Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 81 IV 191



81 IV 191

43. Urteil des Kassationshofes vom 17. Juni 1955 i. S. Statthalteramt
Zürich gegen Hodel. Regeste

    1.  Art. 1 Abs. 1 AO. Ankündigung vorübergehender besonderer, vom
Verkäufer sonst nicht gewährter Vergünstigungen (Erw. 2).

    2.  Art. 20 StGB. Hat der Täter aus zureichenden Gründen angenommen,
er sei zur Tat berechtigt? (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Fritz Hodel, der sich seit Jahren in Zürich als Liquidator betätigt
und dabei namentlich private Haushaltungseinrichtungen versilbert und
Handelsware in amtlich bewilligten Teil- oder Totalausverkäufen absetzt,
kaufte am 15. März 1954 dem mit Möbel- und Dekorationsstoffen handelnden
J. Coray zur Säuberung seines Lagers etwa 25 000 m solcher Stoffe ab und
kündigte deren Verkauf, ohne die zuständige Behörde um eine Bewilligung
ersucht zu haben, am 23., 24., 26. und 30. März 1954 in vier Zeitungen
durch folgendes Inserat an:

    "Interessantes Angebot! Möbel- und Dekorationsstoffe. Zirka 25 000
Meter schöne, moderne Stoffe: (folgt Aufzählung).

    Auch interessant für Wiederverkäufer sowie für Polster- und
Tapeziergeschäfte.

    Preise von Fr. 2.- bis 29.-.

    Freie Besichtigung und Verkauf ab Mittwoch, den 24. März 1954, täglich
geöffnet von 9-17 Uhr im Foyer des Hotels Limmathaus, Limmatstrasse 118 ...

    Fritz Hodel (Privat-Adresse: Steinwiesstrasse 32, Zürich 7). Telephon
34 19 73."

    Der Verkauf dauerte knapp vierzehn Tage.

    B.- Am 15. April 1954 verfällte das Statthalteramt Zürich Hodel in
eine Busse von Fr. 300.--, weil er Art. 20 Abs. 1 lit. a in Verbindung
mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 4 der Verordnung vom 16. April 1947 über
Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen (AO) übertreten habe.

    Auf das Begehren Hodels um gerichtliche Beurteilung sprach der
Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich den Beschuldigten frei.

    Entgegen dem Antrage des appellierenden Statthalteramtes bestätigte
das Obergericht des Kantons Zürich am 18. Oktober 1954 den Freispruch. Zur
Begründung führte es aus: Die Inserate hätten nicht den Eindruck erweckt,
dass Hodel im Verhältnis zu den von ihm sonst verlangten Preisen besondere
Vergünstigungen gewähre. Sie hätten zwar auf eine günstige Kaufsgelegenheit
hingewiesen, jedoch zum Ausdruck gebracht, dass Hodel in der Regel nicht
mit solchen Waren Handel treibe. Das habe vor allem daraus abgeleitet
werden müssen, dass als Verkaufsraum die Vorhalle eines Hotels angegeben
und nicht eine Geschäfts-, sondern eine Privatadresse des Veranstalters
sowie dessen private Telephonnummer genannt worden seien. Zudem seien nicht
besondere Vergünstigungen angekündet worden. Hodel habe in den Inseraten
nur von einem "interessanten Angebot", das er auch als "interessant für
Wiederverkäufer" bezeichnet habe, gesprochen. Wenn er ein Ladengeschäft
führen würde, könnte aus einer solchen Ankündigung unter Umständen
abgeleitet werden, dass er im Verhältnis zu seinen sonstigen Preisen
ein besonders günstiges Angebot mache. Da er jedoch nur von Zeit zu
Zeit mit ganz verschiedenen Artikeln Gelegenheitsverkäufe durchführe,
habe den Inseraten nicht entnommen werden können, dass er für bestimmte,
früher von ihm teurer verkaufte Artikel besondere Vergünstigungen gewähre.

