Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 204



81 IV 204

45. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Juni 1955
i.S. Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement gegen Meyer. Regeste

    1.  Art. 13 Abs. 2 UB berechtigt die Uhrenkammer nur, im Strafverfahren
zivilrechtliche Ansprüche zu stellen, nicht auch, Bestrafung des
Beschuldigten zu verlangen (Erw. 1).

    2.  Art. 270 Abs. 6 BStP, Art. 13 Abs. 4 UB. Der Bundesanwalt ist die
einzige Bundesstelle, die in Angelegenheiten betreffend Übertretung des
UB als öffentlicher Ankläger Nichtigkeitsbeschwerde führen kann (Erw. 2).

Sachverhalt

    Im Auftrage des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD)
reichte die Schweizerische Uhrenkam meram 21. Februar 1955 durch einen
Fürsprecher gegen Ernst Meyer Strafklage ein mit dem Vorwurf, er habe in
der Fabrik der Meyer & Co. AG in Grenchen ohne Bewilligung mehr als die
seit 1. Januar 1952 zulässige Zahl von elf Arbeitern beschäftigt und
dadurch Art. 3 Abs. 1 und Art. 13 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni
1951 über Massnahmen zur Erhaltung der schweizerischen Uhrenindustrie
übertreten.

    Der Gerichtsstatthalter von Solothurn-Lebern erklärte den Beklagten
am 1. März 1955 dieser Übertretung schuldig und verurteilte ihn zu
Fr. 700.-- Busse und gegenüber der Schweizerischen Uhrenkammer zu einer
Parteientschädigung von Fr. 150.--.

    Der Vertreter der Uhrenkammer führt im Namen des EVD gegen dieses
Urteil Nichtigkeitsbeschwerde mit der Begründung, es verletze das Gesetz,
weil die Busse zu milde sei.

    Der Gerichtsstatthalter von Solothurn-Lebern beantragt, die Beschwerde
sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der am 1. Januar 1952 in Kraft getretene Bundesbeschluss
vom 22. Juni 1951 über Massnahmen zur Erhaltung der schweizerischen
Uhrenindustrie erklärt in Art. 13 Abs. 2 Satz 2 die Schweizerische
Uhrenkammer für befugt, "als Zivilpartei aufzutreten und im Falle der
Verurteilung zu verlangen, dass die Kosten einer gemäss Art. 9 Abs. 2
angeordneten Untersuchung und ihre Parteikosten vergütet werden."

    "Zivilpartei" ist die Uhrenkammer im Strafverfahren nur, wenn sie
zivilrechtliche Ansprüche geltend macht, nicht schon dann, wenn sie,
wie im vorliegenden Falle, lediglich Bestrafung des Beschuldigten
verlangt. Das ergibt sich aus dem in der Rechtssprache üblichen Sinne
des Wortes. Die Entstehungsgeschichte bestätigt, dass der Bundesbeschluss
vom 22. Juni 1951 ihm keine andere Bedeutung beilegt. Der diesem Erlass
vorausgegangene Bundesratsbeschluss vom 23. Dezember 1948 zum Schutze
der schweizerischen Uhrenindustrie (Art. 26 Abs. 3) und die den gleichen
Gegenstand betreffenden Bundesratsbeschlüsse vom 30. Dezember 1935 (Art. 8
Abs. 3), 13. März 1936 (Art. 7 Abs. 3), 29. Dezember 1939 (Art. 16 Abs. 3),
14. Dezember 1942 (Art. 16 Abs. 2) und 21. Dezember 1945 (Art. 26 Abs. 3)
hatten der Uhrenkammer weitergehende Parteirechte eingeräumt durch die
Wendung, sie sei befugt, "im Strafverfahren Anträge zu stellen und als
Partei die allgemeinen Interessen der Uhrenindustrie geltend zu machen
sowie im Falle der Verurteilung Vergütung der Untersuchungskosten gemäss
... und ihrer Parteikosten zu verlangen". Der Bundesrat hatte diese
Bestimmung in seinem Entwurfe vom 6. Oktober 1950 zu einem Bundesbeschluss
über Massnahmen zur Erhaltung der schweizerischen Uhrenindustrie dem
Sinne nach beibehalten durch den Vorschlag (Art. 11 Abs. 2 Satz 2):
"Die Schweizerische Uhrenkammer ist befugt, im Strafverfahren Anträge zu
stellen, als Zivilpartei die allgemeinen Interessen der Uhrenindustrie
geltend zu machen und im Falle der Verurteilung die Vergütung der Kosten
einer gemäss ... angeordneten Untersuchung und ihrer Parteikosten
zu verlangen." In der Botschaft an die Bundesversammlung hatte er
auf die Übereinstimmung dieses Vorschlages mit dem bisherigen Recht
hingewiesen und beigefügt, vielleicht seien die Vertreter der kantonalen
Staatsanwaltschaften nicht alle mit den sehr speziellen Problemen der
Uhrenindustrie vertraut (BBl 1950 III 98). Die Kommission des Nationalrates
beantragte jedoch, der Uhrenkammer sei in Abweichung vom geltenden Recht
und vom Entwurfe die Befugnis nicht mehr zu geben, als Staatsanwaltschaft
aufzutreten, Strafanträge zu stellen und einen Entscheid weiterzuziehen,
sondern nur noch die Befugnis, die zivilrechtlichen Ansprüche der
gesamten Uhrenindustrie zu vertreten, womit ihre Zuständigkeit auf das
ihrer privatrechtlichen Stellung entsprechende Mass zurückgeführt, ihr
öffentlichrechtliche Aufgaben nicht mehr übertragen wären (StenBull NatR
1951 358 f.). Der Nationalrat hiess diesen Antrag gut, und der Ständerat
schloss sich seinem Beschlusse an (StenBull StR 1951 288).

