Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 306



81 IV 306

66. Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1955 i.
S. Polizeirichteramt der Stadt Zürich gegen Weber. Regeste

    1.  Art. 23 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 26. September 1931
über die wöchentliche Ruhezeit (RZG); Verfügung des EVD vom 24. Dezember
1952 über die Ruhezeit der Musiker in Unterhaltungsbetrieben. Wer ist
strafbar, wenn Musikern in einem Unterhaltungsbetrieb die vorgeschriebene
Ruhezeit nicht gewährt wird?

    2.  Art. 4 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung vom 11. Juni 1934 zum BG
über die wöchentliche Ruhezeit (RZV). Akkordant, der nicht selbständiger
Unternehmer ist (hier Leiter einer Musikertruppe).

    3.  Art. 8 Abs. 3 RZ G. Als Ersatzruhe gelten nicht Ruhetage, die
vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses in einem anderen Betrieb gewährt
worden sind (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Otto Weber ist Besitzer des Restaurants und Kabaretts Urania in
Zürich. Am 26. Januar 1954 schloss er mit Cemin einen vorgedruckten
Kapellen- und Musikerengagementsvertrag ab. Danach verpflichtete
sich Cemin, mit zwei weiteren Musikern vom 1. bis 31. August 1954
und vom 1. November 1954 bis 31. Januar 1955 im Restaurant Urania
Unterhaltungsmusik zu spielen. Die weiteren Bestimmungen des Vertrages,
soweit sie hier von Interesse sind, haben folgenden Wortlaut:

    "Art. 2: Kontrahent II (Cemin) verpflichtet sich, (sich) den
Anordnungen des Kontrahenten I (Weber), bzw. dessen artistischer Leitung zu
unterziehen. Kontrahent II ist diesbezüglich für die von ihm engagierten
Personen verantwortlich.

    Art. 6: Kontrahent I bezahlt an den Kontrahenten II als Gage pro
Arbeitstag für ihn und die von ihm engagierten Personen Fr. 85.-."

    Ferner wurde im Vertrag zusätzlich bestimmt: "Für die Freitage besorgt
Cemin selbst einzelne Aushilfsmusiker".

    Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 33 3/4 Stunden hatten Cemin und
die beiden von ihm gestellten Musiker während des ganzen Monats November
1954 keinen Freitag.

    B.- Am 2. Februar 1955 wurde Weber vom Polizeirichteramt der
Stadt Zürich wegen Übertretung der Art. 2 und 4 der Verfügung des Eidg.
Volkswirtschaftsdepartementes vom 24. Dezember 1952 über die Ruhezeit der
Musiker in Unterhaltungsbetrieben gestützt auf Art. 23 des Bundesgesetzes
über die wöchentliche Ruhezeit mit Fr. 25.- gebüsst.

    C.- Auf Einsprache hin sprach der Einzelrichter in Strafsachen des
Bezirksgerichtes Zürich Weber am 15. September 1955 frei, im wesentlichen
mit der Begründung, dass nicht Weber, sondern Cemin für die Gewährung
der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhetage strafrechtlich verantwortlich sei.

    D.- Das Polizeirichteramt Zürich reichte gegen dieses Urteil
Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts ein. Es
beantragt Aufhebung des Urteils und Rückweisung an die Vorinstanz zur
Bestätigung der am 2. Februar 1955 ausgefällten Busse von Fr. 25.-.

    Der Beschwerdegegner stellt den Antrag auf Abweisung der
Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 1 und 5 des Gesetzes vom 26. September 1931 über
die wöchentliche Ruhezeit (RZG) ist den Arbeitnehmern des Handels, des
Handwerks, der Industrie, des Verkehrs und verwandter Wirtschaftszweige
eine wöchentliche Ruhezeit von mindestens 24 aufeinanderfolgenden Stunden
zu gewähren. Art. 4 Abs. 1 der Vollziehungsverordnung dazu vom 11. Juni
1934 (RZV) bestimmt, dass als Arbeitnehmer auch der Akkordant und sein
Personal gelte, sofern er nicht selbständiger Unternehmer ist.

