Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 262



81 IV 262

56. Entscheid der Anklagekammer vom 4. Oktober 1955 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Verhöramt des Kantons Zug
und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 344 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, Art. 221 MStG.  Gerichtsstand beim
Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, die teils der Beurteilung
des Bundesstrafgerichts, teils der kantonalen Gerichtsbarkeit bzw. teils
der militärischen, teils der bürgerlichenGerichtsbarkeit unterstehen. Die
Verfügung, mit der das eidg. Justiz- und Polizeidepartement bzw. das eidg.
Militärdepartement die ausschliessliche Beurteilung einem Kanton überträgt,
kann nicht bei der Anklagekammer angefochten werden. Sie unterliegt der
Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat.

Sachverhalt

    A.- M. hatte im Jahre 1952 im Kanton Luzern eine Anwaltspraxis
eröffnet. Im Jahre 1953 wurde in Zug gegen ihn ein Verfahren wegen
Betrugsversuches, Urkundenfälschung und Anstiftung zu falschem Zeugnis
eingeleitet, das noch bei der dortigen Staatsanwaltschaft hängig ist. In
der Folge wurde er durch die luzernische Anwaltskammer in der Berufsübung
eingestellt, worauf er in den Kanton Zürich zog.

    B.- Im April 1955 wurde gegen M., der in der Armee den Grad
eines Hauptmanns bekleidet, eine militärgerichtliche Untersuchung
(Beweisaufnahme) eröffnet. Im Schlussbericht des Untersuchungsrichters
vom 22. Juli 1955 wird M. beschuldigt, im Zivilleben bei Wehrmännern,
namentlich Angehörigen der von ihm geführten Einheit, in betrügerischer
Weise und unter Ausnützung seiner dienstlichen Stellung Darlehen
aufgenommen oder aufzunehmen versucht zu haben; ferner werden ihm
Pfändungsbetrug, Gläubigerbegünstigung und Nichtweiterleitung eines von
einem Subalternoffizier gestellten Umteilungsgesuches vorgeworfen.

    - Gestützt auf diesen Bericht stellte das eidg. Militärdepartement
fest, dass die Tatbestände des vollendeten und versuchten
Darlehensbetruges, des Pfändungsbetruges und der Gläubigerbegünstigung
der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterständen, während die Ausnützung der
dienstlichen Stellung zu geschäftlichen Zwecken (bei den Betrügereien)
und die Nichtweiterleitung des Umteilungsgesuches als Verletzungen von
Dienstvorschriften (Art. 72 MStG) in die militärgerichtliche Zuständigkeit
fielen. Es fand, dass das Schwergewicht auf Seite der bürgerlichen
Gerichtsbarkeit liege. In Anwendung des Art. 221 MStG übertrug es daher
auch die Beurteilung der der Militärstrafgerichtsbarkeit unterstehenden
Tatbestände dem bürgerlichen Richter, und überwies die Sache zum Vollzug
an die Bezirksanwaltschaft Zürich (Verfügung vom 3. August 1955).

    C.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich versuchte, die Behörden des
Kantons Zug zur Übernahme des Verfahrens zu veranlassen, jedoch ohne
Erfolg. Darauf stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich mit
Eingabe vom 5. September 1955 bei der Anklagekammer des Bundesgerichts
das Gesuch, es seien die Behörden des Kantons Zug, eventuell diejenigen
des Kantons Luzern zur Durchführung des Verfahrens und zur gerichtlichen
Beurteilung zuständig zu erklären. Sie hält dafür, dass die Verfügung
des eidg. Militärdepartements für die Regelung des Gerichtsstandes
nicht bindend sein könne. Für die Verfolgung komme auf keinen Fall der
Kanton Zürich in Betracht, sondern nur entweder der Kanton Zug, wo gegen
M. längst ein Strafverfahren hängig sei, oder dann der Kanton Luzern,
wo das Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit des Beschuldigten liege.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

    Nach BGE 69 IV 33 ist die Anklagekammer nicht befugt, in einer
Bundesstrafsache, die vom Bundesrat gestützt auf Art. 18 BStP einem
Kanton überwiesen wurde, einen andern Gerichtsstand zu bezeichnen als
denjenigen, den der Bundesrat gemäss Art. 254 BStP bestimmte. Sodann wurde
entschieden, dass in den Fällen des Art. 344 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, wo die
einen Handlungen der Beurteilung des Bundesstrafgerichts, die andern der
kantonalen Gerichtsbarkeit unterstellt sind und das eidg. Justiz- und
Polizeidepartement (kraft Delegation seitens des Bundesrates) auf Antrag
der Bundesanwaltschaft die Vereinigung der Strafverfolgung in der Hand
der kantonalen Behörde anordnet, der Gerichtsstand auch für die nach dem
Gesetz der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstehenden Handlungen verbindlich
durch das Departement bestimmt wird; vorbehalten wurden nur Handlungen,
die erst nach der Vereinigungsverfügung des Departements aufgedeckt
werden und für die dieses die nachträgliche Vereinigung ablehnt (nicht
veröffentlichtes Urteil vom 9. Januar 1951 i.S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Aargau gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich).

