Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 285



81 IV 285

62. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1955
i.S. Buser und Novic gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt.
Regeste

    1.  Art. 317 StGB geht als Sonderbestimmung den Art. 251 ff.
StGB vor. Entscheidend ist nicht die Art der gefälschten Urkunde, sondern
dass der Beamte in Verletzung seiner Amtspflicht die Fälschung begeht
(Erw. I 2). Anwendbarkeit des Art. 317 StGB auf den nicht qualifizierten
Anstifter (Erw. I 3).

    2.  Grundsatz der Spezialität in französisch-schweiz.
Auslieferungsfällen (Erw. II 1a).

    3.  Art. 7 StGB. Zum Erfolg der vollendeten Anstiftung gehört auch,
dass der Angestiftete mit der Ausführung der Tat begonnen hat (Erw. II 1b).

Sachverhalt

    A.- Novic war im Mai 1948 vom Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Dem Vollzug
dieser Strafe entzog er sich durch die Flucht ins Ausland. Wegen der
deshalb erfolgten Ausschreibung im Schweiz. Polizeianzeiger konnte er
die Gültigkeit seines Schweizerpasses, die am 29. Juli 1950 abgelaufen
war, nicht auf dem ordentlichen Weg verlängern lassen. Ende Sommer 1950
liess er Buser, einen früheren Angestellten des Kontrollbureaus Basel,
nach St. Louis (Frankreich) kommen, wo er ihn dazu überredete, einen
Beamten des Kontrollbureaus Basel zu veranlassen, die Passverlängerung
heimlich vorzunehmen. Buser war damit einverstanden und bestimmte nach
seiner Rückkehr den Aktuar des Kontrollbureaus, Frei, im abgelaufenen
Pass Novics die erforderlichen Verlängerungsstempel anzubringen. Frei
führte die Eintragungen am 17. September 1950 aus. Nach Empfang des
abgeänderten Passes beauftragte Novic in Frankreich einen Dritten mit der
handschriftlichen Vervollständigung des Verlängerungsvermerks, insbesondere
durch Beifügung der Unterschrift des Vorstehers des Kontrollbureaus.

    Novic wurde im August 1952 zur Erstehung der 1948 ausgesprochenen
Gefängnisstrafe von Frankreich den schweizerischen Behörden
ausgeliefert. Am 18. Februar 1953 wurde er bedingt aus dem Gefängnis
entlassen und für ein Jahr unter Probe gestellt.

    B.- Am 25. Januar 1955 verurteilte das Strafgericht des Kantons
Basel-Stadt Frei wegen Urkundenfälschung (Art. 317 StGB) und Begünstigung
(Art. 305 StGB), Buser wegen Anstiftung eines Beamten zur Urkundenfälschung
und wegen Begünstigung zu je einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von 6 Monaten und 2 Wochen und Novic wegen Anstiftung eines Beamten zur
Urkundenfälschung zu 6 Monaten Gefängnis.

    Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt bestätigte dieses
Urteil am 8. Juli 1955.

    C.- Buser und Novic erklärten die Nichtigkeitsbeschwerde an das
Bundesgericht. Beide beantragen, es sei das Urteil aufzuheben und die
Sache zu ihrer Freisprechung, eventuell zur Verurteilung wegen Anstiftung
zur Fälschung eines Ausweises nach Art. 252 StGB, an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt schliesst auf
Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    I.1.- (Ausführungen darüber, dass Frei durch Anbringen der für
die Passverlängerung erforderlichen Stempelabdrücke als Mittäter eine
Urkundenfälschung begangen hat und Buser wegen Anstiftung dazu strafbar
ist).