    Für das Gasthof- und Wirtschaftsgewerbe gelten verschiedene
Sonderbestimmungen (Art. 15 bis 22 RZG). Nach Art. 20 können für
Gastwirtschaftsbetriebe Ausnahmen bewilligt werden, deren nähere
Ausgestaltung einer Verordnung überlassen ist. Durch Art. 27 RZV wurde
das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement ermächtigt, nach Anhörung
der Berufsverbände für Wirtschaftszweige, die sich über mehrere Kantone
oder das ganze Land erstrecken, die Anwendung von Art. 20 RZG generell zu
regeln. Für die Ruhezeit der Musiker in Unterhaltungsbetrieben hat das
EVD von dieser Ermächtigung durch eine Verfügung vom 24. Dezember 1952
Gebrauch gemacht. Nach Art. 1 und 2 dieser Verfügung ist den Musikern in
Unterhaltungsbetrieben bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens
30 und höchstens 36 Stunden alle zwei Wochen ein Ruhetag zu gewähren,
wobei zwei Ruhetage für vier Wochen zusammengelegt werden können.

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass das Restaurant Urania ein
Unterhaltungsbetrieb ist, welcher unter die zitierten Gesetzesbestimmungen
fällt. Es ist jährlich in der Regel 11 Monate geöffnet und unterliegt
keinen jahreszeitlichen Schwankungen. Wie die Vorinstanz verbindlich
feststellt, betrug die wöchentliche Arbeitzseit von Cemin und den beiden
anderen Musikern im November 1954 33 3/4 Stunden. Gemäss Art. 2 der
Verfügung des EVD vom 24. Dezember 1952 hatten sie somit Anspruch auf
einen Ruhetag innert 14 Tagen oder zwei zusammengelegte Ruhetage innert
einem Monat. Der Beschwerdegegner bestreitet dies grundsätzlich nicht.
Er macht jedoch geltend, dass die Pflicht, die gesetzlichen Ruhetage zu
gewähren, nicht ihm, sondern Cemin obgelegen habe, welcher Auffassung
sich auch der Einzelrichter in Strafsachen anschloss.

