Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 29



81 IV 29

5. Urteil des Kassationshofes vom 10. Januar 1955 i.S. Widmer gegen
Justizdirektion des Kantons Appenzell-A.Rh. Regeste

    Art. 164 Ziff. 1 und 165 Ziff. 2 StGB gelten gegenüber dem auf Pfändung
betriebenen Schuldner, auch wenn er der Konkursbetreibung unterlag (Fälle
des Art. 43 SchKG); sie gelten dagegen nicht, wenn der Konkurs eröffnet
worden ist, obwohl der Schuldner der Betreibung auf Pfändung unterlag
(Fälle der Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 und 191 SchKG).

Sachverhalt

    Das Obergericht des Kantons Appenzell-A.Rh. erklärte am 25. Oktober
1954 in einem von Amtes wegen eingeleiteten Strafverfahren den
der Betreibung auf Pfändung unterliegenden August Widmer, der sich
zahlungsunfähig erklärt hatte und über den daher gemäss Art. 191 SchKG
am 5. August 1952 der Konkurs eröffnet worden war, des leichtsinnigen
Konkurses und des Betruges schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt
vollziehbaren Gefängnisstrafe von vier Monaten.

    Widmer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Verurteilung
wegen leichtsinnigen Konkurses sei aufzuheben und er sei in diesem
Punkte freizusprechen. Er anerkennt, dass er seine Zahlungsunfähigkeit
durch argen Leichtsinn und grobe Nachlässigkeit in der Ausübung seines
Berufes herbeigeführt und dass er seine Vermögenslage im Bewusstsein
seiner Zahlungsunfähigkeit verschlimmert habe, macht jedoch wie schon
im kantonalen Verfahren geltend, gemäss Art. 165 Ziff. 2 StGB habe er,
weil kein Gläubiger Strafantrag gestellt habe, nicht verfolgt und bestraft
werden dürfen.

    Die Justizdirektion des Kantons Appenzell-A.Rh. hält die Beschwerde
für unbegründet.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die in Art. 165 Ziff. 1 StGB umschriebenen Vergehen des
leichtsinnigen Konkurses und des Vermögensverfalles ziehen Strafe
nach sich, wenn über den Schuldner "der Konkurs eröffnet oder gegen
ihn ein Verlustschein ausgestellt worden ist". Der französische und der
italienische Text ergeben keinen abweichenden Sinn. Strafbarkeitsbedingung
ist darnach alternativ die Eröffnung des Konkurses oder die Ausstellung
eines Verlustscheines, und zwar ohne Unterschied, ob der Schuldner der
Konkursbetreibung unterlegen, d.h. in einer der in Art. 39 SchKG erwähnten
Eigenschaften im Handelsregister eingetragen gewesen sei. Strafbar wird
also in den Fällen der Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 und Art. 191 SchKG auch der
der Betreibung auf Pfändung unterliegende Schuldner schon mit der Eröffnung
des Konkurses, nicht erst mit der Ausstellung eines Verlustscheines, und
anderseits kann der der Betreibung auf Konkurs unterliegende Schuldner,
gegen den für eine in Art. 43 SchKG genannte Forderung in einer Betreibung
auf Pfändung ein Verlustschein erlangt wird, sich der Strafe nicht mit
dem Einwande entziehen, er unterliege der Konkursbetreibung, doch sei
gegen ihn der Konkurs nicht eröffnet worden.

    Es liegt daher nahe anzunehmen, dass auch die Ziff. 2 des Art. 165
StGB, wonach in gewissen Fällen die Strafverfolgung nur auf Antrag eines
Gläubigers eintritt, der gegen den Schuldner einen Verlustschein erwirkt
hat, nicht darauf sieht, ob der Schuldner der Konkursbetreibung oder der
Betreibung auf Pfändung unterlag, sondern darauf, ob gegen ihn der Konkurs
eröffnet oder vielmehr in einer Betreibung auf Pfändung ein Verlustschein
ausgestellt worden ist. Das spricht für die Richtigkeit des deutschen
und des italienischen Textes, wonach das Antragserfordernis "gegenüber
dem auf Pfändung betriebenen Schuldner" bzw. für die Verfolgung des
"debitore escusso in via di pignoramento" gilt.

    Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass das Kriterium des
französischen Textes, der vom "débiteur soumis à la poursuite par voie de
saisie" spricht, auch in Art. 164 Ziff. 1 StGB verwendet werde. Auch in
der letzteren Bestimmung stimmen die drei Texte nicht überein, da nur der
deutsche mit der Wendung "der der Betreibung auf Pfändung unterliegende
Schuldner" dem französischen entspricht, während der italienische
den "debitore escusso in via di pignoramento" strafbar erklärt. Der
italienische Text entspricht hier dem Sinn des Gesetzes besser. Der
den Pfändungsbetrug normierende Art. 164 StGB ist das Gegenstück zu dem
den betrügerischen Konkurs betreffenden Art. 163. Das Kriterium für die
Anwendbarkeit der einen oder der anderen Bestimmung muss also ein und
dasselbe sein, weil sonst Unstimmigkeiten entstünden. Art. 163 Ziff. 1
sieht es darin, dass über den Schuldner der Konkurs eröffnet worden ist;
denn die Bestimmung spricht nicht etwa von dem der Konkursbetreibung
unterliegenden Schuldner, sondern vom Schuldner schlechthin, und zwar
in allen drei Texten übereinstimmend. Somit muss Art. 164 Ziff. 1 für
den Schuldner gelten, gegen den in einer Betreibung auf Pfändung ein
Verlustschein ausgestellt worden ist, und nur für ihn. Schuldner,
die der Betreibung auf Pfändung unterliegen, gegen die jedoch gemäss
Art. 190 Abs. 1 Ziff. 1 oder Art. 191 SchKG der Konkurs eröffnet wird,
würden sonst zwar vor der Ausstellung eines Konkursverlustscheins nur
von Art. 163 Ziff. 1, nachher aber ausserdem von Art. 164 Ziff. 1 StGB
erfasst, während Schuldner, die der Konkursbetreibung unterliegen, aber
in einer Betreibung auf Pfändung den Gläubiger einer unter Art. 43 SchKG
fallenden Forderung zu Verlust kommen lassen, unter Art. 164 Ziff. 1
sowenig wie unter Art. 163 Ziff. 1 StGB fielen. Dass der Gesetzgeber
eine solche Unstimmigkeit gewollt habe, ist umsoweniger denkbar, als
er in Art. 165 Ziff. 1 StGB den Weg zu einer Lösung, die sowohl allen
Fällen der Konkurseröffnung als auch allen Fällen der Ausstellung von
Pfändungsverlustscheinen Rechnung trägt und daher allein vernünftig
sein kann, gefunden hat. Die Wendung "der der Betreibung auf Pfändung
unterliegende Schuldner" ("le débiteur soumis à la poursuite par voie
de saisie") in Art. 164 Ziff. 1 kann darauf zurückgeführt werden,
dass die dem italienischen Text entsprechende Wendung "der auf Pfändung
betriebene Schuldner" die Meinung hätte aufkommen lassen, der Schuldner
müsse zur Zeit der Tat betrieben gewesen sein, was keineswegs der Sinn
der Bestimmung ist. Richtigerweise hätte im ersten Absatz von Art. 164
Ziff. 1 einfach vom Schuldner gesprochen und im vierten Absatz gesagt
werden sollen: "... wenn gegen ihn in einer Betreibung auf Pfändung ein
Verlustschein ausgestellt worden ist ..."