    C.- Das Statthalteramt Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu
neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Hodel beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 20 Abs. 1 lit. a AO wird mit Busse oder Haft bestraft,
wer vorsätzlich eine unter diese Verordnung fallende, nicht bewilligte
Verkaufsveranstaltung öffentlich ankündigt oder durchführt oder entgegen
der Weisung der zuständigen Behörde nicht einstellt.

    Unter Verkaufsveranstaltungen versteht diese Bestimmung die in Art. 1
Abs. 1 AO als "Ausverkäufe und ähnliche Veranstaltungen" bezeichneten. Sie
sind daselbst umschrieben als "Veranstaltungen des Detailverkaufes,
bei denen dem Käufer durch öffentliche Ankündigung in Aussicht gestellt
wird, dass ihm vorübergehend besondere, vom Verkäufer sonst nicht gewährte
Vergünstigungen zukommen werden". Art. 2 AO zählt sie auf und erwähnt dabei
insbesondere die Totalausverkäufe zur Räumung aller und die Teilausverkäufe
zur Räumung bestimmter Warenbestände (Abs. 1 lit. a und b).

Erwägung 2

    2.- Nicht bestritten ist, dass die vom Beschwerdegegner durchgeführte
Veranstaltung eine solche des Detailverkaufes war, wie Art. 1 Abs. 1
AO voraussetzt, und es steht auch fest, dass der Beschwerdegegner sie
öffentlich angekündet hat. Fragen kann sich nur, ob er in der Ankündigung
in Aussicht gestellt hat, dem Käufer würden vorübergehend besondere,
vom Verkäufer sonst nicht gewährte Vergünstigungen zukommen.

    Diese Frage lässt sich entgegen der Auffassung des Obergerichtes nicht
deshalb verneinen, weil aus den Inseraten geschlossen werden kann, der
Beschwerdegegner treibe in der Regel nicht mit Waren der angekündeten Art
Handel. Die Ausverkaufsordnung sagt nicht, sie gelte nur für Leute, die in
der Regel mit Waren der angekündeten Art Handel treiben. Vor allem entgeht
ihr nicht, wer inskünftig mit solchen Waren "in der Regel" oder sogar
überhaupt nicht mehr handeln will. Das ergibt sich deutlich aus Art. 2
Abs. 1 lit. a und b AO, wonach insbesondere gerade der unter die Verordnung
fällt, der den Verkauf durchführt, weil er sein Geschäft oder einzelne
Warengattungen oder Verkaufsabteilungen aufgeben will. Der Verordnung
entgeht aber auch nicht, wer bisher noch nie oder nur gelegentlich
Waren der angekündeten Art verkauft hat. Gegenteiliges lässt sich
nicht daraus schliessen, dass Art. 1 Abs. 1 die Ankündigung besonderer,
vom Verkäufer sonst nicht gewährter Vergünstigungen voraussetzt. Damit
sind die Vergünstigungen gemeint, die in Zukunft vom Verkäufer nicht mehr
eingeräumt werden, sei es, weil er alsdann überhaupt Waren der betreffenden
Art nicht mehr verkaufen will, sei es, weil er die Verkaufsbedingungen zu
erschweren beabsichtigt. Ob eine Vergleichung mit bisherigen Bedingungen
des Verkäufers möglich ist, kann nicht entscheidend sein, weil die Käufer
nicht dadurch angelockt werden, dass ihnen vor Augen geführt wird, sie
könnten nun günstiger einkaufen als bisher, sondern dadurch, dass ihnen
der Verkäufer vorträgt, sie könnten später nicht mehr so günstig einkaufen
wie jetzt. Die Vergleichung mit der Zukunft, nicht mit der Vergangenheit,
interessiert den Käufer. Wer Waren bestimmter Art nur einmal absetzt und
die Werbung durch Hinweis auf die besonderen Vorteile des Angebotes und
dessen vorübergehende Natur betreibt, schädigt denn auch den regulären
Handel in gleicher Weise wie der Geschäftsmann, der mit den durch solche
Werbemethoden verkauften Waren schon vorher gehandelt hat. Es ist nicht
zu ersehen, weshalb jemand, der erstmals Waren bestimmter Art vertreibt,
anders sollte vorgehen dürfen als andere Geschäftsleute. Er darf wie
jeder den Detailverkauf zwar ankünden und auch seine Preise und sonstigen
Verkaufsbedingungen bekanntgeben, aber nicht darauf hinweisen, dass sie
besonders günstig seien und nur vorübergehend gewährt würden.