    Art. 13 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 gibt daher der
Uhrenkammer nicht das Recht, durch Nichtigkeitsbeschwerde schärfere
Bestrafung des Beschwerdegegners zu verlangen.

Erwägung 2

    2.- Die Uhrenkammer behauptet das auch nicht, sondern lässt die Frage
dahingestellt und gibt sich als Vertreterin des EVD aus, das die Rechte
eines öffentlichen Anklägers des Bundes habe.

    Solcher ist jedoch gemäss Art. 270 Abs. 6 BStP im Beschwerdeverfahren
vor dem Kassationshof einzig der Bundesanwalt. Art. 270 BStP regelt
die Legitimation zur Nichtigkeitsbeschwerde abschliessend, soweit nicht
andere gesetzliche Bestimmungen Ausnahmen vorsehen. Eine Ausnahme enthält
der Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 nicht. Dass Art. 13 Abs. 4 die
kantonalen Regierungen verpflichtet, dem EVD sämtliche Strafentscheide
oder Einstellungsbeschlüsse mitzuteilen, gibt dieser Amtsstelle
nicht das Recht, als öffentlicher Ankläger Nichtigkeitsbeschwerde zu
führen. Soweit in BGE 74 IV 176 in Auslegung des entsprechenden.Art. 26
Abs. 5 des Bundesratsbeschlusses vom 21. Dezember 1945 nebenbei eine
gegenteilige Auffassung vertreten wurde, kann daran nicht festgehalten
werden. Es bestand kein Anlass, dem EVD die Beschwerdelegitimation in
so verschleierter Form zu verleihen, wo doch schon Art. 270 Abs. 6 BStP
eine zur Beschwerde legitimierte Bundesstelle bezeichnet für Fälle,
in denen die kantonale Entscheidung nach einem Bundesgesetz oder
nach einem Beschluss des Bundesrates gemäss Art. 265 Abs. 1 BStP dem
Bundesrate mitzuteilen ist. Die in Art. 13 Abs. 4 des Bundesbeschlusses
vom 22. Juni 1951 vorgesehene Pflicht zur Einsendung an das EVD steht
der Pflicht zur Einsendung an den Bundesrat gleich, wovon denn auch der
Bundesrat in Art. 4 Ziff. 5 seines Beschlusses vom 20. Dezember 1954
über die Mitteilung kantonaler Strafentscheide gemäss StGB und anderen
Bundesvorschriften ausgeht. Der Bundesanwalt ist daher zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde in Angelegenheiten betreffend Übertretung des
Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 legitimiert. Die Bundesversammlung
kann umsoweniger den Willen gehabt haben, das gleiche Recht auch dem
EVD zu verleihen, als sie damit den Weg der Beschwerdeführung durch die
Uhrenkammer, den sie dieser durch die vom Entwurfe abweichende Fassung
des Art. 13 Abs. 2 entziehen wollte, mittelbar wieder geöffnet hätte,
da Art. 9 Abs. 1 den Bundesrat ermächtigt, beim Vollzug des Beschlusses
ausser dem EVD auch die Uhrenkammer beizuziehen. Es besteht auch kein
praktisches Bedürfnis nach konkurrierender Beschwerdelegitimation zweier
Bundesstellen. Wenn das EVD findet, ein kantonaler Strafentscheid oder
Einstellungsbeschluss sei mit Nichtigkeitsbeschwerde anzufechten, kann es
seine Auffassung dem Bundesanwalte unterbreiten, der hierauf nach eigenem
Ermessen Beschwerde führen oder die Sache auf sich beruhen lassen kann. Nur
dieses Vorgehen kann Art. 13 Abs. 4 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni
1951 dem EVD ermöglichen wollen, nicht dass es selber Beschwerde führe.

    ...

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Auf die Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.