Erwägung 2

    2.- Der Grundgedanke, der dazu geführt hat, in Art. 165 Ziff. 2
die Strafverfolgung von einem Antrag abhängig zu machen, bestätigt,
dass ein solcher immer dann nötig ist, wenn der Schuldner auf Pfändung
betrieben worden ist, auch wenn er der Betreibung auf Konkurs unterlag,
und dass die Strafverfolgung immer dann von Amtes wegen stattzufinden
hat, wenn der Konkurs eröffnet worden ist, auch wenn der Schuldner
der Betreibung auf Pfändung unterlag. Das Antragserfordernis wurde
eingeführt, um den Betreibungsbeamten der Pflicht zu entheben, in
jedem Falle der Ausstellung eines Pfändungsverlustscheines zu prüfen,
ob gegen den Schuldner Strafanzeige einzureichen sei; man fand, die
Fälle fruchtloser Pfändungen seien zu häufig, während im Konkurs die
Verhältnisse von Amtes wegen genau geprüft werden könnten (Protokoll
2. ExpK 4116 f. Voten Zürcher und Gautier).

    Ausserdem rechtfertigt sich im Konkurs die Prüfung von Amtes
wegen deshalb, weil hier der Schaden in der Regel grösser ist als in
einer Betreibung auf Pfändung, und weil er gewöhnlich viele Gläubiger
trifft. Unter diesem Gesichtspunkt kann entgegen der Auffassung des
zürcherischen Obergerichts (SJZ 42 365 Nr. 139) nichts darauf ankommen,
ob der Schuldner der Konkursbetreibung oder der Betreibung auf Pfändung
unterlag; die "schärfere strafrechtliche Erfassung", eben durch Verfolgung
von Amtes wegen, rechtfertigt sich, weil es, gleichgültig wie, zum Konkurs
gekommen ist.

    Auch ist zu bedenken, dass im Konkurse alle Gläubiger in der
gesetzlichen Rangordnung (Art. 219 SchKG) aus dem Vermögen des Schuldners
gleichmässig zu befriedigen sind. Die Strafverfolgung in gewissen Fällen
von Konkurs vom Antrag eines Gläubigers abhängen lassen, hiesse dem Markten
zwischen dem Schuldner und einzelnen Gläubigern um die Unterlassung oder
den Rückzug eines Strafantrages Tür und Tor öffnen. Einzelne Gläubiger
könnten leicht in Versuchung kommen, durch Androhung oder Einreichung
eines Strafantrages den Schuldner zur Einräumung besonderer Vorteile zu
bewegen, die sich mit dem Gedanken der Gleichbehandlung aller Gläubiger
schlecht vertrügen.

    Dass die Aussicht, von Amtes wegen verfolgt zu werden, den Schuldner
davon abhalten kann, sich zahlungsunfähig zu erklären, ist kein Grund zu
einer anderen Auslegung des Gesetzes. Gewiss mag so ein Schuldner einmal
davon abgehalten werden, vom Rechte des Art. 191 SchKG Gebrauch zu machen,
obschon gewisse Gläubiger - nicht notwendigerweise alle - ein Interesse am
Konkurse hätten. Darauf kann jedoch nicht Rücksicht genommen werden; indem
Art. 191 SchKG es ins Belieben des Schuldners stellt, sich zahlungsunfähig
zu erklären oder nicht, hat das Gesetz die Interessen von Gläubigern, die
die Durchführung eines Konkurses wünschen könnten, bewusst übergangen. Es
ist auch nicht stossend, den Schuldner, der sich zahlungsunfähig erklärt
hat, von Amtes wegen zu verfolgen, während er ohne seinen Schritt nur auf
Antrag hätte verfolgt werden können; denn der nicht der Konkursbetreibung
unterliegende Schuldner wird sich nur dann zahlungsunfähig erklären,
wenn er darin für sich einen Vorteil sieht, namentlich weil er auf Grund
der im Konkurse ausgestellten Verlustscheine nur unter der Voraussetzung
des Art. 265 Abs. 2 SchKG wieder betrieben werden kann. Den Nachteil der
Verfolgung von Amtes wegen hat er in Kauf zu nehmen.

    Der Beschwerdeführer ist somit zu Recht von Amtes wegen verfolgt
worden.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.