Erwägung 2

    I.2.- Art. 252 StGB privilegiert die Fälschung von Ausweisen insoweit,
als der Täter lediglich beabsichtigt, sich oder einem andern das Fortkommen
zu erleichtern. Handelt er in der Absicht, jemanden zu schädigen oder
einen unrechtmässigen Vorteil zu erlangen, so ist Art. 251 StGB auch
auf den Tatbestand der Fälschung von Ausweisen anwendbar. Art. 252 StGB
kann ferner nur zur Anwendung kommen, wenn der Täter überhaupt den
allgemeinen Bestimmungen über die Urkundenfälschungen des 11. Titels
des StGB unterworfen ist. Diesen geht die Sonderbestimmung des Art. 317
StGB vor. Sie bestraft die von einem Beamten begangene Urkundenfälschung
ohne Rücksicht auf dessen Absicht; denn diese Handlung ist ein Verbrechen
gegen die Amtspflicht, verletzt also ein Rechtsgut, das durch die Art. 251
f. StGB nicht geschützt wird. Die Vorinstanz hat deshalb Frei zu Recht
wegen Urkundenfälschung nach Art. 317 StGB verurteilt, falls er als
Beamter gehandelt hat.

    Nach Art. 317 StGB sind strafbar "Beamte oder Personen öffentlichen
Glaubens, die vorsätzlich eine Urkunde fälschen oder verfälschen...". Diese
Bestimmung trifft nach der Überschrift zum 18. Titel des StGB nur
auf Fälschungen zu, die ein Beamter in Verletzung seiner Amtspflicht
begeht. Ihre Anwendbarkeit setzt aber nicht voraus, dass es sich um
eine Urkunde handle, deren Herstellung oder Abänderung normalerweise
zum Aufgabenbereich des Täters gehört. Eine derartige Beschränkung kann
dem Gesetzestext nicht entnommen werden. Sie hätte zur Folge, dass die
vorliegende Verfälschung nur dann unter Art. 317 StGB fiele, wenn die
beanstandete Eintragung durch einen Beamten gemacht worden wäre, dessen
Funktion gerade in der Anbringung des Verlängerungsvermerks bestand. Es
wäre jedoch stossend, wenn die von einem andern Beamten des gleichen
Dienstzweiges begangene Tat einzig deshalb milder bestraft würde, weil
er mit einer andern Aufgabe betraut ist. Entscheidend für die Anwendung
des Art. 317 StGB kann nur sein, dass der Beamte zur Begehung einer
Urkundenfälschung seine Amtspflicht missbraucht, zwischen der von ihm
begangenen Fälschung und seinem Amt ein enger Zusammenhang besteht.
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Frei waren die Stempel des
Kontrollbureaus kraft seiner Stellung als Aktuar dieses Amtes zugänglich,
und er hat sie in dieser Eigenschaft missbraucht. Nicht stichhaltig ist
deshalb der Einwand des Beschwerdeführers, die Stellung des Frei sei mit
derjenigen einer Putzfrau vergleichbar, die in einem ihr zugänglichen
Amtsraum amtliche Stempel missbräuchlich verwendet. Unerheblich ist auch,
dass Frei sich nicht am eigenen Arbeitsplatz der Stempel bedienen konnte,
sondern sich an eine andere Stelle des Schalterraumes, in dem er arbeitete,
begeben musste.