    Der Beschwerdegegner hat diese Schranken erlaubter Reklame
überschritten. Aus der Beschränkung des Angebotes auf "zirka 25 000 Meter"
in Verbindung mit der Angabe, dass der Verkauf ab einem bestimmten Tage
in der Vorhalle eines bestimmten Hotels stattfinde und der Verkäufer
anderswo unter seiner Privatadresse zu erreichen sei, musste der Leser
schliessen, dass ein bestimmter Posten Ware liquidiert werde und nachher
solche Ware beim Beschwerdegegner nicht mehr zu erhalten sei. Die
Inserate betrafen somit, für den Leser erkennbar, eine vorübergehende
Kaufsgelegenheit (vgl. BGE 78 IV 124). Sie begnügten sich auch nicht
damit, die Verkaufsbedingungen bekanntzugeben, sondern wiesen darauf hin,
dass diese besonders günstig seien. Das ergibt sich aus der Ankündigung
als "interessantes" Angebot, das auch für Wiederverkäufer sowie für
Ploster- und Tapeziergeschäfte "interessant" sei. Damit sagte der
Beschwerdegegner nicht lediglich, er verkaufe billig. Vielmehr betonte
er im Zusammenhang mit der mengenmässigen Begrenzung des Angebotes die
besondere Vergünstigung, die mit der Beendigung des Verkaufes aufhöre
(vgl. BGE 78 IV 125). Der Tatbestand des Art. 20 Abs. 1 lit. a AO ist daher
objektiv erfüllt; denn eine Bewilligung der Behörde zur Durchführung des
Verkaufes hatte der Beschwerdegegner nicht eingeholt.

Erwägung 3

    3.- Der Beschwerdegegner bestreitet nicht, dass er das Inserat bewusst
und gewollt, insbesondere in Kenntnis seines Inhaltes, abgefasst und
veröffentlicht und dass er um das Fehlen einer behördlichen Bewilligung
zur Durchführung des angekündeten Verkaufes gewusst hat. Er hat somit die
Ausverkaufsordnung vorsätzlich, nicht, wie er geltend macht, lediglich
fahrlässig übertreten. Der angebliche gute Glaube, die Veranstaltung
unterliege der Verordnung nicht, schloss keine irrige Vorstellung über den
Sachverhalt (Art. 19 StGB) in sich, die den Vorsatz ausgeschlossen hätte.

    Dem Beschwerdegegner kommt auch nicht Rechtsirrtum im Sinne des Art. 20
StGB zugute. Diese Bestimmung ist nicht schon anwendbar, wenn der Täter
Gründe hatte, die Tat nicht für strafbar zu halten, sondern nur dann,
wenn sie die Annahme, er tue überhaupt kein Unrecht, zu entschuldigen
vermögen (BGE 78 IV 181 mit Zitaten). Das Gefühl, kein Unrecht zu tun,
fehlte indessen dem Beschwerdegegner, hat er doch am 8. Mai 1954 vor
dem Statthalteramt ausgesagt, er habe sich weder bei dieser Behörde noch
bei der Kantonspolizei über die Zulässigkeit der Veranstaltung erkundigt,
weil er nach seinen Erfahrungen doch die Antwort erhalten hätte, sie dürfe
nicht stattfinden. Da er die Erkundigung unterlassen hat, könnte übrigens
auch nicht gesagt werden, der behauptete Irrtum habe auf zureichenden
Gründen beruht.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der I.
Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Oktober
1954 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.