    Im Falle des Art. 221 MStG - wonach das eidg. Militärdepartement (auf
Grund der Delegation in Art. 16 lit. c der Verordnung des Bundesrates
über die Militärstrafrechtspflege vom 29. Januar 1954) die Beurteilung
eines Beschuldigten beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen,
die teils der militärischen, teils der bürgerlichen Gerichtsbarkeit
unterstehen, ausschliesslich dem militärischen oder dem bürgerlichen
Gericht übertragen kann - ist die Ausgangslage insofern anders, als
die Militärstrafsache nicht für sich allein ins bürgerliche Verfahren
gewiesen werden kann, sondern nur durch Vereinigung mit einer bürgerlichen
Strafsache. Nichtsdestoweniger kann die Frage, ob der bei solcher
Vereinigung vom Militärdepartement festgesetzte Gerichtsstand auch für
die Beurteilung der bürgerlichen Strafsache verbindlich sei, nicht anders
beantwortet werden, als es für den Fall der Vereinigung einer bürgerlichen
Bundesstrafsache mit einer der kantonalen Gerichtsbarkeit unterstehenden
Strafsache in der Hand des kantonalen Richters nach Art. 344 Ziff. 1
Abs. 1 StGB geschehen ist. Ob die Änderung des Gerichtsstandes für die
zweitgenannte Strafsache darauf hinauslaufen würde, die Vereinigung
wieder aufzuheben, wie im Urteil vom 9. Januar 1951 angenommen wurde,
mag dahinstehen. Es liesse sich sehr wohl die Auffassung vertreten,
dass die Vereinigungsverfügung als solche aufrecht bliebe und dass
es Sache des zuständigen Departements wäre, ob es auf die Vereinigung
zurückkommen oder die Bundesstrafsache an den Gerichtsstand der andern,
nach Gesetz vom Kanton zu beurteilenden Strafsache folgen lassen wolle.
Entscheidend ist, dass nach Art. 221 MStG beim Zusammentreffen einer
militärischen mit einer bürgerlichen Strafsache die gesamte Beurteilung
dem militärischen Gerichte übertragen werden kann, gleich wie es nach
Art. 344 Ziff. 1 StGB möglich ist, eine Bundesstrafsache mit einer nach
dem Gesetz der kantonalen Gerichtsbarkeit unterliegenden Strafsache
in der Hand des Bundesstrafgerichtes zu vereinigen. Hierauf wurde im
Entscheide vom 9. Januar 1951 für die Verbindlichkeit des vom Departement
bestimmten Gerichtsstandes letzten Endes abgestellt, und der gleiche
Schluss drängt sich auch hier auf. Wenn das Militärdepartement befugt ist,
eine bürgerliche Strafsache der bürgerlichen Gerichtsbarkeit überhaupt zu
entziehen, um sie den militärischen Behörden zu übertragen, so muss es bei
Vereinigung einer militärischen Strafsache mit einer bürgerlichen in der
Hand des bürgerlichen Richters auch den Gerichtsstand dafür verbindlich
bestimmen können. Diese Massnahme greift weniger weit in die bürgerliche
Gerichtsbarkeit ein als deren gänzliche Ausschaltung.

    Eine andere Lösung kommt umsoweniger in Frage, als gegen die Verfügung
des Militärdepartements, gleich wie gegen entsprechende Verfügungen des
Justiz- und Polizeidepartements, gemäss Art. 23 Abs. 3 und 4 BG über
die Organisation der Bundesverwaltung und Art. 124 lit. a OG Beschwerde
an den Bundesrat geführt werden kann, und zwar nach Art. 127 OG sowohl
wegen Verletzung von Bundesrecht und unrichtiger oder unvollständiger
Feststellung des Sachverhalts wie wegen Unangemessenheit.

    Bezeichnet somit das Militärdepartement den Gerichtsstand für die
Kantone verbindlich, so kann seine Verfügung von ihnen nicht bei der
Anklagekammer des Bundesgerichts angefochten werden. Auf das Gesuch der
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich ist daher nicht einzutreten. Dagegen
ist die Eingabe im Sinne von Art. 96 Abs. 1 OG dem Bundesrat zu übergeben
zur allfälligen Behandlung als Verwaltungsbeschwerde.

Entscheid:

               Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Auf das Gesuch wird nicht eingetreten.