Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 323



81 IV 323

71. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1955
i.S. Bianchi und Tödtli gegen Keller. Regeste

    Art. 173 ff. StGB.

    Wer die ehrenrührige Äusserung eines andern dem Verletzten mitteilt,
unterliegt den allgemeinen Bestimmungen der Art. 173 ff. StGB.

Sachverhalt

                     Aus dem Tatbestand:

    Die Beklagten machten S. die Anzeige, Keller habe jeder von ihnen unter
vier Augen erklärt, die Tochter von S. sei nicht an Grippe-Lungenentzündung
gestorben, sondern wegen unseriösen Lebenswandels und Kindesabtreibung.
Keller bestritt, dass er sich in diesem Sinne geäussert habe, und klagte
wegen Verleumdung.

    Während das Bezirksgericht Gossau das Vorliegen eines
Ehrverletzungstatbestandes verneinte, verurteilte das Kantonsgericht St.
Gallen die Beklagten wegen übler Nachrede.

    Mit der Nichtigkeitsbeschwerde wird u.a. geltend gemacht, die Beklagten
seien zur Mitteilung berechtigt gewesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beklagten bringen vor, sie hätten gestützt auf die
Bestimmung des Art. 32 StGB rechtmässig gehandelt. Sie anerkennen,
dass keine ausdrückliche Gesetzesvorschrift besteht, nach der sie zur
Anzeige verpflichtet gewesen wären; sie glauben aber, die Berechtigung zur
Mitteilung an S. ergebe sich aus Art. 173 ff. StGB. Denn der in seiner Ehre
Verletzte könne seine Ansprüche nur geltend machen, wenn ihm ein Dritter
die Ehrverletzung und die Person des Täters zur Kenntnis bringe. Der
Dritte müsse daher zur Mitteilung berechtigt sein, ohne Gefahr zu laufen,
selber vom Täter wegen Ehrverletzung eingeklagt zu werden.

    Diese Auffassung ist nicht haltbar. Der Umstand, dass eine Verleumdung
oder üble Nachrede vielfach erst geahndet werden kann, wenn sie dem
Verletzten durch einen Dritten zur Kenntnis gebracht wird, berechtigt
diesen nicht, den Urheber der Äusserung in seiner Ehre zu verletzen. Wer
dies tut, indem er eine ehrverletzende Äusserung, die er von einem andern
unter vier Augen gehört haben will, dem Verletzten zuträgt, unterliegt den
allgemeinen Bestimmungen der Art. 173 ff. StGB. Will er vermeiden, dass er
im Falle seiner Verfolgung die Tatsache der behaupteten Äusserung nicht
beweisen kann, so hat er entweder von ihrer Mitteilung an den Verletzten
abzusehen oder aber die zu seinem Schutz notwendigen Vorsichtsmassnahmen
zu treffen. Wollte man der Ansicht der Beklagten folgen, so müsste in
solchen Fällen der Dritte, selbst wenn er den andern wider besseres Wissen
beschuldigte, stets ohne Strafe bleiben. Das widerspräche dem Sinn und
Zweck der Art. 173 ff. StGB.