Erwägung 3

    I.3.- Streitig ist, ob Art. 317 StGB auch auf den nicht qualifizierten
Anstifter anwendbar ist oder ob es sich bei der Beamteneigenschaft um einen
besondern persönlichen Umstand im Sinne des Art. 26 StGB handelt, der nur
die Strafbarkeit der Tat desjenigen erhöht, bei dem er vorliegt. Nach
herrschender Auffassung findet Art. 26 StGB keine Anwendung auf reine
Sonderdelikte (z.B. Art. 313), weil die für die Erfüllung dieser
Tatbestände geforderten Eigenschaften oder Umstände die Strafbarkeit
überhaupt erst begründen; dagegen wird die Anwendbarkeit des Art. 26
StGB auf unechte Sonderdelikte (z.B. Art. 317), also Handlungen, die
allgemein unter Strafe gestellt und nur unter bestimmten Umständen einer
besondern Strafdrohung unterworfen sind, bejaht. Daraus wird gefolgert,
der nicht qualifizierte Anstifter (und Gehilfe) unterstehe im ersten
Fall der auf den Täter anwendbaren Sondernorm, im zweiten aber der der
Sondernorm entsprechenden allgemeinen Strafbestimmung. Allein diesen
Schluss rechtfertigt nicht die Tatsache, dass die Beamteneigenschaft
des Täters beim reinen Sonderdelikt ein die Strafbarkeit begründendes
und beim unechten Sonderdelikt nur ein strafschärfendes Element ist. Sie
erklärt nicht, weshalb derselbe besondere Umstand z.B. dem Anstifter zur
Gebührenüberforderung (Art. 313) schaden, das Verschulden und die Strafe
des Anstifters zur Beamtenurkundenfälschung dagegen nicht beeinflussen
soll. Wenn ein Nichtbeamter einen Beamten zu einem Sonderdelikt anstiftet,
so ist das Verschulden des Anstifters dasselbe, ob der Umstand der
Beamteneigenschaft konstitutive oder nur strafschärfende Wirkung besitzt;
ihn in den beiden Fällen ungleich zu behandeln, ist nicht begründet. Geht
man mit der Lehre, dem Grundsatz der Akzessorietät folgend, davon aus,
dass der Anstifter zu einem echten Sonderdelikt wie der Täter bestraft
wird, so drängt sich logischerweise die gleiche Lösung auch im Falle der
Anstiftung zu einem unechten Sonderdelikt auf.

    Dieser Grundsatz widerspricht der geltenden Ordnung nicht, wenn die
Beamteneigenschaft ein Umstand sachlicher und nicht persönlicher Natur ist;
Art. 26 StGB bildet dann keinen Hinderungsgrund, den nicht ausgezeichneten
Teilnehmer auch in den Fällen unechter Sonderdelikte der gleichen Strafe
zu unterziehen, die den Täter trifft. Sachliche Umstände unterscheiden
sich von den persönlichen dadurch, dass sie nicht die Besonderheit des
Täters kennzeichnen, sondern die objektive Schwere der Tat verändern. Bei
den Amtsdelikten erhöht nicht die Beamteneigenschaft als solche die
Strafbarkeit; es ist vielmehr der Umstand, dass sie unter missbräuchlicher
Verwendung der den Beamten vom Staat verliehenen Amtsgewalt begangen
werden. Die mittels solcher Befugnisse verübte Urkundenfälschung verletzt
nicht nur das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Echtheit der Urkunden,
sondern auch das besondere Vertrauen, das sie den Amtshandlungen des
Staates entgegenbringt, und ebenso das Interesse des Staates an einer
zuverlässigen Amtsführung seiner Beamten. Die Urkundenfälschung des Beamten
ist objektiv schwerer und wirksamer als diejenige eines Nichtbeamten; es
ist deshalb der in Art. 317 geforderte besondere Umstand ein sachlicher
und folglich billig, dass auch der Anstifter schwerer bestraft wird.

    Buser ist demnach zu Recht auf Grund von Art. 317 StGB verurteilt
worden.

Erwägung 1

    II.1.- Novic bestreitet, dass die Voraussetzungen zur Verfolgung und
Beurteilung seiner Tat durch die schweizerischen Behörden erfüllt seien. In
erster Linie macht er geltend, die Tat sei in Frankreich begangen worden
und unter den Auslieferungsdelikten des französisch-schweizerischen
Auslieferungsvertrages nicht aufgeführt, so dass das schweizerische
Strafrecht auf ihn nicht anwendbar sei (Art. 6 StGB). Im weitern bringt er
vor, eine Verurteilung hätte auch nicht ausgesprochen werden dürfen, weil
er einzig zur Verbüssung der 1948 über ihn verhängten Strafe ausgeliefert
worden und die Wirkung der Spezialität nicht dahingefallen sei.