Erwägung 3

    3.- Gemäss Art. 23 Abs. 1 lit. a RZG ist der Betriebsinhaber oder
die für die Leitung des Betriebes verantwortliche Personen strafbar,
wenn den unter das Gesetz fallenden Arbeitnehmern die vorgeschriebene
Ruhe- und Freizeit nicht gewährt wird. Betriebsinhaber des Restaurants
Urania ist unbestrittenermassen der Beschwerdegegner. Nach Art. 4
Abs. 1 RZV gilt als Arbeitnehmer auch der Akkordant und sein Personal,
sofern er nicht selbständiger Unternehmer ist. Der Beschwerdegegner wäre
somit höchstens dann strafrechtlich nicht verantwortlich, wenn Cemin als
selbständiger Unternehmer angesehen werden müsste. Dies ist jedoch nicht
der Fall. Wie sich aus den vertraglichen Abmachungen ergibt, ist Cemin auf
eine bestimmte Zeit fest engagiert worden, mit der Verpflichtung, noch
zwei weitere Musiker zu stellen. Seine Honorierung richtete sich dabei
nach der aufgewendeten Zeit und nicht wie beim selbständigen Akkordanten
nach dem Arbeitsergebnis (BECKER, Kommentar zum OR N. 11 zu Art. 319,
OSER-SCHÖNENBERGER, Kommentar zum OR N. 22 zu Art. 319). Nach Art. 2
des Vertrages waren Cemin sowie die zwei von ihm gestellten Musiker
verpflichtet, die Anordnungen des Beschwerdegegners zu befolgen und sich
dessen artistischer Leitung zu unterziehen. Gemäss Art. 5 des Vertrages
war Cemin überdies verpflichtet, auf Wunsch des Beschwerdegegners bei
Proben mitzuwirken, welche sich auf das artistische Unternehmen bezogen,
Stücke zu arrangieren und einzustudieren, sowie übergebene Rollen zur
Zufriedenheit des Beschwerdegegners auszuführen. Schliesslich wurde
in Art. 12 des Vertrages das Dienstvertragsrecht (Art. 319 ff. OR)
ausdrücklich als ergänzende Regelung anwendbar erklärt. Unter diesen
Umständen kommt Cemin nicht die Stellung eines selbständigen Unternehmers
zu, ja nicht einmal diejenige eines Akkordanten, da sämtliche nach der
Praxis für einen Dienstvertrag wesentlichen Elemente (Arbeitsleistung auf
Zeit und Unterordnungsverhältnis) gegeben sind (BGE 73 I 420 E. 4). Der
Beschwerdegegner war daher als Betriebsinhaber des Restaurants Urania
verpflichtet, für die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen
Ruhetage zu sorgen. Diese Verpflichtung konnte er nicht durch eine
Vertragsbestimmung auf Cemin übertragen; andernfalls könnte die gesetzliche
Ordnung in zahlreichen Fällen praktisch illusorisch gemacht werden. Durch
die Aufnahme der Bestimmung in den Vertrag, dass Cemin selbst die einzelnen
Aushilfsmusiker für die Freitage zu stellen habe, hat er seine Pflicht
zur Gewährung der gesetzlichen Ruhetage noch nicht erfüllt. Er hätte die
notwendigen präzisen Anordnungen erteilen und deren Einhaltung überwachen
müssen, damit die gesetzlichen Freitage gewährt worden wären. Dass er in
dieser Beziehung irgendetwas vorgekehrt habe, behauptet er selber nicht.

Erwägung 4

    4.- Auch der Einwand des Beschwerdegegners, dass die Gewährung von
Ruhetagen im Monat November 1954 deshalb nicht erforderlich gewesen sei,
weil Cemin und seine Musiker im Oktober im St. Annahof wöchentlich nur 3
bis 4 Tage gespielt hätten, und daher die im Oktober zu viel genossenen
Ruhetage auf den November übertragen worden seien, geht fehl. Das
Ruhetaggesetz sieht allerdings in bestimmten Fällen die Möglichkeit vor,
die Freitage für gewisse Perioden einzuschränken oder wegzubedingen, wobei
dann eine entsprechende Ersatzruhe zu gewähren ist (Art. 8 RZG). Ob eine
solche Ersatzruhe auch zum voraus gewährt werden kann, braucht jedoch nicht
entschieden zu werden. Ganz abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall die
Voraussetzung von Art. 8 RZG (Vermeidung oder Beseitigung von ernstlichen
Betriebsstörungen, Behebung eines Notstandes usf) nicht erfüllt sind,
können auf alle Fälle diejenigen Ruhetage nicht als Ersatzruhe angesehen
werden, welche vor Beginn eines Arbeitsverhältnisses in einem andern
Betrieb gewährt worden sind.

Erwägung 5

    5.- Da im Monat November 1954 Cemin und die beiden andern
Musiker keinen Ruhetag genossen, hat sich der Beschwerdegegner als
verantwortlicher Betriebsinhaber gemäss Art. 23 RZG einer Übertretung
von Art. 2 der Verfügung des EVD vom 24. Dezember 1952 schuldig gemacht
und ist daher zu bestrafen. Wie die Verhältnisse in den nachfolgenden
Monaten waren, braucht nicht untersucht zu werden, da sich die Verfügung
des Beschwerdeführers nur auf die Zeit vom 1. bis 30. November 1954 bezieht
und in der Nichtigkeitsbeschwerde einzig deren Bestätigung beantragt wird.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Einzelrichters in Strafsachen des Bezirksgerichtes Zürich aufgehoben
und die Sache zur Verurteilung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz
zurückgewiesen.