicht zur Verfügung
der Konkursverwaltung steht (Art. 323 Ziff. 5). In Art. 324 StGB wird
der Ungehorsam von Drittpersonen im Betreibungs- und Konkursverfahren in
verschiedenen Fällen mit Strafe bedroht. Aus der eingehenden Regelung des
einfachen Ungehorsams im Betreibungs- und Konkursverfahren in den Art. 323
und 324 StGB muss der Schluss gezogen werden, dass diese Bestimmungen
ein geschlossenes System von Normen für diese Art von Tatbeständen
bilden. Auch die Marginalien der Art. 323 und 324 StGB "Ungehorsam
des Schuldners im Betreibungs- und Konkursverfahren" und "Ungehorsam
dritter Personen im Betreibungs- und Konkursverfahren" sprechen dafür,
dass der einfache Ungehorsam im Betreibungs- und Konkursverfahren durch
diese Bestimmungen nach allen Richtungen hin geordnet werden sollte.
Schliesslich sprechen auch die angedrohten Strafen für diese Auslegung. Es
wäre nicht verständlich, wenn ein Schuldner, der bei der Pfändung nicht
anwesend ist, oder der Gemeinschuldner, welcher sich nicht zur Verfügung
der Konkursverwaltung hält, mit Busse oder Haft bis zu 14 Tagen bestraft
würde, während ein Schuldner, welcher der Wegnahme gepfändeter Gegenstände
fernbleibt und somit einen praktisch gleichartigen Ungehorsamstatbestand
erfüllt, wegen Hinderung einer Amtshandlung gemäss Art. 286 StGB wesentlich
schärfer, mit Gefängnis bis zu einem Monat, bestraft werden könnte.

Erwägung 2

    2.- Da der rein passive Ungehorsam im Betreibungs- und Konkursverfahren
in den Art. 323 und 324 StGB geregelt ist, können allfällige Lücken in
diesem System nicht durch Heranziehung der Vorschrift über die Hinderung
einer Amtshandlung ausgefüllt werden. Hier bleibt einzig der allgemeine
Ungehorsamstatbestand gegen amtliche Verfügungen, Art. 292 StGB,
vorbehalten, gemäss dem Wortlaut der Bestimmung allerdings nur, wenn in
der amtlichen Verfügung dem Betroffenen für den Fall des Ungehorsams die
in Art. 292 StGB vorgesehenen Strafen ausdrücklich angedroht werden. Dass
Art. 292 StGB auch im Betreibungs- und Konkursverfahren anwendbar ist,
hat das Bundesgericht bereits in BGE 70 IV 179 f. entschieden.

Erwägung 3

    3.- Das Verhalten des Beschwerdegegners war ein rein passives. Er
hat die Wegnahme der gepfändeten Gegenstände dadurch verhindert, dass
er am angekündigten Zeitpunkt bei abgeschlossener Wohnung der Wegnahme
fernblieb und später die Auskunft über den Verbleib der gepfändeten
Gegenstände verweigerte. Er kann daher nicht wegen Hinderung einer
Amtshandlung bestraft werden. In dem vom Kassationshof am 24. Juni 1955
beurteilten Falle Magnin war demgegenüber Art. 286 zur Anwendung gelangt,
weil nicht lediglich passive Renitenz vorlag, sondern die Vornahme von
Betreibungshandlungen durch aktiven Widerstand verhindert wurde. Die
Befürchtung der Staatsanwaltschaft, dass durch diese Rechtslage
die ordnungsgemässe Durchführung des Betreibungsverfahrens in Frage
gestellt werde, ist nicht begründet. Den Betreibungsbehörden steht frei,
gleichzeitig mit der Ankündigung der Wegnahme gepfändeter Gegenstände
(allfällig formularmässig) die Verfügung zu erlassen, dass der Schuldner
persönlich anwesend zu sein habe oder dafür Anwendung gelangen, sei
bundesrechtswidrig. Der Bundesgesetzgeber habe die strafrechtliche
Verantwortlichkeit der Beamten abschliessend geregelt.

    Aus den Erwägungen:

    Der Beschwerdeführer ist von der Vorinstanz auch in Anwendung von
Art. 39 des kantonalen Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch wegen
Amtspflichtverletzung verurteilt worden. In der Nichtigkeitsbeschwerde
wird geltend gemacht, die bundesrechtliche Ordnung der strafrechtlichen
Verantwortlichkeit der Beamten sei abschliessend. Die Kantone seien
daher nicht befugt, Amtspflichtverletzungen als Übertretungen mit Strafe
zu bedrohen.

    Ob Amtspflichtverletzungen, welche nicht unter die Vorschriften
des eidg. Strafgesetzbuches fallen, von den Kantonen als Übertretungen
bestraft werden können, hat das Bundesgericht bisher offen lassen können
(BGE 74 IV 158), ist aber unbedenklich zu bejahen. Dafür spricht schon,
dass es sich dabei um die Übertretung kantonaler Verwaltungsvorschriften
handelt, die mit Strafe zu bedrohen Art. 335 Ziff. 1 Abs. 2 StGB den
Kantonen unbeschränkt vorbehält. Sodann ist die ersatzlose Streichung des
bezüglichen Vergehenstatbestandes der Art. 223 bzw. 232 der Vorentwürfe
von 1903 bzw. 1908 durch die zweite Expertenkommission (Protokolle 5
S. 402 ff., 6 S. 149 ff.) wesentlich bloss auf die Schwierigkeiten der
Abgrenzung gegenüber dem Disziplinarstrafrecht zurückzuführen. Wenn dabei
darauf hingewiesen wurde, dass "regelmässig" die Disziplinarbestimmungen
ausreichen, um die in den vorhergehenden Artikeln (jetzt Art. 312
ff. StGB, sowie Art. 57 des Post- und Art. 39 des Telegraphen-
und Telephonverkehrsgesetzes) nicht besonders mit Strafe bedrohten
Amtspflichtverletzungen zu ahnden, also deswegen davon abgesehen wurde,
von Bundes wegen die kantonalen Beamten einem derartigen Blankettgesetz zu
unterwerfen, so ergibt sich daraus gar nichts gegen die Zulässigkeit eines
entsprechenden kantonalen Übertretungstatbestandes, auf den sorgen müsse,
dass die Wegnahme auch in seiner Abwesenheit erfolgen könne, und an diese
Verfügung die Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB zu knüpfen.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.