    a) Der Grundsatz der Spezialität, wonach die Auslieferung an die
Bedingung geknüpft ist, dass der Ausgelieferte für kein anderes (vor
der Auslieferung begangenes) Delikt verfolgt oder bestraft werden dürfe
als für dasjenige, wegen welchem die Auslieferung bewilligt wurde, wird
sowohl im schweizerischen Auslieferungsgesetz von 1892 (Art. 7) als auch
im französisch-schweizerischen Auslieferungsvertrag von 1869 (Art. 8)
ausdrücklich anerkannt. Der Vertrag, der für die Auslieferung eines
Verbrechers von Frankreich in die Schweiz massgebend ist, lässt eine
Ausnahme vom Grundsatz der Spezialität nur in zwei Fällen zu, nämlich,
wenn der Angeklagte ausdrücklich und freiwillig seine Zustimmung dazu
gegeben und der ausliefernde Staat davon Kenntnis erhalten hat, und ferner,
wenn vorher die Einwilligung der ausliefernden Regierung eingeholt worden
ist und ein Auslieferungsdelikt im Sinne des Vertrages vorliegt. Nach
dem Wortlaut dieses Vertrages hätte die Nichtzustimmung des Angeklagten
oder die Unmöglichkeit, mangels Vorliegens eines Auslieferungsdelikts die
Einwilligung des ausliefernden Staates einzuholen, zur Folge, dass sich der
Ausgelieferte ohne zeitliche Beschränkung auf den Grundsatz der Spezialität
berufen könnte. Sinn und Zweck dieser Vertragsbestimmung kann aber nicht
sein, dem Ausgelieferten auf unbestimmte Zeit Straffreiheit für alle von
ihm vor der Auslieferung begangenen, nicht zu den Auslieferungsdelikten
gehörenden Straftaten zu garantieren. Der Schutz vor der Bestrafung
für früher begangene Straftaten, den die Spezialität gewährt, kann
nicht unbefristet andauern. Schweigt der Auslieferungsvertrag zur
Frage der Dauer der Spezialität, wie im vorliegenden Fall, so ist sie
auf Grund der staatlichen Gesetze zu lösen. Da das schweizerische und
französische Auslieferungsgesetz übereinstimmend eine Schonfrist von
einem Monat vorsehen, ist die analoge Anwendung dieser Fristbestimmung
auf französisch-schweizerische Auslieferungsfälle gerechtfertigt.

    Ist davon auszugehen, dass Novic am 18. Februar 1954 endgültig
aus der Strafverbüssung entlassen worden ist und innert Monatsfrist die
Schweiz nicht verlassen hat, so stand der Grundsatz der Spezialität seiner
Verfolgung nicht im Wege.

    b) Nach Art. 7 StGB gilt ein Verbrechen oder Vergehen als da verübt, wo
der Täter es ausführt, als auch dort, wo der Erfolg eingetreten ist. Diese
Bestimmung gilt auch für die Anstiftung. Sie setzt nach Art. 24 Abs. 1
StGB voraus, dass der Anstifter einen andern zu dem von ihm "verübten"
Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich bestimmt hat. Vollendete Anstiftung
liegt demnach nur vor, wenn der Angestiftete die Tat, zu der er bestimmt
wurde, ausgeführt oder zum mindesten zu verwirklichen versucht hat. Zum
Erfolg der Anstiftung gehört also nicht nur, dass es dem Anstifter gelungen
ist, im andern den Willen zur Tatbegehung hervorzurufen, sondern auch,
dass der Angestiftete mit der Ausführung der Tat begonnen hat. Ohne das
letztere wäre der zur Vollendung der Anstiftung erforderliche Erfolg
nicht abgeschlossen (Art. 22 Abs. 1 StGB).

    Buser hat zwar den Entschluss, Frei zur Verfälschung des Passes
zu veranlassen, in Frankreich gefasst, ihn aber erst in der Schweiz
ausgeführt. Ist somit der Erfolg der von Novic begangenen Anstiftung
auch in der Schweiz eingetreten, so gilt nach Art. 7 StGB seine Tat auch
als dort verübt. Sie ist daher nach schweizerischem Recht zu beurteilen
und unterliegt gemäss Art. 24 Abs. 1 StGB der Strafandrohung, die auf
den angestifteten Buser Anwendung findet. Ob sie als Anstiftung zu der
von Buser begangenen Anstiftung oder als indirekte Anstiftung zu der von
Frei verübten Urkundenfälschung bezeichnet wird, ändert am Ergebnis nichts.

    ...

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerden werden abgewiesen.